Wo ist die NSA, wenn man sie braucht?
Und warum sagen alle „enn ess ääääj“, wenn sie „enn ess aaaa“ meinen?
Komme ich aus den „u ess aaaa“ oder aus den „ju ess äääj“, liebe deutsche Muttersprachler?
Alle wichtige Fragen. Doch am wichtigsten die erste. Denn ich stelle sie wegen „Citadel“.
Noch nie gehört? „Citadel“ ist der Name einer fiesen Software. Mir war dieses Wort auch kein Begriff, bis ich letzte Woche einen Brief von der Deutschen Telekom erhielt. Hier der erste Satz:
„Wir haben festgestellt, dass über Ihren Internet-Zugang unerwünschte Zugriffe auf fremde Computer erfolgt sind (‚Hacking‘). Eventuell wurden auch Passwörter, Kreditkarten-, Bank- und sonstige Daten bereits ausgelesen.“ usw.
Natürlich will man zuerst gar nicht glauben, was man so eben gelesen hat. Dennoch wandte ich mich umgehend an die Telekom, um Näheres zu erfahren.
Die sehr ausführliche Antwort folgte am nächsten Tag, und nun fiel zum ersten Mal der Name „Citadel“.
Lange Rede, kurzer Sinn. Es stellte sich heraus, dass der Rechner meines Sohnes (mein Sohn war bei uns zu Besuch) mit diesem unappetitlichen Ungeziefer verseucht war. Wie kam es dazu? Ganz easy: Er hatte, weil nur selten da, die Software seines Computers (sprich: Anti-Virus, Java, Browser usw.) lange nicht mehr aktualisiert. Wir nahmen seinen Rechner sofort vom Netz, änderten das Passwort zum Browser, prüften meinen Rechner und den meiner Frau auf Malware – sie scheinen sauber zu sein. Weitere Passwörter werden geändert und…
Der Telekom zufolge residiert der Oberbonze der „Citadel“-Firma in Osteuropa und hat 81 Mitarbeiter. Da seine Identität noch immer unbekannt ist, wird er vom FBI als „John Doe“, Englisch für „Max Mustermann“, bezeichnet. Ach ja, und noch eine Kuriosität: Man kann seine Software jeder Zeit für 2400 Dollar (oder waren das Euro?) im WehWehWeh kaufen. Jeder kann sie kaufen. Sie. Ich…
Woher die Nachrichtendienste das Wissen haben – vor allem das mit den 81 Mitarbeitern – kann ich nicht ganz nachvollziehen. Osteuropäer? Meinetwegen ist Herr Citadel Amerikaner oder Chinese und beschäftigt 97 Mitarbeiter.
Ich stelle mir jedenfalls vor, dass Herr Citadel ein sehr feines Haus in einem Vorort von Moskau, Kiew, Warschau, Chicago, San Diego oder Schanghai bewohnt und eine reizende, heranwachsende Tochter namens Swetlana, Mimi, Chenguang („Morgenlicht“), Anuschka, Taylor usw. hat.
Es ist ein braves, intelligentes Mädchen. Vater Citadel, er heißt „Max“ „John“, „Ivan“, „Bo-gin“ („geachtet“) oder so, ist ein liebender, fürsorglicher Vater und nennt seine Tochter liebevoll „Schuschu“, „Muschka“, „Pumpkin“, „Princess“ oder so ähnlich. Wenn „Morgenlicht“ oder Mimi usw. ins Internet geht (darf sie überhaupt?), dann hat Herr Citadel dafür sorgt, dass die beste Anti-Virus-Software auf ihrem Rechner läuft, damit sie keinem Phisher oder Spammer (pfui Teufel) zum Opfer fällt. Natürlich weiß Swetlana oder Taylor nicht, was Papa für ein Beruf hat. Nein, stimmt nicht. Er hat ihr erklärt, dass er Informatiker sei und einen erfolgreichen Betrieb verwalte. Er ist ohnehin für seine Großzügigkeit bekannt und hat für „Pumpkins“ Privatschule ein großes Schwimmbecken gestiftet. Das kann jeder auf einer hübschen Messingtafel vor dem Eingang zur Schwimmhalle lesen.
Bezahlt wird „Schuschu“s Schulgeld freilich mit geplündertem Kapital, das von Bankkonten unvorsichtiger Surfer abgezweigt wird. Die Opfer sind jung und alt, viele nicht unbedingt wohlhabend – vielleicht mitunter der Bruder von Mimis bester Freundin Carla. Herr Citadel macht sich da aber keine Gedanken. Er weiß das mit Carlas Bruder gar nicht. Er will’s nicht wissen. Seine 81 Mitarbeiter möchten es auch nicht so genau wissen…
Ich hatte vor, diese Fantasie mit moralisierenden Farben zu übertunken. Ich dachte, zum Beispiel, daran, von einem Autounfall zu berichten, infolgedessen Mimi schwer verletzt wird. Der Unfallverursacher ist, so stellt es sich heraus, ein Beschädigter der Software des Herrn Citadel. Eigentlich hätte das Opfer seinen Wagen längst warten lassen müssen, doch das Geld war wegen des Malware-Überfalls plötzlich zu knapp. So eine Geschichte zu spinnen, hinterlässt aber einen falschen Eindruck – auch wenn sie durchaus vorstellbar sind. Herr Citadels Welt kennt nämlich keine Moral.
Ich kehre deshalb lieber zu meiner ersten Frage zurück: Die „enn ess äääj“ weiß sonst alles über mich und Sie und wird hellhörig, wenn einer in einer Email von einem „Bombenerfolg“ oder einer „Bombenstimmung“ schreibt. Wenn „Prism“, „XKeyscore“ usw. so informationsintensiv sind, warum können diese Geheimdienstinstrumente Gestalten wie Herrn Citadel nicht dingfest machen? Ja, das ist die Frage? Wäre schön, die Antwort zu erfahren. Hallo Washington! Do you read me?
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