Sind Sie eine Minderheit?
Ich schon. Ich bin zum Beispiel Linkshänder. Haben Sie gewusst, dass wir Linkshänder diskriminiert werden? Im Ernst. Ob Gemüseschäler ATM-Maschinen, einarmige Banditen, Schraubenzieher…fast alles dreht sich um die Fingerfertigkeit des Rechtshänders.
Ist Ihnen jemals aufgefallen, dass eine Füllfeder…besser gesagt: die Schrift selbst… für Rechtshänder günstiger zu handhaben ist?
Wenn ich einen Füller in die Hand nehme, verschmiere ich fast immer!
Noch schlimmer: Keiner scheint sich für meine schwierige Lage zu interessieren. Wir Linkshänder haben nämlich keine Lobby! Nicht einmal bei den Grünen, die meistens ein Herz für Minderheiten haben!
Ich bin aber kein Jammerer. War nie einer, was vielleicht schade ist. Denn die Jammerer (und viele Minderheiten jammern gern) sehen ihre Gesichter in der Zeitung oder in den Online-Nachrichten und dürfen ergiebig über eine gefühlte Diskriminierung abreagieren. Und dann zack! Es erscheinen lauter Seite-Drei-Artikel über die diskriminierten Jammerer.
Sie sagen: Ich bin eine Minderheit. Ich werde diskriminiert. Ich fühle mich in diesem Land nicht akzeptiert…etc.
Wie gesagt. Ich jammere nicht. Ich will nur darauf aufmerksam machen, dass ich eine Minderheit bin.
Ach ja. Hab ich beinahe vergessen! Ich bin auch Ausländer, was auch eine anerkannte Weise ist, eine Minderheit zu sein. Upps! Hab vergessen. „Ausländer“ sagt man nicht mehr. Ich meine, ich bin Mitbürger mit Migrantenhintergrund. Manche von uns – ich meine Leute mit einem Migrantenhintergrund – jammern gerne, weil sie keine Inländer sind.
Man fühlt sich als Migrantler (bzw. Migrantlerin) diskriminiert, wenn, z.B., einer, der keinen Migrantenhintergrund hat, einen, der doch einen Migrantenhintergrund hat, fragt, woher diese(r) kommt. Prompt fühlt man sich diskriminiert, weil dadurch auf den eigenen Minderheitstatus aufmerksam gemacht worden ist.
Einmal – das war schon lange her – suchte ich nach einer Wohnung. Ich stieß in der Zeitung (damals gab es noch kein Internet) auf eine Annonce, die eine Wohnung, die mich interessiert hätte, inserierte. Also rief ich an (damals gab es auch keine Handys), um mich über die Wohnung näher zu informieren.
Die Dame am anderen Ende der Strippe vernahm sofort, dass ich einen Migrantenhintergrund hatte und sagte: „Es tut mir leid. Ich vermiete nicht an Ausländer.“ (Damals gab es den Begriff „Mitbürger mit Migrantenhintergrund nicht“).
Wissen Sie, was ich antwortete? Ich sagte: „Gute Dame, ich bin kein Ausländer. Ich bin Amerikaner!“
Mei. Das hat ins Mark getroffen. Sie wusste nicht, wie sie antworten sollte. Es dauerte eine Weile, dann sagte sie: „Ach. Oh. Ahh. Ja, mein Schwager lebt in Brooklyn.“ Notabene: Brooklyn ist ein Stadtteil in New York. In New York, liebe Leser, sind auch Sie der Ausländer, will sagen, der „foreigner“. Ich aber nicht.
Notabene: Amerikaner gelten manchmal hier in Deutschland nicht immer als richtige Ausländer. Das kommt daher, dass wir bis Corona die stärkste Macht auf der Welt waren und ehemalige Besatzungsmacht obendrein. Na ja, die Macht kommt, die Macht vergeht. Kluge Amerikaner konnten schon immer die „Amerika-Karte“ spielen, wenn sie in Deutschland Probleme hatten. Dies half allerdings nicht immer. Als ich einmal mein Buch „Wie ich die deutsche Sprache eroberte“ einem angesehenen dt. Verlag zur Publikation angeboten hatte, bekam ich die Antwort von einer Lektorin. „Sie schreiben witzig und schön und obendrein mit Tiefgang. Nur leider sind sie der falsche Ausländer.“
By the way: Eins lassen die „Biodeutschen“ nie aus der Hand – und das gilt auch für die Anhänger**Innen der Willkommenskultur: nämlich die dt. Sprache selbst. Gelingt es einem (bzw. einer) Ausländer(in) die dt. Sprache – in Wort und Schrift – zu „erobern“, ist das für einen „Biodeutschen“ selten eine Freude. „Ja, Sie schreiben ein s c h ö n e s Deutsch!“, heißt es…als hätte der Affe das Reden gelernt (s. Kafka).
Als ich einmal mit meinem Textchef (damals war ich Zeitschriftjournalist) über eine knifflige Formulierung diskutieren wollte, erwiderte er blitzschnell: „Nein, so nicht. Schließlich ist es unsere Sprache, Herr Blumenthal, nicht Ihre.“ Ende der Diskussion.
Und jetzt verstehen Sie ein wenig, wie es ist, liebe Lesende, eine Minderheit zu sein.
In meinem Fall ist das Minderheitsdasein besonders vielfältig, und ich habe bisher nur einige meiner Qualifikationen preisgegeben. Hier aber noch ein Beispiel: In meiner Jugend hatte ich – und nun wird es sehr persönlich – einen Bauchnabel, der sich nach außen erhob wie ein Pfropf. Das nannten wir in New York ein „outie“. Es war nur eine Minderheit von Menschen, die einen solchen Bauchnabel hatten. Mit den Jahren aber bin auch ich zum „innie“ geworden. Es ist einfach so passiert. Keine Ahnung, wie.
Sie können es sich kaum vorstellen, wie schön es ist – zumindest auf einem Gebiet – keine Minderheit mehr zu sein!
Wir schreiben nicht nur anno Coronae I, sondern – falls es Ihnen noch nicht aufgefallen ist – gleichfalls anno sancti Floydii I, weshalb eifrig nun nach Zeichen und Symbolen des Rassismus geahndet wird. Liebgewonnene Denkmäler werden gestürzt, Opfer jeglicher gefühlten Diskriminierung verkaufen ihre traurigen Geschichten an Zeitungen und Verlage, erzählen über YouTube, Twitter etc. etc. Nix ist wie es war.
In diesem Sinne möchten nun die Grünen/Bündnis90 mittels einer Unterschriftsaktion dazu beitragen, das Wort „Rasse“ aus dem Grundgesetz zu streichen. „Es gibt keine Rassen, es gibt nur Menschen“, heißt es auf deren Webseite.
Angesichts dieser Sachlage fühle ich mich nun als Sprachbloggeur verpflichtet, Folgendes zu fragen: Was ist eigentlich eine „Rasse“? Und nun folgt etwas Sprachgeschichte…
Das Wort „Rasse“, so unschuldig wie dieser Text, kursiert durch die europäischen Sprachen mindestens seit dem 15. Jh. im Sinne von „Stamm“, „Nation“ oder „Ethnie“: auf Französisch (race), auf Spanisch (raza), auf Italienisch (razza) usw. Möglich ist, dass das lateinische „radix“ („Wurzel“) oder das arabische „ra’as“ („Kopf“) als Ahnherr dahintersteckt. Egal. Fest steht: Gäbe es diesen Begriff nicht, hätte man es neu erfinden müssen. Alles braucht einen Namen.
Doch nun ein Sprung ins 19. Jh. Und jetzt geht’s los…
Darf ich vorstellen: den französischen Grafen Arthur de Gobineau (1816-1882).
Aus Gründen, die ich im Detail leider vergessen habe, litt der junge Arthur an etwas, was man heute als „Minderwertigkeitskomplex“ bezeichnen würde.
Diese Gemütsstörung Gobineaus wurde offenbar verschärft, weil der dünnhäutige Arthur an die Herkunft seiner Mutter, eine Kréolin – also teils europäische, teils afrikanische Abstammung – litt. Denn sonst floss durch die Adern der Familie väterlicherseits nachweislich über endlose Generationen nur blaublutiges französisches Adelsblut.
Vielleicht deshalb kam dieser mürrische junge Mensch Mitte der 1850er Jahre auf die Idee, sein „Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen“ zu verfassen. Mit „Menschenrassen“ meinte er allerdings nicht das, was Sie denken.
Als „Toprasse“ für Gobineau galt nämlich die „Arier“. Und damit meinte er nicht die Deutschen. Diese betrachtete er als „Mischvolk“ aus Kelten und Slawen und von daher minderwertig. Reine Arier waren, z.B., Skandinavier oder blaublutige Franzosen wie seine Familie (väterlicherseits)! Klar, dass auch Juden zu den Untermenschen zählten.
„Rasse“ für Gobineau hatte wenig mit dem zu tun, was wir heute als „Menschenrassen“ bezeichnen. Seine Rassen waren eigentlich nur die traditionellen Stämme, Nationen und Ethnien der früheren Zeit. Siehe oben.
Gobineaus Buch wurde jedenfalls eifrig gelesen. Dem bekennenden „Rassisten“ Richard Wagner schmeckte die Theorie Gobineaus erwartungsgemäß wenig. Als Antwort darauf verfasste er ein eigenes Werk zum Thema, „Heidenthum und Christenthum“, bei dem die Deutschen eine höhere Wertstellung bekommen durften. Auch der Wagner-Schwiegersohn, Houston Stewart Chamberlain, legte ins Zeug, um eine eigene Rassentheorie – auch auf Ethnien basiert – aus dem Boden zu stampfen.
Und nicht zu vergessen: Wir schreiben hier das 19. Jh., d.h., das Zeitalter von Charles Darwin und vom sog. „social darwinism“, als sich viele Hobbywissenschaftler immer neue Theorien über die Evolution der „Menschenrassen“ zusammendichteten.
Ein Leser dieser Werke war leider der junge österreichische Gefreite Adolf H….
Genau genommen, weiß ich nicht, wer zuerst auf die Idee kam, die Menschheit als Ganzes in „Farben“, also „weiß“, „schwarz“, „gelb“ und „rot“, einzuteilen. Fest steht aber: Dieser neue Gebrauch des Begriffs „Rasse“ sollte den alten ablösen. Klar, dass es sich um eine Simplifizierung handelte. Immerhin: Es fehlte jegliche Wertschätzung! So habe ich’s in der Schule gelernt. Und wenn es dieses Wort nicht gäbe, müssten wir ein neues mit der gleichen Bedeutung erfinden!
(Kurz zu „Rassismus“. Die Endung „-ismus“ bedeutet immer, dass aus etwas – in diesem Fall das Wort „Rasse“ – eine Ideologie gemacht worden wird. Da sind wir aber wieder bei Gobineau, Chamberlain usw.)
Aber nun zurück zum Grundgesetz, wo mit juristischer Spitzfindigkeit jede Kategorie, bei der eine Diskriminierung möglich wäre, fein aufgelistet werden sollte. Insofern ist es logisch, dass auch das Wort „Rasse“ nicht fehlen durfte.
Macht sich das Grundgesetz durch den Gebrauch des Wortes „Rasse“ “ rassistisch“?
Hier nun Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. Nun dürfen Sie selbst ein Urteil über diese Frage fällen:
„Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen odeer politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“
In eigener Sache: Die nächsten paar Woche keine neue Beiträge. Bin auf Geheimmission.
Freund M. schlenderte letzte Woche an einem Modegeschäft irgendwo im Münchner Schwabing vorbei. Nicht ganz vorbei. Denn es stand eine schier endlose Schlange maskierter Menschen, die auf Einlass ins Geschäft warteten. M. wurde neugierig.
Da er weder schüchtern noch auf den Mund gefallen ist, fragte er einen Anstehenden höflich, worum es hier ging.
„Die neuen Sneaker von [Piiiip!! Piiiip!! Notabene: Keine Schleichwerbung beim Sprachbloggeur! Wir bleiben selbstständig und frei!] sind eingetroffen“, antwortete der Befragte, ein Mann, der – so hab ich’s verstanden – zwischen 25 und 30 war.
„Man steht an, um Sneaker zu kaufen? Sind sie so besonders?“ fragte M.
„Es handelt sich um eine limitierte Edition der Firma [Piiip!!]“, erklärte der maskierte Kunde.
„Darf ich fragen, was diese Sneaker kosten?“
„220 Euro.“
„Im Ernst?“
„Klar.“
Am nächsten Tag rief mich M. an: „Du. Ich hätte für dich ein Thema für dein Bloggeur-Dings.“ Dann erzählte er mir obige Geschichte. Nicht nur. Er hatte die Sache noch ausführlicher recherchiert.
„Stell dir vor“, sagte er. „Manche dieser Sneaker können bis über 400 Euro kosten!“
Ich gebe zu. Das habe ich nicht gewusst.
„Nix aber für mich“, setzte er fort. „Ich mag lieber die schlichten Sneaker, weißt du, im klassischen Stil. Diese teuren – du sollst dir die Bilder anschauen – sind so klobig, so als würdest du die Schuhkartons anziehen. Potthässlich, wenn du mich fragst.“
„Ich besitze keine Sneaker“, antwortete ich. „Und du?“
„Nein, eigentlich nicht. Aber es wäre ein tolles Geschäft. Vor allem zu Corona-Zeit. Zum Beispiel für arbeitslos gewordene Künstler und Hoteliers…“
„…Du meinst: Sie könnten Sneaker verkaufen?“
„Ich sehe. Du verstehst von der Sache nichts. Man kann da Millionen verdienen. Schau, ich habe gelesen, dass die meisten Sneaker in Asien hergestellt werden…aber dann…dann werden sie nach Asien re-importiert und als europäische Modeartikel nochmals verkauft! Und dazu noch teurer! Ich sage Dir…Millionen könnte man verdienen! Außerdem kann man Sneaker nicht nur anziehen oder verkaufen. Man kann sie auch sammeln!“
„Wie sammeln?“
„Ja, du kaufst dir verschiedene Sorten, und bald kannst du ein Museum öffnen. Ich schwöre: Die Leute würden Geld ausgeben noch und nöcher, bloß um seltene Auflagen zu begaffen.“
„Was ist, wenn die Leute dann das Interesse verlieren? In den USA vor 30 Jahren gab es diese mit Linsen oder so was gefüllten Kleintiere – sie hießen ‚Beanie Babies‘ und waren damals der letzte Schrei. Manche wurden nur in kleinen Zahlen produziert und erzielten Preise von über tausend Dollar (heute wären das zweitausend oder noch mehr). Und dann eines Tages: Paff! Der Zauber war weg. Die zu produzieren, kostete übrigens nur ein paar Cents; und plötzlich hatten sie wieder einen Wert von nur ein paar Cents. Könnte auch mit Sneakern passieren…“
„Mag sein, deswegen jetzt einsteigen und schnell wiederverkaufen“, sagte M. „Sonst könnte es werden wie die Tulpenmanie in den Niederlanden im 17. Jh..“
„Eben…“
„Oder vielleicht doch nicht…“
Liebe Sneaker-Fans. Ich werde dieses Gespräch jetzt abbrechen. Das Wichtigste wurde ohnehin schon gesagt, und bisher hatte all dies nix mit Sprache zu tun. Diesen Missstand werde ich nun richten. Schließlich bin ich ein Sprachbloggeur.
Fakt ist: Während des ganzen Gesprächs rebellierte mein englischsprachiges Ohr gegen das Wort „Sneaker“ im Sinne von ein Paar „Turnschuhe“.
Denn für mich klingt das Wort „Sneaker“ wie die Hälfte eines Paars“. Sneaker“ ist auf Englisch ein Singular. Nur auf Deutsch wird es als Mehrzahl gebraucht, was in Ordnung ist – im Deutschen. Man sagt: „ein Läufer“ und „zwei Läufer“. Nein, das ist kein gutes Beispiel. Heute hieße es zwei „LäuferInnen“. Bei „Räuber“ wirkt das Beispiel besser: „ein Räuber“, „zwei Räuber“. Für mein Ohr aber muss dieses Schuhwerk – wie auf Englisch – in der Mehrzahl „die Sneakers“ heißen. Sonst fehlt etwas Sinngebendes: wie eine Butterbreze ohne die Butter.
Nebenbei: Ich weiß nicht, warum diese Fußbedeckung „Sneaker“ (bzw. „Sneakers“) heißen. Denn „to sneak“ bedeutet auf Englisch „schleichen“. Mit Sneakern schleicht man aber nicht – erst recht nicht, wenn sie so klobig sind. In meiner Kindheit sagte man, dass du mit Sneakers schneller rennen könntest als mit normalen Schuhen, was wahrscheinlich auch gestimmt hat. Lederschuhe waren nämlich viel schwerer als Sneakers. Nebenbei: Können Sie sich erinnern, als die Sneaker in Deutschland „Sportschuhe“ und „Turnschuhe“ hießen?
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich habe nix gegen die neue Mode. Was ich hier schreibe, ist eigentlich nur ein Plädoyer für den Gebrauch des Wortes „Sneakers“ auch in der dt. Sprache. Ist das zu viel verlangt? Ich hoffe, ich habe Sie beeinflusst.
Verdammt! Alles für die Katz! Am Schreibtisch wollte ich endlich für Ordnung sorgen, aber am Schluss nur neues Chaos!
Zur Sache: Ich habe vor etlichen Tagen einen kurzen Artikel über Kim Kardashian (nein, mit Kim Jong Un nicht verwandt) aus der Zeitung ausgeschnitten. Doch jetzt find ich ihn in der neuen Schreibtischordnung nicht mehr!
Eins steht fest: Er war aus einem deutschen Tagesblatt, und KK wurde als „Reality-Star“ etikettiert. Was sonst im Text stand, hat mich eigentlich nicht besonders interessiert. Lediglich der Begriff „Reality-Star“. Und daher nun folgende Frage: Was ist ein „Reality-Star“? Ein „Wirklichkeitsstern“?
„Star“ besitzt, wie jeder weiß, längst den dt. Pass (anders als ich) und wird gendergerechterweise für Menschen beider Geschlechter verwendet (von daher gibt es keine „StarInnen“) und weist üblicherweise auf Menschen aus der Unterhaltungsindustrie hin, die es bis nach ganz oben geschafft haben, die ja leuchten! Die dt. Sprache hat sogar mittlerweile in eigener Produktion ein Pendant zum Original, die Vokabel „Sternchen“, aus dem Boden gestampft, um – zugegeben abschätzig – jene Unterhaltungspersonen zu kennzeichnen, die schlussendlich als Sternschuppen runterpurzeln. „Starlets“ heißen sie auf Englisch. Auch das mittlerweile mit dt. Aufenthaltstitel.
So weit so gut. Ab jetzt aber wird’s philosophisch. Denn ich möchte wissen, ob das Wort „Reality“ im Begriff „Reality-Star“ irgendwie mit dem Konzept „Realität“ bzw. „Wirklichkeit“ verwandt ist.
Hoffentlich wird das, was nun folgt, Sie nicht ganz erschrecken. Denn ich werde an dieser Stelle den ersten Satz aus einem Traktat des österreichischen Philosophen Ludwig Wittgenstein zitieren. Sein Buch „Über Gewissheit“ fängt nämlich folgendermaßen an: „Wenn du weißt, dass hier eine Hand ist, so geben wir dir alles übrige zu.“
Wittgenstein untersucht in seinem Buch den Begriff „Gewissheit“. Seine Aufforderung an ein unbestimmtes „Du“ lautet also: Dieser möge die Gegenwärtigkeit (sprich „Realität“) einer Hand nachweisen. Falls dieses „Du“ dies könne, so sei dann auch Wittgenstein bereit, die Gegenwärtigkeit alles Sonstigen zuzugestehen.
Alles klar?
Und jetzt zurück zur Berufsbezeichnung von Kim Kardashian: „Reality-Star“.
Soll man darunter verstehen, dass diese Dame besonders befestigt in der Wirklichkeit ist, so dass man sie praktisch als himmlische Leuchte erachten müsse? Wäre ja schön.
Da ich aber leider zu wenig über KK weiß, außer dass in Fotos oft ihre üppige Brustweite zur Schau gestellt wird, kann ich über sie persönlich nur wenig berichten, was aber ohnehin nicht so wichtig ist. Denn es geht hier lediglich um besagte Berufsbezeichnung und ihren Bezug zum Begriff der Realität.
Eigentlich keine einfache Sache, denn das mit der Realität kann wirklich kniffelig sein. Weshalb wir es nicht einmal als komisch empfinden, wenn einer wie Wittgenstein vorsichtig wird, eine Hand als Hand hinzunehmen.
Der einfachste Beweis dafür, ob eine Hand eine Hand ist, wäre freilich, denjenigen, der nach der Wirklichkeit seiner Hand fragt, bei der Hand zu packen und dann einfach kräftig reinzubeißen.
Wäre eine Lösung.
Und würde jemand KK (oder einen anderen Reality-Star) in die Hand beißen, wüssten wir auch sicherlich etwas mehr die Wirklichkeit.
Auch das ein Schritt näher an die Wirklichkeit.
Und jetzt sind Sie bestens gewappnet, ein eigenes Urteil über die Wirklichkeit und die Wirklichkeit als Show zu fällen. Und all dies nur deshalb, weil ich am Schreibtisch für Ordnung sorgen wollte.
Themenwechsel: Während wir auf die zweite Welle warten, lassen wir uns kurz pausieren und uns lieber anderen Dingen zuwenden. Okay?
Zum Beispiel das Gedankenlesen.
Nein. Hier kein Text über Kunststücke aus dem Varieté, wo der Swami genau errät, welche Spielkarte Sie gerade gezogen haben, indem er diese aus Ihren Gedanken abliest. Das kennen Sie, oder?
Oder vielleicht haben Sie‘s mal selbst erlebt: Sie sind mit einer anderen Person oder mit der Ehe- bzw. Lebensabschnittsperson zusammen. Keiner redet in dem Augenblick, aber plötzlich denken Sie an die leckere Pizza, die Sie letzte Woche beim Abholitaliener vertilgt haben.
Auf einmal sagt Ihr Gegenüber: „Mmm, ich esse Pizza für mein Leben gern.“
Nun die Frage: Hat die andere Person übers Thema Pizza zuerst gedacht, woraufhin Sie, sozusagen, deren Gedanken wie ein Rundfunkgerät empfangen haben? Oder hat die andere Person schlichtweg Ihren Gedanken abgelesen?
Ganz ehrlich: Die Antwort auf diese Frage ist sehr schwer zu ermitteln.
Ich erinnere mich an ein Buch. Es wurde, glaub ich, in den 1960er Jahren geschrieben. Leider habe ich den Titel vergessen. Es handelte von der Parapsychologie, was damals sehr modisch war. Auch das Gedankenlesen wurde im Buch thematisieret. Ist logisch. Damals herrschte noch kalter Krieg, und die Geheimdienste waren allesamt scharf darauf, sich diese parapsychologische Fähigkeit zu bemächtigen. Immerhin: Die Gedanken anderer zu lesen hätte gewisse Vorteile, vor allem in der Spionage. Doch auch – als es noch keine Phones und keine Mails gegeben hat – als Mittel, um wichtige Nachrichten schnellstmöglich auf den Weg zu verschicken.
Wenn ich mich noch entsinne, stand in diesem Buch eine Menge über die Recherchen sowjetischer Wissenschaftler auf diesem Gebiet. Eine hellseherische russische Frau spielte hier der Mittelpunkt der Forschung. Ich glaube aber, dass mit ihr etwas nicht in Ordnung war. Leider vergesse ich, was genau das Haar in der Suppe war. Vielleicht war sie Trinkerin. Ich kann es beileibe nicht mehr rekonstruieren.
Aber wieso komme ich auf dieses Thema? Weil ich gerade in der Schweizer Weltwoche einen Text über einen Sprachwissenschaftler namens Balthasar Bickel von der Uni Zürich gelesen habe. Er führt nämlich Recherchen über ein Thema, dass er „Evolving Language“ nennt. Will sagen: Sein Institut untersucht das Phänomen des Gedankenlesens.
Diesem Prof. Bickel zufolge wird man in den nächsten zehn Jahren – zumindest im Labor – in der Lage sein, das zu verstehen, was eine Versuchsperson denkt. Man müsse lediglich, um dies zu bewerkstelligen, ein paar Elektroden ans Hirn anbringen.
Hier gebe es allerdings einen Haken – zumindest beim jetzigen Stand der Dinge: Will man einem die Gedanken mittels Elektroden hervorlocken, muss zuerst der Schädeldeckel abgetrennt werden. Das ist zum Glück beim heutigen Stand der Medizin ein Klacks! Kann jeder Medizinstudent schon im 3. Semester. Die Frage ist nur: Wie viele Testpersonen wären bereit, den eigenen Schädeldeckel lüften zu lassen, damit ein Halbgott in weißem Kittel seine Gedanken abzulesen vermag? Zweifelsohne gibt es welche, so wie es auch Leute gibt, die deklarieren, dass Bill Gates das Coronavirus aus dem Boden gestampft hat.
Zum Glück aber ist Bickel zuversichtlich, dass man bald in der Lage sein wird, die Gedanken anderer zu deuten, auch ohne Hilfe einer Kreissäge.
Vielleicht fragen Sie, was dieses Forschungsgebiet für einen Sinn hat? Und jetzt das Positive: Bickel hofft, z.B., dass durch diese Technologie eines Tages Menschen, die ihr Sprachvermögen durch einen Schlaganfall usw. verloren haben, verholfen werden könnten. Einen „Quantensprung in der Kommunikation, der evolutionär von größter Bedeutung ist“, meint er.
Sicherlich hätte auch das Zhōnghuá Rénmín Gònghéguó Guójiā Ānquánbù (chin. Geheimdienst) auch erhebliches Interesse an diese Technologie. Ebenfalls die Kollegen aus anderen Ländern.
Aber jetzt werde ich vielleicht zu spekulativ.
Ich hätte freilich als Sprachbloggeur ein paar ganz andere Fragen zum Thema. Etwa: Werden Gedanken als Sprache gesendet? Kommen sie als Worte an? Oder haben Gedanken eine eigene „Sprache“, die nichts mit Chinesisch, Deutsch, Englisch usw. zu tun hat?
Und was ist, wenn der Gedankensender eine andre Sprache redet als der Gedankenempfänger? Versteht der Empfänger die Botschaft dennoch? Oder unterscheiden sich die Gedankengrammatik und vielleicht der Gedankenwortschatz von Sprache zu Sprache?
Schon jetzt wird’s knifflig…und das gleich am Anfang unserer Gedankenspielerei…
Endlich Klarheit! Erst gestern hab ich in der Münchener Abendzeitung erfahren, wie gefährlich Sprache sein kann – besonders in anno Coronae I, also im ersten Jahr unseres neuen Zeitalters.
Es sind, so hieß es, vor allem die Zisch- und die Reibelaute (z.B.: sss, sch, fff, wwww usw.), die zu einem Schicksal bis zum Intubieren und zum noch Ärgeren führen könne.
Nur als Beispiel: Sprechen Sie den folgenden Satz langsam und deutlich vor einem trockenen Spiegel aus. Sie werden die heimtückische Wirkung Ihres verbalen Kommunikationsorgans auf frischer Tat ertappen: „Ach du freches Scheusal!“
Zwei Phänomena werden beim Gutachten des Spiegels auffallen: 1.) Besagter Spiegel wird wegen des Sprechakts anlaufen, was zweifelsfrei beweist, dass, gesetzt den Fall, Sie wären mit dem Coronavirus infiziert (Gott behüte!), so würden sie Schicksalskameradinnen schnell gewinnen und 2.) Auf der Spiegeloberfläche werden Sie Spuckspuren feststellen.
Kein Witz! Seit mehreren Wochen gibt mein Flötenlehrer – notgedrungen – Musikunterricht via Skype (hier übrigens keine Software-Schleichwerbung). Manchmal sitzt mein Lehrer mehrere Stunden vorm Bildschirm seines Laptops. Am Ende des Tages – so hat er es mir geschildert – muss er eine Schicht Spuckreste vom Display wischen wie Mücken von der Windschutzscheibe.
Nun, stellen Sie sich vor, wie es wohl sein muss, wenn man mit anderen im Gespräch ist – auch beim passenden Abstand. Logisch! Man wird vom Gegenüber ständig angehaucht bzw. angespuckt! So intim sind die zwischenmenschlichen Beziehungen, liebe Mitexistierende.
Hat der (oder die) andere jene verruchten Viren in petto, dann gute Nacht. Denn prompt entsteht die Möglichkeit einer Infektion!
Noch schlimmer ist laut der Abendzeitung das Lachen! Auf die Wirkung des Singens brauche ich gar nicht einzugehen.
Fest steht: Der Mund war schon immer die Erzschleuder der Menschengeschichte – für Gut und für Übel. Alles, was einem Mund entflieht, wird einen weiten Weg zurücklegen – egal, ob Lob oder üble Nachrede…oder Mikroben!
Hier ein Beispiel aus Amerika: Ein Freund wartete in seinem Wagen an der Ampel. Im Wagen vor ihm rauchte einer. Passiert oft. Ist eigentlich normal. Doch kaum erreichte der Zigarettenrauch Nase und Mund meines Freunds, erwägte er: Was ist, wenn der Raucher Corona-positiv ist? Oder noch schlimmer, eine jener Superschleuder? Zwar befand er sich vielleicht sieben oder acht Meter von besagtem Raucher entfernt, man kann es aber nie wissen.
Am übernächsten Tag ging es meinem Freund plötzlich schlecht und am Tag danach noch elender…so verliefen die nächsten drei oder vier Tage. Beinahe wollte er sein Testament schreiben. Allerdings: Er hatte weder Fieber noch Halsweh. Am fünften Tag war aber alles wieder gut. Man weiß es nie. Und in den USA kann das Testen ein teurer Spaß sein.
Oder noch ein Beispiel: Die Studenten in der Wohnung quergegenüber von mir verbringen viel Zeit auf dem Balkon. Manchmal sitze auch ich auf dem Balkon, Es liegen etwa zwölf Meter zwischen uns. An manchen Tagen schwebt der Marihuana-Rauch dennoch rüber zu mir. Ganz ehrlich: Mag ich den Geruch nicht. Es erinnert mich zu sehr an Stinktier, aber live and let live, gell?. Soll ich durch den Hof schreien: He! Bitte raucht eure Joints drinnen? Aber was wäre, wenn diese netten Kiffer virenpositiv wären? Was denn? Schließlich vermag ich den Rauch nur deshalb zu riechen, weil eine kräftige Lunge ihn in meine Richtung hingepustet hat!
Sprache hingegen riecht man nicht, aber sprechen tun fast alle – auch meine kiffenden Nachbarn – und gewiss mit vielen Zisch- und Reibelauten, wie es halt ist, wenn man sich in einer Sprache wie Deutsch unterhält. Bekomme auch ich vielleicht von ihrem Gespräch etwas ab (nicht mit!)? Ohne es zu riechen?
Die Sache ist äußerst heikel!
Meine Überlegung: Gibt es vielleicht eine sichere Sprache? D.h.: eine, die nicht so leicht infiziert wie etwa das Deutsch?
Natürlich denke ich spontan an meine englische Muttersprache. Doch – laut einem Experten (in der AZ zitiert) – ist das Englische eine besonders ansteckende Sprache. Das Wort „thunderstorm“ , z.B., könne ganze Legionen flachlegen.
Mit den slavischen Sprachen ginge es auch nicht. Denn da wird heftig gezischt. Auch Ungarisch geht auch nicht. Schade Und erst recht kein Französisch (Beispiel „Tour Eiffel“) oder Italienisch („paparazzi“).
Doch dann ist mir das Hawaiianisch eingefallen! Immerhin: Diese polynesische Sprache verfügt über sehr wenige Konsonanten und sehr viele Vokalen. Denken Sie an „aloha“ oder „Honolulu“ oder „kela a me keia“ (=“jeder“). Diese Hawaiianer hatten sogar mal eine Königin namens Liliuokalani!
Um die Welt so weit wie möglich coronafrei zu halten, würde es sich vielleicht lohnen, wenn wir alle Hawaiianisch redeten. Das wäre mein Vorschlag.
Ich hoffe, dass ich Sie mit diesem Text ein bisschen aufgeklärt habe. Wie jeder (kela a me keia) weiß (oder wissen soll): Das Reden war schon immer gefährlich aber das Schweigen noch gefährlicher!
Hallo, Gott hier. Nein, ihr Fanatiker! Nicht gleich den Sprachbloggeur der Gotteslästerung bezichtigen. Er hat momentan genug auf dem Buckel.
Ich sollte mich vielleicht deutlicher ausdrücken. Eigentlich bin ich nicht das, was ihr üblicherweise unter „Gott“ versteht. Ich bin hier lediglich eine Stimme. Noch nie vom brennenden Busch gehört? Wahrscheinlich nicht. Wer ist denn heute noch bibelfest? Und welcher Verlag käme heute auf die Idee, die Bibel zu veröffentlichen, wenn es ganz frisch wäre, ohne es an manchen Teilen zu kürzen und an anderen Teilen ein bisschen mehr Liebesgeschichte, scharfe Szenen, PC usw. einbauen zu wollen.
Aber egal. Ich bat den Sprachbloggeur darum, mir heute seine Glosse zu überlassen, und zwar aus einem ganz bestimmten Grund:
Ich höre nämlich allerorts, dass manche von Euch, mir eure Corona-Pandemie in die Schuhe zu schieben versuchen. Großer Geist! …als hätte ich nix Besseres zu tun!
Zum Beispiel: In Mexiko hat es neulich gehagelt. Und siehe! Einer stellte fest, dass manche Hagelkörner Zacken hatten, so dass sie Coronaviren ähnelten. Oho! Ein Zeichen von Gott, hieß es!
Im Ernst!
Manche sind sogar überzeugt, sie seien vorm Virus geschützt, wenn sie in ihren Gotteshäusern ihre Gottesdienste feiern. Und noch schlimmer: dass sie erst recht infiziert werden, wenn sie nicht in ihre Gotteshäuser gehen!
Wieso denken sie das? Glaubt mir: Ich habe mit der Sache nichts zu tun.
Ja, und dann gibt es solche, die behaupten, dass ich durch diese Pandemie die sündige Menschheit bestrafe! Gute Nacht! Leider habe ich den Grund für diese „verdiente“ Strafe vergessen.
Wahrscheinlich etwas mit Sex. Dieses Thema spielt eine besonders große Rolle bei euch. Wieso, weiß ich nicht. Als würde es mich interessieren, was ihr miteinander treibt. Das ist eure Sache, und wenn ihr in die Bredouille geratet, na bitte. So lernt man halt, was funktioniert und was nicht funktioniert. Learning by doing, gell?
Habt ihr eine Ahnung, wie schwierig es wäre, Gott nach euren Vorstellungen zu sein! Irgendwie haltet ihr mich für den Weihnachtsmann, als müsste ich jedem sein Gewissen ausspionieren. Bin ich vielleicht ein Superüberwachungscomputer?
Mein Vorschlag: Ihr sollt lieber über euch selbst wachen. Viel effizienter wäre das – und ergebnisvoller.
Schließlich bin ich sehr beschäftigt. Weshalb ich diesen Gastbeitrag beim Sprachbloggeur sehr kurz halte.
Außerdem geht mir eure Sprache schwer über die Lippen. Ganz ehrlich: Ich habe keine Ahnung, wie ihr es schafft, diese tückischen Laute zu verwenden, um miteinander zu kommunizieren.
Wo ich herkomme, drückt man alles viel knapper – und genauer – aus. Keiner käme auf die Idee, so ein umständliches System zu gebrauchen wie eure Sprachen verlangen.
Zum Beispiel: Alles was ihr bisher in diesem Text gelesen habt, hätte ich in der Sprache, die ich üblicherweise benutze, in dem Zwinkern eines Zwinkerns mitteilen können. Und es wäre sofort druckreif gewesen! Könntet ihr euch so etwas vorstellen?
Aber egal. Ich habe diese Gelegenheit, mit euch zu reden nicht deshalb in Anspruch genommen, um über meine oder eure Sprache zu erzählen. Ich wollte lediglich eins für allemal klar machen, dass ich nichts mit eurer Pandemie zu tun haben. So etwas schafft ihr ganz allein und ohne mich.
Und jetzt, dass ihr all dies wisst, würde ich empfehlen, dass ihr nun das Problem der Pandemie nicht als Problem betrachtet, sondern als Chance. Ja, als Chance. Mehr verrate ich nicht.
Gott segne euch.
„Komm, Süßes, sag den Leuten, hallo.“
„Nein!!“
„O bitte. Alle möchten Dich kennenlernen. Schließlich bist Du kein Niemand. Wolltest Du ein Buch schreiben, würden die Verleger Schlange stehen – natürlich mit „Social Distancing“. Im Fressrausch würden sie sich gegenseitig überbieten, würden sogar Schulden machen, um die riesige erste Auflage durch die Druckmaschine zu jagen, würden Dir Versprechen machen, dich schmeicheln und ins vornehmste Restaurant einladen (falls das endlich möglich wäre). Also komm. Sei nicht so schüchtern.“
„Nein!! Ich habe Angst. Ich weiß…alle hassen mich! Sie möchten mich…TÖÖ-ten!! Das will ich nicht! Nein! Nein! Nein! Nein!“
Ja, liebe Lesende, Sie haben es erraten. Heute haben Sie – exklusiv beim Sprachbloggeur –Gelegenheit, einem Interview mit dem momentan bekanntesten Wesen auf diesem Planeten zu lauschen…einem Interview mit dem…Corona Virus selbst! Fangen wir gleich an:
SB: Corona…ich darf dich „Corona“ nennen, oder?
C: Nein! Ich hasse den Namen!
SB: Erzähl: Was magst du an dem Namen nicht? Es ist, wenn du mich fragst, ein schöner Name… edel sogar!
C: Nein! Ekelhaft!
SB: Dann schuldest du uns wenigstens eine Erklärung, wenn du meinst, der Name würde dir nicht gefallen. Schließlich ist dein Name vornehmstes Latein. Auf Deutsch würdest du „Krone“ heißen – das klingt nicht halb so schön wie „Corona“.
C: Ich bin doch keine Krone! Ich bin doch keine Krone!
SB: Wie bitte? Was bist du denn sonst?
C: Ich bin ein Knautschball, du Idiot! Siehst du das nicht?
SB: Hmm, jetzt dass du das sagst, leuchtet‘s mir ein!
C: Kronen sind keine Bälle, du Hohlkopf. Sie sind kranzförmig mit Zacken. Oder habe ich etwa unrecht…hmm?
SB: Schon gut. Soll ich dich dann lieber „Knautschball“ nennen? He! Nicht so nah! Reg dich ab! Social Distancing bitte! Verstanden?!
C: Pardon. Das passiert immer, wenn ich aufgeregt werde.
SB: Also, soll ich zu dir „Knautschball“ sagen?
C: Nein! Ich mag lieber das englische Wort. Du darfst mich „Squeezy Ball“ nennen.
SB: Wieso hast du keinen chinesischen Namen?
C: He! Machst du etwa Witze? Und auf meine Kosten? Weißt du, wie man das chinesische Wort für „squeezy ball“ ins Deutsch übersetzt?
SB: Nein, das weiß ich nicht.
C: „Wutball“! Ja, jetzt hast du‘s richtig verstanden. Soll ich mich „Wutball“ nennen?! Hmm?!!
SB: Ich verstehe. „Squeezy Ball“ klingt doch irgendwie…sympathischer. Würdest du „Wutball“ heißen, so hätte man das alte nomen-est-omen-Problem…
C: So ist es. Und alles wäre dann v i e l schlimmer! Sehr viel schlimmer denn jetzt. Ohnehin hab ich manchmal Probleme, mich, wie soll ich’s sagen? äähmm…unter Kontrolle zu halten. Weißt du warum?
SB: Nein, erzähl…
C: Weil ich keinen Sinn für Humor habe! Ich nehme alles…ja, ALLES…sehr ernst.
SB: Und die Menschen nehmen dich sehr ernst, lieber Squeezy Ball.
C: Nein!! Eben nicht!!! Manche behaupten, ich existiere gar nicht!! Aber ich existiere doch! Doch! Doch! Auch, wenn man mich nicht sehen kann!! Auch, wenn ich…so…KLEIN…bin.
SB: Verstehe. Noch eine wichtige Frage, die meine Lesenden sicherlich interessieren wird: Woher kommst du?
C: Wie bitte? Vielleicht willst du mir sagen, woher du kommst?
SB: Ich bin aus der Bronx, in New York. Und du? Kommst du vielleicht aus einem Labor in Wuhan? Oder hat dich Bill Gates erschaffen? Oder die Israelis?
C: Du redest wie ein Babbelkopp!! Ich weiß nicht einmal, was ein Wuhan oder ein Bill Gates oder ein Israelis sind. Ich bin nur da! Verstehst du? Und ich liebe die Nähe zu Menschen und zu Schleimhaut…mmmmm!.... und ich hasse dein „Social Distancing“. Du stellst Fragen wie ein Dummkopf. Ich sehe schon. Du willst mich nur ausnutzen, um dich selbst zu profilieren oder um andre zu unterhalten! So schnell wirst du mich ja nicht verharmlosen, Herr Sprachbloggeur. Keine Fragen mehr. Sonst…kriege ich…einen…einen…einen…Wut!!!
SB: Danke fürs Interview, lieber Squeezy Ball.
„Das darf ja nicht wahr sein!“
„Was, Schatz?“
„Ich…ich…ich meine…wir…Kannst du dich erinnern, dass ich damals das Eurolottoabo gekauft habe?“
„Ja, ist aber schon lange her, und dann hast du dich hinterher maßlos geärgert, weil du gemeint hast, keiner gewinnt das Eurolotto, was doch zu stimmen scheint…“
„Ja, eben…aber…aber…wir…wir…haben…GEWONNEN!!!“
„Wir?! Gewonnen!!? Das darf nicht wahr sein!! Bärli! Wie viel?!!“
„NEUNZIG Millionen!!“
„Omeingott!! Neun…zig MilliONen!!!“
Schnitt! Liebe Lesende. Hier müssen wir leider diese erfreuliche Szene aus‘m Leben von Familie M. in der Stadt L. unterbrechen. Denn jetzt muss ich unerfreulicherweise mitteilen, dass die große Freude des Ehepaars M. – situationsbedingt – s e h r kurzlebig sein wird. Obiges Ereignis spielt nämlich nicht an irgendeinem beliebigen Kalendertag im Leben von Familie M., sondern ausgerechnet in anno Coronae IV. Notabene: Momentan leben wir in anno Coronae I.
Vergessen Sie alles, was Sie über die Welt wissen. In anno Coronae IV ist alles ganz anders.
Doch zuerst die gute Nachricht: Die Leute fallen nach der dritten Welle der Seuche nicht mehr tot auf der Straße um. Das haben wir dank der Herdenimmunität und der Impfung schon hinter uns. Darüber hinaus: Die Maskenpflicht wurde längst wieder abgeschafft. Man darf auf der Straße und in den Geschäften (in denjenigen, die noch übrig sind) wieder Gesicht zeigen! Endlich! Wenn es nur nicht für die „Banden“ wäre. So werden sie jedenfalls von manchen genannt.
Man sieht sie aber kaum. Sie sind aber da, auch wenn man nicht mehr versteht, wofür sie stehen oder wogegen sie sind. Bezeichnungen wie „links“ und „rechts“ sind inzwischen t o t a l passé. Diese Banden sorgen lediglich für Chaos. Sie protestieren, aber nicht so, dass man sie in flagranti erwischen könnte, sondern stets heimtückisch…wenn ja nicht schlimmer! Ja, sie zünden auch Bomben, manchmal mit tödlicher Wirkung. Alles irgendwie ohne Hand und Fuß. Überall verunstalten sie Häuser und Lichtmasten mit Klebern, auf denen nur das Wort „jetzt!“ oder manchmal „now!“ steht. Keiner weiß, was diese Botschaft für eine Bewandtnis hat. Diese Leute geben keine Ruh.
Im Gegenteil. Sie sorgen nur für UNruhe, für Unsicherheit. Kaum glaubt man, sie seien verschwunden, greifen sie wieder an.
Bisweilen sind die Angriffe sogar lustig anarchistisch. Zum Beispiel damals, als sie die Weißwurstbombe am Münchner Marienplatz sprengten, und es regnete Weißwurststücke und süßer Senf auf Passanten. Junge Leute insbesondere fanden die Sache zum Schreien komisch.
Keine Gruppe hat bisher die Verantwortung für irgendeine Sabotage übernommen. Inzwischen hat diese unsichtbare Bewegung dank der Medien einen prägnanten Namen bekommen: „Der Terror“. „Der Terror“ hat sich übrigens nicht nur in Deutschland ausgebreitet, sondern durch ganz Europa – auch in Russland, China, den USA etc. Es handelt sich offenbar um ein globales Phänomen, eine weltweite…Verschwörung?? Ist das das richtige Wort? Verschwörung? Manche meinen, geheime, okkulte Kräfte stecken dahinter. Manche sagen, es sind Außerirdische!!
Ich habe keine Ahnung. Und ich habe keine Ahnung, wer eine Ahnung haben könnte.
Fest steht nur: Die Graffiti auf den Straßen, die Sabotage, das Chaos verunstalten und verrohen die Städte zusehends.
Man hätte gedacht, dass es, seitdem es eine griffige Impfung gegen das Virus gibt, mit dem Chaos endgültig vorbei wäre. Dem ist aber nicht so. Nach dem Chaos mit dem unsichtbaren Virus, nun das Virus des unsichtbaren Chaos.
Aber zurück zu Familie M. und ihrem sagenhaften Lottogewinn.
Die Frage lautet: Was macht man heutzutage mit 90 mio Euro? Urlaub machen? Aber woher! Wer traut sich, in ein Flugzeug zu steigen – wenn man überhaupt eins findet! Denn in letzter Zeit werden Flugzeugnavigationssysteme immer häufiger gehackt, was entweder für unbotmäßiges Chaos oder für einen waschechten Absturz mit vielen Toten sorgt. Schönes Auto kaufen? Hmm. Wer weiß, ob es alsbald abgefackelt wird? Passiert ständig – auch die Elektroautos.
Familie M. ist natürlich bestens über all dies informiert. Sie wird ihr neues Vermögen nur mit Vorsicht genießen…
Vielleicht geht Der Terror aber vorbei?? Ist zu hoffen. Die Frage ist nur: wann?
(Notabene: Es geht vorbei…aber das ist eine andere Geschichte…)
Lieber Elon,
ich darf Sie Elon nennen, oder? „Mr. Musk“ klingt so förmlich, und in meiner Situation, hungere ich beinahe verzweifelt nach der Informalität. Der letzte Überlebende auf der Mars Mission zu sein, mutet für manche vielleicht wie eine Ehre oder Glücksfall an. Doch um die Wahrheit zu sagen, beneide ich meine Mitreisenden, deren sterbliche Reste ich leider noch nicht unter die Erde…ich meine unter den Boden…hab bringen können. Sie liegen alle miteinander…da draußen.
Womöglich aber brauche ich sie nicht zu…be-„erd“-igen (sprich begraben). Seitdem wir auf die „Squeakies“ stießen, änderte sich unsere (inzwischen nur meine) Perspektive erheblich, was die Möglichkeit von Lebensformen auf dem Mars betrifft. Ja, waschechte Urviecher auf dem Mars, auch wenn diese Squeakies irgendwie eklig klein und schleimig sind. Wie sie diese Quietschtöne von sich geben, konnten wir leider nicht eruieren. Aber der Name „Squeakie“ ist geblieben.
Ich glaube, es war Pamela, die sie so taufte. Sie war leider auch die erste im Team, die gestorben ist. Wer hätte ahnen können, dass sie Corona positiv war und dass sie das Virus so lang hätte inkubieren können (vielleicht wegen der Schwerelosigkeit im Raumschiff?). Und dann zack! Trotz unseres jugendlichen Alters sind alle miteinander krank geworden und – ausgenommen ich – daran gestorben. Beatmungsgeräte findet man leider schwer auf dem Mars. Und wer wäre auf die Idee gekommen, so etwas mitzunehmen! Eine nach der anderen haben wir die Leichen in die sehr eisige Mars-„Luft“ gesetzt…bis nur ich allein übrig blieb. Immerhin: Da ich die Krankheit überwunden habe, bin jetzt immun! Oder vielleicht nur für ein Jahr? Irgendwie habe ich unter Herdenimmunität etwas anders verstanden. Na ja, so ist das Leben. Stets wird man von der Wirklichkeit überholt, nicht wahr!?
Übrigens: Seit ein paar Tagen schnuffeln die Squeakies da herum, wo die Leichen liegen. Bin gespannt, ob sie auf den Geschmack kommen, tiefgefrorenes Menschfleisch zu schnabulieren. Kann man nie wissen.
Sonst hab ich nichts zu meckern. Zu essen hab ich reichlich und ebenfalls zu tun. Einmal die Woche habe ich sogar Gitarrenunterricht über Interskype. Mein Lehrer, Walter, ist sehr geduldig, und ich lerne stets etwas Neues dazu. Trotzdem ein komisches Gefühl, wenn du jemanden siehst und beinahe seine Nähe verspürst, bis es klar wird, dass es keine wirkliche Nähe ist bloß ein Bild auf einem Display.
Trotzdem schneiden wir beide unsere Witze und – zum Glück – habe ich genügend Ersatzsaiten, falls etwas kaputt geht. Es ist dennoch etwas frustrierend, dass wir Duetten nicht spielen können. Das hat aber mit der Zeitversetzung zwischen der Erde und dem Mars zu tun. Die Signale müssen eine lange Strecke zurücklegen.
Auch für die Netflix-Sendungen bin ich Ihnen dankbar. Ich mag gern spannende und unterhaltsame Geschichten. Die letzte Serie, die ich in Netflix gesehen habe, war wirklich großartig. Leider hab ich schon vergessen, wie sie hieß. Natürlich war das Zuschauen viel lustiger, als die anderen noch am Leben waren. Aber immerhin: Man hat was zu tun, nicht wahr?
Ich weiß, lieber Elon, dass Sie sich sehr bemühen, mir ein…wie Sie es so lustig ausdrücken…“Taxi nach Hause“ zu organisieren. Ich mache mir aber keine Illusionen. Ich habe nämlich in den Nachrichten gesehen, dass manche entschieden gegen den Bau dieses Taxis sind, zumal es mittlerweile ein großes Umdenken über den Sinn der Marsbesiedlung gibt. Die Ironie: Ausgerechnet wegen unseres Schicksals denkt man jetzt um! Ja klar: Es geht um die altbekannte Kosten-Nutzen-Rechnung. Ein Leben retten gegen so viel Aufwand usw. Ich verstehe, dass manche so denken. Wie kann man es einem übelnehmen? Im Übrigen hat keiner mit den Squeakies gerechnet. Nebenbei: Möglich ist, dass es auch andere Lebensformen hier geben könnte – auch größere. Einmal behauptete Chuck – es war kurz, bevor er erkrankte – , dass er komische Fußstapfen da draußen entdeckt hatte. Ich selbst habe noch nichts gesichtet. Man kann aber nie wissen.
Oh, und danke für das Porno-Streaming. Ich weiß, dass Sie mir damit nur abhelfen wollten, aber wissen Sie, irgendwie haben diese Pornovideos auf mich eher eine ab- als anregende Wirkung. Es ist ähnlich wie beim Gitarrenunterricht. So nahe und doch so weit, sozusagen.
Wissen Sie, Elon: Die virtuelle Realität ist kaum mit dem echten Leben zu vergleichen. Glauben Sie es mir. Dieser Kontakt auf einem Display – auch wenn die Auflösung wirklich bewundernswert ist (und dafür danke ich herzlich), stimmt mich eher traurig ein, anstatt mich aufzuheitern.
Ja, es wäre wirklich schön, wenn mal ein „Taxi“ kommen könnte. Um das zu realisieren, müssten Sie, befürchte ich, Ihren ganzen Unternehmungsgeist und ihr ganzes Überzeugungsvermögen einsetzen. Denn es wird nicht billig sein, mich nach Hause zu holen.
Andererseits: Käme ich nach Hause, könnte ich bestimmt ein Buch (wenn nicht mehrere) über meine Erfahrungen schreiben und dann überall in den Medien auftreten. Das wäre bestimmt ein lohnendes Geschäft….oder?
Bleiben Sie gesund, Elon, und lassen Sie von sich hören.
Beste Grüße vom wilden Mars
Bradley
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