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Das Problem ist in trockenen Tüchern

„Das Problem ist vom Eis“, sagte letzte Woche ein ARD-Nachrichtensprecher. Welches Problem er meinte, habe ich leider vergessen. Vom Eis? Wie ist es möglich, ein Problem vom Eis zu entfernen?

Und wie sieht ein Problem aus, wenn es aufs Eis gelegt wird?

Irgendwie tröstlich für mich zu wissen, dass native speakers ebenso schlampig mit der deutschen Sprache umgehen wie ich es tue.

Und deshalb fühle ich mich berechtigt, Neues in die deutsche Sprache einzuführen. Zum Beispiel die Redewendung, die ich letztes Jahr aus dem Boden stampfte: „Die Kuh ist in trockenen Tüchern“. Ist sie nicht schön? So eine Formulierung bezeichnet man auf Englisch als „mixed metaphor“, das heißt, als aufgemischte Metapher. Uns wurde in der Schule stets eingeschärft, unsere Metaphern never zu mixen. Aber rules are meant to be broken.

Das mit dem Eis usw. soll hier aber nur als kurze Einleitung dienen. Eigentlich wollte ich das Thema vom letzten Beitrag wieder aufgreifen. Wer besagten Text nicht gelesen hat, hier eine kurze Zusammenfassung: Ich hatte eine panische Angst, dass ich während einer Rom-Reise überall auf Taschendiebe treffen würde, die mir meine Kostbarkeiten – mein Portemonnaie, meinen Schlüsselbund, meinen Fremdenführer, mein Handy, meinen Bleistift und meinen Kugelschreiber usw. – behändig aus der Tasche entwenden würden.

Ich habe mich so sehr ins Zeug gelegt – und damit meine ich, dass ich mich sehr hysterisch aufgeführt habe – , dass ich manche Kostbarkeiten nicht auf die Reise mitnahm.

Aber Entwarnung. Meine Hysterie ist jetzt vom Eis. Meine Reise nach Rom war alles anders als ein Ringkampf mit Unholden, die mich als Weihnachtsganz ins Visier nahmen. Im Gegenteil. Ich vermute, dass ich gar keinem Taschendieb begegnet bin.

Vielleicht doch einmal. Da drängte sich einer an meiner Frau heran, als wir in die Metro einstiegen. Ich habe aber ganz cool meine Hand zwischen ihm und ihr gelegt und ihn dabei streng angeblickt. Prompt hat er sich entschuldigt. Hinter mir stand übrigens sein Kumpel. Während der Fahrt waren wir alle eng aneinander gequetscht. Es passierte aber nichts. An der nächsten Haltestelle sind die beiden ausgestiegen. Vielleicht waren sie Taschendiebe. Vielleicht nicht. Keine Ahnung.

Nur einem richtigen Dieb bin ich in Rom mit Sicherheit begegnet. Und das war ich selbst. Ich war nämlich mit meinem neuen Fotoapparat unterwegs. Er hat ein Display, das man runterklappen kann. Damit vermag ich hunderte von Menschen im Sensor einzufangen, ohne das sie etwas davon mitbekommen. So machen es auch die Taschendiebe. Ich fühlte mich wie die Mücke, die lautlos rumfliegt, auf die Haut landet, Blut saugt und sich dann wieder verduftet.

Kein Mensch in Rom war vor mir sicher. Denn ich falle kaum auf. Das tun nur wenige Menschen, wenn sie ein gewisses Alter erreichen. Wir zählen nicht mehr zu den Gefährlichen. Man sieht uns nicht. Junge Menschen hingegen sind alleweil gefährlich. Denn sie können jederzeit etwas bewirken. Und das ist ja der besondere Reiz der Jugend. Der heimliche (oder manchmal unheimliche) Augenkontakt zwischen boy und girl am Vorbeigehen auf der Straße trägt immer das Versprechen der Gefahr, ist immer in der Lage, Konsequenzen mit sich zu ziehen.

Ich hingegen marschiere vorbei und werde schnell wieder vergessen. Wer ahnt, dass ich gerade ein intimes Foto geschossen habe?

Ja, die Kuh ist in trockenen Tüchern wieder. Der Schriftsteller ist heil aus Rom zurückgekehrt, wo er sich während seines Aufenthalts stillschweigend der Privatsphäre anderer bedient hat, um fremde Menschen in Kunst zu verwandeln.

„Taschendiebe in Rom? „ sagt mir mit Erstaunen Freund Eddie. „Come on! Rom ist harmlos. Weißt du, wo man die meisten Taschendiebe findet?“

„Nein.“

„In der Kaufingerstraße in München. Denn dort treffen die Langfinger auf besonders tiefe Taschen, Taschen, die prall mit Banknoten sind. Pilger in Rom, die den Papst oder die Ruinen bewundern, sind dagegen mittellose Bettler.“

Eigentlich hätte ich das als gebürtiger New Yorker selbst wissen müssen. Doch kaum verfällt man in die Hysterie und zack! Alles, was man besser weiß, geht schnell flöten wie eine Kuh aufs Eis. Schon wieder mische ich meine Metapher auf.

Nebenbei: Wir haben in einer tollen – und preiswerten – Ferienwohnung in Rom gewohnt. Und hier die freiwillige Werbung für Marco, den Besitzer dieser hübschen Wohnung in San Lorenzo. Marco ist unter mlaurenzano@virgilio.it zu erreichen. Ein Geheimtipp vom Sprachbloggeur – stets zu Ihren Diensten.

Hoffentlich werden wir selbst mal wieder trotz des durch diese Werbung zu erwartenden Andrangs die Wohnung für die nächste Reise beziehen können. Ciao e Saluti.

Rom sehen und…sterben?

Ich hoffe, dass obiges Zitat nicht zutrifft, zumindest für mich die nächste Woche nicht.

Ein peinliches Geständnis: Die ganze Woche mache ich mir Sorgen, wo sich andere wohl freuen würden: Sorgen um einen Besuch in Rom.

Etwas Hintergrund: Meine Frau hat noch Resturlaub und wollte, um den Arbeitsstress kurz zu entkommen, eine Woche Urlaub machen. Genauer gesagt. Sie wollte einen Tapetenwechsel. Ich hingegen bin vor Kurzem aus den USA zurückgekehrt und würde mich lieber ins Zeug legen. Ich bin nämlich dabei, ein neues Buch zu überarbeiten und komme erst jetzt richtig in Schwung.

Ich habe aber Verständnis dafür, dass meine Frau nach einem Tapetenwechsel verlangt, auch wenn ich selbst nur äußerst selten dieses Bedürfnis verspüre. Ich hocke gerne in der Stube. Wahrscheinlich stehe ich mit dieser Einstellung nicht so ganz allein. Ich höre, dass viele Männer – vor allem, nachdem sie ein gewisses Alter erreicht haben – ähnlich empfinden. Frauen hingegen viel seltener.

Aber genug erzählt aus meinem Eheleben.

Wir haben uns schließlich auf Rom geeinigt. Ein passendes Reiseziel für mich als gelernter Altphilologe.

Nun fangen wir mit den schlechten Nachrichten an.

Kaum erwähne ich unsere Reisepläne, erreicht mich die ersten Horrorgeschichten. Jeder, mit dem ich rede, hat seine höchstpersönliche Anekdote, nach dem Motto: Rom, Stadt der mehrhändigen Taschendiebe. Aufpassen, höre ich: Man wird angerempelt, und zack! wird einem die Tasche geleert. Bloß keine Umhangtaschen! Sie schneiden dir die Riemen weg. Oder: Eine(r) fragt nach dem Weg, breitet mit großer Fanfare einen Stadtplan aus – und siehe da: Während man den Weg bespricht, langt eine Hand von unter dem Stadtplan in die Tasche.

Und die Klopfer. Die Klopfer? Man sitzt endlich wieder im Zug auf dem Weg nach Hause. Man freut sich, denn man hat Rom bisher ohne Zwischenfall überlebt. Plötzlich klopft einer gegen das Fenster und versucht durch wilde Gesten, etwas mitzuteilen. Während man aufmerksam auf dieses Theater schaut, hat sein Partner einen Koffer oder eine Tasche schon mitgehen lassen.

„In unserer Reise Gruppe haben sie einem den Geldbeutel aus der vorderen Tasche geklaut“, sagt mir Frau D. „Sie sind flink, sehr flink.“

„Meinem Vater“, erzählt T., wurde im Bus 400.000 Lire aus der Tasche entnommen. Bloß keine Busfahrten. Lieber mit dem Taxi.“

„Ja, eine Truppe Mädchen, sie waren vielleicht 10-14 Jahre alt, kamen auf uns an der Spanischen Treppe zu. Auf einmal sehe ich, wie eine versucht, meiner Frau die Bauchtasche zu entwenden“, sagt E. „Ich habe sie empört angeschrien, und sie haben sich in alle Winde zerstreut wie Spatzen.“

„Wie sagt man ‚hau ab‘ frage ich Maria. Sie ist Italienerin. Ich erkläre ihr die Umstände.

„Vatene“, antwortet sie.

„Und in der Mehrzahl?“

„Andatevene.“

„Das klingt zu kompliziert.“

„Dann sag lieber ‚sparisci‘ im Singular und ‚sparite‘ im Plural. Das bedeutet ‚verschwinde‘ und ‚verschwindet‘.“

„Ja, das mag ich. Und meinen Fotoapparat? Kann ich meinen Fotoapparat mitbringen?“

„Ja, natürlich“, sagt Maria, „aber gut verstecken.“

„Wieso muss ich meinen Fotoapparat gut verstecken? Ich will Fotos machen…“

Wer sich noch mehr die Stimmung verderben lassen will, der liest die einschlägigen Internet-Foren (das Wort „Foren“ ist von „Forum“ wie in „Forum Romanum“ entnommen). Angst um sein Hab und Gut tritt bald ein. Pure Angst. Ja, und bloß keine U-Bahn fahren.

Rom sehen und sterben. Der alte Spruch hat freilich nichts mit Taschendieben als Ursache des Sterbens zu tun. Es geht um eine Sehnsucht für die ewige Stadt. Nur: Der eigentliche Spruch lautet: „Neapel sehen und sterben“. Inzwischen fantasiere ich, dass meine Reise nicht nach Rom, sondern in ein Kriegsgebiet führt.

Wie dieser Urlaub in Wirklichkeit ausgeht, werde ich in zwei Wochen verraten. Nächste Woche habe ich vor, Fotos von reizenden Dieben zu schießen.

Ciao und a rivederci.

Wie Dopey verendete

Jeder Migrationshintergründler versteht, zumindest wenn er wissbegierig ist, dass man in der deutschen Sprache sehr differenziert übers Sterben erzählen kann.

„Sterben“ ist wohl der neutralste Begriff für dieses endgültige Abschiedsnehmen. Das Wort ist übrigens mit dem Englischen „starve“, also „verhungern“ und wahrscheinlich mit „darben“ verwandt.

Will man über einen Todesfall höflich oder ehrerbietig berichten, dann heißt es, dass jemand „verschieden“ oder „hingeschieden“ sei. Entsprechendes kennen wir im Englischen. Man sagt, dass jemand „passed away“. „To pass away“ hat mittlerweile mehr Facebook-Freunde als „to die“. Letzteres klingt nach dem heutigen Geschmack viel zu derb, ist beinahe nicht mehr politisch korrekt – so wie man „bathroom“ für „toilet“ sagt. Komisch.

Das Deutsche ist allerdings mit noch einem Begriff dem Englischen vollkommen überlegen: „verenden“. Als ich dieser Vokabel das erste Mal begegnete, gab mir meine Lebensabschnittspartnerin zu verstehen, dass sich das Wort nur auf Tiere beziehe. So was Ähnliches haben wir in der englischen Sprache nicht.

Und so komme ich nun auf Dopey zu sprechen und wie er verendete.
Er war ein lustiger Kerl, ein flapsiger Straßenköter, hellbraun, mit langen, herunterhängenden Ohren, gutmütig aber nicht besonders hell. Seine Herrin war Judy. Sie hat ihn nach dem Zwerg in Walt Disneys „Schneewittchen“ genannt.

„Dope“ hat mehrere Sinne im Englischen. Es kann zum Beispiel „Dummkopf“ bedeuten (wie Disneys liebenswürdiger „Dopey“) und ist in diesem Sinn wahrscheinlich mit dem deutschen „Depp“ und „doof“ sprachlich verwandt. In der Umgangssprache kann es auch „Information“ heißen. Man sagt: „Gimme (give me) the dope“ („sag mir, was los ist“). Und letztlich ist „dope“, wie jeder Sportsfreund weiß, ein Wort für „Drogen“. Man leitet es in dieser Inkarnation auf das hölländische „doop“, („Sauce“) zurück – ein Hinweis darauf, dass man Opium verflüssigt, um es zu konsumieren. Ich habe hier keine eigene Erfahrungen gemacht, kann also dieses Verfahren nicht bestätigen.

Aber zurück zu Dopey. Aus Gründen, die ich längst vergessen habe, musste Judy den Hund abgeben. Zum Glück fand das liebenswürdige Zamperl ein ideales neues Zuhause bei Dan, Mary und Kindern, die sehr ländlich lebten, hinter dessen Haus es sogar ein Wald gab. Zwei Kinder, ein Wald, reichlich zu essen: Paradies für einen lebenslustigen Vierbeiner wie Dopey.

Dopey war außerdem weder schüchtern noch eingebildet. In der früh bellte er, wenn er raus in die Natur wollte, fröhlich vor der Tür. Eigentlich süß. Doch diese Mitteilungsfreude sollte ihm mal zum Verhängnis werden.

Zeitsprung. Eines Tages besuchte ich Dan und Mary und die Kids. Ich unterhielt mich mit Dan im Garten und fragte, weil ich den Hund nirgends sah: „Hey, wo ist Dopey?“

„Ach“, sagte er plötzlich mit trauriger Miene, „frag lieber nicht. Ich hab schon ein sehr schlechtes Gewissen.“

„Wieso? Ich verstehe nicht.“

Nun erzählte er seine Story. Seine Stimme war leise und ernst: „Es war am letzten Sonntag. Vielleicht hatten wir am Samstagabend einen über den Durst getrunken. Ich war jedenfalls verkatert. Nun bellte Dopey vor der Haustür, wollte raus. Es war vielleicht neun Uhr. Ich fühlte mich sehr schlecht, wollte nur schlafen. Es war nicht das erste Mal, dass sich der Hund so aufgeführt hatte, wenn ich lieber hätte schlafen wollen. Dann maulte Mary: „Lass Dopey raus“, , und steckte ihren Kopf unters Kopfkissen. Ich stand auf, war mächtig sauer. Das wird das letzte Mal sein, dass du mich weckst, Dreckstier, grummelte ich. Ich weiß nicht, was dann in mich gefahren ist. Ich ergriff mit der einen Hand mein Gewehr, und mit der anderen packte ich den Hund am Kragen. Ich machte die Tür auf und sagte Dopey, er soll sitzen bleiben, was er auch tat. Er schaute mich mit seinen großen Hundeaugen an. Ich habe gar nicht mehr nachgedacht. Ich habe einfach gezielt und abgedrückt. Der Widerhall kam wir so laut vor wie eine Kanonensalve. Dann war alles still. Doch nur kurz. Plötzlich jaulte Dopey, als würden ihn hundert Teufel reiten und rannte schnurstracks ins Haus, genauer gesagt, ins Schlafzimmer, wo er aufs Bett sprang und auf Mary landete. Die ganze Zeit quietschte er und japste er. Überall war Blut, viel Blut. Du kannst dir vorstellen, wie Mary reagierte:

‚Was ist hier los!!?‘ schrie sie. ‚Dopey! Danny! Was ist mit Dopey passiert? Ruf den Arzt!!‘

Was hätte ich ihr sagen können? Dass ich ihn gerade erschossen hätte? Mir war die Sache ohnehin schon ganz peinlich. Ich wollte nichts erklären. Ich kam ins Schlafzimmer – das Gewehr noch immer zu Hand und packte den Hund, der sich inzwischen nicht mehr bewegte und trug ihn in den Hof. Dann grub ich ein Loch, legte ihn hinein und schüttete es mit Erde zu.

Und dann geschah es. Das vergesse ich nie: Eine Pfote schoss aus dem Boden und bewegte sich, lange sogar. Das hat mich so erschreckt. Ich schoss in die Erde wie verrückt…“

Ich habe genug erzählt. Jetzt wissen Sie, wie Dopey verendete.

Wieso ich das Fliegen hasse (und ein nettes Gespräch)

Zu sagen, dass ich ungern fliege, wäre nicht genug. Die Intensität meiner Abneigung wächst in Proportion zur jährlichen Reduzierung des mir zugewiesenen Sitzraumes in der Maschine. Ich bin mit Sicherheit kein Dicker. Im Gegenteil. Ich bin, da ich seit Monaten meinen täglichen Kohlenhydratkonsum reduziert habe, sogar sechs Kilogramm leichter als im vorigen Jahr und entsprechend schmaler. Dennoch sitze ich in Economy noch enger als zuvor. Und wehe, wenn man eine kleine Tasche im Stauraum hinlegt. Man sitzt mit eingeknickten Knien wie auf dem elektrischen Stuhl.

Wer fliegt, weiß wovon ich rede.

Trotzdem macht man beim Fliegen Erlebnisse, die einen – wie soll ich es sonst sagen? –, die einen beflügeln!

Zum Beispiel, als meine Sitznachbarin meine Lektüre im E-Buchgerät unterbrach:

„Verzeihung“, sagte sie. Derf i wos Indiskretes frogn? Sie miassen nedd antworten, wenn Sie nedd mechten.“

„Nein, bitte.“ Man wird neugierig, wenn einer ein Gespräch mit einer angekündigten Indiskretion beginnt.

„San Sie Lektor oder Professor oder so ähnlich? I seh, wie Sie die ganze Zeit an Text korrigiern.“

„Nein, ich korrigiere nichts, ich markiere bloß Stellen, die mir gefallen. Das kann man in einem E-Buchgerät ähnlich wie in einem richtigen Buch.“

So begann unsere Unterhaltung, und bald erfuhr ich, dass meine Nachbarin eine seit siebzehn Jahren in Amerika lebende geborene Eichstätterin ist, die momentan nach Deutschland fliegt, um Freunde und Familie zu besuchen.

„Wir teilen also das gleiche Auswanderungsschicksal, bloß in verkehrte Richtungen“, sagte ich.

Natürlich sprachen wir darüber, wie wir die Zweisprachigkeit unserer Kinder handhabten. Sie und ihr Mann sahen zu, dass zuhause nur Deutsch gesprochen wurde. „Wer gegen die Regeln verstieß, der bekam eine Strafauflage: Geschirrspülen, Bad sauber machen und so was.“

Ähnlich hatten wir es getan (bloß ohne Strafauflagen), Für uns war es freilich einfacher. Denn das Englisch Sprechen in Deutschland hat einen höheren Stellenwert als das Deutsch Sprechen in Amerika. Die Kinder waren dankbar, dass sie den Vorteil des fließenden Englisch hatten – vor allem in der Schule.

Was meine Sitznachbarin selbst betrifft: Sie hatte, als die Familie in die USA auswanderte, nur wenige Englischkenntnisse. (Mir ging es ähnlich bloß umgekehrt). „I konnte die Wörter nedd richtig pronouncen“, sagte sie. „I stellte fest, dass der gleiche Buchstabe verschiedene Pronunciations hatte. Warum, frog i mich, wird das englische ‚i‘ amal als ‚ei‘ pronounct und amal wie ein kurzes deutsches ‚i‘? I bin in die Sprachschule gangen, um Englisch zu lernen, und die Lehrerin konnte mir die Frage nedd erklären.“

„Ich aber“, sagte ich, ohne zu verraten, dass ich der Sprachbloggeur bin.

„Dann bitte.“

„Die Gründe sind historisch. Im Angelsächsischen sagte man ‚ik‘ fürs englische ‚I‘. Das wurde aber nach und nach wie im Bayrischen in ein langes ‚i‘ verändert. Das nennt man das Gesetz der Mundfaulheit. Und dann trafen die Dänen in England ein und gaben eine Zeitlang den Ton an. Ihr Wort für ‚ich‘ klang wiederum wie ‚jei‘,was die Aussprache des „I“ erheblich beeinflusste. Wörter mit einem kurzen ‚i‘ wie ‚in‘, ‚is‘, ‚it‘ waren hingegen schon immer kurz – genauso wie im Deutschen. Die Aussprache des Deutschen ist aber für uns Amerikaner auch nicht ganz ohne. Wir, zum Beispiel, können schwer zwischen ‚strafen‘ und ‚straffen‘, ‚Stadt‘ und ‚Staat‘, ‚Rate‘ und ‚Ratte‘.unterscheiden.“

„Bei uns zuhause hoaßt es ‚stroffn‘ und „strafen“, ‚Stodt‘ und ‚Staat‘, ‚Rate‘ und ‚Ratzn‘.

„Es hätte mein Leben ziemlich erleichtet, wenn ich Bayrisch Sprechender geworden wäre. Aber nun ist es zu spät. Wenn man einmal anfängt Hochdeutsch zu sprechen, kennt das bayrische Ohr keinen Pardon mehr.“

Ja, mit einem angenehmen Gespräch über Sprache, kann man, zumindest eine kleine Weile, die Enge eines Economy-Sitzplatzes vergessen lassen, aber nur eine kleine Weile. Kaum schaut man auf die Uhr, da weiß man, dass man noch Stunden vom Ziel entfernt ist. Und plötzlich fliegt die Rückenlehne eines unsichtbaren Menschen, der vor einem sitzt, einem entgegen, und man findet seinen aufgeklappten Tisch gegen die eigenen Rippen gedrückt.

Mein Traum: Die Erfinder der neuen Auflage des Economysitzes sollten als Strafauflage viermal jährlich Economy fliegen müssen: fünf Jahre lang.

Vollpfosten und andere Sockenschüssige

„Nun habe ich schon wieder ein neues Wort für Sie“, sagte ich Frau M. Inhaberin des Paradieses mit Stolz.

Wie? sinnieren manche Leser. Das Paradies hat aber keine Inhaberin, sondern, wenn man ihn so bezeichnen darf, einen Inhaber, den Petrus, der aber eher Türsteher ist wie vor der Disco.

Langjährige Leser wissen aber, dass hier die Rede von meinem Lieblingsobst- und Gemüseladen ist: dem „Paradies“, auch an den kältesten Wintertagen ein Zauberland der Melonen, Papayas, Mangos und Ananas (wie lautet wohl die Mehrzahl von „Ananas“? Ananasse? Ananasen? Ananässe?).

„Da schau her“, sagte Frau M. „Auch ich hätte für Sie ein neues Wort. Doch fangen Sie zuerst an.“

„‚Vollpfosten‘ heißt es. Kennen Sie es?“

„Na, eigentlich nicht.“

„Ich schon“, sagte nun Frau D., Mitarbeiterin im Paradies. „Es bedeutet Dummkopf.“

„Woher weißt du das?“ fragte Frau M.

„Das sagt mein Sohn immer.“

„Ja genau“, funkte ich dazwischen. „Letzte Woche erschien auf meiner Sprachbloggeurseite urplötzlich ein ellenlanger, rosafarbiger Kasten. Unzählige Male der gleiche Text: ‚Warning: include(): Unable to allocate memory for pool. in theme_render_template() (Zeile 1495 von /usr/local/www/drupal-7.19/includes/theme.inc).‘ Ich habe nichts verstanden und habe mich sofort an meinen Provider, Herrn N., gewendet.“

„Ja, diesen komischen Kasten habe ich auch gesehen“, sagte Frau M. „Ich dachte mir: Hoppla! Was ist da los? Und habe mich gleich wieder ausgeklinkt, falls es ansteckend sein sollte.“

„Nein, war nicht ansteckend. Mein Provider schickte mir umgehend eine Erklärung – etwas über ‚arrays‘. Ich habe den Sinn nicht verstanden. Doch er schrieb: ‚Da verliere ich meine Fassung, weil im PHP/Drupal-Umfeld immer wieder solche Vollpfosten, wie die Jugend sagt, ihr Unwesen treiben.‘
Vollpfosten‘, habe ich gedacht. Hmm. Diese Vokabel kenne ich nicht. Sie aber schon, Frau D.“

„Genau.“

„Ich habe dann in einem Lexikon der Jugendsprache nachgeschlagen. Wenn man den Sinn liest leuchtet es sogleich ein.“

„Kennen Sie ‚Sockenschuss‘? fragte Frau D. „Auch ein nettes Wort. Man sagt: Er hat einen Sockenschuss, und das bedeutet, dass er nicht ganz bei Trost ist.

„Irgendwie fehlt mir noch ein Bild dazu“, sagte ich.

„Ach so. Ein Sockenschuss ist ein Werkzeug in der Wäscherei“, erklärte Frau D. „mit dem man Socken zusammenheftet, damit sie nach der Wäsche leichter zu sortieren sind.“

„Wie kommt es aber, dass ‚einen Sockenschuss haben‘ den Sinn von ‚leicht verrückt‘ erhält?“ fragte ich.

„Hmm. Keine Ahnung.“

„Dafür kenne ich eine Redewendung, die so bildlich ist, dass jeder es sofort nachvollziehen kann. Man sagt jemand ist ‚wie ein Schluck Wasser in der Kurve‘. Ist das nicht schön?“

„Ist das das neue Wort, dass Sie mir beibringen wollten?“

„Nein, das war was ganz anders. Warten Sie mal, nun habe ich’s vergessen. Ach ja: ‚Stranizn‘. Hat meine Großmutter immer gesagt. ‚Kind gib mir die Stranizn.‘ Damit meinte sie eine Tüte, aber nur eine feste Tüte. Keine Ahnung, woher es kommt. Vielleicht können Sie das recherchieren.“

„Ich tippe aufs Slawische“, sagte ich spontan.

Und so ist es auch, liebe Frau M. In meinem schlauen bayerischen Wörterbuch habe ich „Stranize/Stranizn“ gefunden in der Bedeutung von einer „spitzen Papiertüte“ – im Gegensatz zu „Rogel“, einer normalen Papiertüte. Woher kommt die Stranizn? Im Wörterbuch heißt es, dass „straniza“ auf Russisch „Buchseite“ bedeutet.

Aber ehrlich: Man fragt sich welcher Vollpfosten aus einer „straniza“ eine Papiertüte machte. Und wie groß war das Buch überhaupt? Unwichtig. Der Typ hatte bestimmt einen Sockenschuss oder vielleicht war er lediglich wie ein Schluck Wasser in der Kurve.

In eigener Sache: Die nächsten zwei Wochen ruht der Sprachbloggeur, genauer gesagt, er geht in die große Welt auf Themensuche. Am Ende Februar der nächste Beitrag.

Wenn der Hobbyfotograf auf den arbeitslosen Journalisten trifft

Mit meinem neuen Fotoapparat schleiche ich durch die Stadt. Ich visiere mein Opfer. Nähere mich ihm an. Dann drücke ich, so unauffällig wie möglich, auf den Auslöser, und zack! die Falle schnappt zu. Ha. Habe ich wieder einen auf dem Sensor eingefangen.

Ja, lange habe ich davon geträumt: einen Fotoapparat zu besitzen, mit dem ich „Street Photography“ gefahrlos betreiben kann.

Das Besondere an diesem Apparat: Er hat ein Display zum Runterklappen. Das heißt: Ich halte die Kamera auf Hüftenhöhe, das Objektiv nach links oder rechts gerichtet, während ich unschuldig ins Display schaue, als würde ich eine Fliege beobachten. Knipps! Schon ist es passiert.

Am Wochenende stieß ich auf ein neues Opfer, eine elende Figur am Münchener Marienplatz, einen nicht mehr so ganz taufrischen, der auf dem Boden, auf einem dicken Kissen alter Zeitungen saß, sein Rücken gegen eine Wand angelehnt und mit einer beschriebenen Plakate in der Hand: „Worte gegen Brot. Bin Schnellschreiber.“

Natürlich wollte auch dieses Bilderbuchszenario verewigen. Ich kreiste so unauffällig wie möglich um ihn herum, um mich in Stellung zu bringen.

Plötzlich sprach er mich an: „He! Sie mit dem Fotoapparat. Sie brauchen sich so anzustellen. Wenn Sie ein Foto machen wollen, dann bitte.“

Ich habe mich beinahe geschämt. Doch nun gab er sogar Anweisungen: „Tiefer. Weiter links. Auf die Schatten achten.“. Aber nun musterte er mich.
„Sagen Sie mal. Sind Sie nicht der Sprachbloggeur?“

„Woher wissen Sie das?“

„Ich bitte Sie. Es scheint nicht, als wollten Sie Ihre Identität ernsthaft verstecken. Merken Sie nicht, dass Sie ihr schwarzes Superheldenkostüm mit der schwarzen Maske tragen. Wer sollen Sie denn sonst sein?“

„Ach du lieber! Ich habe vergessen mich umzuziehen.

Egal. Wir kamen bald ins Gespräch, und er erzählte mir: „Ich war nicht immer ein Bettler am Marienplatz. Früher war ich ein gut verdienender Journalist, ein sogenannter ‚fester-freier‘. Komische Formulierung, nicht wahr? Man ist weder fest noch frei. Aber egal. Jahre lang deckte man mich mit Arbeit haufenweise zu. Schauen Sie. Ich sitze nicht auf beliebigen Zeitungen. Es sind alle eigene Texte. Wissen Sie was geschehen ist?“

„Nein.“

„Ich kam zur falschen Zeit in die Jahre. Man sagte: Die Jugend will Texte von jungen Leuten lesen. Aus die Maus.“

„Aber sie hätten weiterhin als Selbstständiger arbeiten können. Ich meine, mit Ihrer Erfahrung…“

„Sie kennen unser Geschäft wohl nicht, Herr Sprachbloggeur. Letzte Woche ging ich ins Internetcafé und schrieb einen Themenvorschlag an eine Zeitung. Die Antwort (und es ist nicht immer gesagt, dass ich eine Antwort bekomme): In der jetzigen Finanzkrise könne man sich keine neuen Freien leisten. Die Redakteuren müssen noch härter arbeiten. Sonst landen auch sie auf der Straße.“

„Das ist ja furchtbar.“

„Es kommt noch schlimmer. Aus heiterem Himmel wollte eine Monatszeitschrift von mir einen alten Text nachdrücken. Ich hatte die Rechnung bereits losgeschickt. Dann kam ein neuer Brief: Das Geschäft sei geplatzt. Die Fotografen seien im letzten Augenblick abgesprungen. Was heißt ‚abgesprungen‘? Zufällig sitzt einer von den Fotografen neben mir am Marienplatz – aber nur mittwochs. Die haben ihm weniger angeboten, als er hier verdient.

Ich habe sogar ein Buch über Bettler geschrieben und an einen guten Verlag verkauft. Dann haben sie den Vertrag aufgelöst. Wissen Sie, warum? Weil die Vorbestellungen zu niedrig waren.“

„Sie hätten verklagen können, oder?“

„Ach woher. Die ganze Industrie ist an Stress erkrankt. Sie wissen, woher das Wort ‚Stress‘ kommt, Herr Sprachbloggeur, oder?“

„Ja, natürlich. Es ist ein englisches Wort.“

„Das ist aber nur die halbe Miete. Es ist die Abkürzung von ‚distress‘, ‚Verzweiflung‘. Die Hälfte aller Angestellten – nicht nur in meinem alten Beruf – sind verzweifelt. Das habe ich heute in den Nachrichten gehört. Wenigstens habe ich als Bettler keinen Stress. Nein, ich gebe ein falsches Bild ab. So schlimm ist es bei mir auch wiederum nicht bestellt. Ich habe mich nämlich für die nächste Staffel von ‚Jungle-Camp‘ angemeldet. Man hat mir zugesichert, dass meine Chancen sehr gut stehen. Wissen Sie, was das bedeutet, Herr Sprachbloggeur?“

„Bitte.“

„Als letztes stirbt die Hoffnung.“

Ein Untoter über ein Unwort

Die Untoten schlafen, wenn alle wach sind, sind wachsam, wenn die anderen schlafen.

Dieser Unterschied erklärt, weshalb ich erst jetzt dazu komme, über Jörg Kachelmanns Formulierung „Opfer-Abo“ zu schreiben, eine Formulierung, für die er schon vor zwei Wochen als Schöpfer des Unwortes des Jahres 2012 ausgezeichnet wurde.

Zugegeben: Ich verschlafe viele Dinge. Doch zufällig weiß ich, dass Kachelmann ein Wetterfrosch ist, dass er über eine fetzige Sprache verfügt und dass sein Intimleben eine Zeitlang in den Zeitungen für gestiegene Auflagen sorgte. Verlangen Sie von mir bitte keine sonstigen Details. Wir Untoten müssen uns besonders anstrengen, um mit den endlosen Ergüssen der Unterhaltungsindustrie standzuhalten. Denn die Events dieser Industrie finden meistens statt, während wir schlafen.

Immerhin habe ich zufällig Kachelmanns eigene getwitterte Reaktion auf seine Auszeichnung mitbekommen. "Leider ist es die Wahrheit, die manchmal politisch unkorrekt ist", hatte er geschrieben. Mir kam der Satz, ganz ehrlich, im Gegensatz zu seiner witzigen Formulierung „Opfer-Abo“ etwas larmoyant vor. Für sein „Opfer-Abo“ sehe ich allerdings eine lange und produktive Zukunft.

Hier ein Beispiel, wie man diesen Begriff in der Tagessprache künftig verwenden wird: „Hör doch bitte auf zu jammern. Du hast kein Opfer-Abo.“ Klingt nett, nicht wahr? Wäre für fast jede mögliche Situation passend. Männer, Frauen, Interessengruppen, politische Parteien, ja, sogar Nationen und Religionen könnte man anprangern, weil sie sich verhalten, als hätten sie ein Opfer-Abo.

Praktisch, nicht wahr? Ohne praktische Begriffe, kann man ohnedies aufhören zu reden.

Zufällig schaltete ich mein altes und wenig gebrauchtes Fernsehgerät an dem Tag ein, als über Kachelmanns Ehrung taufrisch in den Nachrichten berichtet wurde. Eine sehr ernst wirkende Dame las einen längeren Text vor und erläuterte, warum Kachelmann mit dem Preis fürs Unwort des Jahres 2012 ausgezeichnet wurde. Ich kann mich nicht mehr genau an den Wortlaut erinnern, lediglich, dass die Dame sehr abschätzig über Kachelmanns „Opfer-Abo“ sprach. Sie meinte, der Begriff sei ausgesprochen frauenfeindlich und verdiente unbedingt den Titel „Unwort des Jahres“.

Offensichtlich hatte Kachelmann seine Formulierung zum ersten Mal in einem Interview verwendet und auf eine bestimmte Situation und eine bestimmte Person bezogen. Das kommt bei neuen Wörtern öfters vor. Doch solche Wörter entwickeln dann ein Eigenleben und werden schnell ihrem ursprünglichen Zusammenhang entrissen. Dann sagt man über sie, sie seien nun im „übertragenen Sinn“ gebraucht worden. Das ist, zum Beispiel, der Fall, wenn ich „in die Röhre schaue“ oder einen für „vogelfrei“ erkläre. Oder?

So auch das „Opfer-Abo.“

Nebenbei: Wir Untoten haben gar keine „Opfer-Abos“. Das ist so, weil wir uns nie für Opfer halten.

Was nicht unbedingt bedeutet, dass es für Untote keine Unwörter gibt. Nein, im Gegenteil.

Zum Beispiel, „Missbrauchsskandal“. Das Wort habe ich zufällig in einer Zeitung gelesen. „Missbrauchsskandal“? fragte ich mich. Was soll das bedeuten? Ich mochte den Begriff auf Anhieb nicht, konnte aber meine Ablehnung lange nicht erklären, bis ich endlich ein Aha-Erlebnis hatte: Ein „Missbrauch“, so dachte ich, ist allein schon ein „Skandal“. Ein Begriff wie „Missbrauchsskandal“ kam mir als Tautologie vor.

Dennoch wollte ich wissen, was es bedeuten könnte. Offensichtlich bezieht sich besagter Skandal auf ein skandalöses Benehmen. Insofern ist ein „Missbrauchsskandal“ ein Skandal über einen Skandal.

Das klingt ziemlich kompliziert, nicht wahr? So habe ich mir überlegt, ob man den gleichen Inhalt möglicherweise anders ausdrücken könnte. Mir fiel leider nichts Passendes ein. Vielleicht Ihnen. Mein Vorschlag: Wie wäre es, wenn „Missbrauchsskandal“ zum Unwort des Jahres 2013 auserkoren wird?

Falls es so wird, werde ich womöglich nichts darüber erfahren. Passiert mir oft. Wir Untoten schlafen, wie gesagt, wenn andere wach sind. Zu dumm, nicht wahr?

Diskurs über „Kant“, „Wichsen“ und andere Schweinereien

Ein Neuling in der deutschen Sprache suchte ich mit meiner damaligen Lebensabschnittspartnerin nach einer Wohnung in München. Wir schreiben das Jahr 1975.

Wir klingelten an einer Wohnungstür, wo wir einen Termin mit dem Vermieter verabredet hatten. Ein langer, bebrillter Mann mit kurzem Kinnbart machte auf. Forsch reichte er mir die Hand und sagte: „Fick“.

Ich, der ich erst kurz zuvor aus dem Jünglingsalter herausgewachsen war, wollte zu kichern anfangen, habe mich aber rechtzeitig gefangen. Denn meine Kenntnisse dieser Fremdsprache reichten gerade noch aus, um zu konstatieren, dass er mir lediglich seinen Namen vorgesagt hatte und kein anzügliches Angebot machen wollte. Nebenbei: Wir haben die Wohnung nicht genommen.

Nächstes Beispiel: In einem Antiquariat in San Francisco stieß ich eines Tages vor vielen Jahrzehnten auf ein Buch – ich weiß nicht mehr, ob es in Englisch oder Deutsch war. Der Autor hieß jedenfalls„Fucks“, eigentlich die norddeutsche Variante von „Fuchs“. Ein voriger amer. Besitzer des Buches hatte unter dem Namen „I bet he does“ (Ich bin sicher, dass er es tut) geschrieben. Haha.

Zur Info: Auch der Name „Fuchs“, mit „h“ also und nicht mit „k“ geschrieben, bereitet Amerikanern Schwierigkeiten. Man bemüht sich, den Namen als „Fjuk-s“ auszusprechen, um jegliche Doppeldeutigkeit zu im Keim zu ersticken. Meine Großmutter, die nur leidlich Englisch sprach, sagte trotzdem „Fokks“ – zum Leide ihrer Kinder.

Nächstes Beispiel: Immanuel Kant. In Amerika – und in England, so habe ichs von einer zuverlässigen Quelle – ist man ungern ein Kantianer. Denn „Kant“ (weil wir im Englischen kein langes „a“ kennen) klingt beinahe wie „cunt“, ein sehr vulgäres Wort für das weibliche Geschlechtsteil – aber das Wort kennen Sie wahrscheinlich schon.

Der Name wird bisweilen wirklich zum Problem für Lehrer. Stellen Sie sich vor: Sie unterrichten lauter junge Menschen im Alter von – sagen wir – 18 und 20 und müssen stets von „Kant“ reden. Sätze wie „Kant is very important“ oder die Frage „Who likes Kant?“ bringt jeden Lehrer an seine Grenzen.

Und noch ein Beispiel: Der „Hahn“ heißt auf Englisch „cock“ oder „rooster“. Heute wird, den Kindern zuliebe, Letzteres bevorzugt, weil „cock“ – das wissen Sie auch schon – „Penis“ bedeuten kann.

Anstatt „weathercock“, also „Wetterhahn“, sagt man heute lieber „weathervane“. (Ich denke, „vane“ muss etymologisch mit „Fahne“ verwandt sein).

Es gibt dennoch Fälle, wo „cock“ nicht weichen will. Z.B.: Der „petcock“, eine Art Ventil, das auf- und zugedreht wird, um Öl aus dem Öltank eines Autos zu lassen. Der „Hahnenkampf“ heißt nach wie vor „cockfight“. „Roosterfight“ klingt einfach zu niedlich. Er findet übrigens im „cockpit“ statt.

Ein Wort, zwei Seelen.

Und so komme ich zum eigentlichen Thema dieses Diskurses: Die Entscheidung des Thieneman Verlags bestimmte Wörter in Otfried Preußlers „Die kleine Hexe“ mit anderen auszutauschen. So werden in diesem Buch, zum Beispiel, Schuhe und Stiefeln nicht mehr „gewichst“, sondern wohl „poliert“ oder so. Der „Negerkönig“, so habe ich gelesen, wird zum „Südseekönig“ oder so.

Nichts gegen politische Korrektheit – manchmal hat man sie nötig – aber manchmal…. In Mark Twains „Huckleberry Finn“ wollten PCer in den USA der Hauptfigur „Nigger Jim“ einen neuen, neutralen Namen verpassen. Nein, heute keine Beispiele aus der Bibel…die gibt es aber…

„Overkill“ heißt das auf Englisch. Etwa: „des Guten zu Viel“. Als ich mich 1975 in München zum ersten Mal beim KVR anmeldete, stieß ich im Formular auf die Frage nach meiner „Konfession“.

„Was ist eine ‚Konfession‘?“ fragte ich, zumal „confession“ auf Englisch „Geständnis“ bedeutet.

„Ihre Religion“, antwortete der Beamte.

„Ach so“, sagte ich und schrieb im Formular „Jude“.

Der Beamte stierte mich merklich irritiert an, als wollte ihn provozieren, strich mein Wort durch und ersetzte es mit „Isr.“…

Nun mache ich Schluss, sonst habe ich bald zehn Seiten oder ein ganzes Buch geschrieben. Ein ausbaufähiges Thema. Grüße an Herrn Fick.

Wissenswertes über den elektrischen Stuhl

Im August dieses Jahres wird der elektrische Stuhl 123 Jahre alt. Das ist zwar kein runder Geburtstag (Blattmacher, was ich ohnehin nicht bin, freuen sich auf runde Geburtstage, um leere Seiten zu füllen) aber ein schöner Zahl – weil man eins, zwei, drei zählt.

123 Jahre alt aber schon ein Auslaufmodel . Tja. Man denkt auch an die Analogfotografie, die Schreibmaschine, die eiserne Jungfrau – alles praktische Dinge mit Verfallsdatum. Aber jetzt ein bisschen Hintergrundgeschichte.

Ein junger New Yorker Elektriker namens Harold P. Brown bastelte an dem Urelektrischen Stuhl. Das war in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts. Die Idee, dass man mit Starkstrom töten könnte, hatte aber als erster ein Zahnarzt namens Alfred Southwick aus der Stadt Buffalo in New York. Ihm schwebte ein mit Strom betriebenes Tötungsinstrument vor (keinen Stuhl allerdings), das humaner töten würde als mit Strick oder Fallbeil.

Immerhin konnte dieser Vordenker mittels eines Starkstromgenerators, diverse Tiere mausetot machen. Von diesem Erfolg angeregt, wandte er sich 1887 mit seiner Idee an den damals berühmten Erfindergeist Thomas Edison. Edison war beeindruckt, unternahm aber nichts. Doch nun etwas Hintergrund zum Hintergrund:

1879 hatte Edison mit der Vermarktung seiner neuen Erfindung, der Glühbirne, angefangen. Er wollte mit seinen elektrischen Lampen ganze Städte beleuchten und viel Geld verdienen. Doch dazu brauchte er, um die Glühbirnen mit Strom einzuspeisen, Kraftwerke. Solche Kraftwerke gab es natürlich noch nicht. Also musste er selbst den Anfang machen und baute in einer Ecke Manhattans einen ersten Generator, genauer gesagt, einen Gleichstromgenerator. Der Wechselstrom war damals noch ziemlich unbekannt. Nur: Es stellte sich bald heraus, dass Gleichstrom für seinen Zweck ungeeignet war. Der Strom, der aus einem Gleichstromgenerator fließt, wird nämlich, je weiter vom Generator entfernt, zunehmend schwächer. Nun wollte es aber der Zufall, dass um diese Zeit ein Rivale Edisons, George Westinghouse, auf die Idee kam, einen Generator auf Basis des Wechselstroms zu bauen. Dieser beförderte Elektrizität viel effizienter als Gleichstrom.

Der Einfall des Rivalen erfreute Edison wenig. Denn er hatte bereits viel Geld in seine Gleichstromanlagen investiert. Er suchte also nach einer Möglichkeit, den Wechselstrom irgendwie zu diskreditieren.

Jetzt kommen wir auf Harold P. Brown, Erfinder des elektrischen Stuhls, zurück. Brown hatte sich wie Southwick vor ihm mit seiner Idee an Edison gewandt. Doch nun war Edison aufnahmefähig. Denn Brown behauptete, dass man einen elektrischen Stuhl besser auf Basis des Wechselstroms konstruieren sollte, weil dieser schneller tötete als der Gleichstrom. Ein Aha-Erlebnis. Edison lud nun eine Gruppe Journalisten zum Firmengelände in New Jersey, um ihnen das Töten mit Strom vorzuführen. Erst ließ er seine Testtiere, Hunde, Kälber und Pferde, mit Gleichstrom qualvoll sterben. Dann machte er das gleiche mit Wechselstrom und bewies, dass der Westinghouse’sche Wechselstrom viel schneller, sprich humaner“, tötete als sein Gleichstrom.

Szenenwechsel. Wir schreiben den 6. August 1890. An diesem Tag sollte der zu Tode verurteilte Axt-Mörder, der 30jährige William Kemmler, als erster Mensch auf einem elektrischen Stuhl sterben. 27 Zeugen nahmen Platz in einem Kellerraum im Auburn Gefängnis in New York. Herr Kemmler im schicken Anzug betrat den Raum, verbeugte sich vor dem Publikum, zog seine Jacke aus und setzte sich auf den Stuhl. Als man ihm die Lederriemen anlegte, sagte er hilfreich: „Etwas fester.“

Anschließend wurde ihm eine Ledermaske über das Gesicht gestülpt. Nur Augen und Mund waren sichtbar. Auf seinen Kopf setzte man ein nasser Schwamm, was den Strom besser leiten sollte.

„Goodbye, William“, sagt der Gefängnisdirektor.

„Goodbye, Mr. Durston“, sagte Kemmler. Der Strom wurde eingeschaltet. Der Körper des Mörders machte einen Ruck nach vorne. Die Augen quollen hervor, der Mund wurde zu einem makabren Grinsen, die Hände ballten sich zu Fäusten.

17 Sekunden später verkündete ein Arzt, „Er ist tot!“. Stimmte aber nicht. Plötzlich stöhnte Kemmler und holte verzweifelt Luft. Panisch jagte man Strom durch den Körper wieder. Funken flogen, und bald roch der Raum stark nach verbranntem Fleisch. Ein Zeuge übergab sich, ein anderer wurde ohnmächtig. Nach zwei Minuten war William Kemmler tot. In der Zeitung hieß es, auf den Punkt gebracht: „Kemmler gewestinghouset“.

Edison war mit dieser Demonstration höchst zufrieden. Für ihn bedeutete es den Sieg des Gleichstroms über den Wechselstrom als Mittel, Städte zu beleuchten. Doch sein Triumph wahrte, wie jeder weiß, nur kurz. Immerhin spielte er eine entscheidende Rolle bei der Einführung eines nagelneuen Tötungsinstruments…

Warum erzähle ich diese Geschichte? Hat sie, als erste Glosse des neuen Jahres, überhaupt etwas mit Sprache zu tun? Wahrscheinlich nicht. Nein, doch. Ohne Sprache wäre es nie möglich gewesen, Geschichten, alle Geschichten, in Worten zu fassen…

Gründe, um dankbar zu sein

Wann war das wieder? Ich denke, es war 1968. Damals – in Santa Barbara, Kalifornien – hatte es sich herumgesprochen, dass DER Erdbeben, mit dem alle rechneten – „the big one“, wie es hieß – , unmittelbar bevorstünde. Freund Jonathan, der bestens vernetzt war, hatte es von einem erfahren, der offenbar Bescheid wusste: Kalifornien sollte wie ein abgebrochenes Stück Knäckebrot im Pazifik untergehen.

Manche Bekannte nahmen die Warnung sehr ernst. Sie zeigten Kalifornien den Rücken und zogen nach New Mexico, um in der Wüste ein neues Leben im Sinne des Friedens und der Liebe zu führen.

Es passierte nichts. Kein Untergang. Erst 1971 bebte es in Los Angeles – war nicht schön, aber Kalifornien brach nicht wie ein Stück Knäckebrot in den Ozean ab.

Kein Untergang 1968, kein Untergang 2012 (aber wer hat letztere Geschichte wirklich ernst genommen?). Eigentlich sollten wir dankbar sein, dass wir eine naive Gattung sind, für die oft heißer gekocht als gegessen wird. Und damit komme ich zum Thema: die Dankbarkeit.

Ich denke, man sollte am Wendepunkt zum neuen Jahr für vieles dankbar sein. Hier, zum Beispiel, meine Liste…

Ich bin dankbar dafür, dass ich kein Geschäft führe, das auf die Verbreitung von Spam, von Phishing-Software, von der Verbreitung von Potenzsteigernden Mitteln spezialisiert ist.

Ich bin dankbar dafür, dass ich keine nutzlosen und womöglich lebensgefährlichen Arzneimittel übers Internet verhökere.

Ich bin dankbar dafür, dass ich keinen Menschenhandel betreibe und keine naiven junge Mädchen und Jungen mit verlogenen Versprechungen in die sexuelle oder die Arbeitssklaverei verschicke.

Ich bin dankbar dafür, dass ich mein Geld nicht mit Kinderpornographie verdiene.

Ich bin dankbar dafür, dass ich kein Diktator auf Lebenszeit bin, der in Saus und Braus lebt, während sein Volk darbt.

Ich bin dankbar dafür, dass ich nie auf die Idee komme, Gott würde mit mir sprechen oder mir durch ein heiliges Buch das Recht geben, andere Menschen zu verstümmeln oder zu ermorden.

Ich bin dankbar dafür, dass ich kein Geld vor dem Fiskus verstecke, weil ich nicht einsehe, dass auch ich am Gesellschaftsvertrag teilhaben sollte.

Ich bin dankbar dafür, dass ich niemals das Morden mit einer Ideologie rechtfertigen muss.

Ich bin dankbar dafür, dass ich nie das Bedürfnis hatte, mich an eine Massen- oder sonstige Vergewaltigung teilzunehmen.

Ich bin dankbar dafür, dass ich kein Chef bin, der seine Mitarbeiter auf die Straße setzt, um das gesparte Geld in die eigene Tasche zu wirtschaften.

Ich bin dankbar dafür, dass ich keine langjährigen Mieter kündige, um ein Haus in Luxusswohnungen zu verwandeln.

Ich bin dankbar dafür, dass ich niemals einem anderen Menschen einen Selbstmordgurt aushändigte, damit er/sie sich und andere in den Tod jage.

Ich bin dankbar dafür, dass ich noch nie einen Menschen als Rauschgiftkurier („Esel“ genannt) in die Welt geschickt habe, während ich vom Gewinn profitiere...

Das reicht für den Augenblick. Natürlich gibt es auch andere Gründe, weshalb ich dankbar bin. Sehr viele sogar. Meine Dankbarkeit, zum Beispiel, dass ich Sie, liebe Leser, liebe Leserinnen dieser manchmal skurrilen Glossen, habe. Denn das Schreiben ist wie eine Gleichung in der Mathematik. Der Schreiber steht auf der einen Seite des Gleichheitszeichens. Ohne Sie schreibt er für die Katz. Und jeder weiß: Katzen lesen nicht.

Seien Sie gebenedeit, liebe Leser und liebe Leserinnen des Sprachbloggeurs. Bleiben Sie gesund. Möge Ihnen das neue Jahr nur Gutes bringen. Falls es Ihnen nicht immer gut geht, mögen Sie das Schlechte mutig ertragen können.

Und möge der Weltuntergang weiterhin auf sich warten lassen.

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