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Leiden Sie am Venus-Williams-Syndrom?

Es ist eine Krankheit, eine Malaise, die Ohr, Hirn und Zunge angreift und verwirrt.

Ich habe sie „Venus-Williams-Syndrom“ genannt, muss nur darum bitten, dass Sie hier keine unterschwellige Kritik an einer Tennisspielerin, die diesen Namen trägt, argwöhnen. Das habe ich gar nicht im Sinn. Meine Kenntnisse über das Tennisspielen beschränken sich sowieso auf die Geschwindigkeit, mit der ich, wenn ich gelegentlich „channel-surfing“ betreibe, zum nächsten Sender umschalte. Sonst weiß ich, dass man früher häufig über „unsere Steffi“ jubelte und dass sich der junge Boris weigerte, sich „Bumm-Bumm Becker“ etikettieren zu lassen. (Damals kursierte der Witz: Er ist jung, blond, großgewachsen und deutsch. Warum muss er ausgerechnet „Boris“ heißen?).

Damit habe ich meine Kenntnisse übers Tennisspiel ziemlich erschöpft und kehre nun zum „Venus-Williams-Syndrom“ zurück.

Auch bevor ich auf deutschen Schollen strandete, fiel mir auf, dass viele Deutsche, wenn sie Englisch sprachen, das englische „V“ wie in „Venus“ oder „victory“ in ein englisches „double-u“ verwandelten. Aus „Venus“ wurde „uie-nuss“, aus „victory“ „uikk-to-rie“.

Im Gegenzug sprach der Deutsche das „W“ des englischen „Williams“, „we“, „work“ usw. so aus, als wäre es ein deutsches „W“ wie in „wichtig“, „werken“, „wunderbar“ usw.

Ich fand das schon damals eigenartig. Aus dem englischen „V“ wurde ein englisches „W“; aus dem englischen „W“ hingegen ein englisches „V“. Das heißt: Der Deutsche war in der Lage, beide Laute korrekt zu artikulieren – nur verkehrt herum. Komisch, nicht wahr? Was dieses Phänomen noch merkwürdiger machte: Jeder Deutsche sprach das „V“ im Namen der römischen Göttin „Venus“ meistens so aus, wie Englisch Sprechende es tun – als stimmhaften Reibelaut.

Ich habe neulich an dieses Phänomen gedacht, als ich einem Bericht im Radio über besagte Venus Williams lauschte. Zufällig hatte ich Gelegenheit, den Namen der Tennisspielerin von drei verschiedenen Rundfunksprechern hören zu können. Der erste Sprecher glänzte mit dem altbewährten „Uienuss Uilliams“. Zweimal „Ui“ also.

Der zweite überraschte mit einem gekonnt artikulierten „Wie-nuss“ (also deutsches „W“) gefolgt von einem „Will-jams“, dass ebenfalls verdeutscht wurde.

Der dritte Sprecher sagte alles ganz richtig. Also: „Wie-nuss Uill-jams“. Nun fragte ich mich, warum der dritte Sprecher alles richtig sagte und die anderen nicht. Mein vorsichtiges Fazit: Die Ära des „Uie-nuss Will-jams“ geht langsam zu Ende.

Hier meine Fantasie: Die ersten zwei Sprecher sind älteren Jahrgangs. Das heißt: Sie entstammen einer Zeit, als man das englische „V“ und „W“ regelmäßig durcheinanderbrachte. Der dritte Sprecher ist – und dies habe ich an seiner hellen Tonlage erkannt – noch jung. Er entstammt einem Zeitalter also, wo sich der Kontakt mit der angelsächsischen Welt – dank der Globalisierung der Musik und dank den Musiksendern in der TV – verfestigt hat. Der dritte Sprecher käme also nie in die Versuchung, Stevie Wonder zu einem „Wunder“ zu mutieren oder die „Velvet Underground“ als „ueluett“ zu radebrechen. (Ja, ich weiß: Es sind die Namen von Rockopas, aber die alten sind komischerweise immer noch die neuen).

Im Zeitalter der „Wellness“-Bewegung und der „Video-Aufnahme“ werden neue Sprachgewohnheiten unentwegt eingeprägt.

Ich frage mich nur: Woher kommt es, dass Generationen von Deutschen das englische „V“ und „W“ vertausch(t)en? Ich weiß es nicht. Fest steht nur: Hier sind ganz bestimmt uralte Sprachinstinkte am Werk. Jeder, auch wenn er nie Latein gelernt hat, kennt den berühmten Spruch Julius Cäsars: „veni vidi vici“, „ich kam, ich sah, ich siegte“. Diese Worte klangen aus dem Mund Cäsars folgendermaßen: ue-ni, ui-di, ui-ki, eine Aussprache, die den in Rom beheimateten Germanen wohl nicht passte. Sie machten daraus ein „we-ni, wi-di, wi-zi“. Bis heute klingt es ähnlich, wenn ein Italiener spricht. Nur sein „wi-zi“ ist zu einem „wi-tschi“ geworden.

Hören Sie bitte in sich hinein: Sind Sie noch vom „Venus-Williams-Syndrom“ befallen?

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