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Sieht Ihr Wortschatz alt aus?

Sprachforscher lieben meine Mutter. Wenn sie redet hört man manchmal Redewendungen, die so alt sind wie „Lonesome George“. Sie wissen schon: die Riesenschildkröte, letztes Exemplar seiner Unterart, die jüngst auf den Galápagos zum ewigen Laichplatz zurückgekehrt ist. Die Sprache meiner Mutter ist wirklich museumreif. Doch kein Wunder. Sie ist 95 Jahre alt. Würde ich ihren Namen und Telefonnummer verraten, so würden Scharen von Sprachwissenschaftlern Interesse zeigen, davon bin ich überzeugt, sie zu interviewen.

Wahrscheinlich würden sie sie aber kaum antreffen. Meine Mutter ist selten in ihrem Zimmer. Meistens spielt sie Karten und Bingo oder sie brettert durch die Weltgeschichte mit ihrer Freundin Vera – Vera allerdings am Steuer nicht meine Mutter.

Was sagt sie, das so besonders ist? Hier ein Beispiel. Sie erzählte mir einmal am Telefon, wie ihre Freundin Anni, ein Mensch, der unbedingt und zu jeder Zeit Mittelpunkt sein muss, einen Raum betrat: „She barged in [„hineinstürmte“] like Grant took Richmond.“

Haben Sie das verstanden? Sie ist sozusagen mit der Tür in den Raum gefallen, so forsch wie einst General Grant, als er Richmond einnahm – ein Hinweis auf eine berühmte Schlacht, am Ende des amerikanischen Bürgerkriegs, also im Jahr 1865. So was sagt kaum jemand mehr – außer meine Mutter.

Oder noch ein Beispiel: „I haven’t seen that film since Hector was a pup.” Das heißt: als Hector noch ein Welpen war, d.h., „seit ewig“. Sprachforscher sind uneinig über die Herkunft dieser Redewendung. Manche sehen darin einen Hinweis auf den Hektor des trojanischen Krieges. Anderen zufolge war „Hector“ in den 1920er Jahren in den USA ein sehr verbreiteter Hundename. Ich hingegen bilde mir ein, dass Hector ein Hund aus einer Komik in den 1920er Jahren war. Ich weiß aber nicht, ob das stimmt.

Oder: „Now you’re cooking with gas!“ Dieser heiterer Spruch stammt aus der Zeit, als in der Küche der Holzofen zum alten Eisen geworfen und vom Gasherd ersetzt wurde.

Und ein letztes Beispiel: „That’s the cat’s pajamas.“ Der Schlafanzug der Katze. So drückten junge Amerikaner der 1920er Jahre das aus, was junge Deutsche heute mit “voll geil” wiedergeben.

Warum über den alten Wortschatz meiner alten Mutter erzählen? Weil ich feststelle, dass auch mein Wortschatz – und an dieser Stelle denke ich lediglich an deutsche Vokabeln – allmählich alt wird.

Als ich 1975 in München eintraf, sagten junge Leute – zu denen auch ich zählte – „toll!“, wenn, sie sich über etwas freuten. Ich gebe zu: Dieses Wort ist auch heute lange nicht verschwunden. Aber wer drückt noch seine Begeisterung damit aus? Neulich habe ich in den Nachrichten die grüne Claudia Roth beim Ausführen eines arabischen Tanzes in Libya sehen können. Bestimmt hat sie nach dem Tänzchen „Toll!“ ausgerufen.

Der alter Otto – Jahrgang 1896 – , den ich nach meiner Ankunft in München kennenlernte, pflegte zu sagen, wenn er sein Staunen zum Ausdruck brachte: „Donnerwetter“. „Toll“ hingegen betrachtete er als schlichte Vulgarität.

Und die coolen jungen Leute, mit denen ich damals verkehrte, beschrieben einen Gesamtvorgang oft als „die ganze Chose“. Diese Bekannten meiner Jugend, wenn sie noch leben, sind immer noch von der ganzen Chose erpicht. Da bin ich sicher. Und wer jauchzt noch mit einem freudigen: „Affengeil!“? Ich tippe auf alternde Richter (zumindest während in ihrer Freizeit) und vergraute Lehrer.

Ca. 1983 entdeckte ich, dass junge Deutsche, d.h., Deutsche, die jünger waren als ich, über eine eigene, mir fremde Jugendsprache verfügten. :Die erste Vokabel, die ich aus dieser Jugendsprache bewusst vernahm, war „Ätzend!“ Ich nahm es mir schon damals vor, das Wort nie selbst zu verwenden. Mir kam es zu, zu…jugendlich vor.

So eine Haltung bezeichneten die Deutschen meiner Generation als „konsequent“.

ich meine: Man ist, was man sagt.

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