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Auf Erden ist nichts für die Ewigkeit usw.

250 Bücher. Alte Weggefährten. Manche haben mich über vierzig Jahre durch das Leben begleitet. Am Wochenende habe ich sie in drei Kartons gepackt und zack! Deckel zu. Nein, nicht ganz. Mein Sohn hat schnell wieder aufgemacht und drei Bücher herausgefischt, die er haben wollte. Meinetwegen.

„Ausmisten“, sagt man. Bücher als Mist.

Ade „The Medicis“! Ade „Chang und Eng“! Ade „Meine Autobiographie“ von Leon Trotzki! Ade…Komisch. Mir fallen nach so vielen intimen Jahren nur noch zehn oder fünfzehn Titel ein.

Ich habe sie gestern auf eine Sackkarre gehievt, mit Gummibändern gefestigt, und durch die Straßen Schwabings zum nächsten Antiquariat geschoben. War sehr anstrengend.

Ich war aber überzeugt, dass der Ladenbesitzer mit meiner Auswahl höchstzufrieden sein würde. Meine Bücher passten gut in sein Sortiment.

Ich kam mir allerdings vor wie der Biobauer, der seine liebgewonnenen Schweinderl zum Markt karrt. Jedes Tier hat seinen Namen: „Grunzi“, „Heloise“, „Knickschwanzerl“, „Flappsi“ usw. In wenigen Stunden würde jemand den Weggefährten die Kehle durchschneiden.

Sie meinen vielleicht, Bücher seien keine Schweine und hätten erst recht keine Kehle. Haben Sie eine Ahnung.

Ein nüchterner Typ, der Ladenbesitzer. Noch nie habe ich ihn lächeln gesehen. Lieblos wühlte er durch die Kartons und legte diverse Bücher auf einen oder den anderen Stapel. Was haben diese Stapel zu bedeuten? sinnierte ich. Eine Selektion? Nein, ich habe nicht an Auschwitz gedacht. Im Gegenteil. Ich meinte, er ordne alles nach Sachgebieten oder nach Wert ein: die Fünf-Euro-Bücher, die für zehn Euro, die Luxusware für zwanzig Euro. Auf einem Stapel landete mein Fraktur-Spinoza, auf einem anderen mein englischer Marcus Aurelius, auf einem dritten die Karl Steinbuch-Bücher.

Beim zweiten Karton machte er noch schneller. Er mag doch alles! Das habe ich gedacht. Erst beim dritten begann ich allmählich zu zweifeln. Einen Henri Pirenne „Economic and Social History of Medieval Europe“ hat er einfach plumpsen lassen. Das Cover bekam sofort einen Knick. Ruppiger Kerl. Liebt er seine Bücher nicht? Vielleicht doch ein Bücherauschwitz.

„Das meiste kann ich gar nicht gebrauchen“, nuschelte er schließlich.

„Aber genau solche Bücher sehe ich immer wieder in Ihrem Laden.“

„Die bringen bloß zwei Euro, wenn es gut geht. Fast alles wertlos, Ihre Bücher. Schrott.“

„Du liebe Scheiße. Ich kann das alles aber nicht wieder nach Hause karren. Ich will es alles nicht mehr sehen.“ „‚Flappsi’, ‚Knickschwanzerl’, ‚Heloise’, Ihr bleibt bei dem netten Mann, der euch bald die Kehle aufschlitzen wird.“

Er zuckte aber gleichgültig mit den Achseln. „Das meiste schmeiße ich ohnehin weg. Keine Sau interessiert sich doch heute für Karl Steinbuch und seine dröge Informatik aus den 60er Jahren. Alles nur Ladenhüter. Müll.“

„Und Trotzkis Autobiographie? Herder? Spinoza?“

Er schaute mich nur finster an. „Nehmen Sie sich ein Buch im Wert von 20 Euro. Dann sind wir quitt.“

Ich gebe zu. Ich habe schon die ganze Zeit nicht viel erwartet, hatte allerdings gehofft, dass ich wenigstens vier Bücher im Kaufwert von etwa hundert Euro im Tausch bekäme.

Stracks ergriff ich „Die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla“. Noch nie davon gehört? Isidor von Sevilla lebte im 6. und 7. Jahrhunderten und gilt als letzter Autor der Antike, von dem man behaupten kann, seine Muttersprache sei Lateinisch gewesen. Seine Enzyklopädie entstand in einer Zeit des Zusammenbruchs. Sie war im Grunde die Quintessenz von Tausenden von verschollenen Büchern der Antike – so wie mein Exemplar seines Werkes zum Ersatz für meine 250 Bücher werden sollte.

„Flappsi“, „Knickschwanzerl“, „Heloise“ und Co., meinetwegen sollt ihr verrecken. Ich überlasse euch eurem Schicksal. Sentimentalität ade.

Schließlich ist auf Erden nichts für die Ewigkeit.

PS: Im letzten Augenblick habe ich eine Schubert-Biographie aus einem Karton gerettet. So ist es halt mit dem Schicksal der Dinge.

Der Sprachbloggeur und Robert diskutieren über die Wahrheit

Sprachbloggeur: Entschuldigung.

Robert (nicht sein richtiger Name): Du hast nichts Falsches getan. Du brauchst dich nicht zu entschuldigen.

Sprachbloggeur: So habe ich es auch nicht gemeint. Eine Entschuldigung wird oft als Höflichkeitsfloskel gebraucht. Ich wollte etwas ganz anders sagen.

Robert: Und du meinst, dass auch zu Guttenberg bloß eine Höflichkeitsfloskel ausgesprochen hat, als er sich entschuldigte?

Sprachbloggeur: Nein, das habe ich nicht behauptet. Zu Guttenberg ist ohnehin nicht mein Thema. Er ist Politiker, und der ist eh schon zurückgetreten. Ich mache mir nur ein paar Gedanken übers Lügen.

Robert: Also doch zu Guttenberg. Alle (mit Ausnahme von 87% der „Bild“-Leser und mehreren CSU-Wählern – aber auch die schwinden dahin) meinen, er habe gelogen.

Sprachbloggeur: Dein zu Guttenberg kann mir gestohlen bleiben. Ich denke an etwas ganz anderes: etwas, das ich in der „Weltwoche“ über den Film, „The King’s Speech“, gelesen habe. Notabene: Ich schreibe hier kein Plagiat, ich zitiere hier aus der „Weltwoche“. Soll ich dir den Autor des Artikels verraten? Er heißt Hanspeter Born.

Robert: Ich bin nicht dein Doktorvater, aber bitte. Ich käme sowieso nicht darauf, wenn du ein Zitat aus der „Weltwoche“ als eigenes Wissen verkauft hättest.

Sprachbloggeur: Ich verkaufe nichts. Ich teile lediglich mit.

Robert: Dann teile mit.

Sprachbloggeur: Born schreibt, dass „The King’s Speech“ ein hervorragender Film sei, aber unter einem kleinen Schönheitsfehler leide .

Robert: Und der ist?

Sprachbloggeur: dass die Geschichte reine Fantasie ist. Mit einer Ausnahme.

Robert: Und die wäre?

Sprachbloggeur: „Bertie“, also Albert, der dann König George VI. wurde, war tatsächlich ein Stotterer.

Robert: Keine Kleinigkeit, wenn die Geschichte ums Stottern geht.

Sprachbloggeur: Nur, sein Sprechhindernis wurde schon in den 1920er Jahren behoben. Ja, und es stimmt, dass sein Lehrer ein unkonventioneller Australier war. Der Film spielt hingegen in den dramatischen Vorkriegsjahren 1936 bis 1939. Mit anderen Worten: Das Ganze ist eine aufgebauschte Geschichtsklitterung. Ich mag das Wort „Geschichtsklitterung“. Wenn ich es benutze, denkt jeder, dass ich Deutsch akzentfrei spreche.

Robert: Bitte nicht kokettieren. So stark ist dein Akzent auch wiederum nicht. Und jetzt gehst du den Film nicht sehen, weil der König im falschen Jahrzehnt gestottert hat.

Sprachbloggeur: Das habe ich nicht behauptet. Ich meine nur: Die meisten Menschen gehen in den Film und sind überzeugt, sie bekommen Geschichtsunterricht. Außerdem, sagt Born, sei es nicht Winston Churchill gewesen, der „Bertie“ (klang zu Deutsch) dazu riet, sich „George“ zu nennen. „Bertie“ und Winston wurden erst während des Krieges Freunde. Wo kommen wir hin, wenn alle alles behaupten dürfen, nur um sich besser zu verkaufen?

Robert: Du meinst wirklich, dass zu Guttenberg nicht dein Thema ist.

Sprachbloggeur: Hältst du mich für einen Lügner? Immerhin bin ich Amerikaner. Wir lernen als Kinder (zumindest zu meiner Zeit), dass George Washington den Kirschbaum seines Vaters gefällt und dies, als sein Vater fragte, wer es getan habe, unverzüglich zugegeben hat. Zitat: „Father, I cannot tell a lie. It was I who cut down your cherry tree.” Dieser George war für uns ein großes Vorbild – auch wenn ich später erfuhr, dass die Geschichte nur eine Legende war.

Robert: Im „Spiegel-Online“ habe ich gelesen, dass Adlige öfters schummeln. Siehst du: Auch ich zitiere meine Quellen.

Sprachbloggeur: In Amerika gibt es keinen Adelstitel.

Robert: Man schummelt trotzdem. Hat nicht Clinton gesagt, „Ich habe mit der Frau nicht geschlafen.“

Sprachbloggeur: Das war keine Lüge. Amerikaner unterscheiden sehr streng zwischen Kopulation und Fellatio.

Robert: Jetzt spricht der Latinist.

Sprachbloggeur: Entschuldigung. Ich wollte nicht angeben. Ich suche lediglich nach der Wahrheit und finde sie nicht.

Robert: Schon wieder entschuldigst du dich. Ich möchte allmählich behaupten, dass zu Guttenberg doch dein Thema ist.

Sprachbloggeur: Hältst du mich für einen Lügner? Mich beschäftigt nur die Geschichtsklitterung und die habe ich schon ausreichend erörtert.

Der nächste Gottschalk? Ich! Ich! Ich!

Schade, dass Thomas Gottschalk geht. Ich verstehe seine Beweggründe aber gut. Es spricht für ihn, dass er sich jetzt so entschieden hat.

Nach dem schrecklichen Schicksalschlag des Samuel Koch (ihm wünsche ich eine vollständige Genesung) kann es für Gottschalk ab jetzt nur noch ein Vorher und ein Nachher geben.

Das Vorher mutet wie ein goldenes Zeitalter an. Man denkt mit Nostalgie daran. Dieses Erinnern schmerzt aber sehr. Denn man lebt im Nachher, dem Nachher eines Ereignisses, das sich vor dem geistigen Auge in Zeitlupe immer wieder abspielt. Man will den Film stoppen, die Bilder ungeschehen machen. Geht aber nicht.

Ich verstehe Gottschalk, weil ich am letzten Samstagabend um ein Haar das Gleiche erlebt hätte. Zum Glück geht meine Geschichte glimpflich aus. Der achtjährige Sohn eines Freundes spielte am Treppengeländer. Ich stand auf der Treppe eine Ebene tiefer. Plötzlich verlor er das Gleichgewicht, rutschte vom Geländer ab, flog an mir vorbei und prallte gegen mich oder das Geländer  oder beides. Hektisch versuchte ich ihn aufzufangen. Alles ging natürlich sehr schnell vor sich - dennoch wie in Zeitlupe. Ich griff fiebrig nach ihm, umklammerte seine Haare . Alles vergebens. Er schlug eine Treppe weiter unten auf, blieb auf dem Rücken liegen.

Ich verstehe deshalb sehr genau, was Vorher und Nachher bedeutet. In diesem Fall hatte der Junge Glück. Er konnte gleich reden und weinen, war in der Lage, Zehen und Hände zu bewegen. Er kam zur Beobachtung gleich ins Krankenhaus. Es geht ihm, Gott sei dank, gut.

Wenn ich Thomas Gottschalk wäre, würde ich auch eine Pause einlegen, mir alle Optionen offen halten. Zum Glück ist er aufs Geld nicht angewiesen.

Heute habe ich mir eine neue Hose gekauft. Sie hat 69 Euro gekostet. Für Thommy ein kleines Taschengeld. Für mich eine leichte Prasserei. Eine schöne, wollene Hose, die ich tragen will, wenn ich mich formell anziehen muss – was ohnehin nur selten vorkommt.

Nachdem ich die Hose bezahlt hatte, kam mir folgender Gedanke: Eigentlich könnte ich mich als Gottschalk-Nachfolger für „Wetten dass…“ bewerben. Ich wäre der ideale Moderator: unbekannt, manchmal witzig – außerdem habe auch ich Locken – die sind allerdings nicht blond, sondern silbern, was mich aber interessant und welterfahren erscheinen lässt. Der triftigste Grund mich als Moderator zu verpflichten, wäre jedoch ein anderer: Ich habe einen Migrationshintergrund. So was ist momentan sehr „in“.

Und noch ein Vorteil: Ich habe in meinem Leben noch nie „Wetten, dass…“ geglotzt, weil ich nur selten fernsehe. Ich habe also keine Ahnung, was sich da alles abspielt. Insofern könnte ich die Show völlig neu und unvoreingenommen gestalten.

Eins verspreche ich schon jetzt: Ich werde den Zuschauerquoten nicht hinterherlaufen. Das mache ich auch als Sprachbloggeur nicht. Schnell wird man gefällig und ängstlich. Der kreative Spaß hört bald auf.

Durch meinen Einfluss würde die Show eine ganz neue Qualität erhalten. Ich könnte, zum Beispiel, eine Wette mit dem Publikum schließen, dass ich im Lauf von, sagen wir, einer halben Stunde fehlerfreies Deutsch zu reden versuchen würde. Glauben Sie mir. Ich würde mich wirklich anstrengen. Kein Mogeln. Ich bemühe mich ohnehin stets, fehlerfrei zu reden. Nur es gelingt mir nicht. Das Live-Publikum würde als Jury genau hinhören. Wer einen Fehler entdeckte, dürfte auf die Bühne kommen und über sich erzählen oder, wenn das ihm (oder ihr) zu peinlich wäre, ein Gedicht vortragen.

Klingt das nicht lustig?

Oder man könnte drei Studiogäste ganz beliebig auswählen, um an einem Wettbewerb teilzunehmen: wer den Atem am längsten anhalten kann. Der Sieger dürfte dann ein Lied vorsingen, wenn er (oder sie) wollte.

Sie sehen. Ich habe viele klasse Ideen. Und und die habe ich gerade erst aus der Luft gegriffen.

Vielleicht stößt ZDF doch zufällig auf mich. Kann man nie ganz ausschließen.  Wie man weiß, geschehen zuweilen Zeichen und Wunder.

Übrigens: Ich koste nicht so viel wie Gottschalk. Trotzdem bin ich nicht ganz billig. Sonst wird man nicht ernst genommen.

Falls das mit „Wetten, dass…“ nicht klappt, biete ich mich ebenfalls als Chef der Europäischen Zentralbank an. Ich bin nämlich unschlagbar mit dem Taschenrechner und außerdem nicht verschwenderisch. Zinsen erhöhen und senken kann jeder. Was macht der Oberbanker sonst? Man muss nur zu seinen Entscheidungen stehen.

In eigener Sache: Nächste Woche keine Glosse. Bin auf Geheimmission. In zwei Wochen wieder Neues.

Notizen zum „Wir-Gefühl“ im Deutschen

Am vorigen Samstagabend mit Freunden und Bekannten zusammen. Aus heiterem Himmel wird die deutsche Sprache zum Thema.

„Wolffsohn hat Westerwelle kritisiert, weil Westerwelle in einer Rede wir Deutsche’ anstatt ‚wir Deutschen’  gesagt hat.“

Das berichtet ein alter Freund – nennen wir ihn „Viktor“.

Gemeint waren Bundeswehrprofessor Michael Wolffsohn und Außenminister Guido Westerwelle.

„Ich würde spontan auf ‚wir Deutsche’ tippen“, sage ich. „Mein Ohr ist fremd, aber ich bilde mir ein, dass ich kaum ‚wir Deutschen’ höre.“

„Mein fremdes Ohr schließt sich dir an“, sagt – nennen wir ihn „Robert“, der als Kind nur Polnisch sprach.

„Vielleicht wird ‚deutsch’ hier als Adjektiv gebraucht“, fügt E. hinzu, er ist Amerikaner wie ich, „Man versteht dann implizit 'deutsche Menschen’ .“

„N-e-e-i-i-n“, sagen alle unisono.

„Was meinst du`“ frage ich G. „Du bist einer der wenigen Muttersprachler in der Runde.

„Ich bin Österreicher. Wir sagen: ‚Wir Österreicher’. Ich habe noch nie in meinem Leben nach ‚wir’ das Wort ‚deutsch’ über die Lippen gebracht.“

„Ich sehe das Problem folgendermaßen“, sagt der Sprachbloggeur, „Die deutsche Sprache unterscheidet zwischen dem bestimmten Artikel, also ‚der’, ‚die’, ‚das’ und dem unbestimmten, also ‚ein’ ‚eine. ein’. Man sagt ‚der Deutsche’ und ‚die Deutschen’, aber ‚ein Deutscher’ und ‚einige Deutsche’. Die Frage muss lauten: Wird ‚wir’ als bestimmt oder unbestimmt erachtet?

„Sehr richtig, Herr Sprachbloggeur“, sagt „Robert“. „Denkst du an ein bestimmtes Wir oder ein unbestimmtes?“

„‚Wir Deutsche’, ‚wir Deutschen’. Sagt man beides oft genug, findet man bald keinen Unterschied mehr“, sage ich. „Ich werde im Internet nachschauen.“

„Das hättest du seit Tagen tun können. Es ist das große Thema in der Blogosphäre“, sagt „Viktor“.

„Ich hab’s. Ein ‚Wir-Gefühl’ kann beides sein, ‚bestimmt’ und ‚unbestimmt’“, sagt „Robert“.„Vielleicht ist das das Problem.“

„Oder Wolffsohn hat sich geirrt“, sagt der Sprachbloggeur.

„Wolffsohn hat immer recht“, pariert „Viktor“.

Ich bin trotzdem der Sache auf den Grund gegangen und wurde im Internet ohne große Mühe fündig. Die Antwort habe ich bei Kollegen Bastian Sick gefunden. „Zwiebelfisch“ hat das Thema schon 2005 aufgegriffen – also lange vor dem Wolffsohn-Westerwelle-Streit. Auch er sieht das Phänomen der „bestimmten“ und „unbestimmten“ Wörter als Basis für seine Überlegungen. Er hat die Sache wie immer sehr lustig erzählt. Ich werde aber seine Witze hier nicht zum Volksgut machen.

Meine Schlussfolgerung habe ich „Viktor“ als Mail geschickt: Ich zitiere:

Lieber „Viktor“,

et Homerus nudit. Das heißt nicht, dass Homer sich auszieht, sondern dass auch er nickt – sprich nicht unfehlbar ist.

Auch Wolfssohn ist nicht unfehlbar.

Hier ein Link zu „Zwiebelfisch“ (2005) über "Wir Deutsche – wir Deutschen".

Kurz gefasst: Beide Formen sind möglich. Der Duden ist allerdings der Meinung, dass "Deutschen" auf dem Vormarsch und „Deutsche“ im Rückzug begriffen ist. Das war jedenfalls der Stand der Dinge 2005. Ich halte das Urteil des Dudens für verfrüht.

Grüße

PJ

Notabene, liebe Leser. Den Link zu „Zwiebelfisch“ gebe ich hier nicht an. Das Fieseln mit „Hypertext“ ist mir noch immer zu mühsam. Googeln Sie ihn selbst unter Stichwörter „Wir Deutsche – wir Deutschen“ und „Zwiebelfisch“. Sie kommen gleich ans Ziel.

Schau mir in die verpixelten Augen, Kleines (Geht das überhaupt?)

Ach, die guten alten Zeiten. Es war vielleicht vor dreißig Jahren, kann aber auch schon länger her sein:

Mich fixierte eines Tages ein Bild in der damaligen Münchener Abendzeitung. Es zeigte einen frisch verhafteten Mann, der in der grünen Minna kauerte, das verschämte Gesicht in den Händen fest eingehüllt. Um ihm herum standen die Schaulustigen; sie glotzten hämisch in den Streifenwagen und hegten sicherlich „Geschieht-ihm-recht“-Gedanken.

Ich studierte das Bild mit Entsetzen. Wie kann die Zeitung dieses gemeine Foto veröffentlichen? Das habe ich mich gefragt – billigster Ausdruck des „Volkszornes“, dachte ich. Ja, Dorothy – wie man in Amerika damals sagte – , du bist nicht mehr in Kansas, du bist in Oz. Noch präziser: Ich war endlich mit Leib und Seele in Deutschland gelandet. Ist das die sogenannte „deutsche Mentalität“? sann ich.

Ich war immerhin Frischling auf deutschem Boden. Die Fragen waren berechtigt.

Wären meine Deutschkenntnisse damals brauchbar gewesen, hätte ich wahrscheinlich einen Leserbrief geschrieben. Ich schreibe gerne Leserbriefe. Ich war aber noch stumm wie ein Säugling. Nichts ging.

Das Foto habe ich neulich ausgegraben. Offenbar hat es mich damals sehr beeindrückt, sonst hätte ich es nicht behalten. Keine Ahnung, was der gute Mann verbrochen hatte. Diebstahl, nehme ich an.

Egal. Ich denke an dieses Bild, weil ich mich jüngst mit einer älteren Dame (damit meine ich, älter als ich) über die Verpixelung von Gesichtern in der Zeitung unterhalten habe. „Verbrecher muss man sehen können, nicht schonen“, sagte sie.

Ich hörte aus dem Ton die Erziehung einer lang vergangenen Zeit heraus und fragte mich deshalb, ob man Nazi sein muss, um die Verpixelung von Gesichtern für eine Unsitte zu halten. Denn letztendlich denke ich nicht anders als die alte Dame: Auch ich rege mich auf, wenn ich mir Fotos ohne Informationsgehalt anschaue.

Ist Ihnen auch aufgefallen, wie viele fotografische Darstellungen  menschlicher Gesichter in den Medien verpixelt werden? Eine unaufhaltbare Entwicklung, wie es scheint. Aber warum?

Besser gefragt: Warum überhaupt ein Bild, wenn es nur verunstaltet? Ich gebe zu: Der Mensch in der grünen Minna aus der alten Zeitung hat selbst das Gesicht – so könnte man argumentieren – „verpixelt“. Nein, nicht verpixelt, unsichtbar gemacht, weil er sich schämte, Gegenstand des Hohns geworden zu sein. Aber gerade diese sichtbare Unsichtbarkeit macht das Bild so tatkräftig.

Schläger, Vergewaltiger, Mörder usw. erlebt man in den Medien schon lange nur noch als kubistische Verschleierungen. Sie stellen das Gegenteil von einem Bild dar. Es sind Antibilder geworden.

Ein Bild will informieren. Antibilder können nur deformieren.

Es handelt sich um eine relativ neue Unsitte. Ich glaube, man hat noch vor wenigen Jahren die Augen von Deliquenten mit schwarzen Balken unkenntlich gemacht. Vielleicht steckt etwas Juristisches dahinter – Schutz der Privatsphäre oder so? Auch Kinderaugen wurden eine Zeitlang mit schwarzem Balken versehen. Heute wird das ganze Kindergesicht verpixelt. Das soll vor Sittenstrolchen, Ent- und Verführern schützen, wenn ich das richtig verstanden habe. Aber dann lieber keine Bilder.

Bin ich auf etwas gestoßen, dass lange die Informationsgesellschaft prägen wird? Ich meine: Wird das Bild immer mehr zum Schleier werden? Warum denn Bilder, wenn sie den Zweck haben, Nichts-sagend zu sein?

Wird man bald ins Museum gehen müssen, um Abbildungen des Menschengesichts zu betrachten? Und jetzt eine letzte Frage, die viele Blattmacher in Angst und Bange versetzen wird: Wenn das Bild eines Menschen aufhört einen Sinn zu haben, heißt es, dass bald das Wort allein zum Informationsträger werden muss?

Twitterer aufpassen. Die Tage der kurzen Message sind womöglich gezählt.

Werden Sie Bürgerreporter! Kostet nichts!

Über die Wutbürger habe ich erst vor wenigen Wochen berichtet. Damals fiel mir auf, dass diese, nachdem die ungarische Regierung das neue, dreiste Medienzensurgesetz verabschiedet hatte, fast völlig verstummten.

Übrigens: Falls es sich noch ein paar Wutbürger finden lässt, und diese momentan nicht auf Sarrazinjagd sind oder für Gaza sammeln, gäbe es noch immer genügend Gründe, um über die Situation in Ungarn wütend zu werden. Gerade gestern erreichte mich eine Mail aus Budapest. Ich zitiere: „Es ist momentan ganz schlimm, was in Ungarn passiert. Nur die internationale Öffentlichkeit hilft. Ich hoffe, dass Orban gebremst wird, denn viele Freunde sind vollkommen verzweifelt, manche wollen gar nicht mehr weiterleben. Der Druck ist so massiv, dass ich es auch nachvollziehen kann. Ich glaube, so müssen sich Menschen in der Weimarer Republik gefühlt haben, die nicht völkisch dachten.“

Soviel zu den Wutbürgern, und jetzt zu den „Bürgerreportern“, die heute mein eigentliches Thema sind. (Wie ich schon mal gebeichtet habe: Für mein amerikanisches Ohr klingen die „Bürger“ noch immer wie ein beliebtes Fastfoodgericht. Aber das nur nebenbei).

Ja, der Bürgerreporter. Ich komme darauf, weil ich gestern folgende Überschrift auf der Webseite der Münchner Abendzeitung entdeckt habe: „Werden Sie ein myheimatler: Die Plattform für Bürgerreporter“.

Vielleicht kennen Sie die Begriffe „Bürgerreporter“ und „myheimat“ schon. Für mich waren es Neuheiten. Ich bin halt nicht immer so sehr auf dem Laufenden wie andere Menschen.

Ich habe jedenfalls spontan mit Hohn und Entrüstung reagiert. Nach dem Motto: Das ist ja der Gipfel! Nun will die Abendzeitung die allerletzten freien Mitarbeiter (und vielleicht auch ihre Angestellten, wenn es welche noch gibt) endgültig zum Stempeln schicken oder aus ihnen Hartzvierler machen und die Seiten künftig mit den Ergüssen von „Bürgerreportern“ füllen!

Der Gedanke ist freilich nicht ganz abwegig. Hier ein Zitat aus besagtem „Werden Sie ein myheimatler“-Text: „Hobby-Reporter können Nachrichten und Fotos aus München und den Stadtteilen einstellen.“ Und weiter heißt es: .“Die Teilnahme ist kostenlos“. Kostenlos! Stellen Sie sich vor, dass „Hobbyreporter“ auch zahlen müssten, um ihre Berichterstattungen in veröffentlichter Form zu bewundern. (Eigentlich kein so schlechtes Arbeitsmodel. Vielleicht kann ich es einem Verlag – gegen Beratergeld – unterbreiten).

Genug der bösen Fantasien. Als erfahrener Schriftsteller, Stubengelehrter und Journalist weiß ich, dass man die Pflicht hat, Quellen zu recherchieren und nicht nur Sprüche zu klopfen. Also habe ich selbst die „myheimat“-Webseite besucht, um die Sache auf den Grund zu gehen. Sie kennen sie vielleicht schon. Ich nicht.

Die ist jedenfalls bunt eingerichtet und voll mit Reportagen über regionale Ereignisse. Sie wissen schon: Katze im Baum, Wohnungsbrand, Hochzeiten, Verbrechenbekämpfung u.v.a.m. Mit anderen Worten: Alles, was man erfährt, wenn man die Nase in die Angelegenheiten anderer steckt und darüber berichten will. Journalismus halt.

Aber: Meine spontane Abneigung ist schnell einer Akzeptanz gewichen. Ich habe gedacht: Eigentlich keine schlechte Idee: eine Art aktuelles Berichtserstattungsforum, das unter Umständen schneller vor Ort berichtet als die Profis von CNN und Al-Dschasira. Das ist nicht nur als Witz gemeint. Erst gestern, so erfuhr ich, stammten die ersten Berichte über das Selbstmordattentat am Moskauer Flughafen von Bürgerreportern via YouTube und TwitVid. Gleiches passierte seinerzeit während der Demos, die der geschummelten Wahl im Iran folgten.

Und dann fiel mir obendrein ein, dass auch ich heute in dieser Glosse eine Art „Bürgerreporter“-Rolle gespielt habe. Immerhin habe ich Ihnen einleitend einen wichtigen Stimmungsbericht aus Ungarn übermittelt.

Hmmm.

Haben Sie die Botschaft verstanden, liebe Medienkonsumenten des 21. Jahrhunderts?

Wie wäre es mit einer kleinen Katastrophe?

Vielleicht könnte mir jemand netterweise erklären, wie man es richtig sagt: Handelt es sich bei den uringelben Flecken an der Decke meines Bades und an der Wand hinter den überfüllten Bücherregalen meines Arbeitszimmers um einen Wasserschaden oder um Wasserschäden? Ich weiß es leider nicht. Man hat mir beides konstatiert. Muttersprachler sind hier gefragt.

Das gleiche Problem habe ich übrigens in Bezug auf die Rohre– sind das Rohre oder „Röhren“? Ursache meiner Wasserschäden – bzw. meines Wasserschadens war nämlich ein Rohrbruch.

O Sprache der Deutschen, warum quälst du den armen Ausländer – Entschuldigung, ich meine den armen Menschen mit Migrationshintergrund – mit derartigen Feinheiten, die einen deutlich als einen Ratlosen outen?

Die Geschichte begann am Freitagnachmittag – natürlich gleich vor dem Wochenende, wenn sich alle (bzw. fast alle) Handwerker auf geheimnisvolle Weise in ein Nichts auflösen, um erst Montag wieder sichtbar zu werden. Das Wasser tröpfelte penetrant durch die Decke. Plupp. Plupp. Plupp. Wie durch ein Wunder erreichten wir den Notdienst. Der nette Herr kam um 17h an, stellte im Bad ein Entfeuchtungsgerät  auf, das tagein tagaus zu laufen hat. Es summt noch lauter als mein geliebter Tinnitus. Doch dann sagte er: „Die Bücherregale müssen auch weg. Wir kommen nächste Woche wieder, um auch die Wand in ihrem Arbeitszimmer zu behandeln.“

Bücherregale weg. Einfach gesagt. Das sind ca. eintausend Bücher. Eine Katastrophe. Die Welt geht unter, denkt man als erstes, wenn alles schief geht. Doch entschloss ich mich, aus meiner Notlage eine Tugend zu machen. Ich entschloss mich, mein Arbeitszimmer endlich neu zu ordnen. Schon während ich die Regale abbaute, habe ich etwa 20% meiner Bücher aussortiert. Es sind hauptsächlich Bücher, von denen ich weiß, ich werde sie nie lesen. Manche besitze ich mehr als dreißig Jahre: eine Geschichte der Medici, zum Beispiel, und eine des Kapitalismus, das Gesamtwerk von Teilhard de Chardin, die philosophischen Werke von Carl Friedrich von Weizsäcker und vieles andere mehr – inklusive ein Buch über die Makroökonomik.

Außerdem werde ich einen Elektriker bestellen, um mir an der entblößten Wand ein paar Doppelsteckdosen anbringen zu lassen. Ich habe nämlich in meinem Arbeitszimmer nur zwei Einzeldosen (und soviele  Verlängerungsschnüre mit Mehrfachdosen, dass mein Sohn behauptet, irgendwann einmal würden die Kabel zu kochen anfangen).

Heißt es nicht, Not mache erfinderisch? Ich möchte diese Binsenweisheit mit einer eigenen ergänzen. Die fiel mir heute ein, als ich um 12h die Katastrophennachrichten  guckte (für Journalisten sind Katastrophen ein Brotgeschäft). Diese eigens formulierte Binsenweisheit lautet: Die Natur verträgt kein Chaos. Eine hoffnungsvolle Aussage, nicht wahr? Und ich empfehle Ihnen, sie sich zu Herzen zu nehmen. Denn es stimmt: Man sucht nach der ersten Verzweifelung stets nach der Möglichkeit einer Neuordnung der Dinge.

Weil wir gerade von Katastrophen sprechen: Am Sonntagabend habe ich kurz im Fernsehen geglotzt und ein bisschen „channel-surfing“ betrieben.

Zufällig schaltete ich eine Katastrophenshow ein. Sehr interessant, wie man vermeintliche künftige Katastrophen mit den raffinierten Mitteln der Computeranimation anschaulich machen kann. So, zum Beispiel, einen Tsunami, der eines Tages angeblich über die Ostküste Amerikas fegen und alle Städte bis Philadelphia dem Erdbodengleich machen soll. Man sah sehr schöne – überzeugende – Bilder von der totalen Verwüstung. Wer schwache geographische Kenntnisse hat, lernt dabei viel. Zudem hat man erfahren, dass es Vulkane im Yellowstone Nationalpark gibt, die, sollten sie eines Tages in die Luft gehen, ganz Amerika in Schutt und Asche legen würden. Die pechschwarze Wolke würde dann die ganze Welt in Mitleidenschaft ziehen. Alle – oder zumindest die meisten – Tierarten und auch viele Menschen würden elend zugrunde gehen. Somit wären auch viele Leser des Sprachbloggeurs nicht mehr am Leben. Auch das wäre eine Katastrophe.

Das Wichtigste habe ich vergessen zu sagen: Mit diesen schrecklichen Ereignissen ist – so die Sendung – im Jahr 2012 zu rechnen. Etwas mit dem Aztekenkalender – oder war das der Mayakalender? So schnell vergisst man die Details.

Aber jetzt komme ich zum Wort „Katastrophe“ selbst. Seit langem wollte ich Sie mit dem Inhalt einer Glosse bekannt machen, die ich im März 2010 in der FAZ gelesen habe – lange bevor einige bekannte Katastrophen – zum Beispiel der Tod Michael Jacksons und Michael Ballacks Knöchelverletzung – die Welt erschütterten:

"Umkehr" hieße es auf Griechisch. Ursprünglich sei es ein terminus technicus gewesen und habe im griechischen Drama die Umkehr bezeichnet, die „auf einen friedvollen Ausgang zusteuert“. Ich zitiere „thom“ – so das Kürzel des Autors der Glosse. Peu à peu wurde das Wort dann aber negativ  belegt, und dabei ist es bis heute geblieben.

Meine Wasserschäden werden in absehbarer Zeit behoben sein, und ich schäme mich, diese als „Katastrophe“ zu bezeichnen, zumal alle Städte bis nach Philadelphia zu Strandgestein werden könnten. Aber wer weiß? Vielleicht steuert alles doch auf einen friedvollen Ausgang zu. Immerhin: Die Natur verträgt kein Chaos – zumindest nicht sehr lange.

Schon Ihre fünfzehn Minuten gehabt?

Sagt Ihnen der Name „Herostrat“ etwas?

Am 21 Juli 356 v.Chr. hat dieser Knallkopf den Artemistempel in Ephesos in Brand gesteckt. Als Grund dafür gab er an, er wollte seinen Namen unsterblich machen. Ich weiß nicht, wie es möglich war, einen so großen Marmortempel anzuheizen, bin aber kein Architekt. Aber so lautet die Geschichte.

Wie kam er auf diese Wahnsinnsidee? Hatte er eine Verhaltensstörung, weil er als Kind misshandelt oder missbraucht worden war? Solche Fragen hätten die alten Griechen wenig interessiert. Man hat den wirren Brandstifter nach kurzem Prozess hingerichtet. Um seinen Ruhmesplan zu vereiteln, wurde ein Gesetz verabschiedet, dass das Aussprechen seines Namens verbot. Zuwiderhandlungen wurden mit dem Tod geahndet.

Dennoch kennt man den Namen bis zum heutigen Tag. „Hersostrat“ steht sogar im Duden, in der Bedeutung: „Verbrecher aus Ruhmsucht“.

Ist die Rechnung also doch aufgegangen?

Natürlich nicht. Hand ins Feuer: War Ihnen Herostrat ein Begriff, bevor Sie mit der Lektüre dieser Glosse begannen? Wer kennt diesen Namen heute außer ein paar unzeitgemäßen Bildungsbürgern? Ich selbst kam überhaupt nicht mehr darauf. Ich musste verschiedene Wortkombinationen googeln, um ihn zu finden. Etwa: „Grieche“, „Ruhm“, „Feuer“ und dergleichen.

Meine Googlesuche führte übrigens nicht sofort zu Herostrat, sondern zu Seiten über eine Frau auf Kreta, die in der griechischen Presse zu Berühmtheit gekommen ist, weil sie die Genitalien eines aufdringlichen britischen Touristen mit einer einheimischen Schnappssorte in Brand gesetzt hatte. Ich habe den Bericht nur flüchtig gelesen.

So ist die Sache mit dem Ruhm: flüchtig wie Rauch. Ich musste an den berühmten Spruch von Andy Warhol denken, er selbst kein Unbekannter. Können Sie sich erinnern? Er versprach jedem „fünfzehn Minuten der Berühmtheit“. Heute sind diese „fifteen minutes of fame“ zu einem stehenden Begriff geworden – zumindest auf Englisch.

Fakt ist: Warhol hat das nie so gesagt. Das weiß ich zufällig. Denn ich habe den genauen Wortlaut noch immer im Kopf. Wir schreiben das Jahr 1973. Damals lebte ich in San Franciso. Eines Tages hörte ich in den Radionachrichten folgende Meldung (hier meine deutsche Übersetzung): „Laut dem Künstler Andy Warhol wird jeder bis 1974 für fünfzehn Minuten berühmt sein.“

Warum hat er diesen bissigen Satz geäußert? Es war sein Kommentar zu einer damals neuen Unsitte: dem Straßeninterview. Unbescholtene Bürger wurden von einem Kamerateam urplötzlich angefallen und zu einem aktuellen Thema befragt. Dieser Vorgang erweckte zunächst bei den Befragten nur Befremden, man war auf ein solches Attentat nicht vorbereitet. Doch manche erkannten darin eine Chance und benutzten diesen unverhofften TV-Auftritt, um sich selbst öffentlich zu profilieren.

Ja, liebe Bürger des zweiten Jahrzehnts des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Es gab eine Zeit, als die Privatsphäre um einiges privater war, als sie heute ist. Man wurde nicht von freiberuflichen Journalisten, die unter furchterregenden Leistungsdruck standen, angebaggert, belästigt und umworben.

Andy Warhol hat die Tendenz des Phänomens schon damals vorgeahnt, obwohl er weder „Big Brother“, „Dschungelcamp“ noch „Deutschland (bzw. Amerika, UK usw.) sucht einen Superstar“ kannte.

Gestern jährte sich der 75. Todestag von John Gilbert. Er starb 1936 im Alter  von 38 Jahren . Noch nie von ihm gehört? Berühmter amerikaner Schauspieler. Ein schöner Mann, Schwarm einer ganzen Generation liebesdürftiger amerikanischer Mädchen.

Hurra! Ich integriere mich!

Impulsive Menschen sind gefährlich. So einer bin ich. Kaum sichtete ich das Bild von Linying Reiss im „Spiegel-Online“ mit der Überschrift „Ich bin nicht integriert, ich bin Chinesin“, sah ich spontan rot.

Nein, nicht „rot“ wie in „Rotchina“. Ich bin nicht immer zu Wortspielen aufgelegt.

Vielmehr dachte ich: Nicht schon wieder eine larmoyante Selbstdarstellung darüber, wie schwer es ist, als Zuwanderer, sich in einen Einheimischen zu verwandeln.

Frau Reiss ist Kunstmalerin. Ein reizendes Bild von verschiedenfarbigen Fröschen begleitete ihren Text: rote, orange und blaue Frösche. Ein roter Frosch kann aber nie zum blauen werden. Das muss jeder Maler wissen! Das dachte ich .

Was Linying Reiss betriff, habe ich mich jedenfalls getäuscht. Das passiert mir immer, wenn ich nur die Überschriften überfliege und mir den restlichen Text lediglich einbilde. Erst als ich den Aufsatz in aller Ruhe las, wurde mir klar, wie sehr ich mich geirrt hatte. Frau Reiss ist nämlich bereits ganz schön „integriert“, obwohl sie erst seit elf Jahren in Deutschland lebt. Sie hat sowohl Familie wie auch Beruf (Malerin und Schriftstellerin).

Ich verstehe sehr wohl, dass Linying Reiss nach bescheidenen elf Jahren im fremden Land noch immer behaupten will, sie sei nicht integriert, sondern Chinesin. Nach elf Jahren in Deutschland habe ich mich ähnlich ausgedrückt. Heute sage ich: Ich bin integriert, ich bin Amerikaner.

Vor fünf Jahren wurde ich im österreichischen Rundfunk interviewt. Es ging damals um mein Buch „Kaspar Hausers Geschwister“. Die Rundfunksprecherin stellte mich als „der amerikanisch-deutsche Schriftsteller P.J. Blumenthal“ vor. Noch nie hatte man mich so bezeichnet. Jahrelang galt ich als „der amerikanische Schriftsteller…“ oder „der in München lebende Amerikaner“. Auf einmal wurde aus mir ein „amerikanischer Deutscher“. Ist eigentlich richtig, dachte ich. Es entspricht der Wahrheit.

Sagt man nicht umgekehrt, dass Einstein ein „Deutsch-Amerikaner“ war? Nach erster und zweiter Heimat wird man häufig etikettiert. Demnach wäre Frau Reiss eine „chinesische Deutsche“.

Hier meine Theorie: „Integration“, liebe Deutsche, liebe Migrationshintergründler, – und damit meine ich eine echte Integration – , scheint erst dann vonstatten zu gehen, wenn der Zugewanderte seine neue Identität verinnerlicht hat, ohne dass er die alte abgelegt hat – bzw. das Gefühl hat, er müsse sie ablegen.

Während meiner Kindheit in der Bronx war es nicht anders. Wir Kinder verstanden uns als waschechte Amerikaner. Trotzdem waren wir ein buntes Mischvolk: Italiener, Juden und Iren. (Später kamen noch die Puertorikaner dazu). Unsere Familiennamen verrieten die unterschiedlichen Herkünfte. Aber nicht nur unsere Familiennamen. Jedes Völkchen sprach auch einen etwas anders schattierten Dialekt des New Yorker Englisch. Das ist freilich alles lange her, und ich glaube, dass diese Dialekte allmählich aussterben. Dafür gibt es im Einwanderungsland USA ganz bestimmt neue Dialekte, die ebenso leicht herauszuhören sind.

Liebe Frau Reiss. Integrieren Sie sich weiterhin schön. Das gleiche wünsche ich allen Mitmigrationshintergründlern. Und zahlen Sie ganz brav in die Rentenkasse. Das macht Zuwanderer auf der ganzen zivilisierten Welt so beliebt. Außerdem gehört es zur guten Form.

Der Sprachbloggeur rettet die deutschen Sprachen

Es gibt nichts Schöneres, als das Jahr im Paradies zu beenden.

Stammgäste meines Wortladens werden wissen, was hier mit „Paradies“ gemeint ist. So heißt nämlich der Obstmarkt um die Ecke von mir.

Dort spielt sich das volle Leben in Miniatur ab. Man erfährt alles: von Avokado bis Zucchini.

Wenn überhaupt jemand berechtigt ist zu sagen: „Jetzt haben wir den Salat“, dann ist es Frau M., Inhaberin vom „Paradies“.

Seit zwei Monaten will ich von einem Ereignis erzählen, das ich im „Paradies“ miterlebt habe.

Ich betrat das Geschäft, als Frau M. und ein Kunde in ein Gespräch vertieft waren. Sie unterhielten sich auf Bayerisch. Es war ein schönes, differenziertes Bayerisch. Sie redeten über einen Hund, der im nahe gelegenen Park von zwei streunenden Jagdhunden gerissen worden war.

I hob bloß hoibert zuag’hert, wissnS. Dem andren sei Gespräch wui man ned so genau lascha. Ist einfach unhöflich.

Der Herr, selbst wohl ein Hundebesitzer, wandte sich plötzlich mir zu: „Ist es nicht einfach schrecklich?“ fragte er in einem sehr aufgeräumten Hochdeutsch.

Ich antwortete, dass ich nicht ganz mitgekriegt habe, worüber sie geredet hatten. Daraufhin erläuterten sie die Details der Geschichte. Es handelte sich um zwei grausame Zwischenfälle in den letzten zwei Wochen, wobei das Herrchen der Jagdhunde diese nicht einmal zurückgepfiffen hatte.

Ein paar Tage später erfuhr ich aus der Zeitung, dass sich die Stadt endlich eingeschaltet hatte. Die restlichen Details habe ich schon vergessen.

Eins habe ich aber nicht vergessen: Dass Frau M. und der nette Herr das Gespräch mit mir auf Hochdeutsch fortgesetzt haben anstatt weiterhin Bayerisch zu reden. Man muss bedenken: Fast alle drei Wochen oder so, wenn es sonst nichts zu berichten gibt, stellt die Münchener Abendzeitung die sentimentale Frage: Ist das Bayerische am Aussterben?

Die Antwort lautet natürlich, ja. Und ich weiß, warum es so ist: Mitunter, weil der nette Herr und Frau M. aufgehört haben Bayerisch zu sprechen, wenn sie sich an mich gewandt haben.

„Jetzt haben Sie den Salat“, möchte ich Frau M. und dem netten, kultivierten Herrn sagen. Die Sprache stirbt aus – bzw. verkommt, weil sie immer seltener als Sprachmittel verwendet wird.

Es geht auch anders, wissnS. Zum Beispiel in der Schweiz. Dort in den Kindergärten ist die Verkehrssprache gründsätzlich das Schwyzerdütsch. Das gleiche gilt für die Grundschule, wo den Kindern aber zugleich das Hochdeutsch (Schriftdeutsch) intensiv beigebracht wird. Das heißt: Eine praktische Zweisprachigkeit wird gepflegt, und dies scheint zu funktionieren.

Sie kennen vielleicht den alten Witz: Der bayerische Lehrer rügt den Schüler, „Man sagt nicht ‚man sogt’, man sogt ‚man sagt’.“

Meine Empfehlung: Die Schweizer Lösung könnte für ganz Deutschland als Vorbild dienen. Ob Platt, Sächsisch, Hessisch, Schwäbisch, Bayerisch und so weiter – es wäre in jeder Region denkbar, die Zweisprachigkeit bewusst zu pflegen. So könnte man neben der Hochsprache auch die lokale Identität kultivieren.

Die Alternative: Die Mundarten verkommen zu Folklore, und diejenigen, die noch Mundart reden, schämen sich ihrer Unbeholfenheit.

Ja, liebe Leser, jetzt haben auch Sie den Salat.

LassnS Eahna guat schmecka und zum Neijohr ois Guat, ge! Eahna Sprachbloggeur.

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