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Sex für Fußgängerinnen und andere

Nach drei Tagen stinken Fisch und Gäste, sagt das geflügelte Wort. Demnach stinke ich schon lange. Oder nicht. Ich bin nämlich seit langem kein „Gast“ mehr in diesem Land, sondern „Mitbürger mit Migrationshintergrund“. Und das, was ich in diesem Land mache, heißt nicht „stinken“, sondern „mich integrieren“.

So ändert sich die Sprache.

Und damit komme ich zum eigentlichen Thema dieser kurzen Glosse: Sex.

Nicht ist aber hier von dem Sex die Rede, den Ihnen meine Spammerinnen gerne verkaufen möchten, würde ich ihre „Kommentaren“ auf dieser Seite zulassen. Sorry.

Leute wie ich finden es viel sexier über Dinge zu berichten, die frau gewöhnlicherweise als „Geschlecht“ oder „Genus“ bezeichnet. Sex also als grammatikalische Handlung.

Richtig! Es geht hier irgendwie um die Herren Professorinnen an der Uni Leipzig. Ich weiß. Ich hätte mich eigentlich schon letzte Woche zu Wort melden sollen, als das Thema noch aktuell war. Heute darüber Gedanken zu machen erinnert an die Gäste, die länger als drei Tage geblieben sind. So kurzlebig ist das Interesse an Neuigkeiten.

Wenn ich aber ehrlich bin, sind mir die Professorinnen – zumindest als Thema – ohnehin ziemlich schnuppe. Will sich frau in Leipzig Professorin nennen, bin ich bedingungslos damit einverstanden, zumal die Professorinnen-Debatte kein Anfang einer neuen Art mit der Sprache umzugehen ist. Es ist vielmehr der logische Schluss eines langjährigen Prozesses, der kurz nach meinem Antreffen in Deutschland als Mensch mit Migrationshintergrund bereits am Dampfen war.

Ich vermute stark, dass dieser Prozess der geschlechtlichen Angleichung seinen wahren Ursprung in meiner Heimat, also in den USA, hatte: und zwar in den 1970er Jahren. Damals begann frau etwas bewusster auf die geschlechtliche Gleichheit – ich meine in der Grammatik – zu achten. Beispiel: Das traditionelle Genus des Wortes „someone“ (jemand) ist im Englischen männlich. Im Satz „If you hear someone knocking on the door, let him in“ wird das klar. Doch eines Tages klang diese Formulierung in vielen Ohren offenbar diskriminierend. Frau fragte: Warum heißt es „he“ und nicht „she“? Alsbald suchte frau nach einer Lösung. Und bald sagten immer mehr Menschen: „If you hear someone knocking on the door, let them in“. Mehrzahl anstelle von Maskulinum. Nützlich schon, aber schlechtes Englisch. Andere entschieden sich für „If you hear someone knocking on the door, let him or her in.“ Gerecht aber umständlich.

Bis heute hat frau für dieses Problem keine endgültige Lösung gefunden. Aber bald war der Vorstandsvorsitzende dran. Der hieß bei uns „chairman“. Mit recht aber. Fast alle Firmenchefs waren damals Männer. Für den Fall, dass eine Frau in diese Rolle schlüpfen sollte, hätte frau sie problemlos als„chairwoman“ oder „chairlady“ bezeichnen können. Ähnlich war es in Deutschland, als die Kanzlerin Kanzlerin wurde. Aber nein. In den USA wurden Vorstandsvorsitzende zu „chairs“, also „Stühle“. In den USA führt ein Stuhl heute eine Sitzung.

Ich war fest überzeugt, dass die deutsche Sprache eine gewisse Immunität gegen einen solchen Umgang mit der Sprache hatte, zumal das Deutsche jedes Nomen – unabhängig von der Logik – sturköpfig mit einem Genus versieht: „das Weib“, „die Majestät“, „der Blumenstrauß“. Es ist unmöglich auf Deutsch zu sagen: „Hörst du jemanden an der Tür klopfen, lass sie eintreten“. Wird aber im Zeitalter der StudentInnen und LeserInnen diese Treue zur Grammatik noch halten?

Haben Sie gewusst, dass der „Fußgänger“ und der „Autofahrer“ seit April 2013 ausgedient haben? Zumindest in der neuen Straßenverkehrsordnung (StVO). Dort ist die Rede vom „Fuß gehenden“ und „Auto fahrenden“, bzw., von „wer zu Fuß geht“ und„wer Auto fährt“.

Mein Sohn wartet auf den Tag, wenn die Krankenschwestern zu Krankenbrüdern werden. Kann auch mal passieren. Und wer weiß? Vielleicht wird er eines Tages Professorin. Sein Vater, die Sprachbloggeurin, wäre dann mächtig stolz auf ihn (auf sie?).

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