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Neue Besen, alte Besen – und eine sehr traurige Nachricht

Gestern Abend war ich noch überzeugt, dass dieser Beitrag „Grün ist die Hoffnung, grün ist der Neid“ heißen müsste. Damit wollte ich auf die neue Farbe, die diese Seite momentan schmückt, hinweisen. (Ob sie bleibt, weiß ich noch nicht). Hoffnung, weil ich meinte – und meine – , dass ich wieder Grund habe zu hoffen, auch wenn hier alles noch nicht ganz funktioniert wie es sein sollte. (Es hapert, zum Beispiel, noch immer mit dem Kommentarschreiben). Immerhin sind meine Spammer wieder glücklich. Sie melden sich ganz erfreut als „Benutzer“ an, in der Hoffnung, sie könnten den „Sprachbloggeur“ eines Tages voll verspammen. Aber grün ist nicht nur die Farbe der Hoffnung. Es ist auch die Farbe des Neides – zumindest ist grün eine der Neidfarben. Die deutsche Sprache kennt auch gelb in dieser Rolle. Der Gedanke dahinter: Die Galle eines „Vergällten“ färbt seine Haut gelb bzw. grün.

Aber dann habe ich das mit grün und Hoffnung verworfen und mich für das Bild des Besens entschieden. Die neuen Besen sollen, wie jeder weiß, gut kehren. Allerdings: Auch dieses Bild hat seine Kehrseite – insbesondere, wenn der Besen alt wird.

Komisch: Das Angenehme und das Unangenehme stehen häufig Seite an Seite.

Das alles nur zur Einleitung. Ab jetzt wird es persönlich. Hier nun ein kurzer Bericht von der Front – zum Thema Hoffnung und Neuigkeiten:

Erstens: Mein berufliches Leben verändert sich dramatisch. Viele Jahre habe ich unter Vertrag bei einer gewissen Zeitschrift gearbeitet. Dank dieser Arbeit konnte ich meine Rechnungen bezahlen. Am Ende dieses Jahres läuft der Vertrag aus. Das ist nicht tragisch. Ab dem 1. Januar 2012 bin ich endlich ein echter freier Schriftsteller.

Zweitens: Mein Rechner, der meine schreibende Karriere seit Jahren begleitet hat, will nicht mehr. Er stürzt immer wieder und ohne Vorwarnung ab. Auf ihn ist kein Verlass mehr. Nur: Alle meine Daten – also Dokumente, Fotos, Scans, Emails usw. habe ich auf diesem alten Rechner gespeichert. Nun galt es, alles sofort zu retten. Manches hatte ich zwar auf externen Datenträgern bereits gespeichert – nicht aber alles. Ich kam mir vor wie ein Mensch auf einer vulkanischen Insel, der alles in Sicherheit bringen muss, bevor der Vulkan in die Luft geht.

Schon jetzt schreibe ich auf dem neuen Rechner. Das Schreibprogramm ist mir noch fremd, ein neuer Besen also. Manches habe ich noch nicht beherrscht.

In solchen Augenblicken mache ich mir übrigens Gedanken darüber, ob in 50 Jahren die elektronisch gespeicherten Daten der Gegenwart immer noch griffbereit sein werden – geschweige denn in 200 Jahren. Man sehnt sich manchmal nach dem lieben, geduldigen Papier.

Drittens: Gestern haben wir eine neue Therme bekommen. Die alte hat nach 26 Jahren den Dienst verweigert. Wir mussten in den (teuren) sauren Apfel beißen. Noch dazu viel Trubel in der Wohnung. Wieder ein Umlernen – in diesem Fall im Reich der Wärme.

Viertens: Nächste Woche zieht unser Sohn in eine eigene Wohnung. Sein Bruder führt schon seit einem Jahr ein eigenes Leben. „Empty nest“ heißt das auf Englisch. Ein Lebensabschnitt geht zu Ende. Ich bin aber stolz auf meine Söhne und freue mich, dass sie selbstständig sind.

Fünftens: Alles, was ich bisher berichte, zählt letztendlich zu den ganz normalen Änderungen, Überraschungen, Widrigkeiten und Freuden eines Lebens. Die traurige Nachricht habe ich für den Schluss aufbewahrt.
Vielleicht erinnern meine Stammleser, dass ich manchmal von meinem Sprachguru erzähle. Seit Jahren liest er Woche für Woche meine Beiträge und korrigiert die gröbsten Fehler. Er wollte nie, dass ich seinen Namen verrate. Er hat es mir sogar verboten. Er blieb lieber der Schatten im Hintergrund.

Am Montag dem 19. Dezember 2011 um 10.30 ist dieser lieber Mensch eine Woche vor seinem 97. Geburtstag gestorben. Ich bin überzeugt, dass er es mir heute nicht übel nehmen würde, wenn ich seinen Namen hier endlich preisgebe: Ernst-Theo Rohnert. Woche für Woche hat er mir seine Emails mit Korrektur geschickt. Sogar vor zwei Wochen! Er hat mir viel über diese mir fremde deutsche Sprache beigebracht. Er war stets pingelig, stets streng, stets sehr genau und stets geduldig. Er hat sich immer kurz gefasst. „WS“ also „Wortstellung“ zählte zu seinen Lieblingsrügen; oder „eleganter wäre…“ Als ich vor zwei Wochen das Wort „beeindruckt“ falscherweise als „beeindrückt“ schrieb, kommentierte er: „‘beeindruckt‘ – Einprägen! Sehr wichtig!“.

Er signierte seine Mails immer mit „eteha“. Er und seine Mails werden mir sehr fehlen. Ab jetzt bin ich ganz und gar für die eigenen Fehler verantwortlich. Ab jetzt kehre ich mit dem eigenen Besen und vor der eigenen Tür…

Ich wiederhole, ich wiederhole, ich wiederhole

[Alles noch nicht ganz in Butter, liebe Leser. Als ich feststellte, dass dieser Beitrag auf dieser Seite viermal in Folge zu lesen war, nahm ich mir vor, die "Wiederholungen" zu löschen. Stattdessen habe ich den Text insgesamt gelöscht. Nun erscheint er wieder. Wiederholung. Hmmm. Übrigens: Das Jammern im Text bezog sich lediglich auf die Unmöglichkeit - von der kaputten Software des Servers verursacht - , Kommentare zu empfangen. Das sage ich hier in eigener Sache.]

Ich habe seit Wochen keine Kommentare empfangen.

Seit Wochen keine Kommentare. Ich meine hier auf dieser Webseite.

Auf dieser Webseite keine Kommentare seit Wochen.

Ich klicke auf die Webseite, und ich sehe keine neuen Kommentare. Seit Wochen keine Kommentare.

Keine Sorge, liebe Leser, ich drehe nicht durch – zumindest nicht über das übliche Maß hinaus. Ich will lediglich durch dieses konkrete Beispiel, etwas über den Erzählstil der Pirahã veranschaulichen. „Pirahã“, sollte ich vielleicht erklären, ist der Name eines Stammes im tiefsten Amazonasgebiet in Richtung bolivischer Grenze. Der ganze Stamm zählt nur wenige hundert Seelen, die in verschiedenen kleinen Dörfern entlang eines kleinen Flusses nahe dem Madeirafluss verteilt sind.

1977 ließ sich der amerikanische Missionar Daniel Everett mit Familie in einem dieser Dörfer nieder. Der Plan war, dieses Urvolk zum Christentum zu bekehren. Everett lebte bei den Pirahã über die nächsten Jahrzehnte insgesamt sieben Jahre. Dennoch vermochte er ihnen die christliche Religion nie zu vermitteln. Am Schluss legte er sein Amt als Missionar (aus Überzeugung) nieder. Er und nicht der Stamm wurde zum Bekehrten. 2008 veröffentlichte er in englischer Sprache ein sehr spannendes Buch über die Pirahã: „Don’t Sleep, There are Snakes“ (dt. Ausgabe: „Das glücklichste Volk: sieben Jahre bei den Pirahã-Indianern am Amazonas“).

Bitte erwarten Sie hier keine Bücherrezension, nicht einmal eine Analyse der seltenen Sprache der Pirahã, die, z.B., nur eine Verbalzeit kennt: die Gegenwart. Alles dreht sich für dieses Völkchen um die Gegenwart. Stirbt einer von ihnen, hört man bald auf, über ihn zu reden, als hätte es ihn nie gegeben. Everett zufolge kennen die Pirahã außerdem weder Mythen noch Riten – sie haben also praktisch keine uns nachvollziehbare Religion, eine Tatsache, die eine eventuelle Bekehrung zum Christentum zusätzlich erschwerte. Dafür erkennen sie eine Geisterwelt an, die ihnen aber stets gegenwärtig ist. Alle konnten Geister sehen, nur Everett nicht.

Doch hier möchte ich nur über den Erzählstil der Pirahã berichten. Hier dann ein Beispiel aus einer Erzählung eines gewissen Kaaboogí, der seinen Nachbarn mitteilen wollte, wie er einen schwarzen Panther erlegt hatte. Alle Leute waren lose um ihn versammelt. Die Geschichte beginnt damit, wie der Panther seinen Hund überfällt. Ich zitiere:

„Hier sprang der Jaguar auf meinen Hund und tötete ihn. Da sprang der Jaguar auf meinen Hund und tötete ihn. Es geht hier um mich. Da tötete der Jaguar meinen Hund. Er sprang auf ihn. Es geht um meinen Hund. Der Jaguar sprang auf meinen Hund. Ich dachte, ich sehe ihn. Dann ich…, also der Panther sprang auf meinen Hund. Dann sprang der Panther auf meinen Hund. Dann sprach ich. Das hat der Panther getan. Dann sprach ich über den Panther. Hierhin ist es gegangen. Ich denke, ich sehe, wo es gegangen ist…“

Das ist nur der Anfang dieser spannenden Geschichte. Zumindest für die Pirahã spannend. Uns kommt es vielleicht mit den vielen Wiederholungen wirr vor. Vielleicht. (Übrigens: Leider kann ich nicht erklären, warum Kaaboogí mal vom Jaguar mal vom Panther redet – ebenso wenig verstehe ich, wieso hier im Text Vergangenheitsformen auftauchen. Aber egal). Es ist das ständige Wiederholen, das mich hier interessiert. Das ständige Wiederholen interessiert mich.

Warum wird so massiv wiederholt? Warum so massiv?

Man braucht sich nur die Situation vor Ort zu verbildlichen: Kaaboogí steht vor der gesamten Dorfgemeinschaft und erzählt. Hört jeder aber hin? Manche sind mit anderen Dingen beschäftigt. Manche hören gar nicht zu. Manche ratschen. Der Erzähler wiederholt, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Er wiederholt, damit man zuhört. Er wiederholt, weil er aufgeregt ist. Er wiederholt, damit man das Wichtigste nicht verpasst.

Als ich die Geschichte von Kaaboogí und seinem Panther zum ersten Mal las, fand ich sie sehr langatmig. Denn so wird bei uns nicht erzählt. Oder? Hmmm. Zumindest nicht in der Schriftsprache (oder selten). Doch manchmal beobachte ich mich, wie ich mich, wenn ich rede, wiederhole – vor allem, wenn es um die Pointe geht – oder wenn mir eine Idee besonders wichtig ist oder toll vorkommt, oder ich aufgeregt bin. Wirklich. Machen Sie selbst den Versuch, und dann fragen Sie sich: Bin auch ich ein Pirahã? Die Antwort mag überraschen.

Seit Wochen keine Kommentare auf diese Webseite. Keine Kommentare. Das macht einen Menschen madig.

Mein Nachbar der Spammer

„Und was arbeiten Sie?“ fragt mein Gegenüber im Zug nach Hamburg. Manchmal redet man gerne mit Fremden, um die Zeit zu vertreiben.

„Ich bin Sprachbloggeur.“

Ein junger Mann, vielleicht um die 30 herum, geschmackvoll angezogen. Er schaut mich skeptisch an. Das jugendliche Gesicht wirkt fast harmonisch, wäre es nicht für die harten Züge an den Mundwinkeln. Die Haare sind blond. Gesamteindruck: jungdynamisch. „Was ist ein Sprachbloggeur?“ fragt er.

„Einer, der für die Gerechtigkeit der Sprache kämpft“, antworte ich.

„Schöne Antwort. Trotzdem hört sich das – Sie werden entschuldigen – , ein bisschen schrullig an – , als wären Sie so ein Superheld wie der Hulk oder Spiderman – bloß im Bereich der Sprache.“

„Das haben Sie schön gesagt. Und so ist es auch. Natürlich bin ich aber nicht der einzige Sprachbloggeur. Wir sind viele. Jeder nennt sich aber anders und tarnt sich hinter einer anderen Identität.“

„Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, wenn ich frage, ob Sie alle Tassen im Schrank haben. Sind Sie so ein Idealist oder was?“

„So kann man es auch ausdrücken. Zumindest stehen bei mir keine ‚made-in-China-Tassen’ im Schrank. Darf ich fragen, was Sie machen?“

„Ich bin Spammer.“

„Ach“, antworte ich, „das ist ein interessanter Beruf. Vielleicht haben Sie auch meine Webseite mal mit Spam vermüllt.“

„Schon möglich“, aber wenig wahrscheinlich. Wir sind nicht auf Blogs spezialisiert. Das machen andere. Wir zielen auf Einzelmenschen.“

„Und was für Waren drehen Sie die Leute an? Gefälschte Potenzmittel? Ferienwohnungen in Polen? Fantasie Markenuhren?“

„Nein, nein, Herr Sprachbloggeur. Man merkt, dass Sie sich nicht so gut auskennen. Solche Maschen sind von gestern. Noch nie vom ‚VirtualKasinoKlub’ gehört?“

„Nein, leider nicht. Klingt wie ein online Kasino. Online Kasinos sind aber nichts Neues.“

„Das unsere schon. Wir schicken 3-4 mal täglich Mails an Millionen von potenziellen Kunden, bis wir viele mit unserem Angebot mürbe gemacht haben. Immerhin: Wir bieten 100 Euro Spielgeld kostenloses an, wenn man nur unsere Software runterlädt.“

„Das kann Ihnen aber teuer kommen, oder?“

„Aber woher, Sie verstehen unsere Kunst nicht, Herr Sprachbloggeur. Um die 100 Euro zu bekommen, muss man zuerst eigene 100 Euro einsetzen. Dann hat der Spieler 200 Euro…“

„…und wenn er gewinnt?“

„Das meinen Sie aber nicht ernst, oder? Am Schluss verliert der Spieler halt 200 Euro statt 100. Dafür sorgt unsere tolle Software – und die war nicht gerade billig. Aber das ist nur der Anfang. Nun schenken wir dem Spieler 200 Euro. Dafür muss er selbst wieder nur 100 Euro einsetzen…

„…um dann ja 300 zu verlieren.“

„Jetzt haben Sie es kapiert.“

„Und Sie können nachts schlafen?“

„Wie meinen Sie das? Ach, ich verstehe. Sie fragen, ob ich ein schlechtes Gewissen habe. Warum auch? Ich schlafe wie ein Baby. Seien wir ehrlich, Herr Sprachbloggeur: Wer ist der Dumme, der Spieler oder ich. Ich sehe, Sie möchten glauben, dass ich der Dumme bin. Sie irren sich aber. Sie leben noch im falschen Jahrhundert, wenn ich’s sagen darf.“

Frisches Konsumgut: Ricky Kan – Wunderkind

Ist er nicht süüüüüüßßß!

Die Rede ist von Ricky Kam. Ganz zufällig bin ich am Sonntag, als ich vor dem Fernseher spätstückte, auf das sechsjährige Wunderkind gestoßen. Ich sendersurfe gerne, wenn ich sonntags spät frühstücke.

Da thronte der Knirps vor dem Klavier und ritt die Tasten wie ein Polo-Hazardeur. Beeindruckend. Wirklich beeindrückend. Derweil hockte stumm auf dem Flügeldeckel sein (deutlich) oft gekuscheltes Stofftier. Ich denke es war ein Affe.

Mich lauste der Affe echt. Aber wie. Der Knabe ist wahrlich ein Ausnahmetalent.

Nun schwenkte die TV-Kamera in Richtung Publikum. Zum ersten Mal erkannte ich das Antlitz von Dieter Bohlen, der mit zwei Damen jurymäßig an einem Tisch saß. Aha! dachte ich, ich bin bei „Deutschland sucht einen Superstar“ gelandet.

Fehlanzeige. Erst später erfuhr ich, dass die Sendung „Das Supertalent“ heißt. Wie dem auch sei. Neben dem sichtbar beeindruckten D.B. staunten nicht weniger schlecht der restliche Talent-Ausschuss: Motsi Mabuse und Silvie van der Vaart. Sorry. Mir leider keine Begriffe.

Nun schlug der kleine Mozart mit Bravur den letzten Ton an. Augenblicklich brach das Publikum in ein wildes Getose aus. Es folgten stehende Ovationen. Auch D.B. und die zwei Damen nahmen die Aufrechtstellung ein und klatschten begeistert. Währenddessen hüpfte das kleine Kind von der hohen Bank herunter, langte auf Zähenspitzen nach seinem Stofftier, das er dann vertraut in die Arme nahm, verbeugte sich brav und lächelte freundlich – und sicherlich neugierig – in die Welt. Berührungsängste schien Ricky Kan jedenfalls keine zu haben.

Bisher ist die Geschichte noch in Ordnung. Wenn ein Mensch eine Leistung bringt, sollte er dafür eine Anerkennung bekommen. (Eine Lektion, die heutzutage vielen Chefredakteuren dank der Gehirnwäsche, die sie aus gewissen „Führungsseminaren“ aufsaugen, längst verlernt haben).

Und dann passierte es: Die Damen vom Jury jauchzten – hier kein O-Ton aber es waren Worte wie – „Ricky, du bist ein Weltwunder“ oder „ich verehre ich“ usw. Auch D.B. schäumte über vor Lob.

Das Kind schaute weiterhin ins Publikum und antwortete auf jedes Lobeswort mit einem putzigen „danke“. Ein gut erzogener Bub halt.

Ich hingegen wähnte mich als Zeuge einer Audienz mit dem jungen Dali Lama, der bereits als Dreijähriger von den Tibetanern als „Gottheit“ verehrt wurde. Er – ich meine den Dali Lama – hat die Kurve gekriegt. Er ist ein bescheidener Mann geworden. Immerhin wurde er einer strengen Lehre unterzogen.

Was bei Ricky Kan auf der Tageskarte steht, weiß ich freilich nicht. Fest steht: Für die Unterhaltungsindustrie ist er ein gefundenes Fressen, ein Quotenmagnet. Man wünscht dem Knaben vernünftige Eltern. (Über die weiß ich übrigens nichts).

Mir fallt dieses Bild vom possierlichen Ricky ein, weil ich gestern im „Spiegel-Online“ eine Schlagzeile las. Das Zitat kann ich leider nicht mehr wörtlich wiedergeben, und der Text war nach wenigen Stunden wieder verschwunden. In etwa jedenfalls: „Deutschland wird immer Amerika ähnlicher“. Es ging darum, dass die Wohlstandsschere hierzulande immer weiter auseinanderklafft.

Das stimmt natürlich. Doch auch was die amerikanische „Unterhaltungsindustrie“ betrifft, wird Deutschland stets Amerika ähnlicher. Kinder wie Ricky werden konsumiert wie süße Trauben. Wenn das Fleisch alle ist, spuckt man den Kern raus und sucht nach dem nächsten süßen Früchtchen.

Guten Appetit, armes Deutschland.

Der Sprachbloggeur erklärt die Finanzkrise

Vorstandsvorsitzender: Wurm! Wo ist der Wurm? Verdammt noch mal, wozu bezahle ich ihn. Es steht in seinem Vertrag – und zwar explizit! – , dass er, wenn ich ihn rufe, innerhalb achtzehn Sekunden zu…

Wurm: (betritt atemlos den Raum) Sie haben gerufen, o Herr der Schöpfung?

Vorstandsvorsitzender: Pssss. Habe ich Ihnen nicht schon mal eingebläut, dass Sie mich nur dann mit „Herr der Schöpfung“ ansprechen, wenn Sie sicher sind, dass keiner mithört. Sonst bekäme man vielleicht den falschen Eindruck.

Wurm: Aber keiner hört mit, o Herr der Schöpfung. Ihre Chefsekretärin ist gar nicht am Platz. Sie steht mit den anderen unten auf der Straße und streikt.

Vorstandsvorsitzender: Streikt? Warum streiken sie?

Wurm: Wegen der Finanzkrise. Darf ich Ihnen ein Kompliment aussprechen?

Vorstandsvorsitzender: Bitte, es war aber nur eine Kleinigkeit. Wie Sie aber sehen: Auch Kleinstvieh macht Mist. Wenn ich bedenke, wie sehr wir – ich meine ich – mir den Kopf zerbrochen habe mit der Frage, welcher Slogan besser klinge: „Finanzkrise“ oder „Wirtschaftskrise“. Inzwischen wundere ich mich über die eigene Unentschlossenheit. Bei „Wirtschaftskrise“ denkt man fast automatisch an eine Spirituosenknappheit. Lächerlich! „Finanzkrise“. So ein schönes Wort, es hat ein gewisses je ne sais quoi, nicht wahr? Fast von alleine strahlt es Angst und Hoffnungslosigkeit aus. Ich bin mächtig stolz auf mich. Na? Also worauf warten Sie, Wurm?

Wurm: O Herr der Schöpfung, auch ich bin mächtig stolz auf Sie.

Vorstandsvorsitzender: Ihr kurzes Zögern gefällt mir schon gar nicht. Heißt es nicht in Ihrem Vertrag, dass sich die Komplimente stets nahtlos dem zu Komplimentierenden zu fügen haben? Wie soll ich sonst verstehen können, dass Sie wirklich stolz auf mich…

Wurm: …Ich bin aber wirklich stolz auf Sie.

Vorstandsvorsitzender: Das haben Sie gut gemacht. Braver Wurm, lieber Wurm, guter Wurm.

Wurm: Danke, o Herr der Schöpfung.

Vorstandsvorsitzender: Habe ich nicht gesagt, dass wir lediglich den richtigen Slogan brauchen, um die Auflagen in die Höhe zu treiben?

Wurm: Jawohl. Das haben Sie gesagt.

Vorstandsvorsitzender: Wie genial von mir! Kaum kündigt der Blattmacher eine Finanzkrise an, und prompt gibt es sie auch. Und das Schöne: Alle wollen darüber informiert werden! Und noch schöner: Wenn es eine Finanzkrise gibt, dann kann ich die Löhne weiter drücken. Mittlerweile sind Freie für einen Apfel und ein Ei zu haben. Ha! Nur, warum muss ausgerechnet meine Sekretärin die Arbeit niederlegen? Hmm, vielleicht könnte ich sie jetzt ganz loswerden. Hmm. Ich hab’s! Sie beschweren sich, dass sie Sie sexuell genötigt hat. Dann gibt es eine fristlose Kündigung. Ein toller Einfall! Ich bin richtig stolz auf mich…Nanu?

Wurm: Ja, o Herr der Schöpfung, ich bin stolz auf Sie.

Vorstandsvorsitzender: Sie haben mich nicht überzeugt. Ist was?

Wurm: Leider haben Sie etwas Wichtiges vergessen.

Vorstandsvorsitzender: Ich? Etwas vergessen? Bitte klären Sie mich auf.

Wurm: Ihre Sekretärin und ich sind seit fünf Jahren miteinander verheiratet. Sie haben damals dazu gedrängt, um die Krankenkasse einzusparen.

Vorstandsvorsitzender: In der Tat. Das habe ich tatsächlich vergessen. Sie können trotzdem behaupten, dass sie Sie sexuell genötigt hat. Oder?

Wurm: Schwierig.

Vorstandsvorsitzender: Hmmm. Dann lassen wir es eben. Ist eh nur eine Kleinigkeit, und immerhin habe ich meine schöne Finanzkrise. Bin ich nicht Spitze?

Wurm: Jawohl, o Herr der Schöpfung, Sie sind einsame Spitze.

 

P.S. – schon wieder in eigener Sache: Noch immer bleibt der „Host“ dieser Seite ein „ghost“. Ich habe aber noch nicht aufgehört zu hoffen. Man weiß, was am letzten stirbt…

Von einer Echse namens Leslie, die mich nicht liebte (und die Konsequenzen)

Ex nihilo locutus. Ahhh. Endlich ein lateinischer Satz – zumindest ein Satzteilchen. Der studierte Altphilologe (und so einer bin ich) schreibt gerne lateinische Sätze. Ex nihilo locutus. Zu Deutsch: aus dem Nichts gesprochen.

Ausgerechnet fallen mir diese Worte ein, als ich die Tastatur – mein Musikinstrument – auf den Schoß setze (so schreibe ich am liebsten). Aber warum gerade jetzt?

Erster Gedanke: Fällt mir heute sonst nichts ein?

Zweiter Gedanke: Warum überhaupt noch schreiben, wenn der Server weiterhin halbkaputt ist, und der Host sich keine Mühe macht, ihn zu reparieren?

Dritter Gedanke: Ist jener bange Tag eingetroffen, an dem ich nichts zu sagen habe?

Alles Pipifax. Jedes Schöpfen ist ein Reden aus dem nichts. Ich gebe aber zu: Die Situation mit dem Server ärgert mich wirklich zusehends. Umso mehr folgende kleine Ablenkung – und zwar in Form einer netten Geschichte über das Schweigen…

Ich bin sechszehn Jahre alt, lebe im New Yorker Stadtteil Queens, bin, was das zarte (haha) Geschlecht betrifft, schüchtern, genauer gesagt, nicht gerade souverän. Hat sich in meinem Leben bis heute diesbezüglich was geändert? Natürlich nicht. Ein Freund (in der Jugend ist, wie man weiß, jeder, den du kennst, dein Freund) – keine Ahnung mehr, wer das war – hat mir dem Schüchternen ein „blind date“ organisiert. Dieser amerikanische Begriff hat sich im MTV-Zeitalter in der deutschen Sprache längst eingebürgert. Trotzdem kommt mir das deutsche „Verabredung mit einer Unbekannten“ viel zarter und sinnlicher vor.

Ich glaube, sie hieß Leslie. Daran kann ich mich komischerweise noch heute erinnern. Warum? Weil ich den Klang des Namens nicht mochte. Zu sehr ähnelte er – zumindest in meiner Fantasie damals – dem englischen Wort „lizard“, also „Echse“. Im übrigen habe ich mir eingebildet, dass diese Leslie (ich sehe das Gesicht mit scharfer Nase und noch schärferem Blick noch immer) irgendwie doch reptilienartig aussah. Nein, sie war bestimmt nicht hässlich. Wenn es zwischen uns gefunkt hätte, hätte ich mich mit Sicherheit in ihr hübsches Lächeln verliebt.

Es hat aber zwischen uns nicht gefunkt. Kommt mal vor. Ich sehe die Szene noch immer im geistigen Auge. Wir bummeln zu viert durch den Stadtteil Briarwood. Keine Ahnung, wohin (oder woher) wir gingen. Das andere „Pärchen“ (wer auch immer das war) schlendert engumschlungen vor oder hinter uns, während Leslie und ich unbeholfen nebeneinander dahinstaksen. Tunlichst vermeiden wir den direkten Blickkontakt. Ich bin schrecklich nervös und rede endlos wie ein Wasserfall, weil ich eine panische Angst vor der Stille habe. Die Stille. Die wäre für mich gleichbedeutend mit dem endgültigen Scheitern, und Scheitern will ich partout nicht. Mir ist wichtig, dass ich das fremde Reptil an meiner Seite, auch wenn ich nichts für es empfinde, mit meiner Charme becirce.

Keine Ahnung, worüber ich endlos redete, und keine Erinnerung, ob Leslie außer „mm hmm“ oder „ja“ anderes erwiderte. Plastisch bleibt mir lediglich meine wachsende Verzweifelung.

Dann passierte es: der befürchtete GAU: Endlich gingen mir die Worte aus. O Schreck o Schande. Und schließlich sagte ich in meiner Panik die verhängnisvollen Worte eines jeden ehrlichen Losers:

„Weißt du, ich habe keine Ahnung, was ich dir noch sagen soll. Eigentlich habe ich dir nichts zu sagen.“ Ja, die Luft war ausgegangen.

„Und ich dir auch nicht“, erwiderte sie ruhig und, tja, vielleicht freundlich.

Tut mir leid. Ab diesem Moment wieder Filmriss. Ich bilde mir aber ein, dass hier ein wohltuendes Schweigen einsetzte, selbstverständlich mit einem Schuss Traurigkeit gespickt. So ist es immer, wenn einer das Handtuch wirft.

Heute denke ich, dass mein ehrliches Bekenntnis die einmalige Gelegenheit gewesen wäre, neu anzufangen. Doch dazu war ich nicht fähig. Sie offenbar auch nicht.

Wir wären bestimmt ein hübsches Pärchen geworden. Aber das Leben hatte mit Leslie und mir anderes vor. Bedenken Sie die Konsequenzen, wenn wir damals als humorvolle Geliebte engumschlungen durch die Straßen Queens still und vertraut geschlendert wären. Es gäbe, zum Beispiel, heute vielleicht keinen Sprachbloggeur! Kann man nie wissen. Und womöglich hätte ich heute auch keine Probleme mit dem Server.

Aufwachen! Wir schreiben das Jahr 2011, lieber Sprachbloggeur, und sic transit gloria mundi, so vergeht der Ruhm der Welt.

Flaschenpost(ing) eines schiffbrüchigen E-Schriftstellers

Kennen Sie den alten Witz?

Das Kind ist vier Jahre alt und spricht immer noch nicht. Die Eltern machen sich verständlicherweise große Sorgen. Hilfesuchend karren sie den Knaben vom Arzt zu Arzt herum. Vergeblich. Er spricht nicht. Kein Wort.

Eines Tages ist die Familie zu Tisch. Die übliche Stille. Auf einmal sagt das Kind: „Die Kartoffeln sind kalt.“

„Du sprichst! Du sprichst! Ein Wunder ist geschehen!“ jauchzen die Eltern.

„Aber natürlich spreche ich“, sagt das Kind.

„Aber warum hast du bisher immer geschwiegen?“

„Bisher“, antwortet das Kind, „war alles in Ordnung.“

Ja, liebe Leser, die Kartoffeln sind kalt. Und damit meine ich, dass diese Webseite seit einem Monat ihren Zweck als Informationsträger nicht richtig erfüllt. Kein Wunder, dass mir jedes Posting – zu Deutsch Beitrag – wie Flaschenpost vorkommt. Flaschenposting.

Wie jeder, der jemals einen Zettel bekritzelt hat, um ihn in eine Flasche zu stecken und ins wässrige Ungewisse zu schicken, werden wöchentlich auch meine Glossen auf gut Glück ins WehWehWeh gesendet.

Auch zu besten Zeiten ist das Hochladen eines Textes ins Netz ein Glücksspiel. Man freut sich, wenn jemand das Flaschenposting rezipiert. Wenn aber die Webseite (in diesem Fall meine E-Flasche) defekt ist, wird jegliche Kommunikation erschwert, wenn nicht ganz unmöglich gemacht.

Wir schreiben das Jahr 2011. Dennoch fühle ich mich oft wie ein Schriftsteller aus der Antike, dessen Werke den Launen der Überlieferung auf einem Informationsträger (in meinem Fall ein Server) ausgeliefert ist. Die Gedichte der antiken griechischen Lyrikerin Sappho wurden, sagt die Legende, in einem einzigen Manuskript bis ca. 1000 n.Chr. am Leben gehalten. Doch dann passierte es: Das Manuskript wurde von einem prüden Leser aufgespürt und als Schweinkram vernichtet. Ende der Überlieferungskette. Die Gedichte des römischen Dichters Catull galten lange hingegen als verschollen. Plötzlich entdeckte man im 13. Jt. das letzte erhaltene Manuskript – und zwar unter einem Weinfass irgendwo in Italien (Verona?). Am Ende des 19. Jahrhunderts wurde eine Handschrift mit Gedichten des längst verschollenen Griechen Bakchylides zufällig ausgegraben. Sie war zwar ziemlich durchlöchert und zerfetzt. Aber immerhin.

Ja, ein Glücksspiel. Auch große Auflagen schützen nicht vor dem Vergessen. Wer kennt noch heute die Dieter Bohlen-Autobiographie, die erst vor wenigen Jahren als Bestseller für regen Umsatz sorgte? Nicht einmal der Titel dieses Buches fällt mir heute ein. Altpapier geworden.

Sie sehen schon. Ich bin heute etwas gereizt. Ein Schriftsteller wird stets von der eigenen Fantasie und von der Freude – oder mal der Irritation – seiner Leser beflügelt. Wenn er – bzw. ich – das Gefühl hat (habe), dass seine (meine) Texte an einer Platform erscheinen, die allem Anschein nach von einer Neutronbombe verwüstet wurde, bleibt die Freude sehr in Grenzen.

Keine Ahnung, ob Ihnen diese(s) Flaschenpost(ing) erreichen wird. Wir hoffen jedenfalls auf bessere Zeiten. Zeiten, in denen die süße Illusion der Normalität wieder vorherrscht, damit diese Seite endlich ihre gewohnte Aufgabe erfüllen kann.

Falls Sie diese(s) Flaschenpost(ing) erhalten, ist die Botschaft sehr einfach: Die Kartoffeln sind kalt. Sehr kalt.

Mein Kampf mit den alten Kisten (und Schachteln)

„Ich suche Eahna a Kisterl“, sagt Frau M.

Wir befinden uns im Paradies, heute schön herbstlich ausgestattet. (Nur Zufall, dass im Herbst auch das Obst und das Gemüse gelb und orange gefärbt sind?)

„Oder vielleicht ha’m Sie a Schachtel“, fragt die Kundin.

Kurz erstarre ich, was Frau M. auch registriert. Sie fragt sich: Was hat der Sprachbloggeur nunmal wieder?

Die Kundin bekommt einen Syroporbehälter und macht sich zufrieden auf den Weg. Derweil gebe ich einer anderen Kundin den Vortritt, damit sie ihr paar Bananen rasch bezahlen kann. Nun bin ich dran. Während Frau M. die Birnen und Mandarinen wiegt, frage ich: „Vielleicht können Sie mir den Unterschied zwischen einem Kisterl und einer Schachtel sagen.“

„Ach, deshalb der verstörte Gesichtsausdruck.“

„Sind beide Begriffe gleichbedeutend – zumindest auf Bairisch? Ich kann mich nicht erinnern, ob die Dame Bairisch gesprochen hat…“

„…Nein Hochdeutsch, sie ist Schwäbin. Den Unterschied kann ich Ihnen aber erklären. Ein Kisterl ist immer was Stabiles, meistens aus Holz. Zum Beispiel da.“ Sie zeigt auf eine Orangenkiste. „Das ist ein Kisterl. Schachteln sind ja, hmm, normalerweise aus Karton.“

„Dann würde ich dazu einfach Karton und nicht Schachtel sagen. Aber vielleicht sagen die Schwaben Schachtel für Karton?“

„Hmmm. Jaaaaa, vielleiiiicht, aber das muss nicht sein. Kartons sind meist aus Pappe. Karton ist nämlich fester als Pappe. Aber a oida Schachtel soll man nicht mit einem Karton verwechseln.“ Sie lacht.

„Auch an oida Kisterl nicht, oder?“ Ich lache.

„Das ist ja nicht von Pappe, Herr Sprachbloggeur!“

„Aber das, was Sie der Frau gegeben haben, war weder aus Holz noch aus Karton und noch weniger aus Pappe, sondern aus Styropor…“

„Dann war es eben ein Kunststoff Kisterl…oder eine Kunststoffschachtel.“

„Und was ist denn ein Kasten?“

„Das ist wiederum was ganz anders. Man hat Bierkasten oder Mineralwasserkasten…“

„Es gibt aber auch Weinkisten, oder?“

„Ja, das ist aber auch was anders. Möchten Sie mich mit Ihren Fragen wirr machen?“

„Kasten können aber auch aus Karton sein, nicht wahr? Sind sie in dem Fall Schachteln?“

„Ja vielleicht schon, aber nicht ganz.“

„Und dann habe ich mal gehört, dass Kasten verschließbar sind, Kisten aber nicht.“

„Nein, umgekehrt. Umzugskisten kann man schließen. Kasten sind offen, aber nicht immer.“

„Und Schachteln?“

„Sowohl wie auch. Aber Vorsicht! Im Bairischen ist a Kasterl auch ein Schrank – a Kleiderkasterl…“

Ich werde an dieser Stelle dieses für den Ausländer endlos verwirrendes Gespräch unterbrechen. Nur zwei Punkte möchte ich hier hinzufügen: 1.) Meine Frau ist mit den Erklärungen von Frau M. vollkommen einverstanden und 2.) Der Duden erklärt die Begriffe mit ähnlichen Worten – als hätte er von Frau M. glatt abgeschrieben.

Fazit: Irgendwann wird man in der Auseinandersetzung mit der Fremdsprache allein gelassen. Dann heißt es: Untergehen oder mitschwimmen lernen.Was ich über Kasten, Kisten, Schachteln usw. erzähle, gilt ebenso für Schnur, Strick, Seil und Co. Auch diese Begriffe eine reine Tortur, um Expertise zu prüfen.

P.S. Mein Serverjammer ist noch immer brandaktuell. Das lange Warten auf eine cyberspace (Er)lösung geht weiter. Allen Lesern meinen Dank für Ihre Geduld. Der Server soll mir für meine Geduld danken. Hoffentlich sind in den vergangenen Wochen keine Kommentare verloren gegangen. Diese Glossen sind inzwischen zu einer einseitigen Kommunikation geworden – fast wie ein Buch.

Ludwig Reiners „Stilkunst“ – oder „Stehlkunst“?

Ich kannte den Namen Ludwig Reiners nicht.

Anders meine Frau. Als ich mit einem Exemplar seiner „Stilkunst“ nach Hause kam, jauchzte sie: „Ach! Ludwig Reiners’ ‚Stilkunst’.“

„Kennst du den?“

„Natürlich. Kennt jeder.“

Ich habe mein Exemplar antiquarisch erstanden, es hat drei oder vier Euro gekostet: ein hübscher Einband aus dem Jahr 1961, beim Beck’schen Verlag erschienen. 2004 wurde das Buch zum (bisher) letzten Mal (so weit ich weiß) bei Beck neu verlegt. Reiners selbst (geb. 1896) hat den fortdauernden Erfolg seines Buches nicht mehr erlebt. Er starb 1957.

Es hat ihm jedenfalls nie an namhaften Bewunderern gefehlt – zum Beispiel dem Lyriker – Eugen Roth, der auch sein Freund war. Auch Wolf Schneider, heutige Stilpapst aller deutscher Muttersprachler, hat seine Begeisterung für den beliebtenVorgänger schriftlich kundgetan.

Die freundliche Aufnahme ist verständlich – auch wenn der Autor der „Stilkunst“ manchmal komische Dinge behauptet, zum Beispiel: „Den aufgelockerten Stil Heines schreibt heute jeder mittlere Journalist“. Dennoch mag man den skurrilen Charmebolzen. Das Buch strotzt vor erbaulichen (und lustigen) Beispielen und Zitaten, die den guten Stil untermauern. Ja, ich habe mich meines Zufallskaufs sehr gefreut und habe, neugierig wie ich bin, den Namen sofort gegoogelt, um mich über den Autor ein bisschen zu informieren. Schade.

Denn gleich erfuhr ich, dass Reiners einen ganz anderen Lebensweg beschritten hatte, als ich es mir erträumt habe. Ich habe ihn nämlich als humorvollen und gelehrten Literaturwissenschaftler vorgestellt. In Wirklichkeit war er Kaufmann (an der Börse, in der Schweinindustrie usw.). Doch warum auch nicht? Um eine Stilfibel zu verfassen, braucht man keinen akademischen Grad. Eine Liebe zu und Gefühl für Sprache und natürlich die Fähigkeit, diese Talente spannend zu vermitteln, reichen allemal. Der große amerikanische Lyriker Wallace Stevens war Jahrzehnte lang bei einer Versicherungsgesellschaft als Erbsenzähler tätig.

Zugegeben seine Mitgliedschaft bei der NSDAP (seit 1933) machte mich ein bisschen stützig. Aber auch das schien mir nicht weiter tragisch. Poet Günter Eich war ebenfalls Parteimitglied, und Günter Grass diente als Jüngling, wie jeder weiß, in der SS. Es war halt die Zeit…

Kurzer Themenwechsel. Die Chancen, dass Ihnen der Name Eduard Engel (geb. 1851) geläufig ist, sind äußerst gering. Ich kenne ihn, weil ich sein Buch, „Deutsche Stilkunst“ lange besitze. Dieses Werk erschien 1911 zum ersten Mal. Engel, ein beachtungswerter Sprach- und Literaturwissenschaftler, thronte einst als großer Kenner der deutschen Sprache und Kultur. Seine „Stilkunst“ erlebte bis 1931 31 Auflagen. (Mein in Fraktur gedrucktes Exemplar stammt aus der 17. Auflage). Zwanzig Jahre war der beredsame deutschnationale Engel der Stolz seines deutschen Vaterlands. Leider besaß er einen kleinen dafür aber verhängnisvollen Schönheitsfehler: Er war Jude – wenn auch kein praktizierender.

Für die Nazis dennoch ein Horror, einen jüdischen „Sprachpapst“ feiern zu lassen. Seine vielen Werke – darunter seine „Stilkunst“ – wurden alsbald verboten und eingestampft. Engel starb 1938 verarmt und von der jungen Generation schnell vergessen.

Nicht allerdings von seinem jungen Bewunderer Ludwig Reiners…und jetzt ahnen Sie schon, wohin die Reise führt. 2004 veröffentlichte der Schweizer Philologe Stefan Stirnemann in der Zeitschrift „Kritische Ausgabe“ einen Aufsatz mit dem Titel: „Ein Betrüger als Klassiker: Eduard Engels ‚Deutsche Stilkunst’ und Ludwig Reiners“. Stirnemann ist überzeugt, dass Reiners „Klassiker“ ein reines Plagiat ist. Zitat Stirnemann: Reiners „schrieb ab und um“. Mitunter kopierte er, manchmal mit Fehlern, den reichen Vorrat an Beispielen und Zitaten aus dem Engel-Buch. 1943 – in diesem Jahr erschien Reiners’ Klassiker – wäre diese Fleißarbeit ohne Weiteres möglich, zumal Engels Werk längst von der Bildfläche verschwunden war. Ich werde an dieser Stelle nicht von Stirnemann abschreiben. Wer sich für die Details interessiert, findet sie, zum Beispiel, bei Wikipedia unter Stichwort „Reiners“ bzw. „Engel“. Übrigens: Eugen Roth hat seinen Freund Reiners einmal richtigerweise als „Feierabend- und Sonntagsschreiber“ bezeichnet. Er meinte es allerdings als Kompliment.

Mich hat es allerdings gewundert, wie schnell Engel in Vergessenheit geraten war. So schnell vergeht der Ruhm. Vielleicht war die Ursache – neben dem Verbot der Nazis – die Tatsache, dass seine Bücher in Fraktur erschienen. Nach dem Krieg kannten nur noch Spezialisten den Namen Eduard Engel.

Ich weiß nicht, warum ich hier diese Geschichte erzähle. Irgendwie tun mir beide leid: der einer weil ihm seine literarische Stimme geklaut wurde, der andere, weil er an einer verhängnisvollen Charakterschwäche litt.

Urteilen Sie aber selbst. Lesen Sie den erwähnten Stirnemann-Aufsatz (einen zweiten Text, „Ich habe gemacht ein feines Geschäft“, wurde 2007 in der NZZ veröffentlicht). Im Internet findet man – fast – alles.

PS Mein Serverleiden ist noch nicht zu Ende. Nur Geduld, sage ich Ihnen. Nur Geduld, sage ich mir. Zuallerletzt stirbt die Hoffnung.

Vorsicht! Datenschwundzone! (oder: Die Horrorwolke)

Hilfe! Ich bin in einer Wolke gefangen!

Augenblicklich könnte dieser Text verschwinden, wenn er nicht schon jetzt verschwunden ist. Paff! Und dennoch: Für den Fall, dass diese Worte doch noch sichtbar sind, hier meine dringliche Warnung vor der Wolke:

Ja, die Wolke. „Clouding“ heißt das bei den Techies: das Speichern von Daten auf großen Servers. Haben Sie gemerkt, wie die Wolke eine immer größere Rolle als Speichermedium einnimmt? Festplatte, USB-Sticks ade, wird es bald heißen. Alles Wissen wird in der Wolke schweben. Nur: Was passiert, wenn einer den (oder die) Stecker zieht? Oder wenn ein Trojaner alles vernichtet oder die Neutronbombe einschlägt?

(Hmmm. Sind diese Worte überhaupt sichtbar? Oder schreibe ich schon jetzt für den Katz? Miaaauu?)

Ich stelle diese Fragen aus persönlichen Gründen. Fakt ist: Die Existenz dieser Webseite hängt im Augenblick an einem dünnen Stromkabel. Vielleicht ist Ihnen das Problem bereits aufgefallen: Seit beinahe zwei Wochen stimmt beim Sprachbloggeur etwas mit der Technik nicht. Ein Knacks rumort durch den Server, und ich kann ihn nicht einmal annäherend sachlich erläutern.

Einzig weiß ich: Die Programmuhr meiner Seite ist außer Betrieb, ist folglich irgendwo in der Vergangenheit stehen geblieben. Das Resultat: Wenn ich einen Beitrag hochzulade, erscheint er gar nicht auf dem Bildschirm. Für den Server werde die Gegenwart als Zukunft gedeutet, wurde mir erklärt. Meine Beiträge existieren für den Server also nur in der Zukunft, seien de fakto nicht aufrufbar. Alles klar? Mir nicht. Nur durch ein Kunststück ist es jedes Mal möglich, einen neuen Beitrag hochzuladen. So war es schon letzte Woche. Und weil ich dieses Kunststück selbst nicht beherrsche, muss ich warten, bis einer vom Server mich durch diese Zeitlupe führt.

Der verkorkste Server verhindert nicht nur die Veröffentlichung meiner Beiträge. Auch Ihre Kommentare kommen nicht zum Vorschein. Mittlerweile erhalte ich böse Post sogar von meinen Spammern. Sie beschweren sich, weil sie erhebliche Schwierigkeiten haben, ihre Werbung für Potenzmittel, Kasinos, polnische Ferienwohnungen usw. mir aufzuzwingen. Die Situation ist also sehr ernst.

Immerhin ist die Lage nicht ganz hoffnungslos. Mein Provider hat mir versichert, dass er dabei ist, etwas, wovon ich keine Ahnung habe, zu richten. Hoffen wir das Beste.

Und was, wenn der Sprachbloggeur digital erstirbt? Wissen Sie, dass es fast nirgends (so weit ich weiß) papierne Ausdrücke der vielen Sprachbloggeur-Beiträge gibt? Das heißt: Sollte der Server tatsächlich hopps machen, wird diese Seite nur noch in der Erinnerung seiner Leser existieren.

In der Wolke lauert große Gefahr.

Und es kann noch schlimmer werden. Nun will Facebook Ihr ganzes Leben (Bilder, Tagebucheinträge, Erinnerungen usw.) in der Wolke speichern, damit Sie jederzeit im Jahr 2072 die Dummheiten von 2011 aufrufen können (gähn). Amazon bietet seinen Kindle-Kunden die Wolke als private Bibliothek für gekaufte E-Bücher an.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin kein Technikfeind. Im Gegenteil. Ich habe selbst mal erwägt, ein E-Buchlesergerät oder ein Tablett zu erwerben. Nur: Was passiert, wenn einer den – bzw. die – Stecker wirklich zieht? Und was geschieht, wenn der raffinierte Trojaner eines Geltungsgetriebenen alle Daten aller Menschen mit einem Mal doch vernichtet?

Als Kind hat mir der Film „The Incredible Shrinking Man“ („der unglaubliche schrumpfende Mann“), deutsche Titel „Die unglaubliche Geschichte von Mister C.“, Angst gemacht. Er erzählte von einem Mann, Mister C., der sich an einem sonnigen Sommertag auf dem Bug eines Motorbootes aalte. Plötzlich verschwand das Boot – nur kurz – in einer tiefhängenden Wolke. Mister C. dachte sich nichts dabei – bis er feststellte, dass er zu schrumpfen begann. Zuerst waren es nur Kleinigkeiten. Seine Hose schienen ihm zu lang geworden zu sein. Doch bald musste er auf Stühle klettern. Dann war er so groß wie sein Hund. Er wurde immer kleiner – bis er winziger als eine Stubenfliege wurde. Am Schluss konnte er durch ein Nadelöhr schlüpfen. Ein erschreckender Film für ein Kind, das sich freut, mal größer zu werden. Lange hatte ich wegen dieses Films Angst vor Wolken. Und nun verspüre ich die alte Angst schon wieder.

Haben Sie gewusst, dass wir heute besser informiert sind über das tägliche Leben der Babylonier als über das der uns zeitlich näher liegenden Römer? Warum? Weil die Babylonier ihre Briefe, Schulbücher, Verträge, Gerichtsurteile, Literatur usw. auf Tontafeln schrieben. Diese Tafeln sind beinahe unverwüstlich. Die Römer hingegen speicherten ihre Archiven auf Papyrus oder Pergament. Diese Unterlagen halten zwar einige Jahrhunderte lang, nicht aber Jahrtausende. Wenn sie nicht kopiert werden, sind sie weg.Was können wir uns von den Digitalspeichern erhoffen?

Noch immer weiß ich nicht, wer diese Warnung zu Augen bekommt. Vielleicht ist es schon zu spät. Vielleicht habe ich schon jetzt nur für die Katz geschrieben. Miaaauu.

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