Wir nennen sie „G“ für „Gaunerin“.
Eines Nachmittags ruft „G“ bei der betagten Frau S. (Vorname „Elisabeta“) an. „G“ ist eine geübte Schauspielerin und sagt Folgendes:
„G“: Hallöchen! Rate, wer am Telefon ist.
Frau S.: Ähmmmm…Dora? Bist du es?
„G“: Ja, ich bin’s…die Dora! Wie geht’s dir…Oma. [Notabene. Hier geht „G“ ein Risiko ein, dass Dora tatsächlich die Enkelin von Frau S. ist. So steht es aber im „Drehbuch“ des „Chefs“, d.h., des Obergauners, der diese fiese Masche ausgedacht hat. Falls sich „G“ Pech hat, hat sie möglicherweise den Dreh verbockt und muss weiter im Telefonbuch nach Opfern suchen].
Frau S.: O Dora, ist das ja nett. Wie geht es dir, mein Kind, und Ralf? Hoffentlich seid ihr in dieser schrecklichen Zeit gesund, weißt du.
„G“: [Glück gehabt. Dora ist in der Tat die Enkelin und ist irgendwie mit einem Ralf liiert. Ehemann? Lebensgefährte? Freund? Hmm. Wird sich ergeben.] Ach Oma, Ralf muss wegen dieser schrecklichen Krankheit ins Krankenhaus…und man hat für ihn kein Beatmungsgerät! (tränenerstickte Stimme) Um sein Leben zu retten, müssen wir…schnell…dreißigtausend Euro auftreiben, um uns eins zu besorgen. Und… wir haben das Geld nicht!!!
[Hier verkürze ich die Geschichte. Frau S. holt das Geld aus der Bank. Leider hat es bei der Kassiererin nicht richtig geschnackelt. Sie zahlt Oma S. das Geld aus, ohne wesentliche Fragen zu stellen. Nun wird von „G“ die Geldübergabe organisiert. Natürlich wird Dora nicht dabei sein können. Denn sie ist – was sonst? – bei Ralf im Krankenhaus. Dora (d.h., „G“) wird aber eine „Freundin“ vorbei schicken. Das Geld soll Frau S. in eine Plastiktüte von Aldi stecken. So will es nämlich „Dora“. Die „Freundin“ ist allerdings „G“ selbst. So ein Talent! Sie darf zwei Rollen spielen! Muss sogar. Denn momentan befinden sich zu viele Kolleginnen im Kittchen. Tja, der Beruf wird immer schwieriger und gefährlicher.
Zu bemerken: Zwei Sachen weiß „G“ nicht. 1.) dass sich Frau S. bereits mit Covid-19 angesteckt hat – auch wenn sie momentan keine Symptome zeigt außer einem scheinbar harmlosen Schnupfen und etwas Müdigkeit. 2.) „G“, sie ist zwar etwa 30 Jahre alt und fühlt sich pumperlgesund, doch sie hat einen Herzfehler und weiß davon nix. Ja, so was kommt mal vor. Nun klingelt die „Freundin (d.h., „G“) an der Tür. Frau S. öffnet. Nepperin und Geneppte stehen sich Angesicht zu Angesicht gegenüber.]
Frau S.: Aaatschi!! [Stachlige Corona Viren fliegen wild umeinander durch die Luft. Schnell finden Sie sich in den Augen, in der Nase, an den feuchten „G“-Lippen ja auch im Mund von „G“ ein gemütliches neues Zuhause. Die Gaunerin steht nix ahnend da und streckt die Hand zweckdienlich aus.
„G“: Prösterchen!
Frau S.: Danke, Schätzchen. Hier, nimm dir die Tüte [die übrigens voll mit Viren ist wie auch das Geld] und sag Ralf von mir gute Besserung. Dora soll mich anrufen, wenn sie Nachrichten hat. Toitoitoi.
„G“: Mach ich. Tschüssilein.
[Zwei Wochen vergehen. Inzwischen sind beide, Frau S. und „G“, ernsthaft an Covid-19 erkrankt und bedürfen beide des Zugangs zu einem Beatmungsgerät. Wie der Zufall es will, liegen sie nun beide Bett an Bett in der Intensivstation nebeneinander intubiert. Jawohl. Wir sind in Deutschland, und zum Glück bekommen beide die nötige Pflege! Doch nun die Überraschung: Während sich Frau S. nach und nach von der schrecklichen Lungenentzündung erholt, wird es für „G“ immer ärger. Ja, die Vorerkrankung am Herzen muckt auf. Eines Tages muss Frau S. nicht mehr beatmet werden und darf die Intensivstation verlassen. Eine Krankenschwester hilft ihr beim Aufstehen. Und nun sieht sie zum ersten Mal, wer ihre Bettnachbarin ist.]
Frau S: Ach, mein Kind! Wieso auch du? Du bist so jung! Übrigens wie geht es dem Ralf?
[„G“ schaut Frau S. mit großen, schwachen, unruhigen Augen an. Reden kann sie nicht, weil sie intubiert ist. Ich bin eindeutig im falschen Film, denkt sie. Es ist allerdings das letzte, was sie denkt. Denn nun gehen die Lichte aus]
Liebe „G“, hoffentlich liest du dieses Lehrstück, bevor es zu spät ist. Die Geschichte endet zwar nicht immer so rund wie hier. Trotzdem: sei nun vorgewarnt…
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