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Nun zum endgültigen letzten Mal: das Verschwinden des Verschwindens!

Mit Hand auf Herzen verspreche ich, dass dies das letzte Mal ist, dass ich das leidige Thema „verschwinden in die/der Wolke“ bespreche. Denn nun habe ich das Problem endlich gelöst. Wirklich.

Meine Begeisterung im letzten Beitrag war leider etwas verfrüht. Zur Erinnerung: Ich wollte dort erklären, warum ein Flugzeug im Deutschen nur „in der Wolke“ und nicht „in die Wolke“ verschwinden kann (obwohl ich selbst nicht ganz überzeugt war, dass es so ist). Doch dann bekam ich zwei ausführliche Kommentaren zum Beitrag: einen von langjähriger Leserin Lola und einen von Anonym. Beide erläuterten, dass sowohl „das Flugzeug verschwindet in die Wolke“ wie auch „das Flugzeug verschwindet in der Wolke“ richtig seien, Es hänge nur davon ab, ob das Flugzeug in die Wolke hineinfliege oder schon drinnen sei – was auch mein ursprünglicher Standpunkt war.

Diese Erklärung ist auch logisch. Nicht anders als wenn man sagt, „er geht ins Zimmer“ und „er ist im Zimmer“.

Doch warum sind manche fest davon überzeugt, dass nur „das Flugzeug verschwindet in der Wolke“ zum guten Ton zählt?

Nach Erscheinen meiner Glosse ging ich ins Paradies. Sie wissen schon: mein Lieblingsgemüseladen, wo diese Woche die sizilianischen Pfirsische himmlisch schmecken – und nur zwei Euro fünfundneunzig das Kilo kosten! Ein Herbstwunder.

Ich hatte schon Diverses (mitunter ein Kilo sizilianische Pfirsische) auf den Ladentisch gelegt und die Rechnung schon bezahlt. Frau M. war dabei, mir die Sachen in meiner mitgebrachten Einkaufstasche zu verstauen (notabene – in „meiner“ und nicht in „meine“). Nun fragte ich: „Liebe Frau M., ist Ihre Hand gerade in der oder in die Tasche verschwunden?“

„In der Tasche“, antwortete sie spontan.

Ein krasser Widerspruch zu der Meinung von Lola und Anonym.

Wohl merkte mir Frau M. das Unbehagen an. „Aber wir können auch die anderen hier im Laden fragen“, schlug sie gutmütig vor –– und wandte sich an eine in der Nähe stehende Kündin. „Ist meine Hand gerade in die oder in der Tasche verschwunden?“

„In die Tasche“, antwortete die Kündin selbstbewusst.

„Und was meinen Sie?“ fragte Frau M. eine andere Kündin.

„In die Tasche.“

„Oje“, sagte ich. „Jetzt bin ich völlig durch den Wind. Auch ich würde lieber ‚in die Tasche’ sagen.“

„Oje“, sagte Frau M., „Ich verstehe kein Deutsch mehr. Vielleicht ist mein ‚in der Tasche’ nur Bayrisch?“

Pure Konfusion im Laden, als ich mit meinen leckeren sizilianischen Pfirsischen nach Hause ging. Zuhause fragte ich nun meinen Sohn, ob das Flugzeug, wenn es die Wolke anpeilt, in die oder in der Wolke verschwunden sei.

„In der Wolke“, antwortete er nach kurzem Überlegen.

Gleiche Antwort bekam ich am Abend von meiner Frau.

Nun blieb mir nichts anders übrig. Ich rief meinen Sprachguru an, der gerne namenlos bleiben möchte und sich momentan in der Reha befindet. Es geht ihm übrigens viel besser. Ich schilderte ihm das Problem mit dem Flugzeug und der Wolke. „In der Wolke“, sagte er. „Das ist eindeutig. Ich weiß, du denkst an die Bewegung, die im Deutschen normalerweise durch den Akkusativ ausdrückt wird, aber eine Sprache ist nie ganz logisch konstruiert.“

Nun erläuterte ich ihm meine Theorie, dass das „Verschwinden“ fürs deutsche Ohr als Zustand zu verstehen sei.

„Klingt vernünftig“, erwiderte er, man merkte, dass er auf seinen Zauberlehrling stolz war, „Aber schau lieber in den sechsbändigen Duden, den ich dir mal geschenkt habe. Da findest du alles.“

Das tat ich auch und las auf Anhieb den Beispielsatz: „Der Zug verschwand in der Ferne“ – nicht also in „die“ Ferne. Hmm. Und dann stieß ich endlich auf die lang gesuchte Antwort. Duden bringt das Beispiel: „Er verschwand im/ins Haus.“ Das erinnert sehr an mein Flugzeug und die Wolke. Duden erklärt allerdings, dass „verschwinden“ in diesem Fall „gehen“ bedeutet (wie: „ich verschwinde schnell, ich muss mal“). Und noch wichtiger: dass „Verschwinden“ im Sinne von „gehen“ ausschließlich Umgangsprache sei. Das heißt: Man kann nur in der Umgangsprache in „eine“ Wolke verschwinden. Wenn man hochgestrochen schreibt, muss man in „einer“ Wolke verschwinden.

Aber wer weiß: Die Umgangsprache von gestern kann durchaus mal die Hochsprache von morgen werden.

Fazit: Alle haben recht. Was könnte schöner sein! Ein Schluss wie das Paradies selbst. Noch schöner: Das Problem des Verschwindens verschwindet nun endgültig. Über die „Wolke“ hingegen gibt es noch einiges zu sagen. Das aber ein anderes Mal.

Werden Sie Augenzeuge! Jetzt gleich wird der Sprachbloggeur ein kniffliges Problem der deutschen Sprache meistern!

Das Thema ist schier unerschöpflich – jedenfalls mir. Für Muttersprachler hingegen gar kein Thema.

Ich werde es folgendermaßen formulieren: Ist „Waldjunge“ Ray im Wald oder in den Wald verschwunden?

Die Frage ist freilich eine rein grammatikalische. Über Ray habe ich schon letzte Woche ausführlich berichtet – und es gibt darüber kaum Neues zu sagen. Ray hat sich mittlerweile im Jugendheim in Berlin, wo er vorübergehend haust, bestens angepasst. Er schaut mit den anderen Jugendlichen fern, raucht Zigaretten, geht gerne unter die Dusche. Umso klarer wird es, dass es sich hier nicht um einen wilden Menschen handelt. Sein Englisch scheint übrigens britisch zu sein. Dennoch wollen manche einen kaum spürbaren fremden Akzent heraushören.

Aber zurück zum „Verschwinden“.

Abermals auf dieser Seite habe ich die Frage gestellt (und keine befriedende Antwort erhalten), warum sich der deutsche Muttersprachler, wenn einer verschwindet, die Frage: „wo“ und nicht „wohin“ er verschwunden ist, stellt.

„Tja, es ist einfach so“, sagte mir letzte Woche meine Nachbarin, Frau S.

„Ja, aber stellen Sie sich vor: Sie schauen in den Himmel. Sie sehen ein Flugzeug, das in Richtung einer Wolke fliegt. Und zack! Plötzlich ist das Flugzeug nicht mehr zu sehen. Ist es in die oder in den Wolken verschwunden?“

„In den Wolken, natürlich.“

„Aber warum? Versinkt ein Mensch im Wasser oder ins Wasser? Schließlich handelt es sich in beiden Fällen um einen Ortswechsel.“

„Im Wasser.“

„Sagt man aber nicht, dass ein Flugzeug in die – und nicht in den – Wolken fliegt? Und springt ein Mensch ins Wasser und nicht im Wasser? Verschwinden, fliegen, versinken, springen – es handelt sich bei allen diesen Wörtern um einen Ortswechsel, eine Bewegung. Oder?“

„Ja, schon, aber…Ja! Ich kann mir vorstellen, dass einer sagen könnte: ‚Guck! Das Flugzeug! Es verschwindet! In die Wolken!’ Ja, das könnte man sagen.“

Frau S. hat sich sehr bemüht, mir ein Erfolgserlebnis zu gönnen. Letztlich konnte sie nicht über den eigenen sprachlichen Schatten springen.

Mit Sicherheit verstehen Sie meine Frust…

Aber halt! Ein Wunder ist geschehen! Stellen Sie sich vor: Während ich diese Klage hier niederschreibe, geht mir plötzlich ein Lichtlein auf. Ja, ich glaube allmählich zu verstehen, warum Ray im Wald und nicht in den Wald verschwunden ist. Ja, liebe Leser, Sie sind in diesem Moment Augenzeugen eines Denkprozesses geworden. Denn gerade jetzt habe ich das lästige Problem gelöst. Sie erleben die Lösung also synchron mit mir.

Und hier ist sie, die schöne Lösung: Für das deutsche Sprachempfinden ist ein Verschwinden stets ein Zustand und keine Tätigkeit. Ja, so ist es! Auch „Sein“ ist ein Zustand. Man sagt: „Er ist im Wald“. Keiner käme auf die Idee, „er ist in den Wald“ zu sagen. Der deutsche Sprachsinn fragt sich, wenn es um Zustände geht, nur Wo und nie Wohin. Und weil eben das „Verschwinden“ und das „Versinken“ als Zustände empfunden werden, kann die Wolke, wo verschwunden wird, nur als Ort verstanden werden; dito das Wasser, wo versunken wird.

Alles klar?

Falls nicht, ist auch egal. Sie gehen das Risiko ohnehin nicht ein, diesen Fehler zu machen. Hauptsache weiß ich, warum das Flugzeug in den Wolken verschwunden und der Mensch im Wasser versunken ist.

An dieser Stelle wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir zurufen würden: „Willkommen in der deutschen Sprache, lieber Sprachbloggeur.“ Nota bene: Man sagt hier in „der“ und nicht in „die“ Sprache. Für den Deutschen ist auch ein „Willkommen“ nur ein Zustand.

He, Ray, bist du wirklich ein „Waldjunge“?

Als ich Sonntag nach den Stichwörtern „Ray“, „Berliner“ und „Waldjunge“ googelte, stieß ich auf ca. zehn Treffer. Ein mickriges Ergebnis. Gestern waren es schon das Dreifache.

Doch bevor ich über Ray erzähle, zuerst ein kurzer Rückblick: 1531 trat im Hasperger Wald bei Salzburg ein „Forstteufel“ in Erscheinung. Nur Folgendes ist über ihn bekannt: dass sein Körper mit einem rötlichen Fell bedeckt war und dass er auf allen vieren ging. Er starb, kurz nachdem er dingfest gemacht wurde. Immerhin existiert ein Bild von ihm. Es zeigt ein Wesen mit Löwenkrallen und Vogelbeinen, mit einem Schwanz wie ein Hund und einem bärtigen Gesicht. Natürlich ein Fantasieporträt, trotzdem sehr beeindrückend. Der Schweizer Naturwissenschafter Conrad Gesner hat uns den einzigen bekannten Bericht über den Forstteufel in seiner „Historia Animalium“ (1552) überliefert.

Aber zurück zu Ray. Er wurde nicht dingfest gemacht. Er ist schnurstracks allein ins Rote Rathaus nahe dem Alexanderplatz gegangen, wo er seine abenteuerliche Geschichte erzählte – und zwar auf fließendes Englisch. Seine Deutschkenntnisse scheinen hingegen rudimentär zu sein.

Sein Erscheinungsbild wirkt – im Gegensatz zu dem des Forstteufels vom Hasperger Wald –ganz normal. Ich habe im Internet ein Bild in Passfotoformat von ihm gesehen. Natürlich war das Gesicht – wie immer heute, wenn man neugierig wird – stark verpixelt. Dennoch scheinen seine Gesichtszüge wohlproportioniert zu sein, die gefransten Haare rotblond und glänzend, die Schultern breit, der Gesamteindruck anmutig. Kein Glockner von Notre Dame ist Ray, der angibt, 17 Jahre alt zu sein. Offenbar kennt er auch seinen Geburtstag.

Er berichtete, dass er seit fünf Jahren mit seinem Vater Ryan durch die Wälder streifte. Diese Odyssee begann, kurz nachdem seine Mutter Doreen gestorben sei. Zwei Wochen bevor er in Berlin auftauchte, sei sein Vater durch einen Sturz im Wald tödlich verunglückt worden. Ray habe die Leiche unter Steinen verscharrt. Er wisse aber nicht mehr, wo.

Immerhin hatte Vater Ryan seinem Sohn stets eingbläut, dass Ray für den Notfall auf den Kompass schauen und nach Norden, nach Berlin, marschieren sollte. Genau das hat Ray getan. Als er das Rote Rathaus betrat, besass er – neben Kompass und einer Landkarte – ein Zelt, einen Schlafsack und einen Rücksack, der mit Wintersachen gefüllt war. Der Jüngling machte einen gesunden, unverwahrlosten Eindruck. Die Polizei sucht jetzt über Interpol nach Verwandten usw. Weil Ray minderjährig ist, kam er in die Obhut eines Vormunds.

Mehr weiß ich nicht über den Fall Ray. Mehr steht in den Texten der verschiedenen online Ausgaben von Zeitungen und Zeitschriften nicht. Ein ungenannter Polizist halte die Geschichte für „glaubhaft“ – zumindest nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen. Nur in einem Text erfuhr ich, dass zumindest ein Polizist skeptisch ist. Vor allem wegen Rays zu gepflegten Aussehens.

Als Autor von „Kaspar Hausers Geschwister“ bin ich selbst ziemlich expert auf dem Gebiet der „Wolfskinder“. Folgende Fragen würden mich interssieren: 1.) Was für ein Englisch spricht Ray? Damit meine ich nicht nur, ob er Engländer oder Amerikaner ist. Es gibt auch regionale Schattierungen der englischen Sprache. 2.) Kann er lesen und schreiben? Wenn ja, wo hat er das Lesen und Schreiben gelernt? Kennt er Lieder? Nach dem bisherigen Stand der Dinge heißt es, dass er sich nur etwa fünf Jahre zurückerinnern kann. Sein Leben beginnt also um die Zeit, als er mit dem Vater in den Wald ging. 3.) Woher stammen seine Kleider– inklusiv Unterwäsche und Strümpfe und selbstverständlich Schuhe? Ich würde Ray viele Fragen über das Leben im Wald, übers Kochen, Waschen usw. stellen.

Ray erschien am Roten Rathaus nahe Alexanderplatz am 5. September. Die ersten Berichte waren erst etwa zwei Wochen später zu lesen – genügend Zeit, so meine ich, um viel über Ray zu erfahren – gesetzt den Fall, man stellt die richtigen Fragen.

Auch dem Forstteufel hätte ich gerne Fragen gestellt, falls es sich nicht um einen elenden Verblödeten gehandelt hatte. Seine Geschichte ist leider so gut wie unbekannt. Was heißt es, zum Beispiel, genau, dass er behaart war? Dass er nackt durch den Wald gelaufen ist? Wenn er wirklich ein Nackerter war, wäre dies eventuell ein Indiz, dass man ihn im Sommer erspäht und dingfest gemacht hat und dass er vielleicht nur wenig Zeit im Wald verbracht hatte. Konnte er reden oder zumindest Sprache verstehen? Die Geschichte, die uns überliefert wurde, ist aber leider nur eine Ausgeburt der Fantasie. Fantastisches erzählt man aber gerne weiter, weil es oft interessanter ist als die Wirklichkeit.

Auch über Ray wird momentan fantasiert. Nur: In seinem Fall könnte man noch immer an die Fakten kommen. Ich persönlich gehe davon aus, dass Ray nur ein Teilzeit-Waldjunge war. Noch aber wissen wir zu wenig. Am Ende wird die Geschichte etwas weniger spektakulär klingen dafür aber nicht unbedingt weniger interessant. Fortsetzung folgt.

Gedanken über das „Blickficken“

„He Mann, willst du mich blickficken oder was?“

So ähnlich war der Text, den meine Frau mir an einem gemütichen Sonntagnachmittag aus der Zeitung vorlas. „Kennst du diesen Ausdrück?“ fragte sie.

„Ob ich was kenne?“ Natürlich habe ich zunächst nur halb zugehört. Typisch Mann.

„‚Blickficken’. Hast du das Wort mal gehört?“

„Nein, noch nie. Aber ich kann mir was darunter vorstellen. Man zieht jemanden mit den Augen aus.“

„Das ist aber ein Schlägertyp, der es sagt, bevor er zuschlagen will.“

„Was liest du da?“

„Einen Artikel in der SZ.“

Ich erzähle diese kurze Anekdote aus der häuslichen Gemütlichkeit nur wegen dieses Wortes. Vielleicht kennen Sie es schon. Ich nicht.

Spontan tippte ich auf eine Verdeutschung aus dem Amerikanischen. Zu meiner Zeit sagte man „fucking someone with your eyes“. Das ist natürlich sehr derb, hat die Leichtigkeit des „Blickfickens“ nicht und kommt einem bestimmt nicht vor einer Schlägerei über die Lippen. Was mir aber besonders gefällt, ist das Echo der zwei „ick“-Laute. Nein, das „Blickficken“ hat bestimmt eine andere Herkunft als diese.

Gibt es vielleicht im Englischen ein „look fuck“? fragte ich mich. „Look fuck“ wäre ein passendes Äquivalent fürs „Blickficken“ War nur eine Idee, aber neugierig googelte ich diese Wortschöpfung, für den Fall dass es sie tatsächlich gibt.

Jawohl! Meine Sprachinstinkte funktionieren noch immer. Folgendes Zitat entdeckte ich auf einer „Facebook“-Seite: “your picture is beautiful LOL..jk you look fuck ugly :)”.

Die Freude währte nur kurz. Hier geht es nicht um ein „look-fuck“, sondern um ein „fuck-ugly“. Zu Deutsch: „Du siehst grottenschlecht aus.“

Doch dann stieß ich auf folgendes Zitat aus einem Hiphoplied, „Cashmere Thoughts“, von JayZ. Ich zitiere: „I pimp hard on a trick: look fuck if your leg broke bitch, hop up on your good foot.”

Fragen Sie bitte nicht, was der Satz bedeutet. Es genügt zu sagen, dass das Bild sehr aufgesext ist – zumindest das mit dem „pimp hard on a trick“. „Look fuck“ scheint hier aber etwas wie „intensiv gucken“ zu bedeuten. Dass würde auch gut zu dem deutschen Schläger aus der SZ passen.

Meine Theorie: Der Begriff „look fuck“ stammt aus der Hiphopszene und wurde von einem sprachbegabten Atzen in ein „blickficken“ verwandelt.

Schöne Theorie aber letztendlich nicht mein eigentliches Anliegen. Ich stelle hier das „Blickficken“ aus einem anderen Grund vor: Ich möchte nämlich für seine langfristige Aufnahme in die deutsche Sprache plädieren und bin sogar bereit, die Patenschaft zu übernehmen.

Ich weiß. Ich mache es mir mit diesem Vorhaben nicht gerade leicht. Derbheiten haben es schwer, wenn sie eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung ersuchen, sie sind so unbeliebt wie Asylsuchende aus Afrika.Die Frage soll eher lauten: Ist das „Blickficken“ überhaupt integrationsfähig? Warum nicht? sage ich. Immerhin: „Fick mich ins Knie“, jene bunte Halbübersetzung fürs sehr unanständige „go fuck yourself“ hat es geschafft, wenn auch noch nicht in die Unterhaltungen der vornehmsten Kreise vorgedrungen.

Fürs „Blickficken“ bin ich momentan weniger hoffnungsvoll. Schade. Wissen Sie: Für manches sucht man lange und vergeblich nach dem passenden Wort. Mit dem „Blickficken“, kann man beinahe die ganze traurige Geschichte der Gegenwart mit einem Begriff zusammenfassen. Ist das nicht komisch? Manchmal hat man das Wort, das man braucht, um etwas zu beschreiben und weiß es gar nicht.

Gedanken über das „Blickficken“

„He Mann, willst du mich blickficken oder was?“

So ähnlich war der Text, den meine Frau mir an einem gemütichen Sonntagnachmittag aus der Zeitung vorlas. „Kennst du diesen Ausdrück?“ fragte sie.

„Ob ich was kenne?“ Natürlich habe ich zunächst nur halb zugehört. Typisch Mann.

„‚Blickficken’. Hast du das Wort mal gehört?“

„Nein, noch nie. Aber ich kann mir was darunter vorstellen. Man zieht jemanden mit den Augen aus.“

„Das ist aber ein Schlägertyp, der es sagt, bevor er zuschlagen will.“

„Was liest du da?“

„Einen Artikel in der SZ.“

Ich erzähle diese kurze Anekdote aus der häuslichen Gemütlichkeit nur wegen dieses Wortes. Vielleicht kennen Sie es schon. Ich nicht.

Spontan tippte ich auf eine Verdeutschung aus dem Amerikanischen. Zu meiner Zeit sagte man „fucking someone with your eyes“. Das ist natürlich sehr derb, hat die Leichtigkeit des „Blickfickens“ nicht und kommt einem bestimmt nicht vor einer Schlägerei über die Lippen. Was mir aber besonders gefällt, ist das Echo der zwei „ick“-Laute. Nein, das „Blickficken“ hat bestimmt eine andere Herkunft als diese.

Gibt es vielleicht im Englischen ein „look fuck“? fragte ich mich. „Look fuck“ wäre ein passendes Äquivalent fürs „Blickficken“ War nur eine Idee, aber neugierig googelte ich diese Wortschöpfung, für den Fall dass es sie tatsächlich gibt.

Jawohl! Meine Sprachinstinkte funktionieren noch immer. Folgendes Zitat entdeckte ich auf einer „Facebook“-Seite: “your picture is beautiful LOL..jk you look fuck ugly :)”.

Die Freude währte nur kurz. Hier geht es nicht um ein „look-fuck“, sondern um ein „fuck-ugly“. Zu Deutsch: „Du siehst grottenschlecht aus.“

Doch dann stieß ich auf folgendes Zitat aus einem Hiphoplied, „Cashmere Thoughts“, von JayZ. Ich zitiere: „I pimp hard on a trick: look fuck if your leg broke bitch, hop up on your good foot.”

Fragen Sie bitte nicht, was der Satz bedeutet. Es genügt zu sagen, dass das Bild sehr aufgesext ist – zumindest das mit dem „pimp hard on a trick“. „Look fuck“ scheint hier aber etwas wie „intensiv gucken“ zu bedeuten. Dass würde auch gut zu dem deutschen Schläger aus der SZ passen.

Meine Theorie: Der Begriff „look fuck“ stammt aus der Hiphopszene und wurde von einem sprachbegabten Atzen in ein „blickficken“ verwandelt.

Schöne Theorie aber letztendlich nicht mein eigentliches Anliegen. Ich stelle hier das „Blickficken“ aus einem anderen Grund vor: Ich möchte nämlich für seine langfristige Aufnahme in die deutsche Sprache plädieren und bin sogar bereit, die Patenschaft zu übernehmen.

Ich weiß. Ich mache es mir mit diesem Vorhaben nicht gerade leicht. Derbheiten haben es schwer, wenn sie eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung ersuchen, sie sind so unbeliebt wie Asylsuchende aus Afrika.Die Frage soll eher lauten: Ist das „Blickficken“ überhaupt integrationsfähig? Warum nicht? sage ich. Immerhin: „Fick mich ins Knie“, jene bunte Halbübersetzung fürs sehr unanständige „go fuck yourself“ hat es geschafft, wenn auch noch nicht in die Unterhaltungen der vornehmsten Kreise vorgedrungen.

Fürs „Blickficken“ bin ich momentan weniger hoffnungsvoll. Schade. Wissen Sie: Für manches sucht man lange und vergeblich nach dem passenden Wort. Mit dem „Blickficken“, kann man beinahe die ganze traurige Geschichte der Gegenwart mit einem Begriff zusammenfassen. Ist das nicht komisch? Manchmal hat man das Wort, das man braucht, um etwas zu beschreiben und weiß es gar nicht.

Sexistische Erinnerung mit Konsequenzen

Sexistische Erinnerung mit Konsequenzen

Ich verzeihe Ihnen, Frauenbuchhandlung, und erkläre mein Boykott offiziell für beendet.

Worum geht es?

Vor dreißig Jahren war ich auf der Suche nach passender Literatur für einen Artikel über Göttinnen. Damals gab es noch kein Internet. Wer ernsthaft Recherchen betrieb, machte es wie seine Vorfahren aus dem 18. Jahrhundert: Er ging entweder in die Bibliothek oder in eine Buchhandlung.

Was wäre naheliegender, so dachte ich damals, als in der Frauenbuchhandlung nach einem Buch über Göttinnen zu suchen. Und das tat ich auch.

Ahnungslos und frohen Mutes trat ich in diese genannte „Frauenbuchhandlung“ ein. Hing eine Glocke an der Tür? So kommt es mir im Gedächtnis vor. Eine Frau (ihr Aussehen habe ich längst vergessen, sie war aber in den besten Jahren) saß reglos hinter einer Verkaufstheke. Vielleicht habe ich ein hastiges „Grußgott“ genuschelt. Mehr nicht. Denn schnell hatte ich an den Regalen das Hinweisschildchen „Mythologie“ visiert und mich auf die Suche gemacht. Nach wenigen Minuten hatte ich das Passende Buch tatsächlich aufgespürt. Doch kaum hatte ich es in der Hand, vernahm ich Folgendes:

„Es tut mir leid, aber Sie müssen den Laden sofort verlassen.“

Noch jauchzte meine Seele, weil ich genau das Buch gefunden hatte, das ich brauchte. „Ich muss den Laden verlassen? Wieso?“

„Hier ist Männern der Zutritt verboten.“

Nein, kein Witz. Das hat sie gesagt. „Aber das steht nirgends gekennzeichnet, erst recht nicht an der Eingangstür. Oder habe ich etwas übersehen?“

„Es heißt hier ‚Frauenbuchhandlung’. Die Sache dürfte selbstverständlich sein.“

„Ich will bloß ein Buch kaufen, das ich für meine Arbeit brauche, sonst will ich von Ihnen nichts.“

„Jetzt werden Sie frech.“

„Nein, im Gegenteil. Ich möchte dieses Buch haben. Es ist genau das, was ich brauche.“

„Dann gehen Sie in eine Männerbuchhandlung.“

„Wieso darf ich es nicht bei Ihnen kaufen?“

„Wir verkaufen an Männer nicht. Schicken Sie Ihre Mutter vorbei.“

„Sie versteht aber kein Deutsch. Außerdem lebt sie weit weg.“

„Ich kann Ihnen nicht helfen. Bitte, gehen Sie.“

Den nächsten Satz werde ich Ihnen ersparen. Ich war jung, empört und verfügte schon damals über einen ausreichenden Wortschatz deutscher Derbheiten. Dann ging ich und ließ die Ladentür hinter mir laut zuknallen, so dass die Glocken nachhallend bimmelten. Die Dame am Verkaufstisch meinte wahrscheinlich: typisch Mann.

Es war eine stupide Situation, und ich war beinahe sprachlos vor Entzetzen. Passiert mir immer, wenn ich mich hilflos fühle und ungerecht behandelt werde. Ein stilles, nutzloses Boykott war mein einziges Kampfmittel.

Inzwischen sind dreißig Jahre vergangen. Der Laden ist seitdem mindestens zweimal umgezogen, und ich bin älter geworden. Heute erkläre ich also mein Boykott offiziell für beendet.

Nur ein Problem: Ich traue mich nach wie vor nicht, in den Laden zu gehen. Was ist, wenn Männern der Zutritt immer noch verwehrt geblieben ist? Wer möchte zweimal brüskiert werden? Ein ernsthaftes Problem.

Finden Sie auch, dass ich gerade mindestens zwanzig brisante politische Konfliktherde und mehrere millionen private Reibereien beschrieben habe? Wundersam, nicht wahr? So einfach ist es, die Geschichte der Welt in Miniatur zu erzählen.

Darf man Witze über die Doomsday (sprich Weltuntergang)-Datei machen?

Ronald Reagan, Juri Andropow und Wojciech Jaruzelski stehen vor Gott. Andropow fragt: „Wann wird die Sowjetunion zugrunde gehen?“ Gott antwortet: „Keine Sorge. Bis dahin bist du lange tot.“ Nun fragt Reagan, wann Amerika untergehen werde. Gleiche Antwort: „Keine Sorge. Bis dahin bist du lange tot.“ Nun ist Jaruzelski dran. Er fragt: „Wann wird der Wohlstand in Polen einkehren?“ Gott antwortet: „Keine Ahnung. Bis dahin bin ich lange tot.“

Diesen alten Witz erzählte mir heute Freund E. während eines Telefongesprächs.

„Lustig, gell?“ sagte – bzw. fragte – er. „Ich habe es bei den ursprünglichen Namen belassen. Denn ein sowjetischer Militärattaché hat es mir vor vielen Jahren erzählt.“

„Man muss Pole sein, um darüber zu lachen“, sagte ich.

„Nein, Russe.“

Eigentlich hat E. nicht angerufen, um mir einen lahmen Witz aus der Zeit des Kalten Krieges zu erzählen. Er wollte mir Wichtiges mitteilen. „Ich habe eine spannende Story für dich“, sagte er.

„Ich habe keine Zeit. Ruf mich später an. Ich bin mitten im Schreiben.“

„Nein, sofort die Druckerpresse anhalten. Es geht um die ‚Doomsday-Datei’. Du weißt schon.“

„Nein, ich weiß nicht. Was für ‚Doomsday-Datei’?“ („Doomsday“ ist übrigens die englische Bezeichnung für den Jüngsten Tag).

„Von Julian Assange. Eine Datei, die die Namen aller seiner Wikileaks-Informanten enthält. Die Datei findet man zwar schon lange im Internet – allerdings verschlüsselt. Assange drohte früher mit der Veröffentlichung, für den Fall die CIA oder sonstige Geheimdienste ihn umzubringen vorhatte. Nur seine intimsten Mitarbeiter hatten das Passwort, mit dem man die Datei entschlüsselt.“

„Wieso soll sie ausgerechnet jetzt preisgegeben werden? Assange lebt.“

„Weil es Zwietracht zwischen ihm und seinen Leuten gibt. Manche halten ihn für zu profilsüchtig.“

„Und du meinst, dass irgendwelche ehemaligen Weggefährten das Passwort jetzt verraten haben.“

„Das weiß man eben nicht. Fest steht nur: Es gibt inzwischen Leute, die die entschlüsselte Datei haben. Wie sie dazu gekommen sind, kann ich nicht sagen. Es ist jedenfalls nur eine Frage der Zeit, bis ein Verrückter die Info freigibt. Dann ist ganz aus: die große Kernschmelze bei den Geheimdiensten findet auf der Stelle statt. Wäre was für dich, oder?“

„Wieso für mich?“

„Du könntest einen Text über das Phänomen ‚Doomsday’ schreiben. Vielleicht kannst du ihn an irgendeine Feueilletonseite verkaufen.“

„Warum soll ich mich für die Geschichte der Massenhysterie und der Paranoia interessieren?“

„Weil du Philosoph bist.“

„Ich bin Existenzphilosoph, und das ist was anders. Außerdem wollte ich heute über Loriot und den deutschen Humor schreiben.“

„Du weißt, was Winston Churchill über den deutschen Humor zu sagen hatte, oder?“

„Nein.“

„Er meinte: Der deutsche Humor ist nicht zum Lachen.“

„Engländer machen gerne Witze über Deutsche – und Russen über Polen.“

„Du wirst also keine Kulturgeschichte der Massenhysterie schreiben?“

„Bist du enttäuscht, wenn ich dir sage, dass es keinen Doomsday geben wird?“

„Soll auch das ein Witz sein?“

Könnte Goebbels das Printmedium retten?

Wurm: (an einem Stuhl gefesselt) Bitte, bitte nicht wieder schlagen.

Vorstandsvorsitzender: Jeder Vorstandsvorsitzender braucht seinen Prügelknaben. Bezahle ich Sie nicht gut genug?

Wurm: (schweigt).

Vorstandsvorsitzender: Wieso schweigen Sie? (Er schlägt zu)

Wurm: Aua aua aua!

Vorstandsvorsitzender: Also jetzt. Bezahle ich Sie nicht gut genug? Oder sind Sie heimlich zu den Gewerkschaftlern rübergegangen.?

Wurm: Nein! Nein! Sie bezahlen mich gut. Aber warum muss ich immer die schwarzen Strumpfhosen tragen.

Vorstandsvorsitzender: Was heißt immer? Nur in meinem Büro. Außerdem steht es in Ihrem Vertrag so. Und schweigen dürfen Sie nicht, wenn ich Fragen stelle. Steht auch im Vertrag.

Wurm: Ich dachte, ich müsste niesen. Es war ein Fehlalarm. Kennen Sie das nicht?

Vorstandsvorsitzender: Natürlich! Bin ich kein Mensch? Habe ich keine Augen? Habe ich keine Hände? Keine Nase? Ach! William Shakespeare. Der könnte die Auflagen in die Höhe schnellen. Verdammtes Internet! So einen wie Shakespeare müssten wir verpflichten. Am besten gleich klonen und einen in jede Redaktion setzen. Habe ich nicht recht, Wurm?

Wurm: (schweigt wieder).

Vorstandsvorsitzender: Kommt wieder ein Nieser? Oder möchten Sie nochmal Prügel kassieren?

Wurm: Nein, mir kitzelt’s in der Nase, aber es wird wieder nichts.

Vorstandsvorsitzender: Verdammt frustrierend, gebe ich zu. Aber sinkende Auflagen sind auch frustrierend. Mitdenker brauche ich, lieber Wurm, keine Jasager. Verstehen Sie das?

Wurm: Ja, ich verstehe.

Vorstandsvorsitzender: Sie wirken heute so müde. Ich glaube, Sie sind allmählich reif für die Insel. Stimmt’s? Oder stimmt’s nicht?

Wurm: Es war ein hartes Jahr, und die Wochenendarbeit setzt zu.

Vorstandsvorsitzender: Nehmen Sie ruhig ein paar Tage frei. Aber nur ein paar. Sie wissen. Wir brauchen Sie. Das darf ich Ihnen eigentlich nicht verraten. Aber wehe, wenn Sie neue Gehaltsforderungen machen! Dann haben Sie den Salat: Ich kündige Ihren Vertrag sofort und stelle Sie als freischaffenden Konsultanten ein – für weniger Geld, versteht sich. Und Urlaub ade! Natürlich werden Sie mir schriftlich versichern, dass Sie auch für andere Arbeitgeber tätig sind und weniger als fünfsechstel Ihres Einkommens bei uns beziehen. Haben wir uns verstanden?

Wurm: Ja, o Herr.

Vorstandsvorsitzender: Gut so. Und jetzt zurück zum Thema. Die Auflagen in die Höhe kitzeln. Wissen Sie, wer eine tolle Schreibe hatte?

Wurm: Thomas Mann?

Vorstandsvorsitzender: Nein, Sie Depp. Goebbels. Sie müssen mal seinen Artikel über den Reichstagbrand lesen. Einfach genial. Er macht müde Leser wieder munter. Persönlich schreibt er, vertrauensvoll. Man möchte die Tochter mit ihm verheiraten. Sie schauen so skeptisch. Halten Sie mich für einen Nazi?

Wurm: Nein, o Herr. Aber die Uhr auf Ihrem Schreibtisch zeigt halbsieben. Laut meinem Vertrag darf ich jetzt Feierabend machen. Oder muss ich schon wieder Überstunden einlegen?

Vorstandsvorsitzender: Sie haben es noch nicht verstanden, lieber Wurm. Es geht um unsere alle Zukunft. Das Leben kennt keine Überstunden. In einer halben Stunde dürfen Sie nach Hause. Vielleicht. Aber jetzt dalli dalli: Scharf nachdenken.

Wurm: Muss ich aber noch gefesselt bleiben, o Herr?

Vorstandsvorsitzender: Jeder hat seine Rolle zu spielen. Auch Sie.

Ganz ganz ganz Persönliches

Welche Farbe hat ihre Seele, lieber Besucher, liebe Besucherin dieser Seite?

Vielleicht ist „Farbe“ das falsche Wort. Ich meine nur, dass man als Kind mittels des Wortschatzes (und des Kulturschmuckes) einer gewissen Sprache die Welt zu deuten lernt. Voilà! Man wird auf eine gewisse Weise beseelt.

Heute geht es um Persönliches, sehr Persönliches. Als Schreibender in der Fremdsprache bediene ich mich notgedrungen der „Farbe“ Ihrer Seele. Und dennoch bin ich nicht fähig, an Ihrem „Wir-Gefühl“ teilzunehmen. Meine Seele hat nämlich bereits eine eigene Farbe.

„Aber bitte. Das ist wirklich etwas übertrieben“, sagte mir neulich Frau I., die liebe Goldschmiedin um die Ecke. „Sie sind so lange da. Es ist kaum möglich, dass unsere deutsche Mentalität nicht auf Sie einigermaßen abgefärbt hat. Mir kommen Sie jedenfalls nicht fremd vor. Aber bitte: Schriftsteller neigen gerne zum Pathetischen.“

„Ja, vielleicht haben Sie recht“, antwortete ich. „Meine amerikanische Seele ist sicherlich nicht mehr so waschecht wie früher, ist vielleicht durch die vielen deutchen Waschgänge sogar etwas blasser geworden. Wenn ich Amerika besuche, bin ich auch nicht ganz in der Lage, das „Wir-Gefühl’ in Gang zu setzen.“

„Na, also…“

Neulich war ich in der Alten Pinakothek und kam ins Gespräch mit einem älteren Herrn (das heißt: Er war älter als ich). Er argumentierte, dass die moderne Kunst im Vergleich zur alten Kunst auf ihn nur stumperhaft wirke. „Kunst kommt von ‚Können’“, beteuerte er. Ich war anderer Meinung. Bald wurde die Diskussion sehr lebendig. Und dann fragte er: „Sie sind aber nicht von hier, oder? Man hört etwas anders in der Stimme. Sind sie Engländer?“

„Nein, Amerikaner. Aber ich bin seit 1975 da.“

„Aha. Ich hoffe, Sie fühlen sich bei uns wohl.“

Notabene: „bei uns“ hod er g’sogt. Das heißt: Ich zähle für ihn nicht zu seinem „uns“, und er hat sogar das Bedürfnis, mich willkommen zu heißen, als wäre ich erst letzte Woche eingetroffen. Ist letztendlich in Ordnung, wenn ich zu seinem „Wir-Kreis“ nicht zähle. Denn meine Seele ist tatsächlich zweifarbig. Anders als Frau I. nahm er ausschließlich den andersfarbigen Teil wahr. Tja.

Und ausgerechnet muss ich Schriftsteller sein! Das heißt: Die Sprache ist mein Werkzeug, und mit ihr und durch sie will ich meine intimsten Erfahrungen vermitteln. „…wenn man in seiner Muttersprache schreibt, fließt das ganz anders“, schrieb mir neulich eine liebe alte Freundin, die außerdem eine großartige Schriftstellerin in der deutschen Sprache ist. Ihr Fazit: „…du solltest es unbedingt wieder mal auf Englisch versuchen…“

Früher hätte mich ein solcher gutgemeinter Ratschlag verunsichert, doch nicht mehr. No siree. Früher glaubte ich, es gebe lediglich ein Entweder oder ein Oder in dieser Sache.

Inzwischen habe ich verstanden, dass meine zweifarbige Seele sowohl deutschsprachige wie auch englischsprachige Bedürfnisse hat. Der Sprachbloggeur, zum Beispiel, will, ja, muss sogar, Deutsch erscheinen. Denn das Fremdsein ist seine einzigartige Perspektive. Diese Glossen würden wirklich sehr fade anmuten, wenn ich sie auf Englisch verfasste.

Gleiches gilt für meine vier (noch) unveröffentlichten deutschsprachigen Romane (so nenne ich sie, obwohl dieses Wort nicht ganz auf sie passt). Das Fremdsein ist nämlich in diesen Werken das Instrument schlechthin – viel bedeutungsvoller als die Sprache, die nur die Aufgabe hat, richtig zu klingen. Diese Bücher hätten in Englisch kein Ursprungsdasein.

Dafür habe ich aber andere Themen, die nur in meiner Muttersprache möglich sind, weil für sie gewisse mit der Muttermilch aufgesaugte Schwingungen eine unentbehrliche Rolle spielen. Solche Texte – etwa Lyrik oder Themen, die von Impulsen handeln, die existierte, bevor ich nach Deutschland kam – will ich, kann ich nur Englisch schreiben.

Wäre interessant, andere zu finden, die Ähnliches erleben wie ich. Ich glaube aber nicht, dass ich jemals einen finden werde – auch wenn er oder sie wie ich in der Fremdsprache schreibt. Denn jeder hat ureigene Themen, bzw., Schattierungen von Themen, die nach außen drängen, und diese können nie mit denen des Anderen hundertprozentig übereinstimmen.

Und deshalb meine Frage: Welche Farbe hat Ihre Seele?

Zehn Kilo an einem Tag abnehmen!

„Ich werde dir erklären, wie du die Trefferzahl deines Blogs schnell in die Höhe treiben kannst“, sagte mein lieber alter Freund Sandy, der letzte Woche in München zu Besuch war.

Nicht, dass ich ihm etwa vorgejammert hätte, „Der Sprachbloggeur“ habe zu wenig Verkehr. Im Gegenteil. Es geht uns gut. Doch Sandy wollte mir von einem Experiment berichten, das er in Frankreich, wo er heute lebt, ausprobiert hat.

„ Ich habe einen Blogbeitrag mit folgender Überschrift veröffentlicht: ‚Zehn Kilo an einem Tag abnehmen!’ Und stell dir vor: Innerhalb von nur wenigen Tagen wurde der Text 400.000 Mal angeklickt.“

Ehrlich gesagt, ich war skeptisch. Sandy übertreibt manchmal gerne. Schotten – er ist geborener Kirkcaldyier – macht es Spaß, „to take the pish outta ya“. Zu Deutsch – dem Sinne nach – „dich auf den Arm zu nehmen“. Wortwörtlich: „dir den Harn herauszuziehen“, was auch immer das bedeutet.

„Auch ich hätte eine Idee für eine reißerische Überschrift“, erwiderte ich. „Schon lange wollte ich einen Aufsatz mit dem Titel ‚Eine Grammatik der Pornographie’ schreiben.“

„Yi’ve gone completely doo-lally“, antwortete er. Zu Deutsch: „Du spinnst vollkommen.“

„Wieso?“

„Porno ist so grammatikalisch wie ich, wenn ich bevied (betrunken) bin. Oder meinst du etwa solche Unterschiede wie ‚aktiv’ und ‚passiv’ ‚männlich’, ‚weiblich’ und ‚Neutrum’? Da könntest du schreiben, dass einer seinen Nominativ in den Akkusativ des anderen geführt hat, während der Dativ nur zuschaute. Das wird deinen deutschen Lesern bestimmt gefallen, Jimmy. Deren Sprache erinnert mich mit all den Fällen ohnehin ans Lateinische.“

„Nein, im Ernst“, antwortete ich. „Pornographie ist tatsächlich eine Art Sprache, die gewissen grammatikalischen Regeln folgt.“

„Nu yer takin’ the pish outta me.“

“Nein, sei nicht so ein ‘dunderheed’“, sagte ich. Nach so vielen Jahren Freundschaft erlaube ich mir gelegentlich den Gebrauch seines Dialekts. Dafür verwendet er manchmal meine Amerikanismen. „Schau. Porno kann ohne eine Grammatik gar nicht existieren. Sie hat die Aufgabe, Sex glaubhaft zu präsentieren. Oder? Ohne einen bewussten Inszenierungsplan, würde kein Zuschauer in der Lage sein, das zu verstehen, bzw. mitzuempfinden, was zwei (oder mehrere) bezahlte – wenn auch nackte – Schauspieler vorführen. Letztendlich kann man Sex nicht wirklich sehen, nur ahnen und darüber fantasieren. In Pornofilmen wird also das Unsichtbare durch strenge grammatikalische Regeln sichtbar gemacht. So einfach ist es. Das macht auch eigentlich jede Sprache. Die Grammatik der Pornographie hat aus diesem Grund nicht von ungefähr viel mit der Kameraperspektive zu tun.“

„Mich kannst du nicht überzeugen. Aber du warst schon immer ein Theoretiker, Laddie. Doch jetzt fällt mir ein: Ich habe dir immer noch nicht verraten, wie man an einem Tag zehn Kilo abnimmt.“

„Du meinst doch nicht im Ernst, dass so was möglich ist.“

„’Honest injun’, wie ihr Amerikaner sagt. Man kann sehr wohl an einem Tag zehn Kilo abnehmen. Kannst du nicht erraten, wie?“

„Keine Ahnung.“

„Ganz einfach: Man lässt sich den Kopf abhacken.“

„Nur zehn Kilo wiegt ein Kopf?“ „Ay, laddie, jes tin kilos.“

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