Ronald Reagan, Juri Andropow und Wojciech Jaruzelski stehen vor Gott. Andropow fragt: „Wann wird die Sowjetunion zugrunde gehen?“ Gott antwortet: „Keine Sorge. Bis dahin bist du lange tot.“ Nun fragt Reagan, wann Amerika untergehen werde. Gleiche Antwort: „Keine Sorge. Bis dahin bist du lange tot.“ Nun ist Jaruzelski dran. Er fragt: „Wann wird der Wohlstand in Polen einkehren?“ Gott antwortet: „Keine Ahnung. Bis dahin bin ich lange tot.“
Diesen alten Witz erzählte mir heute Freund E. während eines Telefongesprächs.
„Lustig, gell?“ sagte – bzw. fragte – er. „Ich habe es bei den ursprünglichen Namen belassen. Denn ein sowjetischer Militärattaché hat es mir vor vielen Jahren erzählt.“
„Man muss Pole sein, um darüber zu lachen“, sagte ich.
„Nein, Russe.“
Eigentlich hat E. nicht angerufen, um mir einen lahmen Witz aus der Zeit des Kalten Krieges zu erzählen. Er wollte mir Wichtiges mitteilen. „Ich habe eine spannende Story für dich“, sagte er.
„Ich habe keine Zeit. Ruf mich später an. Ich bin mitten im Schreiben.“
„Nein, sofort die Druckerpresse anhalten. Es geht um die ‚Doomsday-Datei’. Du weißt schon.“
„Nein, ich weiß nicht. Was für ‚Doomsday-Datei’?“ („Doomsday“ ist übrigens die englische Bezeichnung für den Jüngsten Tag).
„Von Julian Assange. Eine Datei, die die Namen aller seiner Wikileaks-Informanten enthält. Die Datei findet man zwar schon lange im Internet – allerdings verschlüsselt. Assange drohte früher mit der Veröffentlichung, für den Fall die CIA oder sonstige Geheimdienste ihn umzubringen vorhatte. Nur seine intimsten Mitarbeiter hatten das Passwort, mit dem man die Datei entschlüsselt.“
„Wieso soll sie ausgerechnet jetzt preisgegeben werden? Assange lebt.“
„Weil es Zwietracht zwischen ihm und seinen Leuten gibt. Manche halten ihn für zu profilsüchtig.“
„Und du meinst, dass irgendwelche ehemaligen Weggefährten das Passwort jetzt verraten haben.“
„Das weiß man eben nicht. Fest steht nur: Es gibt inzwischen Leute, die die entschlüsselte Datei haben. Wie sie dazu gekommen sind, kann ich nicht sagen. Es ist jedenfalls nur eine Frage der Zeit, bis ein Verrückter die Info freigibt. Dann ist ganz aus: die große Kernschmelze bei den Geheimdiensten findet auf der Stelle statt. Wäre was für dich, oder?“
„Wieso für mich?“
„Du könntest einen Text über das Phänomen ‚Doomsday’ schreiben. Vielleicht kannst du ihn an irgendeine Feueilletonseite verkaufen.“
„Warum soll ich mich für die Geschichte der Massenhysterie und der Paranoia interessieren?“
„Weil du Philosoph bist.“
„Ich bin Existenzphilosoph, und das ist was anders. Außerdem wollte ich heute über Loriot und den deutschen Humor schreiben.“
„Du weißt, was Winston Churchill über den deutschen Humor zu sagen hatte, oder?“
„Nein.“
„Er meinte: Der deutsche Humor ist nicht zum Lachen.“
„Engländer machen gerne Witze über Deutsche – und Russen über Polen.“
„Du wirst also keine Kulturgeschichte der Massenhysterie schreiben?“
„Bist du enttäuscht, wenn ich dir sage, dass es keinen Doomsday geben wird?“
„Soll auch das ein Witz sein?“
Wurm: (an einem Stuhl gefesselt) Bitte, bitte nicht wieder schlagen.
Vorstandsvorsitzender: Jeder Vorstandsvorsitzender braucht seinen Prügelknaben. Bezahle ich Sie nicht gut genug?
Wurm: (schweigt).
Vorstandsvorsitzender: Wieso schweigen Sie? (Er schlägt zu)
Wurm: Aua aua aua!
Vorstandsvorsitzender: Also jetzt. Bezahle ich Sie nicht gut genug? Oder sind Sie heimlich zu den Gewerkschaftlern rübergegangen.?
Wurm: Nein! Nein! Sie bezahlen mich gut. Aber warum muss ich immer die schwarzen Strumpfhosen tragen.
Vorstandsvorsitzender: Was heißt immer? Nur in meinem Büro. Außerdem steht es in Ihrem Vertrag so. Und schweigen dürfen Sie nicht, wenn ich Fragen stelle. Steht auch im Vertrag.
Wurm: Ich dachte, ich müsste niesen. Es war ein Fehlalarm. Kennen Sie das nicht?
Vorstandsvorsitzender: Natürlich! Bin ich kein Mensch? Habe ich keine Augen? Habe ich keine Hände? Keine Nase? Ach! William Shakespeare. Der könnte die Auflagen in die Höhe schnellen. Verdammtes Internet! So einen wie Shakespeare müssten wir verpflichten. Am besten gleich klonen und einen in jede Redaktion setzen. Habe ich nicht recht, Wurm?
Wurm: (schweigt wieder).
Vorstandsvorsitzender: Kommt wieder ein Nieser? Oder möchten Sie nochmal Prügel kassieren?
Wurm: Nein, mir kitzelt’s in der Nase, aber es wird wieder nichts.
Vorstandsvorsitzender: Verdammt frustrierend, gebe ich zu. Aber sinkende Auflagen sind auch frustrierend. Mitdenker brauche ich, lieber Wurm, keine Jasager. Verstehen Sie das?
Wurm: Ja, ich verstehe.
Vorstandsvorsitzender: Sie wirken heute so müde. Ich glaube, Sie sind allmählich reif für die Insel. Stimmt’s? Oder stimmt’s nicht?
Wurm: Es war ein hartes Jahr, und die Wochenendarbeit setzt zu.
Vorstandsvorsitzender: Nehmen Sie ruhig ein paar Tage frei. Aber nur ein paar. Sie wissen. Wir brauchen Sie. Das darf ich Ihnen eigentlich nicht verraten. Aber wehe, wenn Sie neue Gehaltsforderungen machen! Dann haben Sie den Salat: Ich kündige Ihren Vertrag sofort und stelle Sie als freischaffenden Konsultanten ein – für weniger Geld, versteht sich. Und Urlaub ade! Natürlich werden Sie mir schriftlich versichern, dass Sie auch für andere Arbeitgeber tätig sind und weniger als fünfsechstel Ihres Einkommens bei uns beziehen. Haben wir uns verstanden?
Wurm: Ja, o Herr.
Vorstandsvorsitzender: Gut so. Und jetzt zurück zum Thema. Die Auflagen in die Höhe kitzeln. Wissen Sie, wer eine tolle Schreibe hatte?
Wurm: Thomas Mann?
Vorstandsvorsitzender: Nein, Sie Depp. Goebbels. Sie müssen mal seinen Artikel über den Reichstagbrand lesen. Einfach genial. Er macht müde Leser wieder munter. Persönlich schreibt er, vertrauensvoll. Man möchte die Tochter mit ihm verheiraten. Sie schauen so skeptisch. Halten Sie mich für einen Nazi?
Wurm: Nein, o Herr. Aber die Uhr auf Ihrem Schreibtisch zeigt halbsieben. Laut meinem Vertrag darf ich jetzt Feierabend machen. Oder muss ich schon wieder Überstunden einlegen?
Vorstandsvorsitzender: Sie haben es noch nicht verstanden, lieber Wurm. Es geht um unsere alle Zukunft. Das Leben kennt keine Überstunden. In einer halben Stunde dürfen Sie nach Hause. Vielleicht. Aber jetzt dalli dalli: Scharf nachdenken.
Wurm: Muss ich aber noch gefesselt bleiben, o Herr?
Vorstandsvorsitzender: Jeder hat seine Rolle zu spielen. Auch Sie.
Welche Farbe hat ihre Seele, lieber Besucher, liebe Besucherin dieser Seite?
Vielleicht ist „Farbe“ das falsche Wort. Ich meine nur, dass man als Kind mittels des Wortschatzes (und des Kulturschmuckes) einer gewissen Sprache die Welt zu deuten lernt. Voilà! Man wird auf eine gewisse Weise beseelt.
Heute geht es um Persönliches, sehr Persönliches. Als Schreibender in der Fremdsprache bediene ich mich notgedrungen der „Farbe“ Ihrer Seele. Und dennoch bin ich nicht fähig, an Ihrem „Wir-Gefühl“ teilzunehmen. Meine Seele hat nämlich bereits eine eigene Farbe.
„Aber bitte. Das ist wirklich etwas übertrieben“, sagte mir neulich Frau I., die liebe Goldschmiedin um die Ecke. „Sie sind so lange da. Es ist kaum möglich, dass unsere deutsche Mentalität nicht auf Sie einigermaßen abgefärbt hat. Mir kommen Sie jedenfalls nicht fremd vor. Aber bitte: Schriftsteller neigen gerne zum Pathetischen.“
„Ja, vielleicht haben Sie recht“, antwortete ich. „Meine amerikanische Seele ist sicherlich nicht mehr so waschecht wie früher, ist vielleicht durch die vielen deutchen Waschgänge sogar etwas blasser geworden. Wenn ich Amerika besuche, bin ich auch nicht ganz in der Lage, das „Wir-Gefühl’ in Gang zu setzen.“
„Na, also…“
Neulich war ich in der Alten Pinakothek und kam ins Gespräch mit einem älteren Herrn (das heißt: Er war älter als ich). Er argumentierte, dass die moderne Kunst im Vergleich zur alten Kunst auf ihn nur stumperhaft wirke. „Kunst kommt von ‚Können’“, beteuerte er. Ich war anderer Meinung. Bald wurde die Diskussion sehr lebendig. Und dann fragte er: „Sie sind aber nicht von hier, oder? Man hört etwas anders in der Stimme. Sind sie Engländer?“
„Nein, Amerikaner. Aber ich bin seit 1975 da.“
„Aha. Ich hoffe, Sie fühlen sich bei uns wohl.“
Notabene: „bei uns“ hod er g’sogt. Das heißt: Ich zähle für ihn nicht zu seinem „uns“, und er hat sogar das Bedürfnis, mich willkommen zu heißen, als wäre ich erst letzte Woche eingetroffen. Ist letztendlich in Ordnung, wenn ich zu seinem „Wir-Kreis“ nicht zähle. Denn meine Seele ist tatsächlich zweifarbig. Anders als Frau I. nahm er ausschließlich den andersfarbigen Teil wahr. Tja.
Und ausgerechnet muss ich Schriftsteller sein! Das heißt: Die Sprache ist mein Werkzeug, und mit ihr und durch sie will ich meine intimsten Erfahrungen vermitteln. „…wenn man in seiner Muttersprache schreibt, fließt das ganz anders“, schrieb mir neulich eine liebe alte Freundin, die außerdem eine großartige Schriftstellerin in der deutschen Sprache ist. Ihr Fazit: „…du solltest es unbedingt wieder mal auf Englisch versuchen…“
Früher hätte mich ein solcher gutgemeinter Ratschlag verunsichert, doch nicht mehr. No siree. Früher glaubte ich, es gebe lediglich ein Entweder oder ein Oder in dieser Sache.
Inzwischen habe ich verstanden, dass meine zweifarbige Seele sowohl deutschsprachige wie auch englischsprachige Bedürfnisse hat. Der Sprachbloggeur, zum Beispiel, will, ja, muss sogar, Deutsch erscheinen. Denn das Fremdsein ist seine einzigartige Perspektive. Diese Glossen würden wirklich sehr fade anmuten, wenn ich sie auf Englisch verfasste.
Gleiches gilt für meine vier (noch) unveröffentlichten deutschsprachigen Romane (so nenne ich sie, obwohl dieses Wort nicht ganz auf sie passt). Das Fremdsein ist nämlich in diesen Werken das Instrument schlechthin – viel bedeutungsvoller als die Sprache, die nur die Aufgabe hat, richtig zu klingen. Diese Bücher hätten in Englisch kein Ursprungsdasein.
Dafür habe ich aber andere Themen, die nur in meiner Muttersprache möglich sind, weil für sie gewisse mit der Muttermilch aufgesaugte Schwingungen eine unentbehrliche Rolle spielen. Solche Texte – etwa Lyrik oder Themen, die von Impulsen handeln, die existierte, bevor ich nach Deutschland kam – will ich, kann ich nur Englisch schreiben.
Wäre interessant, andere zu finden, die Ähnliches erleben wie ich. Ich glaube aber nicht, dass ich jemals einen finden werde – auch wenn er oder sie wie ich in der Fremdsprache schreibt. Denn jeder hat ureigene Themen, bzw., Schattierungen von Themen, die nach außen drängen, und diese können nie mit denen des Anderen hundertprozentig übereinstimmen.
Und deshalb meine Frage: Welche Farbe hat Ihre Seele?
„Ich werde dir erklären, wie du die Trefferzahl deines Blogs schnell in die Höhe treiben kannst“, sagte mein lieber alter Freund Sandy, der letzte Woche in München zu Besuch war.
Nicht, dass ich ihm etwa vorgejammert hätte, „Der Sprachbloggeur“ habe zu wenig Verkehr. Im Gegenteil. Es geht uns gut. Doch Sandy wollte mir von einem Experiment berichten, das er in Frankreich, wo er heute lebt, ausprobiert hat.
„ Ich habe einen Blogbeitrag mit folgender Überschrift veröffentlicht: ‚Zehn Kilo an einem Tag abnehmen!’ Und stell dir vor: Innerhalb von nur wenigen Tagen wurde der Text 400.000 Mal angeklickt.“
Ehrlich gesagt, ich war skeptisch. Sandy übertreibt manchmal gerne. Schotten – er ist geborener Kirkcaldyier – macht es Spaß, „to take the pish outta ya“. Zu Deutsch – dem Sinne nach – „dich auf den Arm zu nehmen“. Wortwörtlich: „dir den Harn herauszuziehen“, was auch immer das bedeutet.
„Auch ich hätte eine Idee für eine reißerische Überschrift“, erwiderte ich. „Schon lange wollte ich einen Aufsatz mit dem Titel ‚Eine Grammatik der Pornographie’ schreiben.“
„Yi’ve gone completely doo-lally“, antwortete er. Zu Deutsch: „Du spinnst vollkommen.“
„Wieso?“
„Porno ist so grammatikalisch wie ich, wenn ich bevied (betrunken) bin. Oder meinst du etwa solche Unterschiede wie ‚aktiv’ und ‚passiv’ ‚männlich’, ‚weiblich’ und ‚Neutrum’? Da könntest du schreiben, dass einer seinen Nominativ in den Akkusativ des anderen geführt hat, während der Dativ nur zuschaute. Das wird deinen deutschen Lesern bestimmt gefallen, Jimmy. Deren Sprache erinnert mich mit all den Fällen ohnehin ans Lateinische.“
„Nein, im Ernst“, antwortete ich. „Pornographie ist tatsächlich eine Art Sprache, die gewissen grammatikalischen Regeln folgt.“
„Nu yer takin’ the pish outta me.“
“Nein, sei nicht so ein ‘dunderheed’“, sagte ich. Nach so vielen Jahren Freundschaft erlaube ich mir gelegentlich den Gebrauch seines Dialekts. Dafür verwendet er manchmal meine Amerikanismen. „Schau. Porno kann ohne eine Grammatik gar nicht existieren. Sie hat die Aufgabe, Sex glaubhaft zu präsentieren. Oder? Ohne einen bewussten Inszenierungsplan, würde kein Zuschauer in der Lage sein, das zu verstehen, bzw. mitzuempfinden, was zwei (oder mehrere) bezahlte – wenn auch nackte – Schauspieler vorführen. Letztendlich kann man Sex nicht wirklich sehen, nur ahnen und darüber fantasieren. In Pornofilmen wird also das Unsichtbare durch strenge grammatikalische Regeln sichtbar gemacht. So einfach ist es. Das macht auch eigentlich jede Sprache. Die Grammatik der Pornographie hat aus diesem Grund nicht von ungefähr viel mit der Kameraperspektive zu tun.“
„Mich kannst du nicht überzeugen. Aber du warst schon immer ein Theoretiker, Laddie. Doch jetzt fällt mir ein: Ich habe dir immer noch nicht verraten, wie man an einem Tag zehn Kilo abnimmt.“
„Du meinst doch nicht im Ernst, dass so was möglich ist.“
„’Honest injun’, wie ihr Amerikaner sagt. Man kann sehr wohl an einem Tag zehn Kilo abnehmen. Kannst du nicht erraten, wie?“
„Keine Ahnung.“
„Ganz einfach: Man lässt sich den Kopf abhacken.“
„Nur zehn Kilo wiegt ein Kopf?“ „Ay, laddie, jes tin kilos.“
Heute nur eine kurze Einführung, liebe Schüler. Aber Achtung: Es gibt trotzdem Hausaufgaben. Passen Sie also gut auf. Es geht um eine Sprache, die jeder kennt und über die selten einer nachdenkt: das Tierische.
Die gute Nachricht: Es gibt zwar verschiedene Dialekte dieser Sprache, aber die Unterschiede sind geringer als die zwischen, sagen wir mal, dem Schwäbischen und dem Bairischen.
Zugegeben: Manchmal tauchen im Tierischen Begriffe aus anderen Sprachen auf – sogar aus dem Deutschen. Lassen Sie sich aber nicht in die Irre führen. Tierisch bleibt Tierisch.
Ein Beispiel: Walli und der Michi kennen sich schon seit der Grundschule, waren auch in der selben Abiklasse und haben manchmal gemeinsam gezecht – deshalb noch die Kosenamen. Heute sind sie beide um die dreißig und heißen für die meisten Zeitgenossen Walter und Michael. Eines Tages begegnen sie sich in der Ainmiller Straße in München - sie haben sich lange nicht gesehen.
Walli (hat es eilig, sieht richtig busy und wichtig aus und trägt teure Klamotten): „Servus, Michi. Lange nimmer gesehen. Alles okay?“
Michi (im dunkelgrauen Anzug, sieht aus, als arbeite er auf der Bank am Schalter): „Ja, danke, und selber?“
Walli: „Ausgezeichnet! Muss mich sputen. Man sieht sich, gell?“
Haben Sie das Tierische verstanden? Hmm. Ich drücke mich anders aus. Stellen Sie sich vor, dass W. und M. Hunde wären, die in der Ainmiller Straße Gassi geführt werden. Walli ist das Tier, das seine Nase sogleich in Michis Privatsphäre steckt („Servus Michi, alles okay?“) und deutlich mit dem Schwanz wedelt. Michi ist das Zamperl, das diese Schnüffelei geduldig über sich ergehen lässt („Ja, danke, und selber?“). Sie kennen sich aber. Also kein Gebell oder Geschnappe.
Später sagt Michi zu seiner Frau: „Stell dir vor. Heute bin ich dem Walli auf der Straße begegnet. Hab ihn seit ewig nimmer gesehen.“ Oder vielleicht sagt er es lieber nicht. Sonst fragt die Lisa, wie es Walli geht usw. Michi will so wenig wie möglich drüber berichten.
Noch ein Beispiel: An der Ecke Römer/Herzogstraße in München will ein strammer junger Radler über die Straße strampeln. Die Ampel steht auf grün. Hinter ihm folgt seine Freundin. Doch nun fährt ein Autofahrer aus der anderen Richtung auf. Er will links abbiegen, und zwar sofort. Das kann er aber nicht, weil die Radler, die geradeaus fahren, seinen Weg blockieren. Es ist ihm aber nur Nebensache, dass er keine Vorfahrt hat. Was tut er? Er hupt, um seinen Frust und Missmut zu kundzutun. Daraufhin macht der Radfahrer eine einschlägige Geste und fährt am Auto vorbei. Vielleicht macht er dazu noch eine unanständige Bemerkung – auf Deutsch, versteht sich, aber egal. Der Autofahrer bremst, als möchte er aus dem Wagen steigen. Der Radfahrer bremst ebenfalls und stiert den Autofahrer bedrohlich an. Dieser zögert nicht lange. Er tritt aufs Gas und fährt davon.
Das ist ein Musterbeispiel eines Gesprächs auf Tierisch. Wie schon gesagt, jeder versteht die Sprache fließend. Komischerweise: Wenn Tiere Tierisch sprechen, sagen wir oft: „Mei, sie sind fast wie Menschen.“ Wirklich komisch.
Sommersemester beim Sprachbloggeur: Exkurs in die Metasprache.
Als Hausaufgabe, lieber Tierfreunde, möchte ich, dass Sie selbst zwei eigene Beispiele des Tierischen aufschreiben. Ich bin überzeugt, dass Sie schnell welche finden werden. Hier dennoch ein kleiner Hinweis: Schauen Sie ruhig in die Zeitung.
Zu Beginn ein Zitat:
„Deutschlands Städte geraten unter Druck. Die Sozialhaushalte schrumpfen, die Mittelklasse rutscht an die Armutsgrenze ab, das Nichteinbinden von Migranten schafft wachsenden Zündstoff.“
So fängt ein Informationblatt an, das ich letzte Woche von Freund Wolfgang erhielt.
Er bat mich darum, für ein wichtiges Seminar, das am 8. und 9. September in München stattfindet, auf die Werbetrommel zu pauken. Wolfgang gehört der „Community Development“-Bewegung an. Er hat sie vor vielen Jahren in Chicago kennen- und liebengelernt. Die Anhänger dieser Idee regen eine Art „Politik von unten“ an, die sie „Empowerment“, etwa „Selbstbemächtigung“ nennen. Damit sollen die Machtverhältnisse zugunsten des mündigen Bürgers anstelle der vollmundigen Politiker verlagert werden. Wer mehr darüber erfahren will, kann sich unter www.netzwerk-gemeinsinn.net weiter informieren. „Vielleicht findest du ja ein Wort, einen Satz, eine Wendung in dem Flyer, das, der, die dich zu einer Kolumne inspirieren könnte“, schrieb Wolfgang an mich.
Ich hätte auch gerne eine geschrieben, wenn am Wochenende nicht so viele verrückte Dinge passiert wären. Fakt ist: Ich bin zu sehr durch den Wind, um im Flyer noch nach interessanten Wortbildungen zu suchen. Heute rief ich Wolfgang an.
„Ich fürchte, ihr braucht mehr als den Sprachbloggeur, um eure Botschaft an den Mann (und an die Frau) zu bringen.“
„Schon wieder redest du in Rätseln, lieber Sprachbloggeur. Deine Stimme zählt zu den einflussreichsten in ganz Deutschland. Kaum sagst du ‚hingehen’, strömen die Neugierigen in Scharen irgendwohin. Habe ich oft erlebt.“
„Gegen einen Anders Breivik in Oslo ist kein Kraut gewachsen. Er braucht nur eine Stunde, um ein paar Häuser in die Luft zu springen und 76 unschuldige Menschen abzumurksen und paff! der Sprachbloggeur wird zu einer einsamen verstummten Stimme in der Ödnis.“
„Der ist aber ein geisteskranker Nazi.“
„Er hat es verstanden, sich der Medien zu bemächtigen, und zwar perfekt. Das ist auch eine Art „Empowerment“, wenn auch nicht die Sorte, die euch vorschwebt. Oder denk an Al-Schabaab in Somalia. Diese verrückten Ideologen haben zumindest teilweise selbst eine Hungersnot ausgelöst, lassen Millionen verhungern und behaupten das Elend sei lediglich eine antiislamische Verleumdungskampagne. Das sind Leute, die es gut verstehen, Medienpräsenz für sich zu verschaffen.“
„Und was schlägst du vor?“
„Die Strategien solcher Halunken zu erkunden.“
„Du willst hoffentlich nicht, dass auch wir Grausames begehen, damit sich die Reporter um uns scharen.“
„Nein, um Gottes willen. Man muss kein Menschenverächter sein, um die Medien um den kleinen Finger zu wickeln. Schade, dass man diese Monomanen nicht zu einem Seminar über Öffentlichkeitsarbeit einladen kann. Man würde viel von ihnen lernen. Da bin ich sicher. Ich hätte auch gerne Amy Winehouse eingeladen. Egal was sie tat, sie hat es geschafft, schnell in den Mittelpunkt zu rücken. Stell dir vor. Eine einfache Überdosis eines Giftcocktails hat sie auf der Stelle in eine Popgöttin verwandelt, die man in hundert Jahren noch als Wundertäterin anbeten wird.“
„Und du meinst, wir könnten von denen lernen?“
„Genau. Und weil ich das meine, weiß ich auch, dass die Zeiten noch schlechter sind als ich bisher gedacht habe. Über Konstruktives will kaum mehr einer lesen. Um über Destruktives zu lesen, würden die Leute Schlange stehen. Es stimmt, was in eurem Flyer steht: Deutschland – aber nicht nur Deutschland – gerät zunehmend unter Druck. Eure Analyse ist richtig: Man müsste sich selbstverständlich den Bürger von unten bemächtigen. Nur so kann man die mediale Aufmerksamkeit von den Destruktiven zurückgewinnen. Aber wie? Das ist die Frage. Ich wünsche euch viele gute Einfälle.“
Vielleicht haben Sie in den letzten Tagen versucht, diese Seite zu erreichen, und fanden stattdessen eine himmelblaue Informationsseite vor, die auf Englisch erläuterte, dass die gewünschte Seite, „Der Sprachbloggeur“, momentan nicht zur Verfügung stehe.
Solche Ausfälle erlebe ich seit mehreren Tagen. Anders gesagt: Ich wurde in Cyberspace mundtot gemacht.
Ich vermute, es waren die Agenten der Unsprache am Werk. Schon wieder.
„Nein, es ist ganz einfach. Jemand hat den Server mit Digitalmüll vollgestopft.“ So hat es mir Freund E., Betreiber des Servers, erklärt.
„Wieso das?“ fragte ich.
„Die haben es offensichtlich auf jemanden abgesehen. Sie schicken uns über ihre Bots endlose Mails, bis unsere Festplatte den Geist aufgibt.“
„Auf mich abgesehen?“
„Wer weiß? Deine ist jedenfalls nicht die einzige Seite auf dem Server. Hast du wieder Böses in deiner Glosse geschrieben?“
„Nicht das ich wüsste. Nur das Übliche: über Sprache informieren und lästern, gegen Selbstmord und Unternehmenshabsucht polemisieren. Ach ja: Ich habe China und Osama auf die Schippe genommen. Und ein alter Freund hat mir gesagt:, ‚Jeder kann China kritisieren. Warum nimmst du niemals die Gegner von Stuttgart 21 ins Visier?’“
„Aha.“
„Meinst du er war’s, der den Server vermüllt hat?“
„Nein, ich meine nur, dass mir deine Themen immer so harmlos vorkommen. Zu harmlos. Ich kann’s mir kaum vorstellen, dass sich einer die Mühe macht, ausgerechnet den Sprachbloggeur zu vermüllen.“
„Was schlägst du also vor? Soll ich plötzlich gehässig werden?“
„Wäre keine schlechte Idee.“
„So einer bin ich aber nicht – zumindest als Schriftsteller nicht. Ich bin schließlich Existenzphilosoph und will von Dasein zu Dasein mitteilen.“
„Igittigitt. Das allein wäre ein Grund, dich ausschalten zu wollen. Erzähle das mit der Existenzphilosophie bitte nicht wieder. Sonst wirst du täglich vermüllt. Solche wie du sind selbst schuld, wenn sie angegriffen werden. Hast du noch nie ein Kind gesehen, das genüsslich an einem Eis schleckt. Man will dem Bengel das Eis aus der Hand schlagen. So viel Unschuld und Genügsamkeit erträgt keiner außer vielleicht einer Omi mit verweichtem Hirn.“
„Manchmal habe ich das Gefühl, auf dem intergalaktischen Expresszug unterwegs geewesen und an der falschen Haltestelle ausgestiegen zu sein.“
„Du hast Phantasie! Sei nur froh, dass einer endlich gegen deine Glosse scharfgeschossen hat – wenn du überhaupt das Ziel warst. Nun hast du in jedem Fall eine Gelegenheit zurückzuschießen.“
„Gegen wen?“
„Keine Ahnung. Auf jeden Fall musst du endlich anfangen, dir ganz andere Themen vorzunehmen. Du könntest, zum Beispiel, über den Chirurgen berichten, der seinen Posten verloren hat, weil er einen Aufsatz über das Nutzen von ungeschütztem Sex geschrieben hat. Er meinte, dass Sperma im Frauenkörper ein natürliches Antidepressivum sei.“
„Warum sollte ich über so was schreiben?“
„Ich sehe. Du kapierst immer noch nicht.“
„Was ist da zu verstehen?“
„Eben! Darum geht es. Nichts gibt es zu verstehen. Ja, darüber solltest du auch mal schreiben.“
„Und das wird mich besser gegen Cyberangriffe schützen?“
„Natürlich nicht. Gegen die Unsprache ist kein Kraut gewachsen. Das weißt du wahrscheinlich besser als ich. Ich sehe die Welt etwas anders als du. Nur das will ich dir sagen.“
Dominque Strauss-Kahn, zum Beispiel.
Was passierte damals in Suite 2806…wirklich? Hat DSK das Zimmermädchen aus Guinea zum Sex – welcher Art auch immer – gedrängt, oder ist er in die Falle – welche Art auch immer – getreten? Ich habe keine Antwort auf diese Frage, und sie dürfen von mir keine erwarten.
Mein Bedenken ist in erster Linie sprachlicher Natur. Die Zeitungen haben vielfach berichtet, dass das angebliche Opfer (Notabene: Der Gebrauch des Wortes „angeblich“ weist stets daraufhin, dass der Berichterstatter keine Rechtschutzversicherung hat) nicht nur die Wahrheit über die Ereignisse in besagter Suite erzählt habe, sondern angeblich auch gelogen habe. Besonders suspekt: Sie habe mit ihrem Freund telefoniert, der in einem Gefängnis im Bundesstaat Arizona sitze und zu ihm in etwa Folgendes gesagt: „Keine Sorge, der Kerl hat viel Geld. Ich weiß, was ich tue.“
Mein Bedenken gilt hauptsächlich diesem Gespräch zwischen dem angeblichen Opfer und ihrem angeblichen Freund in Arizona. Dem Staatsanwalt zufolge, wurde der Wortlaut dieses Gesprächs bisher falsch dargestellt. Die zwei angeblichen Geliebten stammen, so heißt es, aus dem selben Dorf in Guinea und haben sich in der Muttersprache, Fulani, unterhalten. Diese Unterhaltung würde von einem Fulanisprecher gedolmetscht. Alles klar?
Anscheinend nicht. Der Staatsanwalt pocht darauf, dass die Übersetzung des Dolmetschers ungenau sei. Der Grund: Dieser verstehe den Dorfdialekt der Frau und ihres Freundes nicht. Wenn das so ist, dann muss man davon ausgehen, dass nur einer, der diesen Dialekt beherrscht, das Gespräch getreu zu übersetzen vermag. Wenn es aber so ist, dann stehe man vor zwei neuen Problemen. Erstens: Wo findet man in New York einen, der in der Lage ist, das Gespräch in diesem exotischen Dialekt fürs Gericht zu dolmetschen? Zweitens – und noch gravierender: Wäre dieser Dolmetscher bereit, das Gespräch zur Ungunst der Frau zu übersetzen. Anders formuliert: Wäre ein „Homie“ bereit, einen „Atzen“ zu verraten?
So wird eine Sprache zu einem Geheimcode. Eine kniffelige Sache, wirklich. Und es erinnert mich an einen cleveren Einfall des US-Nachrichtendienstes während des Zweiten Weltkriegs: Dieser setzte Cherokee-, Choctaw- und Lakotasprecher als „Codetalker“ ein. Da die Japaner nicht in der Lage waren, diese „Codes“ zu knacken, konnten die Indianer per Funk – ganz offen – wichtige militärische Geheimnisse austauschen. Sprache ist tatsächlich der komplizierteste Code überhaupt – zumindest für den Unkundigen.
Fazit: Man wird nie mit hundertprozentiger Sicherheit erfahren, was wirklich in Suite 2806 passierte.
Nun eine zweite Frage. Die ist vielleicht einfacher zu beantworten als die erste. Nur ich finde keine Antwort dafür. Es geht um den Fußball. Fußballer kann man auch als „Testosteronbrocken“ bezeichnen und ihre besonderen Leistungen mit der Ausschüttung dieses Hormons erklären. Wie ist es aber bei den Fußballerinnen? Was schütten sie aus, wenn sie fowlen, fluchen, kicken oder rennen, oder wenn sie sich gegenseitig das „high five“ geben? Dies ist keine sprachliche Frage. Ich bin trotzdem neugierig.
Dazu auch eine Nebenfrage: Ich erinnere mich, wie sehr Sportjournalistinnen in den 1980er Jahren kämpfen mussten – zumindest in den USA – , um das Recht zu bekommen, nach dem Spiel zu den Sportlern zwecks Interview in die Umziehkabine zu gelangen. Es kursierte damals ganz zotige Witze zu diesem Thema. Letztlich wurde die Sache zu einem großen Etappensieg der Gleichberechtigung. Wie ist es aber heute? Dürfen männliche Kollegen nach dem Spiel zu den Frauen in der Umziehkabine?
Zugegeben: Es sind nur naive Fragen, die mich momentan beschäftigen, aber sie sind bestimmt nicht unwichtig. Ja, und eine letzte Frage: Ist es nur Zufall, dass eine gewisse Frau Reding, die Ratingfirmen an den Pranger nimmt? Und ist es nur Zufall, dass eine diese Firmen „Moody’s“ (Englisch „launisch“) heißt? Eine andere „Standard and Poor’s“ – also „Maßstab und arm“ heißt?
Ist „nomen“ vielleicht doch „omen“?
„Ich bin völlig ratlos: Das mit mit dem ‚Der-die-das’ werde ich nie beherrschen. Es folgt keinem System, ist völlig unlogisch.“ Das sagte ich vor vielen Jahren meiner damaligen Lebensabschittspartnerin. Wir nennen sie Lena. Durch ihren Einfluss kam ich nach Deutschland. Das ist aber eine andere Geschichte und etwas länger. Wir fuhren – sie am Lenker – durch das „Presidio“, einen ehemaligen spanischen Militärstützpunkt, heute Nationalpark in San Francisco. Noch heute kann ich mich an die schönen Rasen und Bäume erinnern.
„Nein“, antwortete sie. „Es ist gar nicht so kompliziert, wie du meinst. Man entwickelt ein Gespür dafür. Zum Beispiel, die weiblichen Wörter. Sie sind stets lieblich, irgendwie ehrenvoll. Ja, genau. Deswegen heißt es ‚die Liebe’ und ‚die Ehre’ – beides weiblich. Man spürt es regelrecht, dass sie weiblich sind.“
„Und wie sagt man ‚hate’ auf Deutsch?“
„Na, siehst du. Da hast du es: ‚Der Hass’ ist logischerweise männlich. Das Hassen war ohnehin schon immer eine männliche Sache.
„Und ‚sex’?“
„Typisch Mann, diese Frage zu stellen. Auf Deutsch heißt es ‚der Sex’ – nicht weil Frauen kein Interesse daran hätten, sondern weil Männer an fast nichts anderes denken. Du siehst wie logisch das ist.“
„Und ‚violence’?“
„Das Wort ist weiblich: ‚die Gewalt’. Aber dafür gibt es sicherlich einen Grund. Ich denke, dass ‚Gewalt’ ursprunglich eine positive Bedeutung hatte. Gemeint war eine ‚weibliche Befugnis’. Irgendwann haben die Männer das Wort für sich eingenommen und glatt ins Gegenteil umgekrempelt – ohne das Geschlecht zu ändern, versteht sich.“
„Wie ist es mit ‚greed’?“
„Ich habe das ungute Gefühl, du willst mir eine Falle stellen. Hast du heute zu tief ins Wörterbuch geschaut? ‚Greed’ auf Deutsch ist ‚die Gier’. Aber auch hierfür habe ich eine Erklärung: Es waren Männer, die aus Bosheit das Wort ins Weibliche versetzten. Die Männer wollen letztendlich alles bestimmen – auch das Geschlecht der Wörter.“
„Lahme Ausrede. Und warum sagt ihr ‚das Weib’ anstelle von ‚die Weib’? Auch eine männliche Gemeinheit?"
„Wäre denkbar. Frauen werden immer benachteiligt. Aber bedenke: Es heißt ‚die Kunst’, ‚die Literatur’ und ‚die Poesie’. Und man sagt erwartungsgemäß ‚der Essay’ und ebenfalls ‚der Roman’. Alles was die Welt zerstückelt, ist männlich, was vereinigt, ist hingegen weiblich. Das kannst du dir als Regel merken.“
"Und ein ‚bomb’?“
„Schon wieder willst du mir eine Falle stellen. Aber diesmal geht der Schuss nach hinten los. ‚Die Bombe’ ist nämlich ein Fremdwort. Eine ‚bomba’ auf Italienisch ist ein Behälter, der mit Erdgas gefüllt wird. Sie dient dem Erwärmen und dem Kochen. Nicht jede ‚Bombe’ muss in die Luft gehen, mein lieber Freund. Und vergiss ‚die Schönheit’ nicht.“
„Und ‚ugliness’?"
„Das ist ‚die Hässlichkeit’. Diese Vokabel hat erst recht nichts mit Weiblichkeit zu tun. Alle Wörter die mit ‚-keit’ enden sind – egal was sie für einen Sinn haben – weiblich. Das ist nunmal so. Woher das kommt, kann ich nicht sagen. Doch höchstwahrscheinlich bedeutete diese Silbe ‚-keit’ urprünglich etwas Schönes."
„Ich sehe schon. Ich komme mit dir auf keinen grünen Zweig. Du findest immer eine Erklärung, um alles zu deinem Vorteil zu verdrehen. Und leider verstehe ich deine Sprache nicht gut genug, um dir Kontra geben zu können.“
„Na, siehst du? Deswegen heißt es ‚die Sprache’ aber ‚der Verstand’.“
„Warum müssen Frauen immer das letzte Wort haben?“
„Das stimmt nicht. Das behaupten Männer immer, aber es stimmt einfach nicht.“
„Doch.“
Hilfe! Die deutsche Sprache hat mich in ein Kellerverlies eingesperrt. Nun bekomme ich nur Wortsalat zu essen.
Ja, und hinter einer Trennwand sind wohl andere Gefangene, und man hat ihnen Wortketten angelegt. Ich höre das Rasseln der Ketten, sehe aber niemanden. Es ist hier dunkel wie Druckerschwärze. Wortfetzen fliegen mir um die Ohren. Meistens sind es Endungen und Artikel – kommt mir jedenfalls so vor. Ich verstehe aber nichts davon.
Ich weiß nicht einmal, was ich verbrochen habe. Nein, stimmt nicht. Ich weiß es sehr wohl. Es geht darum, dass ich, weil ich diese Fremdsprache erst in erwachsenen Jahren gelernt habe, überdurchschnittlich gegen die Sprachgesetze verstoße. Jetzt habe ich den Salat.
Kinder sind zu beneiden – auch ausländische Kinder. Sie gehen in die Schule, werden von Lehrern und Lehrerinnen ganz schön traktiert, benotet, bedroht, geliebkost, umschmeichelt und bisweilen auch gelobt, bis sie mehr oder weniger in der Lage sind, diese Sprache mehr oder weniger unauffällig zu sprechen.
Ich hingegen bin nicht einmal in der Lage „Vorstandsvorsitzender“ von „Vorstandsvorsitzende“ zu unterscheiden. Wer meinen Beitrag von letzter Woche frühzeitig gelesen hat, der hat diese arge Verwechselung schon vorgefunden.
Mein auf eigenen Wunsch anonymer Sprachguru hat mir nach Erscheinen besagten Beitrags eine Mail mit Korrekturen geschickt. Das macht er jede Woche. Er wies darauf hin, dass mein „Vorstandsvorsitzende“ in richtigem Deutsch ein „Vorstandsvorsitzender“ sei. Ausgerechnet musste dieses Wort eine so profilierte Rolle in meinem Dialog spielen. Peinlich peinlich.
Ich war untröstlich, als ich die Nachricht bekam, und schrieb an meinen Sprachguru Folgendes: „Ich verstehe diese Sprache nicht. Ein Mann aus Frankreich ist ein Franzose und nie und nimmer ein ‚Franzoser’. Den Italiener darf man aber, wenn er Subjekt eines Satzes ist nicht als ‚Italiene’ bezeichnen. Wer soll das alles kapieren?“ Mit anderen Worten: Wann wird ein Mensch „r“haftig und wann „r“los? Für mich ist die Sache mit den Endungen meistens nur erschöpfend.
Und noch ein Problem: In meinem Dialog sagt der Tod mit Schwert in der Hand: „Ich halte es [also das Schwert] über deinem Gesicht“. Nein, schreibt mir mein Sprachguru: Es müsse „Ich halte es über dein Gesicht“ heißen. Akkusativ also, nicht Dativ. Aber wieso? fragte ich. Denn als braver, angepasster Ausländer, habe ich mir wirklich Mühe gegeben, diese Konstruktion richtig zu formulieren. Ich habe mir nämlich die Frage gestellt, bevor ich den Satz in den Rechner getippt habe: „Wo hält er das Schwert?“ Antwort: „Über seinem Gesicht.“ Woher soll ich wissen, dass man sich fragen müsse: „Wohin hält er das Schwert?“. Wohin? Woher!
Unfair, sog i. Unfair! Ich bin an dem Nachmittag ins Paradies gegangen. Sie wissen schon, mein Lieblingsobstgeschäft und habe – von düftenden Südfrüchten und Erdbeeren umkreist – Frau M. mein Leid vorgejammert. „Ja“, sagte sie nachdenklich, „Man hält das Schwert vor sein Gesicht.“
„Das verstehe ich nicht“, antwortete ich.
„Ja, so sagen wir es.“
Notabene: Frau M. sagte hier „wir“. Und sie hatte auch recht. Ich zähle letztendlich nicht zu diesem „wir“.
„Die deutsche Sprache ist ausländerfeindlich!“ antwortete ich. Die Worte fluschten aus mir spontan heraus. „Und wie ist es mit ‚schauen’?“ fragte ich. „In meinem Beitrag schaute einer ‚hinter dem Vorhang’. Ich habe mich sogar, bevor ich die Worte schrieb, gefragt: Wo schaut er? Hinter dem Vorhang! Doch mein Sprachguru meinte, es müsse ‚hinter den Vorhang’ heißen.“
„Ja, richtig. ‚Schau hin, hinter den Vorhang’. Das sagt man halt.“
„Unfair. Wirklich unfair.“
Aber genug gejammert. Außerdem hat niemand Mitleid mit einem Jammerer. Wir sagen – ich meine hier, wir Englischmuttersprachler: „Laugh and the whole world laughs with you, cry and you cry alone.”
Trotzdem noch eine letzte Bemerkung. Am Anfang dieses Gezeters habe ich – vielleicht können Sie sich noch daran erinnern – behauptet, dass mich die Deutsche Sprache in ein Kellerverlies eingesperrt habe. Meine Frage: In den, in dem Kellerverlies? Ja, ich war verunsichert. Aber stellen Sie sich vor: Nach Duden habe ich in diesem Fall die Wahl: Die deutsche Sprache kann mich also „in ein“ oder „in einem“ Kellerverlies einsperren.
Meine Frage: Welche Art des Eingesperrtseins wäre für mich am ende günstiger?
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