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Wenn der Hobbyfotograf auf den arbeitslosen Journalisten trifft

Mit meinem neuen Fotoapparat schleiche ich durch die Stadt. Ich visiere mein Opfer. Nähere mich ihm an. Dann drücke ich, so unauffällig wie möglich, auf den Auslöser, und zack! die Falle schnappt zu. Ha. Habe ich wieder einen auf dem Sensor eingefangen.

Ja, lange habe ich davon geträumt: einen Fotoapparat zu besitzen, mit dem ich „Street Photography“ gefahrlos betreiben kann.

Das Besondere an diesem Apparat: Er hat ein Display zum Runterklappen. Das heißt: Ich halte die Kamera auf Hüftenhöhe, das Objektiv nach links oder rechts gerichtet, während ich unschuldig ins Display schaue, als würde ich eine Fliege beobachten. Knipps! Schon ist es passiert.

Am Wochenende stieß ich auf ein neues Opfer, eine elende Figur am Münchener Marienplatz, einen nicht mehr so ganz taufrischen, der auf dem Boden, auf einem dicken Kissen alter Zeitungen saß, sein Rücken gegen eine Wand angelehnt und mit einer beschriebenen Plakate in der Hand: „Worte gegen Brot. Bin Schnellschreiber.“

Natürlich wollte auch dieses Bilderbuchszenario verewigen. Ich kreiste so unauffällig wie möglich um ihn herum, um mich in Stellung zu bringen.

Plötzlich sprach er mich an: „He! Sie mit dem Fotoapparat. Sie brauchen sich so anzustellen. Wenn Sie ein Foto machen wollen, dann bitte.“

Ich habe mich beinahe geschämt. Doch nun gab er sogar Anweisungen: „Tiefer. Weiter links. Auf die Schatten achten.“. Aber nun musterte er mich.
„Sagen Sie mal. Sind Sie nicht der Sprachbloggeur?“

„Woher wissen Sie das?“

„Ich bitte Sie. Es scheint nicht, als wollten Sie Ihre Identität ernsthaft verstecken. Merken Sie nicht, dass Sie ihr schwarzes Superheldenkostüm mit der schwarzen Maske tragen. Wer sollen Sie denn sonst sein?“

„Ach du lieber! Ich habe vergessen mich umzuziehen.

Egal. Wir kamen bald ins Gespräch, und er erzählte mir: „Ich war nicht immer ein Bettler am Marienplatz. Früher war ich ein gut verdienender Journalist, ein sogenannter ‚fester-freier‘. Komische Formulierung, nicht wahr? Man ist weder fest noch frei. Aber egal. Jahre lang deckte man mich mit Arbeit haufenweise zu. Schauen Sie. Ich sitze nicht auf beliebigen Zeitungen. Es sind alle eigene Texte. Wissen Sie was geschehen ist?“

„Nein.“

„Ich kam zur falschen Zeit in die Jahre. Man sagte: Die Jugend will Texte von jungen Leuten lesen. Aus die Maus.“

„Aber sie hätten weiterhin als Selbstständiger arbeiten können. Ich meine, mit Ihrer Erfahrung…“

„Sie kennen unser Geschäft wohl nicht, Herr Sprachbloggeur. Letzte Woche ging ich ins Internetcafé und schrieb einen Themenvorschlag an eine Zeitung. Die Antwort (und es ist nicht immer gesagt, dass ich eine Antwort bekomme): In der jetzigen Finanzkrise könne man sich keine neuen Freien leisten. Die Redakteuren müssen noch härter arbeiten. Sonst landen auch sie auf der Straße.“

„Das ist ja furchtbar.“

„Es kommt noch schlimmer. Aus heiterem Himmel wollte eine Monatszeitschrift von mir einen alten Text nachdrücken. Ich hatte die Rechnung bereits losgeschickt. Dann kam ein neuer Brief: Das Geschäft sei geplatzt. Die Fotografen seien im letzten Augenblick abgesprungen. Was heißt ‚abgesprungen‘? Zufällig sitzt einer von den Fotografen neben mir am Marienplatz – aber nur mittwochs. Die haben ihm weniger angeboten, als er hier verdient.

Ich habe sogar ein Buch über Bettler geschrieben und an einen guten Verlag verkauft. Dann haben sie den Vertrag aufgelöst. Wissen Sie, warum? Weil die Vorbestellungen zu niedrig waren.“

„Sie hätten verklagen können, oder?“

„Ach woher. Die ganze Industrie ist an Stress erkrankt. Sie wissen, woher das Wort ‚Stress‘ kommt, Herr Sprachbloggeur, oder?“

„Ja, natürlich. Es ist ein englisches Wort.“

„Das ist aber nur die halbe Miete. Es ist die Abkürzung von ‚distress‘, ‚Verzweiflung‘. Die Hälfte aller Angestellten – nicht nur in meinem alten Beruf – sind verzweifelt. Das habe ich heute in den Nachrichten gehört. Wenigstens habe ich als Bettler keinen Stress. Nein, ich gebe ein falsches Bild ab. So schlimm ist es bei mir auch wiederum nicht bestellt. Ich habe mich nämlich für die nächste Staffel von ‚Jungle-Camp‘ angemeldet. Man hat mir zugesichert, dass meine Chancen sehr gut stehen. Wissen Sie, was das bedeutet, Herr Sprachbloggeur?“

„Bitte.“

„Als letztes stirbt die Hoffnung.“

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