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Alter Witz in neuer Kleidung

Vorstandsvorsitzender: Hmm. Etwas stimmt nicht. Wurm!

Wurm: (betritt den Raum, er ist außer Atem) Was ist o Herr, o Mittelpunkt aller irdischen Verehrung, Sonne aller Sonnen?

Vorstandsvorsitzender: Rufen Sie meinen Steuerberater an.

Wurm: Ich bedaure, o Herr, o Mittelpunkt aller irdischen Verehrung, Sonne aller Sonnen. Sie haben leider keinen Steuerberater mehr. Sie haben ihn vor sechs Monaten entlassen. Wenn ich erinnern darf: Sie haben damals gemeint, dass man genügend Freeware im Internet finde, um das kostenlos zu erledigen, wofür er sich frei gefühle, Ihnen unverschämte Rechnungen zu verschicken.

Vorstandsvorsitzender: Na, dann ist gut. Werfen Sie meinen Rechner an. Ich möchte mein Steuerprogramm konsultieren. Wurm, wieso hecheln Sie so? Schon reif für die Frühpensionierung? Hmm?

Wurm: Weil ich gerade siebzehn Stockwerke hinaufgestiegen bin. Außerdem kann ich Ihnen, o Herr, o Mittelpunkt der…

Vorstandsvorsitzender:… Sie dürfen sich heute ausnahmsweise die ganzen Titel sparen. Es dauert sonst zu lange, bis ich endlich erfahre, was Sie zu sagen haben. Zeit ist schließlich Geld.

Wurm: Ich wollte nur sagen, o…Verzeihung. Ich wollte nur sagen, dass ich Ihnen den Rechner nicht anwerfen kann, weil wir keinen Strom mehr haben. Deshalb bin ich die siebzehn Stockwerke hochgegangen.

Vorstandsvorsitzender: Keinen Strom? Keinen Lift? Was reden Sie für Unsinn? Bin ich heute nicht schon mit dem Lift hochgefahren?

Wurm: Jawohl. Das war aber heute früh. Seit dreizehn Uhr gibt es keinen Strom mehr.

Vorstandsvorsitzender: Ist was passiert? Ein Stromausfall? Wurden auch andere Hauser in Mitleidenschaft gezogen. Bäh! Wie ich das Wort hasse.

Wurm: Welches Wort, o…Verzeihung.

Vorstandsvorsitzender: Mitleidenschaft. Man hört unentwegt das Wort „Mitleid“ heraus. Jeder vernünftige Firmenchef weiß, dass die Erzsünde eines jeden Managers ist, wenn er Mitleid verspürt.

Wurm: Ich verstehe.

Vorstandsvorsitzender: Aber erzählen Sie vom Stromausfall. (Er schaut aus dem Fenster). Komisch, in den Häusern gegenüber sehe ich Lichter. War nur bei uns ein Kurzschluss im Generator?

Wurm: Nein, o Herr. Wir haben keinen Strom, weil wir die Stromrechnung nicht bezahlt haben?

Vorstandsvorsitzender: Sie machen Witze, Wurm. Holen Sie mir den Chefbuchhalter.

Wurm: Leider unmöglich. Sie haben ihn vor zwei Jahren in die Frührente geschickt und die Stelle nie wieder besetzt.

Vorstandsvorsitzender: Wer macht denn die Bücher?

Wurm: Eine Zeitlang war es die Zugehfrau, die einst in der Buchhaltung mitgearbeitet hatte, aber Sie haben sie vor zwei Wochen vor die Tür gesetzt, weil sie auf der Toilette geraucht hat.

Vorstandsvorsitzender: Schließlich haben Angestellte das Rauchverbot einzuhalten. Finden Sie nicht? Seit zwei Wochen ist sie weg?

Wurm: Jawohl, o…

Vorstandsvorsitzender: Ach deshalb sind die Toiletten so dreckig. (Er hält kurz inne.) Lieber Wurm, ist die Lage wirklich so schlimm?

Wurm: Ich fürchte, ja.

Vorstandsvorsitzender: Und was höre ich da? Als würden lauter Menschen durch die Gänge toben.

Wurm: Es ist ein Aufstand. Sie suchen nach Ihnen.

Vorstandsvorsitzender: Ach du lieber. Wir müssen die Polizei holen.

Wurm: Die Telefonanlage funktioniert ohne Strom nicht.

Vorstandsvorsitzender: Haben Sie ein Handy?

Wurm: Nein.

Vorstandsvorsitzender: Ich wusste nicht, dass es so schlimm um uns bestellt war. Tja. Sieht aus, als seien wir am Ende, lieber Wurm.

Wurm: Was heißt „wir“, Herr Turbokapitalist?

Wieder die E-Bücher – aber diesmal nenne ich Namen

Es gibt kein Zurück: Das Zeitalter der E-Bücher schreitet voran. Eines Tages wird das vertraute Taschenbuch alt aussehen – wie heute meine schöne Leica.

Eines Tages, aber noch nicht. Die Kuh ist noch nicht in trockenen Tüchern – wenn ich meine Metaphern durcheinander bringen darf.

Zuerst aber ein Erfahrungsbericht: Gestern habe ich ein E-Buch fertiggelesen. Es war das erste Mal, dass ich auf meinem Reader ein ganzes Buch vom Anfang bis Ende vertilgt hatte. Fazit: Das Lesen war ganz unproblematisch. Auch meine Frau ist dabei, ein Buch auf ihrem Lesegerät zu lesen. Auch sie findet die Lektüre angenehm – vor allem weil man die Schriftgröße selbst bestimmen kann.

Bei mir aber stehen die Bücher Schlange. Ab gestern war ein Buch, das lange an der Reihe ist, dran: ein Roman mit ca. 930 Seiten. Ein Buch aus Papier, kein E-Buch. Es wiegt leider ca. ein Kilo. Manche weinen beim Gedanken an die E-Bücher das schöne haptische Gefühl des Analogzeitalters nach. Ich hingegen wähne mich bei der Lektüre meines schwergewichtigen Romans im Fitness-Studio. Ade einhändige Lektüre auf dem E-Reader. Hätte ich den Roman nur als E-Buch, denke ich. Leider existiert er in dieser Form nicht, bzw. noch nicht. Und noch ein Problem: Dieser – sehr schöne – Roman nimmt mindestens zehn Zentimeter Regalplatz in Anspruch.

Es hilft kaum, sich in Sentimentalitäten zu schwelgen. Wir leben nun mal im Digitalzeitalter. Zur Erinnerung: Inzwischen haben sich die meisten Menschen leichten Herzens von ihren schönen (und schweren) Analogfotoapparaten verabschiedet. Der Schreibmaschine begegnet man nur noch im Museum oder im muffigen Kellerabteil. „Vinyl“ ist nur mehr die Spezialität einer Nischenbewegung geworden. Heute hört man lieber MP3, Bluetooth usw. Und man spart auch viel Platz in der engen Wohnung.
So schnell wird man die Uhren nicht zurückdrehen.

„Ja, aber das ganze Wissen unseres Zeitalters wird innerhalb fünfzig Jahren, weil digitalisiert, verschwinden. Strom ab und paff!“ Das sagte ich meinem Computer-Guru G. erst vor vier Wochen.

„Aber woher“, antwortete er. „Es ist viel wahrscheinlicher, dass Bücher verschwinden werden. Digital gespeichertes Wissen ist sehr hartnäckig. Die Bücher der Antike wurden in Bibliotheken aufbewahrt und sind deshalb zu 95% zugrunde gegangen, restlos verschwunden. Der Vorteil der Digitalisierung liegt in der Dezentralisierung des Wissens. Irgendwo auf der Welt werden E-Bücher usw. überleben – auch nach einer größeren Katastrophe.“

„Aber was ist“, parierte ich, „wenn keiner in der Lage ist, die Rechner wieder anzuschmeißen?“

„Auch das dürfte kein Problem sein. Informatiker gibt es wie den Sand am Meer.“

G. ist kein Schwärmer. Er verfolgt die Entwicklung der Digitalisierung seit 40 Jahren.

Im Februar 2013 erscheint mein Buch „Kaspar Hausers Geschwister“ bei dtv. Ich habe es für diese Veröffentlichung gründlich überarbeitet, so dass es endlich das Buch wird, das es vor zehn Jahren hätte werden sollen. Dies erzähle ich nicht nur, um Eigenwerbung zu betreiben. Der Verlag wird KHs Geschwister zweigleisig herausgeben: Als Taschenbuch und als E-Buch. Ich bin mit dieser Lösung sehr zufrieden. Wichtig ist nur – und das habe dem Verlag bereits mitgeteilt – , dass die E-Buch-Version gut navigierbar sei.

Aber nun zu den Problemen. Ab jetzt werde ich Namen nennen: Der Sony Reader, z.B., ist nicht in der Lage – zumindest nicht in Deutschland– griechische Texte korrekt darzustellen. Dies entdeckte ich, als ich versuchte, eine zweisprachige Ausgabe von Sappho auf dem Reader zu lesen. Der griechische Text erschien zum Teil als Buchstabensalat. Wer Hebräisch, Arabisch und Russisch auf dem Reader haben will, schaut ebenfalls in die Röhre. Als ich dieses Manko dem Sony-Kundendienst mitteilte, bekam ich die Antwort: „Allein Microsoft betitelt die Fonts auf über 100.000. Und täglich werden neue geschaffen. Sie werden Verständnis haben, dass damit der e-Reader völlig überlastet wäre.“ Meine Antwort: „Ich verlange nur drei oder vier Fonts und keineswegs 100.000.“ Bis Sony in der Lage ist, diverse Schriften in E-Büchern darzustellen, die bei Analogbüchern eine Selbstverständlichkeit sind, kann man das Lesergerät nur begrenzt ernst nehmen.

Der Kindle hingegen kann die von mir erwünschten Schriften korrekt anzeigen. Ein Plus für Amazon. Nur: Beim Kindle weiß der Leser nicht, auf welcher Seite im Buch er sich befindet. Der Kindle zeigt nämlich keine Seitenzahlen an nur Prozentzahlen. Der arme Leser bzw. Leserin, meine Frau, zum Beispiel, weiß nur, dass sie 38% Ihres Buches gelesen hat.

Und dann gibt es noch immer die leidige Frage der Reproduzierbarkeit von E-Büchern. Amazon gönnt dem Leser eine gewisse Anzahl an Kopien, die er dann auf verschiedene eigene, bei Amazon registrierte Lesegeräte überspielen darf. Gleiches gilt für Weltbild, Buecher.de, TXTR usw. Um ein unerlaubtes Kopieren zu verhindern, werden Bücher mit einem DRM-Schutz versehen. Was ist aber, wenn ich ein E-Buch, das ich gekauft habe, weiterverkaufen möchte? Analogbücher kann ich jederzeit weiter verkaufen. Der DRM-Schutz ist ohnehin eine Scheinlösung zu einem Problem. Denn man findet überall im Internet die entsprechende Software, um den DRM-Schutz zu entfernen.

Manche Anbieter, zum Beispiel der amerikanische E-Verleger Delphi Classics, gibt Gesamtwerkausgaben von Autoren, die schon mindestens 70 Jahre tot sind (Fontane, Dickens, Proust usw.) heraus – sowohl in MOBi-Format (also für den Kindle) wie auch in EPUB-Format – dies ohne DRM-Schutz. Was man mit den Büchern macht, ist also jedem frei gestellt.

Dennoch ist es verständlich, dass lebende Autoren, Verlage und Buchhandlungen daran interessiert sind, Urheberrechte zu schützen. Es geht hier schließlich um ein Geschäft. Die Lösung zu diesem heiklen Problem muss selbstverständlich ein anderes sein als im Analogbuchzeitalter.

Auch ich als künftiger E-Buch-Autor will meine Interessen verteidigen. Ich werde über eine Lösung nachdenken.

Noch eine Beobachtung: Amazon hat unter den E-Buch-Anbietern meiner Meinung nach noch immer die Nase vorn. Zunächst, weil das Angebot sehr groß ist. Und ebenso wichtig: Der Käufer kann „ins Buch blicken“. So erfährt er vor dem Kauf, ob die Navigation des E-Buches vernünftig organisiert ist oder nicht. Hier nur ein Wink mit dem Zaunpfahl für die Konkurrenz.

Zum (hoffentlich) letzten Mal: Gehört der Islam zu Deutschland?

Es war der rührselige Bundespräsident a.D. Christian Wulff, der als erster den Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ in den Mittelpunkt der deutschen Tagespolitik platzierte.

Das war im Jahr 2010. Schon damals haben Besucher der vorliegenden Seite eine Glosse zu diesem Thema (s. „Die Leitkultur und die Leidkulturen“ vom 19. Oktober 2010) vorgefunden.

Nun hat Bundespräsident Gauck Gleiches erläutert wie ich damals: dass nicht der Islam, sondern Muslime zu Deutschland gehören. (Beinahe zeitgleich mit der Aussage Gaucks bestätigte hingegen CSU Staatsminister Söder überraschenderweise die Wulff’sche These).

Wer hat recht?

Hier hilft nur ein bisschen Geschichtsunterricht.

Tatsache ist: Der Islam hat nie eine zentrale Rolle in der deutschen Geschichte gespielt – mit Ausnahme vielleicht von der Zeit der Kreuzzüge, als deutsche Ritter, Haudegen und diverse Fußsoldaten, die als Kanonenfutter dienten, in Richtung Jerusalem marschierten.

In der Zeit danach gab es zwar immer wieder mal Konfrontationen mit dem osmanischen Reich, doch es waren Österreicher, Polen und Ukrainer, die in diesem Konflikten stets eine größere Rolle spielten als die Deutschen.

Nein, der Islam gehört vom Standpunkt der Geschichte nicht zu Deutschland. Er war vielmehr ein exotischer Traum für manche Deutschen. Denken Sie an Goethes West-östlichen Diwan, Karl Mays abenteuerliches Kurdistan. Immerhin waren es deutsche Orientalisten, die seit dem 19. Jahrhundert mit bewunderswürdigem Fleiß , die arabische, die persische und die türkische Sprachen und Kulturen unter die Lupe nahmen. Ihre Bemühungen haben viel dazu beigetragen, diese für Deutsche fremden Welten – auch in religiöser Hinsicht - zu öffnen.

Trotzdem war der Islam hierzulande de facto ein Exotikum. Nur deshalb bezeichneten früher die meisten Deutschen die islamische Religion als „Mohammedanismus“ und die Anhänger dieser Religion als „Mohammedaner“.

Nur Hitler täuschte gute Beziehungen zur islamischen Welt vor und hieß den Mufti von Jerusalem in Berlin willkommen. Nicht aber weil er für den Islam etwas übrig hatte, sondern weil er auf allen Fronten Krieg gegen die Juden führte.

Die muslimische Präsenz in Deutschland ist letztendlich – und das weiß eigentlich jeder – etwas Neues. Umso mehr ist sie historisch signifikant, und deshalb ist es heute wichtig zu untermauern, dass Muslime zu Deutschland gehören.

Befänden wir uns nicht in Deutschland, sondern in Bulgarien, Griechenland, Albanien, Rumänien, Ungarn, Serbien usw., würde ich auf jeden Fall zustimmen, dass der Islam zu diesen Ländern gehörte. Gleiches gilt selbstverständlich für Spanien, Südfrankreich und Sizilien.

Und doch frage ich mich, welcher Politiker in der Türkei, in Ägypten, in Libyen, in Algerien, im Irak usw. öffentlich wagen würde zu behaupten, dass das Christentum zu ihren Ländern gehört. Außerdem habe ich bisher noch keinen saudischen Politiker erläutern hören, wie sehr das Judentum zu Saudi Arabien gehört (was übrigens auch für den Irak, für Ägypten, Libyen usw. gelten müsste).

Das ist aber ein anderes Thema.

Übrigens: Ist es Ihnen aufgefallen, dass Gauck sein Statement im Lauf eines Interviews gemacht hat und nur weil man ihn direkt darüber gefragt hat. Wulff hingegen hat aus diesem Thema bewusst ein Politikum gemacht.
Ich denke, dass es Themen gibt, die man sanft und sachlich angehen sollte. Dazu gehört ganz bestimmt alles, was mit Religion zu tun hat.

Ende der Predigt. Nächste Woche – Hand aufs Herz – gibt es beim Sprachbloggeur leichtere Kost. Die hat man dringend nötig in einem mit Fakten überfütterten Zeitalter.

Is Facebook dead in the water? usw.

Haben Sie Ihre Facebook-Aktien schon gekauft?

Freund E., ein Amerikaner – wie ich – , hat mir in einem Gespräch, es ist schon lange her, eisern beteuert, dass Facebook keine Zukunft habe. „Eine Totgeburt“, sagte er, „und weißt du warum?“

Ich schüttelte den Kopf, um mein Unwissen kundzutun.

„Weil sein Hauptprodukt die narzisstische Selbstliebe ist, und die wird man mal von anderen Anbietern günstiger oder noch befriedigender bekommen können.“

Hat E. recht? I don’t know.

Ich erzähle diese Anekdote nicht, um eine Diskussion über Facebook zu entfachen. Zu diesem sozialen Netzwerk habe ich meinen Senf schon mal gegeben. Siehe:“Big Facebook is watching you!“

Mich interessiert vielmehr das Wort „Totgeburt“ – meine Übersetzung übrigens für E.‘s amerikanischen O-Ton. Wörtlich hat er gesagt: „It’s going to be history.“

Inzwischen kennt fast jeder Deutsch Sprechende das Wort „Geschichte“ im Sinn von „tot“, „nicht mehr aktuell“, „unzeitlich“, „den Bach runter“ usw. Gäbe es in nächster Zeit eine politiische Entscheidung, den Euro abzuschaffen, hieße es in vielen Zeitungen und Zeitschriften: „Der Euro ist Geschichte“.

Zu bemerken: „History“ im oben genannten Sinn ist im Englischen ein Neuankömmling. Seit wann gibt es den Begriff? Sind es schon zwanzig Jahre? Dreißig Jahre? Länger?

Ich suchte in Google nach einer Antwort auf diese Frage. Hier allerdings zeigte Google seine große Schwäche. Fakt ist: Manche Stichworte überfordern das gewaltige Suchprogramm. Wie sucht man nach dem Alter der Redewendung „history“? Weiß das jemand? Wie wäre es, z.B., mit „history of history“? Prompt bekomme ich sieben Millionen Treffer – alle jedoch ohne Bezug zu meiner Frage. Dann habe ich es mit „history of the word history“ probiert. Damit war Google restlos überfordert und setzte mir als Ersatzvornahme diverse Treffer über die „history of the world“ vor.

Um meine Frage zuverlässig zu beantworten, empfehle ich Ihnen das Oxford English Dictionary zu konsultieren – übrigens: auch im Internet zu beziehen – wenn man ein Konto hat. Ich habe keins.

Ich schweife aber ab. Es würde mich nämlich interessieren, seit wann „Geschichte“ im oben genannten neuen Sinn in der deutschen Sprache verwendet wird. Ich bilde mir ein, dass ich erst seit höchstens einem oder zwei Jahren auf „Geschichte“ in diesem Sinn stoße . Anzunehmen ist, dass Journalisten diese lustige Redewendung der deutschen Sprache in Eigenregie schenkten. Manchmal beneiden die hiesigen Wortschmiede den Amerikanern und den Engländern ihre knappe und ironische Sprache. Zack! wird ein Wort geklaut und verdeutscht.

Ob „Geschichte“ mal „Geschichte“ wird? I don’t know.

Aber: Wem das neudeutsche „Geschichte“ gefällt – darf ich Ihnen noch ein paar Amerikanismen anbieten, die ähnlich zu gebrauchen wären?
Zum Beispiel „toast“. Das Wort kennt die deutsche Sprache schon lange, zumindest in der Zusammensetzung „Toastbrot“ oder als Verb. Man kann sein Brot nämlich „toasten“.

„Toast“ wird im Amerikanischen (wohl auch im Englischen) zusätzlich im Sinne von „Geschichte“ bzw. „history“ verwendet. Man kann, z.B., sagen: „If Facebook stocks [Aktien] continue to take a dive [abstürzen] they’re going to be toast soon.” Gemeint ist: Sie werden zu einer Brotscheibe, die man zu lange im Toaster gebrutzelt hat.

Seien Sie auf der Hut: Vielleicht steht bald auch dieser nette Begriff in Ihrer Lieblingszeitung: „Facebook-Aktien sind Toast.“ Kann man nie wissen.
Noch schöner – zumindest meiner Meinung nach – ist die skurrile Redewendung „dead in the water“, also „tot im Wasser“. Man darf auf Englisch behaupten: „ Facebook stocks are dead in the water.“

Ältere Jahrgänge denken vielleicht an die Schauspielerin Kristina Söderbaum, die einst als „Reichswasserleiche“ in die Geschichte einging, weil sie häufig Frauen spielte, die ertrinken. „Wasserleiche“ wäre vielleicht eine schöne Verdeutschung für „dead in the water“. Etwa: „Die Facebook-Aktien sind nur noch Wasserleichen“…

Aber hier nur ein paar Gedanken eines Sprachmigranten, der die schöne deutsche Sprache noch schöner machen will. So was tun Migranten Fremdsprachen gerne an.

Wie war ich?

Es war schon immer das Privileg der Männer und der Masochisten zu erkunden: „Wie war ich?“

Natürlich hofft man(n) bei dieser Frage auf ein positives Feedback. Etwa: „Du warst toll, du Recke du.“ Masochisten hingegen sehnen sich lieber nach einer negativen Antwort, um dann die aufregende Frage stellen zu dürfen: „Warum?“ oder „Warum nicht?“

Die Wie-war-ich-Frage fällt mir heute ein, weil sie mir neulich zweimal gestellt wurde: einmal von einem Herrn mit einer Stimme, die an einen an Schluckauf Leidenden denken lässt. Er war vom telefonischen Kundendienst einer an dieser Stelle von mir anonymisierten Großfirma; und einmal von einer liebenswürdigen Kundenbetreuerin meiner Bank.

Nein, ich bin weder mit der einen noch der anderen Person ins Bett gegangen. Hier geht es um Wichtigeres.

Zum Beispiel der Mann mit der Stimme wie ein an Schluckauf Leidender. (Damit versuche ich darzustellen, dass seine Tonlage am Ende eines jeden Satzes um mehrere Tonhöhen emporstieg). Von ihm (bzw. seiner Firma) wollte ich wissen, ob es vorgesehen sei, dass E-Reader keine griechischen Texte wiedergeben. Genauer gesagt: Die griechischen Buchstaben meiner Sappho-Ausgabe wurden auf meinem Lesegerät zu einem unentzifferbaren Zeichensalat.

„Das finden wir für Sie herAUS!“ trillerte er. „Sie möchten wissen, warum die griechischen Zeichen nicht zu lesen SIND!“ „Wir rufen Sie zurRÜCK! Oder wir schicken Ihnen eine MAIL!“

Er wollte mir wirklich helfen, und ich war mit seiner Hilfsbereitschaft zufrieden – auch wenn ich bis heute auf den Rückruf noch warte. Erst am Ende des Gesprächs passierte es: „Können Sie mir eine Frage ANTworten!?

Ich habe schon geahnt, was er wollte: „Sie möchten, dass ich Ihre Leistung bewerte, oder?“

„Ja! Das ist KorrEKT! Es dauert nur eine MiNUte! Ich werde Sie WEIterleiten! Sie brauchen nur die Bearbeitungsnummer 349935f ANzugeben!“

„Sie waren gut, wirklich. Ausgezeichnet sogar. Ich schwöre es Ihnen. Aber ich will das keinem Roboter übermitteln. Sie zu bewerten halte ich für demütigend. Können Sie das verstehen?“

„SelbstverSTÄNDlich! Es dauert aber nur eine MiNUte! Ich bitte Sie.“ Den letzten Satz hat er plötzlich ganz normal gesprochen. Das hat mich beunruhigt.

Also ließ ich mich weiterleiten, damit ich nicht zum Anlass eines Selbstmords werde. Im Nu war ich mit einem Roboter verbunden. „Hallo! Auf einer Skala von eins, also nicht hilfreich, bis zehn, sehr hilfreich, bewerten Sie bitte unseren Mitarbeiter.“

Ich wurde wie immer, wenn ich mit Robotern rede, schnell ungehalten: „Er war großartig, scheiß Roboter, verstehst du nicht?“

„Es tut mir leid. Ich habe Ihre Antwort nicht verstanden. Bitte wiederholen Sie Ihre Antwort. Auf einer Skala…“

Usw. Ich will meinen privaten, neurotischen Kampf mit den Robotern nicht in die Länge ziehen.

Und dann war die Geschichte mit der Dame auf der Bank. Ich wollte an dem Tag einen Dauerauftrag stornieren. „Das können Sie auch bei den Bankautomaten“, klärte sie mich freundlich auf.

„Das wusste ich nicht.“

„Möchten Sie es vielleicht ausprobieren?“

„Ja, gerne. Man lernt sich nie aus.“

Sie begleitete mich zum Automaten und zeigte mir, wie das mit dem elektronischen Stornieren geht. Raffiniert. Wirklich raffiniert. Am Schluss kam dann die schüchterne Bitte: „Würden Sie jetzt bitte auf diese Option klicken?“

Die Option hieß „Haben Sie noch Fragen?“ oder so ähnlich.

„Ich weiß schon“, sagte ich. „Ich soll Sie jetzt bewerten. Oder?“

„Eigentlich schon.“

„Sie waren toll“, sagte ich.

„Aber vielleicht könntest Sie das der Maschine mitteilen. Das dauert weniger als eine Minute.“

„Wissen Sie“, sagte ich. „Ich finde diese Sache unangenehm. Sie verlangen von mir, dass ich etwas mache, was Sie letztendlich demütigt.“

„Bitte.“

„Ich gebe Ihnen natürlich nur Bestnoten.“ Und genau das habe ich getan.

Diese telefonischen Bewertungen sind mir neu – zumindest in Deutschland.
Wenn ich in den USA zu Besuch bin, bettelt schon lange jeder telefonische Kundenbetreuer um eine solche Bewertung. Nun ist die Krankheit wohl in Europa eingetroffen.

Also dann: Wie war ich? Habe ich Ihnen dieses schreckliche Phänomen gut erläutert. Teilen Sie es mir auf einer Skala von eins bis zehn bitte mit. Die entsprechenden Formulare sind an jeder Tankstelle erhältlich.

Dreimal Sterben

Jeden Samstag, um Mittag, drehe ich eine Runde durch die Schwabinger Antiquariaten. Ich wühle durch die Bücherkisten und nehme die Bestseller vergangener Zeitalter in die Hand und denke über die Vergänglichkeit nach. Es ist eine Art Meditation.

Es sind aber nicht nur die ausrangierten Bestseller, die ich neugierig befingere. Ich suche stets nach Perlen, die ewige Gültigkeit besitzen, Werke wie Dantes Göttliche Komödie oder Asterix-Hefte. Manchmal bleibe ich bei den Sachbüchern hängen: „Die Geschichte der Bleistift“, „Zauber durch Spielkarten“, „Sein und Zeit“. Man kann nie wissen, wozu all das gut ist.

Doch wie lange werde ich diesen hehren Gottesdienst noch feiern können? Fakt ist: In München kämpfen manche Buchhandlungen – allen voran die Antiquariate – ums nackte Überleben.

Nein, es geht diesmal nicht um die E-Bücher als Ursache des Problems – zumindest noch nicht.

Auch nicht, dass Menschen immer weniger lesen. Die Ursache für diese bedrohliche Situation ist eine andere: Die Antiquariaten werden von Internetdienstleistern zusehends unterminiert. Im Netz bekommt man viele Bücher einfach billiger. Doch das wissen Sie schon. Ebenso wissen Sie, dass eine gewisse Webseite, die ich aus Gründen meines Schleichwerbungsverbotes, namenlos belasse, manche Bücher bisweilen für einen einzigen Cent anbietet. Dazu bezahlt der Kunde selbstverständlich eine Portopauschale. Die allein bringt den Gewinn.

„Man muss die Sache darwinistisch betrachten“, erklärte mir neulich der Besitzer eines meiner liebsten Antiquariate. „Wenn wir kein Nutzen mehr bringen, dann verschwinden wir halt. Für Sie oder für mich mutet das vielleicht traurig an. Man darf aber nicht zu sentimental werden.“

Soviel zum ersten Sterben. Das zweite folgt gleich.

Ein anderes meiner Lieblingsantiquariate ist in den letzten Monaten insbesondere in Bedrängnis geraten. Infolgedessen konnte man vom gesamten antiquarischen Sortiment zu erheblich reduzierten Preisen einkaufen. Auch ich habe kräftig zugeschlagen. Ihr Verlust , mein Gewinn.

Ich habe, zum Beispiel, einen hübschen Einband „Buch der Graphologie“ von Ludwig Kroeber-Keneth ergattert. Dieses 1968 erschiene Werk bietet einen informativen Streifzug durch die Kunst, Handschriften zu deuten, ohne den Anspruch, ein richtiges Lehrbuch zu sein.

Kroeber-Keneth – er lebte von 1899 bis 1980 – war ein echter Kenner. Als er dieses Buch verfasste, hatte er bereits vierzig Jahre als Graphologe gearbeitet – vor allem als Personalberater. Zur Erinnerung: Es war früher Gang und Gebe, dass jeder Bewerbung ein handschriftlicher Lebenslauf beigelegt wurde. Leute wie K.-K. konnten sich vor Aufträgen kaum retten.

Man müsse als Graphologe auf vieles achten, betont der Autor. Auch der Anlass für eine Schriftprobe sei nicht ohne Bedeutung. Wer, z.B., einen Bewerbungslebenslauf schreibe, bemühe sich, seine Handschrift besonders leserlich zu gestalten, auch wenn er normalerweise eine unleserliche Klaue hat. So eine Verstellung müsse dem Graphologen auffallen, ebenso das Schreibtempo, Originalität usw. Ich habe das Buch mit großem Interesse gelesen.

Was Kroeber-Keneth allerdings nicht wissen konnte: Nur wenige Jahre nach seinem Tod, sollten die meisten Menschen kaum mehr einen mit der Hand geschriebenen Satz erbringen.

Wer schreibt heute noch (vor allem unter jungen Menschen) mit der Hand – außer mal einen kurzen Brief an die Uroma (nicht aber unbedingt an die Omi, sie hat nämlich ein Smartphone schon)? Dank SMS-Mitteilungen, Emails, Facebook, Twitternachrichten, Online-Banking usw. braucht man kaum mehr ein Wörtchen mit der Stift zu formen. Nur wenn Sie mit der Plastikkarte bezahlen, ist eine Unterschrift – aber nur manchmal – erforderlich.

Soviel zum zweiten Sterben.

Nebenbei: Wer noch Sütterlin beherrscht, kann heute als Übersetzer ein hübsches Geld verdienen. Die Sütterlinkundigen sterben nämlich langsam aus. Das habe ich im Spiegel-Online gelesen.

Aber jetzt zum dritten Sterben. Nein, es werden nicht die Bücher sein. Auch nicht die Verlage. Die wird man umso dringender brauchen, um eine nötige schriftliche Norm zu gewährleisten.

Als Drittes stirbt der Glaube, dass all diese Veränderungen, die auf uns zukommen, schlecht sind. Au contraire. Sie bereichern. Nichts steht still – die Zeit erst recht nicht.

Schon wieder das E-Buch – diesmal auch Praktisches

Meine Glosse über E-Bücher von der vorigen Woche ist auf viel Resonanz gestoßen. Das kann nur bedeuten, dass das Thema „in der Luft“ liegt – oder dass eine Megainternetbuchhandlung (ich nenne keine Namen) mich zum E-Buch-Posterboy der Woche auserkoren hat. Was hier zutreffen könnte, verrate ich nicht.

Im Übrigen habe ich diverse interessante Kommentare zum Thema erhalten. Von einem gewissen „xdi234eyso“, zum Beispiel, (ja, so war der Name wirklich, und die Hotmail-Adresse lautete ddfzzyrlde@hotmail oder so ähnlich) kam folgender Beitrag. Ich zitiere: „syldtx fvldt dfelr xfkoriofilawj efzfktopwef“. (Notabene: Diese Botschaft wurde in Hypertext schrieben. Das heißt: Hätte ich auf den Link geklickt, wäre ich auf eine exotische Webseite gelandet und würde vielleicht heute gar nicht mehr leben, weil ich an Denguefieber gestorben wäre).

Vom langjährigen Leser dieser Seite Pappe hingegen kam ein ernst zu nehmendes Plädoyer für den Erhalt der haptischen Sinnlichkeit des Buches, der durch E-Bücher nicht zu ersetzen sei. Ich verstehe diese Sorge, gehe davon aus, dass es auf der Welt Platz für beides, fürs haptische und fürs E-Buch, gibt. Die Fotografie hat die Malerei auch nicht ersetzt, sondern bereichert.

Christine aus Hamburg, die als Literaturübersetzerin tätig ist, freute sich, dass man zu jeder Zeit mit einer ganzen Bibliothek unterwegs sein kann. Das kann ich nur bejahen: Schon vor Jahren habe ich mir ein elektronisches Wörterbuch der Firma (Beep! Beep! Beep!) gekauft. In einem kleinen, handlichen Gerät befinden sich das Duden Universalwörterbuch, das Oxford Advanced Learners Dictionary (gähn), ein Französisch-Deutsch/Deutsch-Französisch Lexikon, ein Englisch-Deutsch/Deutsch-Englisch Lexikon, ein Spanisch-Deutsch/Deutsch-Spanisch Lexikon – alle seriöse Markennamen. Ich vermisse keinen Augenblick die mühselige haptische Nachschlagerei.

Umberto Eco (in: „Die große Zukunft des Buches“) hat sich folgendes Kriterium für den Erfolg des E-Buches ausgedacht: „Ich frage mich allerdings nach wie vor, ob es selbst bei einer allen Leseanforderungen optimal angepassten Technologie wirklich sinnvoll ist, Krieg und Frieden auf einem E-Book zu lesen. Man wird ja sehen. Auf jeden Fall werden wir Tolstoi und all die anderen auf Papier gedruckten Bücher bald nicht mehr lesen können, ganz einfach weil sie in unseren Bibliotheken bereits begonnen haben, sich zu zersetzen.“

Hmmm. Warum ausgerechnet Krieg und Frieden als Maßstab, ob man E-Bücher lesen wird oder nicht? Und wieso sollen sich bald die gedruckten Bücher in den Bibliotheken zersetzen? Mein Gegenvorschlag: Da Eco schon über achtzig ist, würde ich empfehlen, dass er erst recht Krieg und Frieden als E-Buch lesen sollte. Man kann nämlich auf dem E-Reader die Schrift ganz schön vergrößen. Eine Segnung für alte Augen.

Aber jetzt zum Praktischen. Im Zeitalter der Kinderkrankheiten des E-Buches möchte ich hier handfeste Abhilfe für die noch Verunsicherten anbieten – und zwar anhand von einem konkreten Beispiel.

Wie Sie vielleicht schon wissen, werden E-Bücher in verschiedenen Formaten verkauft. Ein sehr großes Online-Geschäft (ich nenne keine Namen) bietet seine Bücher, zum Beispiel, im sog. MOBI-Format an, damit man sie nur auf einem eigens für E-Bücher produzierten Reader lesen kann. Andere Anbieter verkaufen ihre Bücher im sog. EPUB-Format. Doch auch hier gibt es verwirrende Unterschiede. Jede Firma, die ein eigenes Lesegerät produziert, verschlüsselt ihre EPUB-Bücher, damit man gezwungen wird, Bücher beim hauseigenen „Bookclub“ zu erwerben. Diese Verschlüsselung heißt übrigens DRM, „digital rights management“.

Stellen Sie sich vor, dass Autos nur mit firmeneigenen Sprit fahrtüchtig wären. So ähnlich ist die momentane Lage bei den E-Readers.

Wie lange noch? Schon jetzt kann man eine kostenlose Software namens Calibre herunterladen, die ein Leseformat in die andere umwandelt. So einfach ist es trotzdem noch nicht. Man braucht nämlich noch immer ein Zusatzprogramm, das die DRM-Verschlüsselung des jeweiligen „Bookclubs“ entfernt. Keine Sorge, alles nur Kinderkrankheiten.

Letzte Woche habe ich auf der Webseite der Firma (Beep! Beep! Beep!) das Gesamtwerk von Goethe (15.000 Seiten!) für unter drei Euro entdeckt. Die Datei war ca. 29 Megabyte groß. Ein wuchtiges Ding. Zum Vergleich: Das Werk von Georg Trakl hat vielleicht 200 Kilobyte.

Ich habe dieses „Buch“ gekauft mit der Absicht, es in ein Format umwandeln, das zu meinem Reader passt. Eine solche Umwandlung dauert normalerweise weniger als eine Minute. Doch das arme, überforderte Calibre kaute 1141 Minuten an diesem Goethe, um mir schließlich das eigene Scheitern einzugestehen. Dreimal habe ich es probiert – das waren insgesamt 57 Stunden – und bin jedesmal gescheitert.

Ich war sauer: Warum dürfen nur die Kunden von Beep! Beep! Beep! Goethe für unter drei Euro haben? Warum werde ich diskriminiert, weil mein Format anders ist?

Ich bin aber vom Hause aus hartnäckig und habe lange über das Problem nachgedacht. Endlich suchte ich im Internet unter den Stichworten „Goethe Gesamtwerk“ und „EPUB“ (mein Format). Innerhalb Sekunden wurde ich fündig. Ich habe eine Webseite entdeckt, die nicht nur Goethe, sondern eine ganze Bibliothek von „Gesamtwerken“ anbietet – und zwar in EPUB und MOBI-Formaten – alles ohne DRM-Verschlüsselung.

Bald hatte ich mein Goethe auf dem Reader heruntergeladen. Ob ich so viel Goethe jemals lesen wird, bleibt dahingestellt. Eins steht aber fest: Bald aber wird es einen Sprit geben, der zu allen Autos passt.

Bekenntnisse eines E-Reader-Süchtigen

Nun wird es endlich still um Günther Grass, und auch die Salafisten geben momentan Ruhe. Erstaunlicherweise hat sich die Häme – und die Schadenfreude – über das Absetzen von Thomas Gottschalk in Grenzen gehalten. Gut so. Sonst hätte ich ihn in Schutz genommen (obwohl er seine Seele längst an die Werbebranche verkauft hat – aber wer ist halt perfekt?).

Abgesehen von einem Börsencrash, einem knallenden Meteor über den westlichen USA, Mordlust in Syrien und schon wieder Malware im Iran scheint die Welt heute ziemlich ruhig zu sein.

Eine nette Gelegenheit also, um über meine neue Sucht zu berichten. Ja, ich bin E-Bookaholiker geworden.

Auch meine Frau leidet an dieser Krankheit. Gleiches gilt, denke ich, für Freund Nick (Name verfälscht). Er hat mir neuerdings mitgeteilt, dass er bereits 200 Bücher auf seinem „Reader“ hat.

„Es verändert deine Lesegewohnheiten vollständig“, sagte er. „Man liest mehrere Bücher gleichzeitig.“

Nick hat recht. Zwar besitze ich „nur“ etwa 90 Stück. (Was heißt 90? Manche sind Gesamtwerke!) Ich stelle aber fest, wie ich zwanghaft vom Buch zu Buch springe – wie einer, der mehrere Pralinenschachteln zum Geburtstag bekommen hat. Und das Lesegerät weiß jedesmal, wo ich jeweils zu lesen aufgehört habe. Kluger E-Reader!

Neunzig Bücher. Damit habe ich mich bereits mit Lektüre für mehrere Jahre abgedeckt, gesetzt den Fall, ich würde alles durchlesen. Und das Schöne: Das meiste bekam ich kostenlos! Zugegeben: Für manches habe ich einen Euro bezahlt. Doch bisher habe ich nur zwei oder drei Bücher gekauft, die um die zehn Euro kosteten.

Wer kann es widerstehen? Das gesamte Sherlock Holmes für Pfennigbeträge. Oder das gesamte Kafka. Meine Frau hat sich Dickens für einen Apfel und ein Ei geschnappt. Nick liest lieber die Philosophen. Adorno hat er kostenlos bekommen. Und Heidi (Name verfälscht), eine alte Freundin meiner Frau, schaut jeden Tag nach Sonderangeboten. Sie mag aber am liebsten die Krimis.

Zur Erinnerung: Als die ersten CD-Spieler auf den Markt kamen, war es ähnlich. Man hat vieles spottbillig erhalten. So ist es beim Marketing. Man muss den Kunden erst ködern.

Doch das E-Buchphänomen ist anders als das CD-Geschäft: CDs konnte man auf beliebigen Abspielgeräten lauschen. E-Bücher sind Gerätehersteller-abhängig. Amazon, Sony, Barnes and Nobles verkaufen E-Bücher, die nur auf dem eigenen Reader lesbar sind. Kein Wunder, dass gewiefte Hacker Software entworfen haben, um die Codes zu knacken, damit jedes Buch auf jedem Reader zu schmökern ist. Gäbe es diese Programme nicht, wäre es schier unmöglich, Ein „Buch“ einem zweiten Leser„auszuleihen“.

Stellen Sie sich eine fünfköpfige Familie vor. Drei aus dieser Familie möchten dasselbe E-Buch lesen. Dies wäre mit einer Kopie des E-Buches nur möglich, wenn einer dem anderen das Lesegerät, worauf das Buch gespeichert ist, in die Hände gäbe. Nur: Ein Lesegerät enthält unter Umständen eine ganze Bibliothek. Wie kann man das „Buch“ ausleihen, wenn man gleichzeitig ein anderes „Buch“ auf dem Reader lesen will? Fazit: Man bräuchte mehrere Lesegeräte und den gleichen Titel mehrmals, sollten alle gleichzeitig das Buch lesen können. Ohne Hacker-Software freilich ein Alptraum.

Gegenwärtig jedenfalls möchten uns Amazon, B&N, Sony usw. erst auf den Geschmack bringen, was natürlich unbedingt mit Vorteilen verbunden sein muss. Man will uns also erst süchtig machen, den Sammeltrieb durch günstige Angebote erwecken. Erklären Sie mir bitte, wie man die Versuchung widerstehen kann?

Dazu spart man Platz. Schon lange höre ich, dass Adalbert Stifter tolle, langsam zu lesende Büchergenüsse geschrieben hat. Es sind aber dicke Wälzer, nehmen viel Platz auf dem Bücherregal. Für mich wieder ein Vorteil, sie elektronisch zu besitzen.

Aber was ist, wenn wir eines Tages nur noch E-Bücher zu lesen bekommen? Werden Sie vielleicht teurer? Wird manches nicht mehr gedruckt, um dann ganz vom Radarschirm zu verschwinden? Befinden wir uns an der Schwelle eines neuen Zeitalters der Literatur, das zu einem radikalen Aussortieren des Vorhandenen führen wird, wie einst nach dem Zusammenbruch Roms in den Klöstern geschah?

Heute ist das mir schnurzegal. Ich möchte lieber raffen, raffen raffen, so lange es noch geht. Ich heiße der Sprachbloggeur und bin E-Bookaholiker.

Lies!

Hand aufs Herz. Was sagt Ihnen obiges Titelwort? Es lässt sich nämlich – meiner Meinung nach – in unserer multikulturellen Umwelt zweierlei deuten. Gestern stellte ich A. diese Frage. Sie antwortete spontan: „Na, ganz klar. Das ist vom Wort ‚lesen‘. Man wird aufgefordert, etwas zu lesen.“

A. hat recht. Es handelt sich tatsächlich um die Befehlsform des Verbs „lesen“.

Aber nicht nur: Das Wort könnte ebenso die Mehrzahl des englischen „lie“, also „Lüge“ sein.

Ich komme darauf, weil ich vor ein paar Tagen im Spiegel-Online auf ein Foto stieß, worauf ein bärtiger Mann mit Kopfbedeckung und loser, weißer Bekleidung dargestellt wurde. Er stand neben einem Poster, auf dem in großen Buchstaben das Wort „Lies!“ zu sehen war.

Man erkennt ihn vermittels seiner Kluft als „Islamist“. Ein komisches Wort, mit dem ich mich lange nicht angefreundet habe. Sagt man „Christist“? Besser wäre, ihn als „islamischer Fundamentalist“ zu bezeichnen. Auch christliche, jüdische, Hindu usw. „Fundamentalisten“ gibt es.

Den Begriff „Fundamentalist“ versteht ohnehin jeder. Es sind Menschen, die ihre heiligen Bücher sehr wörtlich deuten.

Aber zurück zum Poster. Ich sah einen Menschen, der mir zweifelsfrei als islamischer Fundamentalist vorkam, neben einem Poster stehen, auf dem das Wort „Lies!“ zu lesen war, und ich habe das Wort als englische Vokabel verstanden. Er will sich gegen die Lügen der westlichen Zivilisation auslassen, dachte ich. Tja. Wäre nichts Neues.

Ich bin wie viele Menschen, die in einer fortschrittlichen Schreibkultur groß geworden sind. D.h.: Ich lese das Kleingedruckte allzu selten. Nur das groß gedruckte „Lies!“ machte auf mich Eindruck. Erst im Nachhinein las ich die Nachrichtenüberschrift oberhalb vom Bild. Es ging darum, dass Salafisten diverse Journalisten bedroht hätten. Die Gründe dafür waren in der Überschrift nicht klar ersichtlich. Ich klickte also neugierig auf den Hypertext, um mehr im Artikel zu erfahren. Nun las ich, dass diese sogenannten „Salafisten“, also „Fundamentalisten“, dabei waren, 25 Millionen Ausgaben des muslimischen heiligen Textes, des Koran, in Deutschland, Österreich und in der Schweiz unter das Volk zu bringen und dass sie Journalisten, die dieses Vorhaben kritisierten, bedroht hätten. Eine beachtliche Bücherauflage, dachte ich. Über die Qualität der Übersetzung und über die Kommentare weiß ich freilich nichts.

Erst jetzt schaute ich etwas genauer auf das Bild, und endlich visierte ich das Kleingedruckte. Der Gesamttext lautete: „Lies! Im Namen deines Herrn, der dich erschaffen hat.“ Aha! dachte ich. Denn es fiel mir nämlich ein, dass ich dieses Zitat irgendwoher kenne. Schnell schlug ich in meiner Koranausgabe nach und wurde fundig: Es handelt sich um ein Zitat aus Sura 96, einer der kürzesten Suren in dem Buch. Falls Sie es nicht wissen: Der Koran ist nach der Länge der Abschnitte (genannt „Suren“) und nicht nach Thematik oder Chronologie organisiert. Die kürzesten Abschnitte befinden sich also am Schluss. Sura 96 gehört übrigens zu den zeitlich frühesten Texten dieser Sammlung und wird oft mit einer netten Legende in Zusammenhang gebracht, die besagt, dass der Engel Gabriel (in der arabischen Sprache „Dschibril“ genannt ) Muhammed aufgefordert hat zu lesen. Damit ist gemeint, er sollte seine Texte laut vortragen. Muhammeds schüchterne Antwort laut der Legende: „Ich kann aber nicht lesen“, eine Repartie, die an Mose erinnert, der, als er den göttlichen Befehl bekam, Pharao nahezulegen, die hebräischen Sklaven zu befreien, antwortete, er sei kein Redner.

Wie dem auch sei. Eine nette Geschichte, und auf sie wird womöglich das „Lies!“ auf dem Poster dieser Koranverteilenden bezogen.

Dennoch meiner Meinung nach eine ungünstige Textauswahl für die Werbung. Und zwar deswegen, weil diese Fundamentalisten an den Büchertischen durch ihre Bekleidung ausgesprochen fremdartig wirken. Somit kann man aus der Ferne, die Aufforderung zum Lesen leicht in die falsche Kehle bekommen, so wie es mir passiert ist.

Glauben Sie mir: Ich stehe nicht allein da mit diesem Gedanken. Ich kenne auch andere, die den gleichen Fehler gemacht haben wie ich. Hätten die Fundamentalisten ein lokal angepasstes Aussehen gehabt, würde man nie auf diese Doppeldeutigkeit kommen. So schnell entstehen die Missverständnisse auf dieser Welt.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Mein Kritik gilt nur der Möglichkeit, dass man diesen Poster aus der Ferne falsch deuten könnte. Gegen die Verteilung von Korantexten habe ich hingegen grundsätzlich keine Einwände und freue mich darauf, im Namen der Gleichberechtigung auch mal Bibel in Saudi Arabien, Pakistan, Afghanistan, Ägypten, Jordanien usw. zu verteilen.

In den Grass beißen – oder heute das (hoffentlich) letzte Wort zu einem leidigen Thema

Schulze: Nein, er ist ein Vollidiot! Diese letzte Tinte, von der er redet, ist die eines Demenzkranken.

Schultze: Im Gegenteil, er hat nur das gesagt, was gesagt werden muss. Er hat ein Tabu gebrochen.

Schulze: Was gesagt werden muss? Gesagt wird es seit Jahren beinahe täglich. Tabu gebrochen! Er hat lediglich eine Lanze gebrochen – und zwar in eigener Sache.

Schultze: Verstehst du nicht? Er hat alles aufgemischt. Alles. Ich finde das geradezu genial.

Schulze: Was heißt aufgemischt? Er hat sich nur selbst in Szene gesetzt, weil, es zu lange um ihn still geworden war. Das ist vielleicht genial.

Schultze: Du hast keine Ahnung. Der Weltfriede ist so brüchig wie lange nicht mehr. Er hat sich, koste, was es wolle, aufgeopfert, um auf die dringenden Probleme wieder aufmerksam zu machen.

Schulze: Man ahnt, dass er auf einer Nebenstraße gelandet ist, wenn die Ostermarschierer seine Sprüche zum Fanal machen. Man kann es beinahe als Naturgesetz formulieren: Diese sogenannten Friedensaktivisten machen fast immer die Falschen zum Feindbild. Wo in aller Stille wirklich abgeschlachtet wird, da schauen diese Weicheier stets in die andere Richtung.

Schultze: Ich weiß, worauf du hinauswillst: Du willst nur ablenken. Sein Gedicht ist ein Meisterwerk. Nur Snobs wie du lästern, dass es kein Gedicht ist, sondern Sätze aus einem Leserbrief, die er willkürlich in Verszeile und Strophen eingeteilt hat. Ist es dir nicht klar, wie egal das ist? Es geht um die Wirkung.

Schulze: Was für Wirkung? Wer mit ihm einer Meinung ist, fühlt sich lediglich in der eigenen Meinung bestätigt. Mit diesem populistischen Machwerk spricht er höchstens die Stammtische an.

Schultze: Eben nicht. Er hat die Grundlage für einen neuen Dialog ins Leben gerufen. Inzwischen redet man auf der ganzen Welt darüber. Das kann nicht jeder. Hut ab.

Schulze: Und was wird das Ergebnis sein? Hat er Meinungen geändert? Mitnichten. Einzig hat er manche Leute dazu provoziert, eigene Dummheiten von sich zu geben. Lob von Extremisten und Idioten. Und ich gebe zu: Das mit der persona non grata ist ja auch wenig hilfreich.

Schultze: Vielleicht war das Provozieren doch sinnvoll.

Schulze: Wenn du das als sinnvoll bezeichnest, dann hat gar
nichts mehr einen Sinn. Verstehst du nicht, was du behauptest?

Schultze: Bitte, erzähle…

Schulze: …dass er mit seinen dummen Sprüchen in der Lage ist, neue Dummheiten hervorzurufen. Das kann also nur heißen, dass Dummheit Dummheit erzeugt und nie und nimmer in der Lage sein wird, wirkliche Probleme zu lösen.

Schultze: Du deutest die Sache sehr einseitig, mein Lieber.

Schulze: Nein, im Gegenteil. Du deutest sie einseitig. Und die

Zeitungen, die diese Dummheit kommentarlos veröffentlichten, hatten ohnehin kein Interesse, eine vertrackte Lage zu entwirren. Es ging schlicht und einfach darum, die Auflage in die Höhe zu schnellen.

Schultze: Du bist ein Dummkopf.

Schulze: Du bist ein Dummkopf.

Schultze: Warum willst du mich nicht verstehen?

Schulze: Warum willst du mich nicht verstehen?

Schultze: Habe ich dich nicht überzeugt?

Schulze: Habe ich dich nicht überzeugt?

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