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Geheimwaffe gegen Spammer: Friede, Freude, Eierkuchen

Wäre es nicht schön, wenn wir alle nett zueinander wären und kein Mensch mehr über Krieg redete nur noch über den Frieden?

Im Paradies habe ich jemanden kennengelernt, der nach dieser Devise zu leben scheint.

Sie wissen vielleicht schon: „Paradies“ ist der Name meines Lieblingsobstundgemüseladens. (Oder sagt man: „Lieblingsobst- und Gemüseladen? Das nur nebenbei gefragt).

Ich hatte eine Avokado, einen Kopfsalat, Erdbeeren und, glaube ich, eine Flasche Granatapfelessig (sehr lecker, nur zu empfehlen), gekauft. Die Kasse registrierte elf Euro und elf cent. Frau M. bestand darauf, den Betrag auf elf Euro abzurunden. Manchmal tut sie das, vielleicht weil ich über den Laden so gerne schreibe. Schriftstellerrabatt also.

Trotzdem war ich plötzlich bei der Zahl „elf elf“ hängengeblieben. Diese Zahl hat nämlich bei mir die Erinnerungsmaschine in Gang gesetzt. In Bayern erweckt „elf elf“, bzw. „Elfter Elfter“, automatisch Gedanken an den Faschingsanfang. In meiner Kindheit mussten wir jedes Jahr am elften November um elf Uhr elf Minuten in meiner Grundschule in der Bronx stillschweigend aufstehen, um eine Minute lang des Endes des Ersten Weltkriegs zu gedenken. Denn an diesem Tag und zu dieser Stunde und in dieser Minute hatten 1918 alle Kriegführenden die Waffen niedergelegt. Bei uns hieß dieser Tag fortan „Armistice Day“, also „Tag des Waffenstillstands“. Den Feiertag gibt es schon lange nicht mehr in den USA.

Während ich lange und wahrscheinlich viel zu ausführlich in dieser Erinnerung schwelgte, betrat eine Kundin das Paradies. Sie war bestimmt nicht viel älter als ich, schob aber einen Rollator vor sich her. Man kann nur von Glück reden, wenn man selbst noch keinen Rollator vor sich herzuschieben hat. Ich kannte die Dame nur vom Sehen, hatte mit ihr noch nie ein Wort gewechselt. „Ich erzähle grad vom Ende des Ersten Weltkriegs“, erklärte ich, „der am Elften Elften zu Ende ging.“

Sie schaute etwas skeptisch drein.

„Nicht der Zweite Krieg, sondern der Erste“, fügte Frau M. hilfreich hinzu.

„Wahrscheinlich haben junge Leute heute keine Ahnung, wann der Erste Weltkrieg war oder dass es ihn überhaupt gegeben hat“, sagte ich ein bisschen altklug.

„Besser so“, sagte die Frau streng. „Man soll jeden Krieg vergessen und nur über den Frieden reden.“

„Aber ohne Geschichtskenntnisse sind wir praktisch vorverurteilt, die gleichen Fehler zu wiederholen“, antwortete ich gewissenhaft.

„Die Menschen sollen nett zueinander sein und alles miteinander teilen und in Liebe zueinander leben…“

Ich gebe hier nur den Anfang ihrer Rede wieder. Bald legte sie sich ganz heftig ins Zeug. Ein endloser Monolog über Frieden, Freude, Eierkuchen – auch Jesus fehlte nicht, wenngleich sein Auftritt in ihren Argumenten für den Frieden nur sehr kurz war. Sie war mit ihren Ausführungen lange nicht fertig , als ich mich mitten im Satz friedlich und freundlich verabschiedete. Selbstverständlich hatte ich Frau M. schon die elf Euro bezahlt. 

Mir fiel dieses Gespräch am Abend wieder ein, während ich eine lange Liste von Kommentaren an den Sprachbloggeur studierte, Kommentare, die Sie als Leser selten zu sehen bekommen. Es sind eigentlich keine Kommentare, sondern peinlich dumme Werbetexte von Spammern, die versuchen auf meine Kosten Turnschuhe, Potenzmittel, Elektronik, Ferienhäuser in Polen, Esoterikwochenenden und Spielkasinos an den Mann und an die Frau zu bringen.

Ich bin täglich damit beschäftigt, diese falschen Freunde zu eliminieren. Der neueste Trick: Spammer registrierte sich ganz normal als „Benutzer“ dieser Seite. Das machen sie, weil registrierte Benutzer Kommentare ohne vorherige Kontrolle ihrer Texte veröffentlichen dürfen. Nun bin ich dabei, die Mitgliedschaft dieser neuen „Benutzer“, die bestimmt kein Wort Deutsch lesen, zu blockieren. Diese neue Generation von Spammern stammt übrigens (fast) ausnahmslos aus China.

Ich dachte an die Dame im Paradies, die den Krieg verbieten und die Welt in ein kuscheliges Liebesfest verwandeln möchte. Hätte sie eine Webseite, wie sähe diese aus, habe ich überlegt. Ein müßiger Gedanke. Denn ich weiß: Es wird immer Menschen geben, die ihre Kinder nicht gegen Masern impfen lassen, die den Tod Osama bin Ladens als einen entsetztlichen Verstoß gegen seine Bürgerrechte verschreien und die gerne vergessen, dass es Kriege gegeben hat und geben wird. Hauptsache Ruhe.

Gunter Sachs und ich reden über den „wuss“

Kaum blitzte das Schwarz-Weiß Foto des alten „Lebemanns“ über den Bildschirm, schon habe ich den Sinn des Ikons begriffen. „Gunter Sachs ist tot“ sagte die Nachrichtensprecherin mit einer gewissen Pietät. Das ist immer der Tonfall im Fernsehen, wenn ein „Prominenter“ von der Bühne abtritt.

Am nächsten Tag skandierte die Münchener Abendzeitung: „Trauer um den letzten Playboy“. Ab sofort konnte man sich in die erste Folge einer mehrteiligen Serie über Leben und Werdegang des Verstorbenen vertiefen. Dass man manche Tote besonders gut vermarkten kann, weiß jeder Boulevardblattmacher. Gunter Sachs (Sie wissen schon: Brigitte Bardot, Nacktfotos usw.) ist so ein Blickfang.

Trotzdem muss ich’s sagen: Gunter Sachs ist als „wuss“ gestorben. (Notabene: Dieses Wort spricht sich fast wie im Deutschen aus, nur mit einem englischen „Dabbelju“anstatt eines stimmhaften deutschen „W“ im Anlaut). Und zwar, weil er sich erschossen hat, was die Abendzeitung als „seinen dramatischen Selbstmord“ bezeichnete.

Der Grund für diesen Akt der Verzweifelung? Er stellte „durch die Lektüre einschlägiger Publikationen“ fest, dass er „an der ausweglosen Krankheit A.“ leide.  Sein logisches Denken sei noch in Ordnung, konstatierte er. Was ihn aber beunruhige, sei seine wachsende Vergesslichkeit und die Verschlechterung seines Gedächtnisses. „Diese führt schon jetzt zu gelegentlichen Verzögerungen in Konversationen.“

„Der Verlust der geistigen Kontrolle“ sei für ihn „ein würdeloser Zustand“. Peng! und weg.

Schade, dass er sich nicht erst mit mir über dieses Thema unterhalten hat. Ich hätte ihm gesagt: „Gunter, du machst einen Fehler. Viele Leute sind vergesslich oder kommen mit ihren Sätzen nicht weiter, weil sie das Wort nicht finden, wonach sie verzweifelt suchen. Ich zum Beispiel. Und das seit Jahren und zwar in zwei Sprachen.“

Und dann hätte ich ihm gesagt: „Tut mir leid, altes Haus, aber meiner Meinung nach bist du ein ‚wuss’ geworden.“

„Ein ‚wuss’, lieber Sprachbloggeur?“ Vielleicht hätte er das Wort mit deutschem Akzent ausgesprochen. Dann wäre sein „Dabbelju“ zu einem „W“ geworden.

„Jawohl, ein ‚wuss’.“

„Und was ist, bitte schön, ein ‚wuss’?“

„Eine neuenglische Vokabel, lieber Gunter, die in etwa ‚Memme’ bedeutet.“ „Vielleicht möchtest du mir als Sprachbloggeur Nähleres über das Wort sagen.“

„Gerne. Es ist mit ‚pussy’ verwandt.“

„Dieses Wort kenne ich als alter Lebemann und vormaliger Playboy natürlich sehr gut. Es bedeutet zwar ‚Kätzchen’ ist aber die Bezeichnung für das weibliche Geschlechtsteil – ähnlich dem französischen ‚chatte’. Habe ich recht?“

„Volltreffer! Manches vergisst man also doch nicht, siehst du. Nur: ‚pussy’ hat eine dritte, politisch sehr unkorrekte – genauer gesagt, eine ausgesprochen sexistische – Bedeutung. Man bezeichnet damit einen verweiblichten, nicht unbedingt homosexuellen Mann, einen Mann, der keinen Widerstand leistet. Eine besonders fiese Form des Wortes ist ‚pussy-wussy`. Der ‚wuss’ wird also vom ‚wussy’ in ‚pussy-wussy’ abgeleitet. Nun habe ich dir alles über den ‚wuss’ erklärt, damit du den Begriff besser verstehst.“

„Nur eins verstehe ich nicht: Warum hältst du mich für einen ‚wuss’?“

An dieser Stelle, liebe Leser, werde ich den Dialog abbrechen. Gunter hätte die Antwort ohnehin nicht verstanden – und nicht wegen der heimtückischen Krankheit. Wie erklärt man einem, der ein Luxusleben geführt und nun Angst hat, die Kontrolle zu verlieren, dass fast nur reiche Leute Teile ihres Daseins unter „Kontrolle“ haben – und auch dann nur äußerst selten. Ein Glückspilz warst du, Gunter. Naja fast. Und wie erklärt man einem, dass die Entscheidung, sich umzubringen, fast wie die nüchterne Entscheidung klingt, Behinderte – also „unwertes Leben“ – eliminieren zu lassen? Denn so denken manche Leute wirklich.

Tut mir leid, wenn mir hier keine anderen Worte einfallen. Die obigen kommen mir nämlich viel zu polemisch vor. Vielleicht fallen mir mal andere, ja mildere ein. Ich habe schon gesagt: Mein Kampf mit den Worten war mit Sicherheit schon immer ärger als alles, was der begnadete Lebemann a.D. zu beklagen hatte.

Die wahre Geschichte vom Tode Osama bin Ladens: ein Sprachbloggeur-Exklusiv

Bevor ich meine Kenntnisse über den Tod Osama bin Ladens preisgebe, muss ich unbedingt die englische Vokabel „to upstage“ erklären. Man übersetzt dieses Zeitwort am schönsten mit „jemandem die Schau stehlen“.

Dieser Begriff hat seinen Ursprung im englischsprachigen Theaterjargon. Die Bühne („stage“) wird nämlich in Quadranten eingeteilt: „downstage“ (Richtung Publikum), „upstage“ (nach hinten) „stage left“ und „stage right“.

Stellt sich ein Schauspieler zwischen Publikum und einem Kollegen, so dass der Kollege im Zuschauerraum unsichtbar wird, so hat er seinen Kollegen „ge-upstage-t“. Das „upstaging“ gilt als eine der schlimmsten Berufssünden der Schauspielerei.

Das weiß ich so genau, weil auch ich in meinen jungen Jahren geschauspielert habe. Einem jungen Schauspieler wird schnell eingeschärft, das „upstaging“ tunlichst zu vermeiden.

Nun zu meinen Kenntnissen über den Tod von Osama bin Laden. Ich weiß: Heute schreiben alle über bin Laden. Aber nur wenige verfügen über die gleichen Quellen wie ich. Diese werde ich selbstverständlich für mich behalten.

Inzwischen weiß jeder, der nicht dement ist oder gerade auf dem Amazonasfluss fährt, dass bin Laden nördlich von Islamabad im Ort Abbottabad in einer sehr feudalen Villa in großem Komfort gewohnt hat. Verständlich auch, dass er so gehaust hat. Keiner lebt freiwillig in einer Höhle in den Bergen, vor allem nicht, wenn er aus reicher Familie stammt. Was nur wenige wissen: Osama lebte in Abottabad als Rentier, hatte also viel Muße, um schöne Traumüberfälle zu planen und vielleicht auch das künftige Kalifat zu erträumen.

Außerdem weiß jeder, dass er in seinem noblen Domizil weder Internet noch Telefon hatte. Denn er hatte Angst, man könnte ihn via GPS aufspüren oder ihn, falls er auf ein „Phishing“-Angebot eingegangen wäre, schnappen. Auch ein Fernseher fehlte im schnieken Haus. Bloß keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen war seine Losung. Das Leben ohne TV konnte er aber gut ertragen. Das Programm in Pakistan ist für seine Einfältigkeit bekannt. Man bekommt nicht einmal „Tatort“ oder „Der Bulle von Tölz“ zu sehen.

Am 29. April hätte er aber gerne geglotzt. Denn er wollte – wie mehr als die Hälfte der Welt – unbedingt die Prachthochzeit der Royals William und Kate am Bildschirm mitverfolgen. Jeder weiß – auch Osama bin Laden – , dass kein Spektakel auf der ganzen Welt so prunkvoll ist wie eine königliche Hochzeit in England. Nicht einmal die Chinesen sind in der Lage (zumindest noch nicht), diese englische Spezialität zu klonen oder billiger zu produzieren.

Was machte Osama also? Er ging zu den Nachbarn, klopfte an und fragte, ob er bei ihnen die Hochzeit gucken dürfe. In Abbottabad sind Leute mit wuschligem grauem Bart und Turban keine Seltenheit. Keiner kam darauf, dass es der „Terrorfürst“ war, der auf der Matte stand. Dies war übrigens sein erster Ausflug aus der Villa, seitdem er im August 2010 in Abbottabad eingetroffen war. Im Orient wird die Gastfreundschaft sehr groß geschrieben. Man hat den Erzterroristen a.D. willkommen geheißen. Er bekam Coca Cola und Erdnussknabberli und schaute sich mit den Nachbarn die einmalige englische Hochzeit mit großen Augen an.

Was Osama nicht wusste: Seit Monaten hatten ihn diverse Geheimdienste im Visier. Jeder vermutete, dass er in der Villa in Abbottabad war. Doch niemand hatte ihn bisher gesichtet.

Und nun die Bestätigung. Im Nu hatten die Geheimdienste unter Führung der Vereinigten Staaten ihre Pläne für den Ernstfall ausgeheckt. Man war bereit, den Führer des Weltterrorismus endgültig unschädlich zu machen. Er wiederum war noch ahnungslos, als er, von den schönen Bildern beflügelt, nach Hause schlenderte.

Den Rest dieser Geschichte können Sie auf tausenden Webseiten oder in ebenso vielen Zeitungen und Fernsehberichten im Überfluss erfahren. Ich brauche nicht darüber zu informieren.

Nur auf eins will ich hier aufmerksam machen: Osamas Tod war faktisch sein letzter Terrorakt. Damit meine ich nicht den Angriff gegen ihn, sondern sein Sterben selbst. Wie komme ich darauf? Er hat es nämlich mit seinem Tod geschafft, William und Kate die Show zu stehlen, was schade ist, denn die Royals hatten sich diese Werbung für die Monarchie viel kosten lassen und natürlich gehofft, die Medien würden über Willi und Kate noch tagelang weiter berichten. Dann plötzlich klassisches Upstaging seitens Osamas, wenn auch diesmal wahrscheinlich ungewollt. Man sieht: Wer einmal Terrorist wird, kann kaum mehr aufhören, egal was er tut, das Leben anderer zu versauen.

Die Gedächtniskunst – erste kostenlose Lektion

Zeit meines Lebens bin ich eine betriebswirtschaftliche Niete gewesen. An dieser Stelle hatte ich ursprünglich vor, einen Brief an den Aufsichtsrat der Commerzbank zu schreiben, um Aufnahme in dieses Gremium zu bitten. Eine schöne Arbeit. Man tut wenig und bekommt dafür viel. Stattdessen habe ich mich entschlossen, Ihnen eine kostenlose Lektion über die Gedächtniskunst zu bieten. Wie gesagt: Was das Geschäftliche betrifft, war ich schon immer eine Niete.

Fangen wir mit den Hethitern an. Wer nicht weiß, wer die Hethiter waren, der soll bitte selbst darüber nachschlagen. Ich habe keine Lust mit der Linkvorrichtung dieser Software lang herumzufuchteln. Über die Hethiter habe ich ohnehin nur Folgendes zu sagen: Sie waren in Wirklichkeit keine Hethiter. Damit meine ich: Sie haben sich nie als Hethiter bezeichnet.

Das habe ich erst gestern erfahren. Es hat mich so dermaßen interessiert, dass ich prompt vergessen habe, dass ich hier meinen Brief an den Aufsichtsrat der Commerzbank veröffentlichen wollte.

Dieses antike Volk der Hethiter heißt nur so, weil es einst ein Volk erobert hatte, das„Hethiter“ oder so ähnlich hieß. Eine laxe ägyptische Schreibkraft hat die Nachricht aus dem fernen Anatolien erhalten und prompt  den Namen der Eroberer mit dem der Eroberten durcheinandergebracht. Diesen Fehler baden wir bis heute aus.

In Wirklichkeit nannten sich die „Hethiter“ „Neschi“. Ja, „Neschi“. Jetzt wissen Sie es. Und ich möchte beinahe wetten, dass Sie dieses nutzlose Faktoïd nie wieder vergessen werden.

Für den Fall, dass Sie es doch tun könnten, bringe ich Ihnen jetzt eine Technik bei, die es Ihnen unmöglich machen wird, jemals zu vergessen, dass die Hethiter in Wahrheit Neschi hießen.

Dazu brauchen Sie nur, wie man früher sagte, einen Gedächtnispalast zu bauen.

Das ist freilich kein echter Palast. Es kann Ihre Wohnung bzw. Ihr Haus sein. Es kann Ihr Zuhause aus der frühen Kindheit sein. Es kann eine Kirche, ein Büro, eine Schule sein. Es muss nicht einmal ein Gebäude sein. Es kann auch eine Gartenanlage sein, eine Straße, die Sie intim kennen. Egal.

Wichtig ist nur, dass Sie diese Räumlichkeit in Ablageeinheiten unterteilen. Wenn es, zum Beispiel, Ihre Wohnung ist, dann können Sie jeden Raum zu einer Ablageeinheit machen: Wohnzimmer, Küche, Schlafzimmer, Bad, Toilette. Ich weiß nicht, wie viele Räume Sie haben. Auch ein Einzimmer Appartement kann man bestens in Einheiten einteilen: Bücherregal, Bett, Tisch, Lampe, Küchenschrank, Backofen, Spülbecken usw.

Das Gedächtnis will aber Ordnung. Ihre Ablageeinheiten müssen also eine klare Reihenfolge einhalten, wenn Sie sie in Gedanken besuchen.

Und jetzt der Trick: Sie können bei jeder Ablagestelle etwas, das Sie sich merken wollen, ablegen. Sagen wir, zum Beispiel, Sie wollten sich in Ihrem „Gedächtnispalast“ die „Neschi“ einprägen. Ich würde empfehlen, dass Sie sie im Spülbecken ablegen. Warum dort? Weil es dort oft Nässe gibt. „Neschi“ und „Nässe“ klingen sehr ähnlich. Die Hirnneuronen mögen gerne Assoziationen, die das Gedächtnis wachrütteln.

Besonders lieben die Neuronen überraschende Bilder. Beispiel: Sie möchten sich für alle Zeiten den Hochzeitstag, den 29. April, von William und Kate merken. Mein Vorschlag: Gehen Sie ins Schlafzimmer Ihres Palasts und legen Sie das Prinzenpaar in Ihr Bett. Denken Sie dann an 29 Wolken, die auf das Paar regnen – ein Aprilschauer!

Je bunter, wilder – auch perverser – , desto wirksamer die Einprägung. Die Neuronen mögen Schräges, Ungewöhnliches.

Wie schon gesagt: Es handelt sich hier nur um eine erste Lektion über die Gedächtniskunst. Aber Sie haben immerhin schon eine Vorstellung, wie es geht – und den wahren Namen der Hethiter haben Sie gewiss nicht vergessen.

Für den Anfang bitte ich Sie darum, einen eigenen Gedächtnispalast zu errichten. Notabene: Je mehr Ablagestellen in Ihrem Palast, umso mehr Dinge können Sie dort ablegen! Keine Sorge: Man kann den Gedächtnispalast zu jeder Zeit wieder ausräumen und neu belegen.

Alles, was man heute über diese hehre Kunst weiß, geht auf die Schriften von Quintilian, Cicero und vor allem dem anonymen Autor eines Traktats „Ad Herrenium“ zurück: drei Römer, die zwischen 80 v.Chr. und etwa 80 n.Chr. tätig waren. Diese wiederum haben für die eigenen Texte aus längst verschollenen griechischen Traktaten geschöpft. Keiner weiß, seit wann es die Gedächtniskunst gibt.

Verständlich, dass so eine Kunst zustande gekommen ist. Im Zeitalter vor dem Buchdruck musste man vieles auswendig lernen. Heute hat (bald) fast jeder ein Smartphone oder einen Tablet-PC. Man muss sich kaum mehr was merken.

Doch letztlich weiß man nicht, wann der Strom ausgehen wird. Schließlich leben wir in gefährlichen Zeiten. Deshalb meinte ich, es sei wichtiger heute über die Gedächtniskunst zu berichten als hier einen Brief an den Aufsichtsrat der Commerzbank zu veröffentlichen. Wird der Strom ausgeschaltet, ist man froh, wenn man sich ein bisschen was eingeprägt hat.

Ei weh weh, who, when, Hu und Wen: Fragmente eines Dialogs

Schon seit Wochen will ich über das Schicksal Ai Weiweis schreiben – als Protest quasi gegen die Proteste in Europa usw., die, so meine ich, meistens zu lau ausfallen.

Stimmt nicht ganz. Vor diversen chinesischen Botschaften weltweit werden die Tage 1001 Stühle aufgestellt, wobei ein Stuhl leer bleibt – die natürlich von Ai. In München hängt ein großes Transparent vor der Kunstakademie: „Free Ai Weiwei“. Auch vor dem Tate in London flattert eins. Und so weiter.

Ich wollte über das Schicksal Ai Weiweis schreiben. Doch ich fand die Worte nicht. Ich fand sie nicht, weil ich mich weigere, Ai zum alleinigen lauen Posterboy eines Unrechtstaates zu instrumentalisieren, während zahllose unbekannte politische Gefangene in chinesischen Gefängnissen und Umerziehungslagern weiterhin namenlos schmoren.

Ich habe mir gestern einen Dialog zwischen dem chinesischen Staatsoberhaupt Hu Jintao und seinem Amtskollegen, dem Premierminister Wen Jiabao, fantasiert. Dieser Dialog sollte zum satirischen Herzen meines schwierigen Protests werden. Ich hatte vor, mit dem Gleichklang zwischen „Hu“ und dem englischen „who“, „Wen“ und dem englischen „when“ lustige Witze zu machen.

In einer deutschsprachigen Glosse wird das lustige Wortspiel leider zu obskur. So ist es, wenn das Herz eines Schriftstellers in zwei Sprachen schlägt.

Mein Dialog sollte im Büro von Hu stattfinden. Weil sich China noch immer kommunistisch nennt, heißt dieses Büro in meinem Dialog das „Politbüro“. Ein schlechter Witz ist besser als kein Witz. Oder? Hier ein paar Fragmente meines Dialogs. Hu spricht zuerst. Was er sagt, klingt Chinesisch – ist es auch:

Hu: Ai Weiwei Liu Xiaobo Gao Zhishang.

Wen: Wer? (Natürlich meine ich hier „who?“).

Hu: Wann (d.h., „when?“) wirst du endlich verstehen, dass du ein großes Problem hast?

Wen: Wer (who?) hat ein Problem.

Hu: Ich nicht. Ich lasse mich bald pensionieren. Du aber.

Wen: Ej weh weh.

Sie sehen: ein Dialog in deutscher Sprache und doch kein deutscher Dialog über einen chinesischen Künstler, der ohnehin nur stellvertretend für lauter politische Gefangener in China. Ej weh weh.

Bestenfalls wären meine Bemühungen schwach. Und zwar deshalb, weil China reich und mächtig ist. China darf Raubbau in Tibet oder unter Uiguren treiben, darf Taiwan zu einer Hochzeit mit dem Festland nötigen. Was sagt die UNO darüber? Nicht einmal die bissigen Tanten und Kerndlfresser vom Ostermarsch erheben die Stimme gegen China. Ihre Feinde bleiben weiterhin die easy targets: die USA, die NATO und Israel.

In meinem Dialog hat Hu folgende Idee, um die Aufmüpfigkeit der schwachen westlichen Protestler im Punkto Ai Weiwei im Keim zu ersticken:

Hu: Twitter abstellen, Internet schließen! Neue Umerziehungslager eröffnen. Todesstrafe! Todesstrafe! Senegal, Brasilien und Libyen aufkaufen! Öl billig an Europa verschleudern! Billige Spielzeuge, Handys, Tabletten. Lookalikes verkaufen! Disneyland in Schanghai bauen lassen, Bob Dylan (ohne Protestlieder) und Justin Bieber (mei ist der süß) auftreten lassen. Dann werden sie den Ei vergessen.

Wen: Wen vergessen?

Hu: Wen wird man ganz bestimmt vergessen, Hu aber nie.

Tja. Mein Dialog, führt letztlich ins Abseits – wie jeder Protest gegen die immense Paranoia Chinas.

Ich fürchte, dass der Dalai Lama mittlerweile zu alt ist, um der nächste Präsident Chinas zu werden. Ich tippe langfristig auf Liu Xiaobo. Warten Sie nur: Auch Riesen haben nur zwei Beine, über die sie – wie jeder Zweibeiner – stolpern können.

Mein Buch über die traurige Nacht

Ich wollte schon immer ein Buch über Hernando Cortes schreiben.

Genauer gesagt, ein Buch über die „noche triste“ – zu Deutsch die „traurige Nacht“. Unter diesem Namen ist ein Ereignis in die Geschichte eingegangen, das am 30. Juni 1520 geschehen ist.

An dem Abend haben die Azteken die spanischen Eroberer aus der Azteken- Hauptstadt Tenochtitlan – heute „Mexiko City“ – gejagt. Tenochtitlan war damals eine Inselstadt, die durch künstliche Dämme mit dem Festland verbunden war.

Cortes war ein dreister Kerl. Er hatte, wie die Spanier sagen cojones – also einen hohen Testosteronspiegel. Mit nur einigen hundert Spaniern gelang es diesem Haudegen  das Millionenvolk der Azteken mit List und Tücke zu bezwingen. Man fragt sich heute, wie das möglich war. Das wäre das Thema eines ganz anderen Buches, das Tzvetan Todorov bereits geschrieben hat: .“Die Eroberung Amerikas – Das Problem des Anderen“. Cortes fühlte sich jedenfalls so fest am Steuer, dass er sich in der Lage wähnte, Tenochtitlan eine Zeitlang zusammen mit einigen Soldaten zu verlassen, weil er gegen spanische Rivalen an der mexikanischen Küste raufen wollte.

Sein Leutnant, Pedro de Alvarado, jung, mutig, nicht auf den Mund gefallen aber ein unerfahrener Spund, sollte Cortes während seiner Abwesenheit vertreten. Das tat er auch. Doch bald ist dem jungen Alvarado die Macht in den Kopf gestiegen. Er gebärdete sich arrogant und dumm. Ihm fehlte vor allem das politische Feingefühl eines Cortes. Das Resultat: Im Nu begehrten die sonst handzahmen Azteken auf. Die Situation wurde schnell kritisch. Die Spanier mussten sich im Palast des Aztekenkönigs verschanzen.

Unterdessen kehrte Cortes mit seinen Mannen siegreich nach Tenochtitlan zurück. Der líder stellte zu seinem Entsetzen fest, dass er sich mitten in einen Aufstand begeben hatte. Mit gewohnter Kühnheit ritt er durch die Stadt und bog in den Palast ein. Nach kurzer Zeit hatte er die Ursache für die missliche Lage erkannt. Für eine öffentliche Rüge seines Zauberlehrlings Alvarado war es aber schon zu spät. Es blieb den Spaniern nichts anderes übrig als die Flucht.

Es hat Pfeile und Speere geregnet als die Spanier durch die Strassen Tenochtitlans und über den Damm zu Fuß oder hoch zu Ross flohen. Manche erlagen gleich ihren Verletzungen. Andere stürzten verletzt vom Damm und ertranken, weil sie sich mit zu viel Gold beladen hatten. Sie gingen im Wasser wie Steine unter. Dass es überhaupt Überlebende gegeben hat, grenzt an ein Wunder. Es war nur möglich, weil die Azteken sie mehr oder minder laufen ließen. Die Azteken waren fest davon überzeugt, den Spaniern endgültig eine Lektion erteilt zu haben. Sie haben sich natürlich geirrt. Die Spanier waren immer noch da. Nur außerhalb der Stadt, genauer gesagt ringsum auf dem Festland. Die meisten waren aber in dem Augenblick völlig lädiert, erschöpft und – wie wir heute sagen – traumatisiert.

Das galt auch für Cortes. Das sagt zumindest die Legende. Es heißt, dass er sich in dieser traurigen Nacht unter einen Baum setzte und auf die Stadt schaute. Plötzlich übermannte es ihn: Er weinte aus tiefster Seele, weil er erkannt hatte, dass sein Ehrgeiz allein für so viel Unheil, Leiden und Tod verantwortlich war. Seitdem heißt dieser Baum (spanisch „el arból“) „el arból de la noche triste“.

Als ich vor vielen Jahren in Mexiko City war, habe ich es für meine Pflicht gehalten, den Baum der traurigen Nacht aufzusuchen. Ich wusste, dass es ihn noch gab. Er gilt zwar nicht als Sehenswürdigkeit einer üblichen Touristenrundfahrt, doch jeder kann ihn finden. Ich war damals mit Freunden unterwegs, und ich habe sie überzeugt, wie wichtig es war für mich, diesen Baum, der einst Augenzeuge eines profunden Gewissensbisses war, zu besuchen. Ich denke mittlerweile, dass es sich hier um das einzige Denkmal auf der ganzen Welt handelt, das dem Gewissen gewidmet ist.

Wir fuhren durch ganz Mexiko Stadt – ich glaube mit der U-Bahn – und stiegen in einer etwas heruntergekommenen Wohngegend aus. Ich glaube, sie hieß Tacuba. Zumindest damals war sie heruntergekommen. Vielleicht sieht sie heute anders aus. Dann gingen wir zwei oder drei Straßen weiter. Endlich standen wir vor dem Baum der traurigen Nacht.

Er war bereits eine Mumie: so tot wie das Holz meiner Bücherregale. Der Strunk war ganz hohl und wurde zur Stütze mit Beton aufgefüllt. Ich habe aber – und ich schwöre, dass es so war – das letzte tote Blatt auf einem ausgetrockneten Zweig gesehen. Das letzte Blatt, eines Baumes, der noch lebte, als sich Cortes am 30. Juni 1520, gegen ihn lehnte und aus tiefster Seele weinte, weil er durch seinen Ehrgeiz so viel Leiden verursacht hatte. Der Baum war übrigens eingezäunt. Vielleicht war da eine Tafel zu lesen. Daran erinnere ich mich nicht mehr.

Heute habe ich mein Buch über den Baum der traurigen Nacht fertiggeschrieben. Es ist ein kurzes Buch. Das Gewissen braucht aber kein langes Werk.

Warum ich meinen Namen trage – oder nice guys finish last*

Wissen Sie, wie man Liebkind spielt?

Ich schon. Ich habe Jahre lang Liebkind gespielt. Ja, es ist ein Spiel, wie Schach oder Mühle. Und ich, wenn ich’s so sagen darf, habe ein besonderes Talent dafür gehabt.

Liebkind spielen ist eine Uberlebensstrategie, eine von vielen. Das Konzept ist einfach zu vermitteln: Wenn ich lieb und nett bin, dann werden die anderen lieb und nett zu mir sein.

Das klingt ein bisschen wie die Nächstenliebe. Ist es aber nicht. Liebkinder – nicht mit „Liebeskinder“ zu verwechseln – spielen gerne den Harmlosen. Das macht sie entweder langweilig oder zur idealen Besetzung für den heimtückischen Mörder in einem Horrorfilm.

Wie gesagt: Liebkind spielen ist nur eine Strategie, eine von vielen. Man kann auch Bengel, Bock, Schlingel – auch Psychopathen – spielen und bestens zurecht kommen.

Gaddafi, zum Beispiel. Er spielt Psychopathen. Absolut genial. Auch wenn er geschasst wird (das wird sicherlich auch passieren), wird er noch lange weiter toben dürfen. Es lohnt sich Psychopathen zu spielen. Aber nur, wenn es ein Spiel ist.

Westerwelle reihe ich unter die Böcke ein. Seine Bockigkeit hat ihm lange Jahre gut gedient. Und er hat sich ihrer nie geschämt. In Amerika sagt man: When things get tough, the tough get going. Etwa: Die Zähen kommen erst richtig in Gang, wenn das Gehen zähflüssig wird. Bald geht er kaum fünfzigjährig mit beneidenswerter Rente in den einstweiligen Ruhestand. Hat Zeit für Reisen, Business und sogar um ein durch die Blume erzählendes Buch zu schreiben. Darf außerdem jederzeit für Aufregung sorgen. Es lohnt sich durchaus bockig zu sein.

Oder Schlingel: Freund S., ein Schotte, war in der Sprachschule mein Kollege. Das ist viele Jahre her. Einmal kam er verkatert zum Unterricht – kommt vor, wenn man Schotte ist und die ganze Nacht gezecht hat – und ließ auf seine Klasse (die meisten mittelständische bayerische Hausfrauen) eine Schimpftirade los: „Ihr seid alle Gnomen, ihr Bayer mit eurem lächerlichen Gamsbarthütchen und dergleichen.“ Sagte er allerdings alles auf Englisch.

Wie hat man auf diese Schimpfkanone reagiert? Manche Schülerinnen kamen nach der Klasse zu mir, also zum Liebkind, um ihrem Entsetzen Ausdruck zu geben. „Das ist ja allerhand. Er hat uns alle als Gnomen beschimpft!“

„Was? Gnomen? Warum?“ antwortete ich äußerst liebenswürdig.

Entsetzen? Ha, sie liebten ihn – ab dann sogar abgöttisch. Ich glaube er hat mit der Hälfte der Frauen geschlafen.

Kein Wunder, dass Liebkinder die Schlingel, die Psychopathen und die Böcke bewundern. Liebkinder sind ja eigentlich nur möchtegernschlingel, -psychopathen und -böcke. Sie trauen sich bloß nicht.

Sie haben Angst, man werde das Liebkind nicht mehr lieben.

Vielleicht fragen Sie sich, warum ich diesen spannenden Diskurs über die Menschentypologie über Sie ergieße. Erbauliches habe ich wirklich nicht im Sinne. Nein, ich habe mich an ein Ereignis erinnert, und plötzlich plätscherte diese Meditation heraus. Es geschah vor vielen Jahren auf einem Fest. Ich stand da mit zwei Kollegen, und wir unterhielten uns. Alle waren lieb und nett zu mir. „Sag mal, PJ, wie kommt es, dass du PJ heißt? Das sagten sie so lieb, so interessiert, dass ich folgende Geschichte erzählte:

„Ich war zwölf Jahre alt und wusste schon damals, dass ich Schriftsteller werden wollte. Damals hatte ich viele Kurzgeschichten eines englischen Schriftstellers namens Saki gelesen. „Saki“ war sein nom de plume. Ich meinte: Auch ich brauche einen Schriftstellernamen und kam auf die Idee mich „Pujab“ (sprich „pu-dschab“) zu nennen. Doch damals gab es einen Comic in der Sonntagsbeilage der Zeitung. Er hieß „Little Orphan Annie“…

Zack! Meine Zuhörer wechselten das Thema. Ich war noch mitten im Satz. Keine Ahnung, worüber sie dann redeten. Sie waren jedenfalls nicht mehr interessiert, den Rest meiner schönen Anekdote zu erfahren. Dabei hätte ich noch so viel zu erzählen gehabt.

Zwei Lehren habe ich aus diesem Abend gezogen: 1.) Liebkind? Nein Danke. Lieber höflich und frech (was nicht mit psychopathisch, bockig usw. zu verwechseln ist – ganz andere Kategorie also) 2.) Ein Schriftsteller muss lernen, sich zu mäßigen. Weniger ist immer mehr. Wer interessiert sich wirklich, warum ich PJ heiße? Das Geheimnis um meinen Namen ist allemal spannender als der Name selbst.

 

*Liebkinder stehen unter Ferner liefen

Variationen auf dem Buchstaben „n“ und andere Bedrohungen

„Jetzt sind wir schon wieder mittemang im Herbst, bis ich es schaffe, Dir zu antworten.“

Das hat mir E. schon im vorigen Oktober geschrieben. Erst gestern habe ich endlich an sie zurrückgeschrieben. Immerhin sind wir noch nicht ganz mittemang im Frühling.

Hand aufs Herz: Ist Ihnen das Wort „mittemang“ geläufig? Mir war es völlig unbekannt. Ich witterte zunächst einen Tippfehler, genauer gesagt, eine Fingerverschiebung auf der Tastatur, wie wenn man „dp eor ford“ für „so wie dies“ schreibt. (Gilt nur für diejenigen die, wie ich, blind tippen).

Prompt langte ich nach dem vierten Band meines Großen Duden („Kam bis N“) und suchte gespannt nach „mittemang“. Ergebnislos, was mich irritierte. Also googelte ich nach dem Wort. Wieder ohne Erfolg. Eine Webseite gab folgende Botschaft: „Übersetzung für mittemang nicht gefunden. Neue Übersetzung für mittemang vorschlagen.“ Nun war ich noch irritierter.

Doch dann wurde ich auf der Webseite „Lexikon der bedrohten Wörter“ fündig. Dort verfolgte ich eine lebhafte Diskussion über die gesuchte Vokabel. Achtung: Der Begriff „bedroht“, wenn es um Wörter geht, führt schnell zu unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten. So bin ich, zum Beispiel, im „Lexikon“ auf eine Diskussion über „gelackmeiert“ gestoßen, das dort als ein dem Grabe nahes Wort aufgeführt wird. Auch „Philister“ und „Ober“ (wie in „Herr Ober!“) werden auf dieser Webseite aus dem aktiven Wortschatz verabschiedet.

Doch jetzt der Clou: „Mittemang“ wird, so erfuhr ich in der lebhaften dafür aber nichtsagenden Diskussion über diese Vokabel, meistens in der Form „mittenmang“ wiedergeben. In E.s Version fehlte also das „n“.

Nun googelte ich die „n“-Form, und welch Wunder. Vonwegen bedroht: „Mittenmänge“ so weit das Auge sehen konnte. Auch im Duden war „mittenmang“, also das „n“-Wort, kein Unbekannter, wenn auch hauptsächlich im Norden beheimatet. Bedroht. Ha. Dieses Wort besstimmt nicht. Vielleicht die Schreibvariante E.s ist bedroht. Wer hier allgemein von einer Bedrohung spricht, ist letztlich der Gelackmeierte.

E. ist offensichtlich mit einer Variante groß geworden, die – zumindest in der Schriftsprache – von der Form mit dem „n“ abgelöst wurde – was ihr „mittemang“ partout nicht fehlerhaft macht.

Heute, liebe Leser, keine hochgestochenen Gedanken über die Weltpolitik. Der Schuster (ich) kehrt zu seinem Leisten (dem Wort) zurück. Dennoch möchte ich an dieser Stelle konstatieren, wie sehr ein einziger fehlender – bzw. fehlplatzierter – Buchstabe zu den größten Missverständnissen führen kann.

Ich saß einmal mit B., einem alten Freund aus New York, in einem Restaurant in Paris . Der Ober stand neben uns und wartete ungeduldig auf unsere Entscheidung. Ich bestellte zuerst, dann nach langem Zögern B.  Er sagte: „Je veux lapine“. Der Ober wäre fast zu Boden gefallen. Er kugelte sich vor Lachen, konnte sich kaum noch einkriegen.  B. schaute mich verdutzt an: „Wenn man Englisch redet, sind sie gleich sauer, diese Franzosen. Wenn man versucht Französisch zu reden, lachen sie nur.“

Was B. nicht wusste: Er wollte „Kanninchen“, also „Lapin“, bestellen. Stattdessen hatte er nach einem Penis, „la pine“, verlangt .

Mir ist mal Ähnliches passiert. Es war 1972 auf der Isla Mujeres, einer Insel nahe der Yukatan-Küste; ich stand damals etwas wacklig auf den Beinen, weil ich mir einen „fiebre tifoidea“, geholt hatte. Das hat mir jedenfalls der Arzt eingebläut. Zu Deutsch: Paratyphus. Meine Freunde schliefen in Hängematten. Ich durfte, krankheitsbedingt, die Nacht auf einer Matratze verbringen. Ich lernte damals ein französisches Ehepaar kennen und wollte mit meinen Französischkenntnisse ein bisschen brillieren. „Je dort sur un matelot“ sagte ich. Das sollte bedeuten, dass ich auf einer Matratze schlafe. Doch Matratze heißt auf Französisch „matelas“ (sprich „ma-te-la“). Matelot (sprich „ma-te-lo“) ist der „Matrose“.

Ja die Kleinigkeiten, die den großen Unterschied ausmachen. Hat nicht die Alice Schwarzer mal ein Buch irgendwie so betitelt? Habe ich vielleicht schon wieder in knappen Worten die Geschichte der Welt erzählt? Bitte halten Sie mich nicht für einen Philister.

„Liveticker“ und „Deadticker“ – zum Beispiel: Knut und die Hamas

Tickticktickticktick. Knut ist tot. Leblos wie ne Reichswasserleiche trieb er in seinem Becken im Berliner Zoo. „Liebster Knut, warum musstest du sterben?“ Diese rührende Botschaft hat ein Fan bei Facebook hinterlassen. Hab alles in „Spiegel-Online“ gelesen – aber nur flüchtig. Ich kann also nicht bestätigen, dass für Knut eine eigene Kondolenzseite eingerichtet wurde.

Tickticktickticktick. Nun scheint Reaktor drei (Daisan) in Fukushima wieder am Rande des GAUs zu stehen. Daiichi, Daini usw. seien wieder ans Stromnetz angeschlossen. Alles aber weiterhin ungewiss. Notabene: „ichi“, „ni“, „san“ – Japanisch für „eins“, „zwei“, „drei“. „Dai“ bedeutet wohl „Reaktormeiler“.

Tickticktickticktick. Die Reaktorfirma übernimmt die Verantwortung für die verschlampte Wartung der Reaktoren in Fukushima. Habe vergessen, ob sich dies auf „ichi“, „ni“ oder „san“ bezieht.

Tickticktickticktick. „Amerikanischer Kampfjet abgestürzt“ (Spiegel-Online), Gaddafi-Treue werden zu „menschlichen Schutzschilden“ (ein sehr hässlicher Begriff) umfunktioniert.

Etc.

Habe ich schon wieder etwas verschlafen, oder hat es  die deutsche Vokabel „Liveticker“ bis vor kurzem nicht gegeben?

Mein „Duden“ (2006) kennt „Ticker“: „vollauatomatischer Fernschreiber zum Empfang von [Börsen]nachrichten.“ Aber „Liveticker“?

Ich gebe zu: Ich habe die Nachrichtenquellen der deutschen Medien nicht systematisch abgesucht. Erst neulich fiel mir der „Liveticker“ bei „Spiegel-Online“ auf. In ZDF- und ARD-Nachrichtensendungen wird stets auf den „Liveticker“ hingewiesen.

In der englischen und amerikanischen Umgangssprache bedeutet „Ticker“ auch „Herz“. Seit wann ist der „Liveticker“ zum Herzen der Unmittelbarkeit geworden? Ich muss hier passen. Ich kenne die Antwort nicht. Eines Tages war der „Liveticker“ da. Puff! Das erinnert an die „breaking news“. Die waren, glaube ich, eine Erfindung von CNN. Auch „Liveticker“? Keine Ahnung. Mir kommt CNN momentan zu wenig innovativ vor, um etwas zu erfinden.

Egal. Wir werden den „Liveticker“ ganz sicher nicht mehr los. Da die Nachrichten ohnehin zunehmend zum Unterhaltungs- und Propagandamittel mutieren, ist der „Liveticker“ ein nutzliches Werkzeug, um Spannung und um Nervenkitzel zu erzeugen.

Doch jetzt zum „Deadticker“. Nein, über den werden Sie (außer bei mir) nirgends etwas erfahren. Wo es einen „Liveticker“ gibt, kann der „Deadticker“ nicht fern sein, meine ich. Hier ein Beispiel eines „Deadticker“-Berichts: Am 19. März wurden in Gaza City Reporter der Associated Press, Reuters und anderer Nachrichtenagenturen misshandelt, manchen wurden die Kameras zerstört. Der Grund: Sie filmten eine Demonstation, die eine Versöhnung zwischen der Fatah und der Hamas forderte. Am gleichen Tag demolierten bewaffnete Banden die Büroräume von Reuters in Gaza City. (Hinterher hat sich ein Hamasnik entschuldigt). Das wissen Sie wahrscheinlich nicht, weil am Wochenende in den deutschen Medien darüber nicht berichtet wurde – zumindest nicht auf den Netzseiten die ich untersucht habe: „Spiegel-Online“, „Zeit“, „Welt“, „FAZ“. Auf englischen, amerikanischen, kanadischen und auch auf französischen Seiten wurde ich schnell fündig.

Warum landete diese Story in dem „Deadticker“? Keine Ahnung. Vielleicht war sie nicht unterhaltsam genug.

Schade, dass es den lieben Knuti nicht mehr gibt. Stimmt nicht. Bald werden wir erfahren, woran er verendet ist. Ich freue mich auf die schöne Ablenkung.

Gaddafis Bäumlinge – und die meinen

Kleine Probleme helfen sehr, die großen zu vergessen.

In diesem Fall geht es um den „Bäumling“.

Beinahe schäme ich mich, über meinen „Bäumling“ zu berichten. Die Katastrophen, die unsere schöne Welt in jüngster Zeit heimsuchen, bedrücken mich so sehr, dass mir Worte für anderes zusehends fehlen. In Japan wüten momentan drei apokalyptische Reiter. Sie heißen Erdbeben, Tsunami und Atom-GAU. In Libyen wütet der vierte: Er heißt Muammar Gaddafi. Der vierte Reiter ist freilich keine Naturgewalt, sondern ein gewissensloser Gangster, der die mediale Aufmerksamkeit, die zunehmend auf die anderen Reiter gerichtet ist, geschickt ausnutzt, um die eigenen Pfründen durch Mord aufrecht zu erhalten.

Ich werde trotzdem die Sache mit dem „Bäumling „ erörtern. Das kleine Problem soll zu einer kurzen Erholung von den großen werden.

Gestern kam Karl zu Besuch. Er hatte vor kurzem und mit großem Vergnügen mein noch nicht veröffentlichtes „Hierons Gastmahl – oder das Wort als Ware“ gelesen. (Den „Prolog auf dem Olymp“ werden Sie auf dieser Seite unter der Rubrik „Wer bin ich“ finden).

Das Buch spielt in der griechischen Antike. Erzähler Diagoras, ein Gedächtniskünstler, sitzt im Jahr 432 v.Chr. in Olympia auf einer steinernen Bank und sinniert über die Vergangenheit – genauer gesagt: über einige ihm wichtige Ereignisse aus den Jahren 452 v.Chr. und 472 v.Chr., die eines Tages weltbewegende Einflüße auf die Menschheitsgeschichte haben sollten.

Diagoras zeigt im Jahr 432 v.Chr. auf die stattlichen Bäume, die in Olympia nahe dem Spielgelände wachsen, und er erinnert sich, wie sie im Jahr 452 v.Chr. noch „Bäumlinge“ waren. Das heißt natürlich, dass ich als Autor diese Jungbäume als „Bäumlinge“ bezeichnet habe.

Warum „Bäumlinge“? Weil ich das Wort mochte. Ich fand es schöner als „Bäumchen“ oder „Bäumlein“, Vokabel, deren Niedlichkeit mir an dieser Stelle nicht passte.

„Im Deutschen gibt es keinen ‚Bäumling’“, sagte mir Karl.

„Womöglich habe ich an ‚Sprössling’ gedacht“, antwortete ich. „‚Bäumchen’ + ‚Sprößling’ = ‚Bäumling’. Schön, nicht wahr?

„Die Rechnung gehe aber nicht auf, weil es keine 'Bäumlinge' gibt.“

„Darf ich der deutschen Sprache kein neues Wort schenken?“ fragte ich.

„Naja“, sagte er etwas zögerlich. „Dann kann der Leser eventuell denken, du benutzt das Wort nur, weil deine Deutschkenntnisse imperfekt sind oder der Lektor faul war.“

„Wenn ich Deutscher wäre, dann würden die Leser vielleicht meinen: ‚Mei, ist das ein schöner Neologismus.’ Diesen Doppelstandard finde ich schlichtweg ungerecht.“

„Tja“, sagte Karl.

Nun frage ich mich, ob ich meine „Bäumlinge“ trotzdem stehen lasse, auf die Gefahr hin, dass manche Leser meine Deutschkenntnisse in Zweifel ziehen werden, oder ob ich die „Bäumlinge“ lieber in „junge Bäume“ verwandele. Schließlich ist es mein Ziel, meine Sprache – dem Inhalt zuliebe – so unsichtbar wie möglich zu machen.

(Nebenbei gesagt: Würde ich den Spieß umdrehen, das heißt: Würde ich den englischen Text eines Nichtmuttersprachlers lesen und auf eine Ungereimtheit stoßen, wäre es denkbar, dass ich genauso reagieren würde wie Karl. Allerdings ist außer Karl noch niemandem aufgefallen, dass meine „Bäumlinge“ keine gültige Aufenthaltsgenehmigung haben!).

Das Leben ist halt ungerecht.

Aber jetzt habe ich Sie lange genug von den großen Problemen abgelenkt. Mit Japan kann man nur mitfühlen und mithoffen. Übrigens: Momentan ist mein Nachbar dort, ich weiß aber nicht genau, wo. Und stellen Sie sich vor: Ich gieße während seiner Abwesenheit seinen Bäumling und hoffe inständig, dass bald alle Bäumlinge in Japan wieder in den Himmel wachsen. Gaddafi besitzt, wie jeder weiß, keine Bäumlinge, sondern lediglich Erdöl. Nur deshalb darf er und seine Söhne – das weiß auch jeder – so lange wüten. Doch irgendwann wird auch das Kuschen der Ölhungrigen peinlich werden. Hoffentlich aber bald.

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