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Huha! Jemand will mich vernichten! Bin ich also doch wer?

Vielleicht haben Sie in den letzten Tagen versucht, diese Seite zu erreichen, und fanden stattdessen eine himmelblaue Informationsseite vor, die auf Englisch erläuterte, dass die gewünschte Seite, „Der Sprachbloggeur“, momentan nicht zur Verfügung stehe.

Solche Ausfälle erlebe ich seit mehreren Tagen. Anders gesagt: Ich wurde in Cyberspace mundtot gemacht.

Ich vermute, es waren die Agenten der Unsprache am Werk. Schon wieder.

„Nein, es ist ganz einfach. Jemand hat den Server mit Digitalmüll vollgestopft.“ So hat es mir Freund E., Betreiber des Servers, erklärt.

„Wieso das?“ fragte ich.

„Die haben es offensichtlich auf jemanden abgesehen. Sie schicken uns über ihre Bots endlose Mails, bis unsere Festplatte den Geist aufgibt.“

„Auf mich abgesehen?“

„Wer weiß? Deine ist jedenfalls nicht die einzige Seite auf dem Server. Hast du wieder Böses in deiner Glosse geschrieben?“

„Nicht das ich wüsste. Nur das Übliche: über Sprache informieren und lästern, gegen Selbstmord und Unternehmenshabsucht polemisieren. Ach ja: Ich habe China und Osama auf die Schippe genommen. Und ein alter Freund hat mir gesagt:, ‚Jeder kann China kritisieren. Warum nimmst du niemals die Gegner von Stuttgart 21 ins Visier?’“

„Aha.“

„Meinst du er war’s, der den Server vermüllt hat?“

„Nein, ich meine nur, dass mir deine Themen immer so harmlos vorkommen. Zu harmlos. Ich kann’s mir kaum vorstellen, dass sich einer die Mühe macht, ausgerechnet den Sprachbloggeur zu vermüllen.“

„Was schlägst du also vor? Soll ich plötzlich gehässig werden?“

„Wäre keine schlechte Idee.“

„So einer bin ich aber nicht – zumindest als Schriftsteller nicht. Ich bin schließlich Existenzphilosoph und will von Dasein zu Dasein mitteilen.“

„Igittigitt. Das allein wäre ein Grund, dich ausschalten zu wollen. Erzähle das mit der Existenzphilosophie bitte nicht wieder. Sonst wirst du täglich vermüllt. Solche wie du sind selbst schuld, wenn sie angegriffen werden. Hast du noch nie ein Kind gesehen, das genüsslich an einem Eis schleckt. Man will dem Bengel das Eis aus der Hand schlagen. So viel Unschuld und Genügsamkeit erträgt keiner außer vielleicht einer Omi mit verweichtem Hirn.“

„Manchmal habe ich das Gefühl, auf dem intergalaktischen Expresszug unterwegs geewesen und an der falschen Haltestelle ausgestiegen zu sein.“

„Du hast Phantasie! Sei nur froh, dass einer endlich gegen deine Glosse scharfgeschossen hat – wenn du überhaupt das Ziel warst. Nun hast du in jedem Fall eine Gelegenheit zurückzuschießen.“

„Gegen wen?“

„Keine Ahnung. Auf jeden Fall musst du endlich anfangen, dir ganz andere Themen vorzunehmen. Du könntest, zum Beispiel, über den Chirurgen berichten, der seinen Posten verloren hat, weil er einen Aufsatz über das Nutzen von ungeschütztem Sex geschrieben hat. Er meinte, dass Sperma im Frauenkörper ein natürliches Antidepressivum sei.“

„Warum sollte ich über so was schreiben?“

„Ich sehe. Du kapierst immer noch nicht.“

„Was ist da zu verstehen?“

„Eben! Darum geht es. Nichts gibt es zu verstehen. Ja, darüber solltest du auch mal schreiben.“

„Und das wird mich besser gegen Cyberangriffe schützen?“

„Natürlich nicht. Gegen die Unsprache ist kein Kraut gewachsen. Das weißt du wahrscheinlich besser als ich. Ich sehe die Welt etwas anders als du. Nur das will ich dir sagen.“

Fragen, für die ich keine Antworten finde

Dominque Strauss-Kahn, zum Beispiel.

Was passierte damals in Suite 2806…wirklich? Hat DSK das Zimmermädchen aus Guinea zum Sex – welcher Art auch immer – gedrängt, oder ist er in die Falle – welche Art auch immer – getreten? Ich habe keine Antwort auf diese Frage, und sie dürfen von mir keine erwarten.

Mein Bedenken ist in erster Linie sprachlicher Natur. Die Zeitungen haben vielfach berichtet, dass das angebliche Opfer (Notabene: Der Gebrauch des Wortes „angeblich“ weist stets daraufhin, dass der Berichterstatter keine Rechtschutzversicherung hat) nicht nur die Wahrheit über die Ereignisse in besagter Suite erzählt habe, sondern angeblich auch gelogen habe. Besonders suspekt: Sie habe mit ihrem Freund telefoniert, der in einem Gefängnis im Bundesstaat Arizona sitze und zu ihm in etwa Folgendes gesagt: „Keine Sorge, der Kerl hat viel Geld. Ich weiß, was ich tue.“

Mein Bedenken gilt hauptsächlich diesem Gespräch zwischen dem angeblichen Opfer und ihrem angeblichen Freund in Arizona. Dem Staatsanwalt zufolge, wurde der Wortlaut dieses Gesprächs bisher falsch dargestellt. Die zwei angeblichen Geliebten stammen, so heißt es, aus dem selben Dorf in Guinea und haben sich in der Muttersprache, Fulani, unterhalten. Diese Unterhaltung würde von einem Fulanisprecher gedolmetscht. Alles klar?

Anscheinend nicht. Der Staatsanwalt pocht darauf, dass die Übersetzung des Dolmetschers ungenau sei. Der Grund: Dieser verstehe den Dorfdialekt der Frau und ihres Freundes nicht. Wenn das so ist, dann muss man davon ausgehen, dass nur einer, der diesen Dialekt beherrscht, das Gespräch getreu zu übersetzen vermag. Wenn es aber so ist, dann stehe man vor zwei neuen Problemen. Erstens: Wo findet man in New York einen, der in der Lage ist, das Gespräch in diesem exotischen Dialekt fürs Gericht zu dolmetschen? Zweitens – und noch gravierender: Wäre dieser Dolmetscher bereit, das Gespräch zur Ungunst der Frau zu übersetzen. Anders formuliert: Wäre ein „Homie“ bereit, einen „Atzen“ zu verraten?

So wird eine Sprache zu einem Geheimcode. Eine kniffelige Sache, wirklich. Und es erinnert mich an einen cleveren Einfall des US-Nachrichtendienstes während des Zweiten Weltkriegs: Dieser setzte Cherokee-, Choctaw- und Lakotasprecher als „Codetalker“ ein. Da die Japaner nicht in der Lage waren, diese „Codes“ zu knacken, konnten die Indianer per Funk – ganz offen – wichtige militärische Geheimnisse austauschen. Sprache ist tatsächlich der komplizierteste Code überhaupt – zumindest für den Unkundigen.

Fazit: Man wird nie mit hundertprozentiger Sicherheit erfahren, was wirklich in Suite 2806 passierte.

Nun eine zweite Frage. Die ist vielleicht einfacher zu beantworten als die erste. Nur ich finde keine Antwort dafür. Es geht um den Fußball. Fußballer kann man auch als „Testosteronbrocken“ bezeichnen und ihre besonderen Leistungen mit der Ausschüttung dieses Hormons erklären. Wie ist es aber bei den Fußballerinnen? Was schütten sie aus, wenn sie fowlen, fluchen, kicken oder rennen, oder wenn sie sich gegenseitig das „high five“ geben? Dies ist keine sprachliche Frage. Ich bin trotzdem neugierig.

Dazu auch eine Nebenfrage: Ich erinnere mich, wie sehr Sportjournalistinnen in den 1980er Jahren kämpfen mussten – zumindest in den USA – , um das Recht zu bekommen, nach dem Spiel zu den Sportlern zwecks Interview in die Umziehkabine zu gelangen. Es kursierte damals ganz zotige Witze zu diesem Thema. Letztlich wurde die Sache zu einem großen Etappensieg der Gleichberechtigung. Wie ist es aber heute? Dürfen männliche Kollegen nach dem Spiel zu den Frauen in der Umziehkabine?

Zugegeben: Es sind nur naive Fragen, die mich momentan beschäftigen, aber sie sind bestimmt nicht unwichtig. Ja, und eine letzte Frage: Ist es nur Zufall, dass eine gewisse Frau Reding, die Ratingfirmen an den Pranger nimmt? Und ist es nur Zufall, dass eine diese Firmen „Moody’s“ (Englisch „launisch“) heißt? Eine andere „Standard and Poor’s“ – also „Maßstab und arm“ heißt?

Ist „nomen“ vielleicht doch „omen“?

Geschlechterverkehr in San Francisco – eine Erinnerung

„Ich bin völlig ratlos: Das mit mit dem ‚Der-die-das’ werde ich nie beherrschen. Es folgt keinem System, ist völlig unlogisch.“ Das sagte ich vor vielen Jahren meiner damaligen Lebensabschittspartnerin. Wir nennen sie Lena. Durch ihren Einfluss kam ich nach Deutschland. Das ist aber eine andere Geschichte und etwas länger. Wir fuhren – sie am Lenker – durch das „Presidio“, einen ehemaligen spanischen Militärstützpunkt, heute Nationalpark in San Francisco. Noch heute kann ich mich an die schönen Rasen und Bäume erinnern.

„Nein“, antwortete sie. „Es ist gar nicht so kompliziert, wie du meinst. Man entwickelt ein Gespür dafür. Zum Beispiel, die weiblichen Wörter. Sie sind stets lieblich, irgendwie ehrenvoll. Ja, genau. Deswegen heißt es ‚die Liebe’ und ‚die Ehre’ – beides weiblich. Man spürt es regelrecht, dass sie weiblich sind.“

„Und wie sagt man ‚hate’ auf Deutsch?“

„Na, siehst du. Da hast du es: ‚Der Hass’ ist logischerweise männlich. Das Hassen war ohnehin schon immer eine männliche Sache.

„Und ‚sex’?“

„Typisch Mann, diese Frage zu stellen. Auf Deutsch heißt es ‚der Sex’ – nicht weil Frauen kein Interesse daran hätten, sondern weil Männer an fast nichts anderes denken. Du siehst wie logisch das ist.“

„Und ‚violence’?“

„Das Wort ist weiblich: ‚die Gewalt’. Aber dafür gibt es sicherlich einen Grund. Ich denke, dass ‚Gewalt’ ursprunglich eine positive Bedeutung hatte. Gemeint war eine ‚weibliche Befugnis’. Irgendwann haben die Männer das Wort für sich eingenommen und glatt ins Gegenteil umgekrempelt – ohne das Geschlecht zu ändern, versteht sich.“

„Wie ist es mit ‚greed’?“

„Ich habe das ungute Gefühl, du willst mir eine Falle stellen. Hast du heute zu tief ins Wörterbuch geschaut? ‚Greed’ auf Deutsch ist ‚die Gier’. Aber auch hierfür habe ich eine Erklärung: Es waren Männer, die aus Bosheit das Wort ins Weibliche versetzten. Die Männer wollen letztendlich alles bestimmen – auch das Geschlecht der Wörter.“

„Lahme Ausrede. Und warum sagt ihr ‚das Weib’ anstelle von ‚die Weib’? Auch eine männliche Gemeinheit?"

„Wäre denkbar. Frauen werden immer benachteiligt. Aber bedenke: Es heißt ‚die Kunst’, ‚die Literatur’ und ‚die Poesie’. Und man sagt erwartungsgemäß ‚der Essay’ und ebenfalls ‚der Roman’. Alles was die Welt zerstückelt, ist männlich, was vereinigt, ist hingegen weiblich. Das kannst du dir als Regel merken.“

"Und ein ‚bomb’?“

„Schon wieder willst du mir eine Falle stellen. Aber diesmal geht der Schuss nach hinten los. ‚Die Bombe’ ist nämlich ein Fremdwort. Eine ‚bomba’ auf Italienisch ist ein Behälter, der mit Erdgas gefüllt wird. Sie dient dem Erwärmen und dem Kochen. Nicht jede ‚Bombe’ muss in die Luft gehen, mein lieber Freund. Und vergiss ‚die Schönheit’ nicht.“

„Und ‚ugliness’?"

„Das ist ‚die Hässlichkeit’. Diese Vokabel hat erst recht nichts mit Weiblichkeit zu tun. Alle Wörter die mit ‚-keit’ enden sind – egal was sie für einen Sinn haben – weiblich. Das ist nunmal so. Woher das kommt, kann ich nicht sagen. Doch höchstwahrscheinlich bedeutete diese Silbe ‚-keit’ urprünglich etwas Schönes."

„Ich sehe schon. Ich komme mit dir auf keinen grünen Zweig. Du findest immer eine Erklärung, um alles zu deinem Vorteil zu verdrehen. Und leider verstehe ich deine Sprache nicht gut genug, um dir Kontra geben zu können.“

„Na, siehst du? Deswegen heißt es ‚die Sprache’ aber ‚der Verstand’.“

„Warum müssen Frauen immer das letzte Wort haben?“

„Das stimmt nicht. Das behaupten Männer immer, aber es stimmt einfach nicht.“

„Doch.“

Die deutsche Sprache ist ausländerfeindlich!

Hilfe! Die deutsche Sprache hat mich in ein Kellerverlies eingesperrt. Nun bekomme ich nur Wortsalat zu essen.

Ja, und hinter einer Trennwand sind wohl andere Gefangene, und man hat ihnen Wortketten angelegt. Ich höre das Rasseln der Ketten, sehe aber niemanden. Es ist hier dunkel wie Druckerschwärze. Wortfetzen fliegen mir um die Ohren. Meistens sind es Endungen und Artikel – kommt mir jedenfalls so vor. Ich verstehe aber nichts davon.

Ich weiß nicht einmal, was ich verbrochen habe. Nein, stimmt nicht. Ich weiß es sehr wohl. Es geht darum, dass ich, weil ich diese Fremdsprache erst in erwachsenen Jahren gelernt habe, überdurchschnittlich gegen die Sprachgesetze verstoße. Jetzt habe ich den Salat.

Kinder sind zu beneiden – auch ausländische Kinder. Sie gehen in die Schule, werden von Lehrern und Lehrerinnen ganz schön traktiert, benotet, bedroht, geliebkost, umschmeichelt und bisweilen auch gelobt, bis sie mehr oder weniger in der Lage sind, diese Sprache mehr oder weniger unauffällig zu sprechen.

Ich hingegen bin nicht einmal in der Lage „Vorstandsvorsitzender“ von  „Vorstandsvorsitzende“ zu unterscheiden. Wer meinen Beitrag von letzter Woche frühzeitig gelesen hat, der hat diese arge Verwechselung schon vorgefunden.

Mein auf eigenen Wunsch anonymer Sprachguru hat mir nach Erscheinen besagten Beitrags eine Mail mit Korrekturen geschickt. Das macht er jede Woche. Er wies darauf hin, dass mein „Vorstandsvorsitzende“ in richtigem Deutsch ein „Vorstandsvorsitzender“ sei. Ausgerechnet musste dieses Wort eine so profilierte Rolle in meinem Dialog spielen. Peinlich peinlich.

Ich war untröstlich, als ich die Nachricht bekam, und schrieb an meinen Sprachguru Folgendes: „Ich verstehe diese Sprache nicht. Ein Mann aus Frankreich ist ein Franzose und nie und nimmer ein ‚Franzoser’. Den Italiener darf man aber, wenn er Subjekt eines Satzes ist nicht als ‚Italiene’ bezeichnen. Wer soll das alles kapieren?“ Mit anderen Worten: Wann wird ein Mensch „r“haftig und wann „r“los? Für mich ist die Sache mit den Endungen meistens nur erschöpfend.

Und noch ein Problem: In meinem Dialog sagt der Tod mit Schwert in der Hand: „Ich halte es [also das Schwert] über deinem Gesicht“. Nein, schreibt mir mein Sprachguru: Es müsse „Ich halte es über dein Gesicht“ heißen. Akkusativ also, nicht Dativ. Aber wieso? fragte ich. Denn als braver, angepasster Ausländer, habe ich mir wirklich Mühe gegeben, diese Konstruktion richtig zu formulieren. Ich habe mir nämlich die Frage gestellt, bevor ich den Satz in den Rechner getippt habe: „Wo hält er das Schwert?“ Antwort: „Über seinem Gesicht.“ Woher soll ich wissen, dass man sich fragen müsse: „Wohin hält er das Schwert?“. Wohin? Woher!

Unfair, sog i. Unfair! Ich bin an dem Nachmittag ins Paradies gegangen. Sie wissen schon, mein Lieblingsobstgeschäft und habe – von düftenden Südfrüchten und Erdbeeren umkreist – Frau M. mein Leid vorgejammert. „Ja“, sagte sie nachdenklich, „Man hält das Schwert vor sein Gesicht.“

„Das verstehe ich nicht“, antwortete ich.

„Ja, so sagen wir es.“

Notabene: Frau M. sagte hier „wir“. Und sie hatte auch recht. Ich zähle letztendlich nicht zu diesem „wir“.

„Die deutsche Sprache ist ausländerfeindlich!“ antwortete ich. Die Worte fluschten aus mir spontan heraus. „Und wie ist es mit ‚schauen’?“ fragte ich. „In meinem Beitrag schaute einer ‚hinter dem Vorhang’. Ich habe mich sogar, bevor ich die Worte schrieb, gefragt: Wo schaut er? Hinter dem Vorhang! Doch mein Sprachguru meinte, es müsse ‚hinter den Vorhang’ heißen.“

„Ja, richtig. ‚Schau hin, hinter den Vorhang’. Das sagt man halt.“

„Unfair. Wirklich unfair.“

Aber genug gejammert. Außerdem hat niemand Mitleid mit einem Jammerer. Wir sagen – ich meine hier, wir Englischmuttersprachler: „Laugh and the whole world laughs with you, cry and you cry alone.”

Trotzdem noch eine letzte Bemerkung. Am Anfang dieses Gezeters habe ich – vielleicht können Sie sich noch daran erinnern – behauptet, dass mich die Deutsche Sprache in ein Kellerverlies eingesperrt habe. Meine Frage: In den, in dem Kellerverlies? Ja, ich war verunsichert. Aber stellen Sie sich vor: Nach Duden habe ich in diesem Fall die Wahl: Die deutsche Sprache kann mich also „in ein“ oder „in einem“ Kellerverlies einsperren.

Meine Frage: Welche Art des Eingesperrtseins wäre für mich am ende günstiger?

Heute speckt der Vorstandsvorsitzende ab

Vorstandsvorsitzender: (Seine teuer beschuhten Füße liegen auf seinem großen Schreibtisch in seinem Büro oben auf der Chefetage) Wer sind Sie? Wie sind Sie in mein Büro gekommen?

Der Tod: Ich klopfe nie an.

Vorstandsvorsitzender: (richtet sich auf) Werden Sie nicht frech. Wissen Sie, wer ich bin?

Der Tod: Ja.

Vorstandsvorsitzender: Wurm! Wurm! Kommen Sie sofort! Holen Sie die Polizei!

Der Tod: Er kann nichts hören.

Vorstandsvorsitzender: Seien Sie nicht so sicher. Er springt, wenn ich nur laut vor mich hinflüstere. Fast kann er meine Gedanken lesen – zumindest die Gedanken, die er lesen darf. Dafür bezahle ich ihn. Arbeiten Sie für mich?

Der Tod: Gewissermaßen ja.

Vorstandsvorsitzender: Ach, jetzt verstehe ich. Sie sind von einer Outsourcingfirma. Druckerei, oder? Sieht man Ihnen fast an, ich meine die schwarze Kleidung. Aber ohne Anmeldung kommt keiner zu mir. Verstehen?

Der Tod: Siehst du mein Schwert nicht, o Sterblicher. Ich halte es über dein Gesicht…

Vorstandsvorsitzender: …Unverschämt! Was erdreisten Sie sich! Mich zu duzen! Eine Frechheit! Wurm! Kommen Sie sofort!

Der Tod: Wenn ein Mensch mein Schwert erspäht, macht er seinen Mund vor Entsetzen weit auf. In dem Augenblick tröpfelt von meinem Schwert eine bittere schwarze Perle meines Gallensaftes in seinen Mund, und er folgt mir willfährig in die nächste Welt.

Vorstandsvorsitzender: Sie sind entlassen! Verstehen Sie „entlassen“? Machen Sie, dass Sie wegkommen, oder ich schwöre, ich werde  von meinem Hausrecht Gebrauch machen. Darauf können Sie Gift nehmen. Wurm! Wo sind Sie verdammt nochmal.

Wurm: (tritt eilig in den Raum) Sie haben gerufen, o Herr?

Vorstandsvorsitzender: Werfen Sie diesen, diesen Menschen raus! Rufen Sie die Polizei! Sofort! Ja, und seine Firma soll sofort gekündigt werden.

Wurm: Welchen Menschen, o Herr?

Vorstandsvorsitzender: Der da mit dem komischen Schwert…Hoppla! Er ist weg! Hmmm. Das verstehe ich nicht.

Wurm: Vielleicht haben Sie nur geträumt, o Herr.

Vorstandsvorsitzender: Geträumt! Träume sind für Schläfer. Ich träume nie – erst recht nicht bei der Arbeit! Irgendwo muss er doch sein. Schauen Sie hinter die Gardinen.

Wurm: (schaut hinter die Gardinen) Tut mir leid, o Herr. Ich sehe niemanden.

Vorstandsvorsitzender: Komisch. Vielleicht habe ich doch nur geträumt. So was ist mir noch nie passiert.

Wurm: Es ist bestimmt das Wetter. Gestern hatten wir fünfzehn Grad. Heute plötzlich achtundzwanzig. Es kommt manchmal vor, wenn man…

Vorstandsvorsitzender: …wenn man alt wird?

Wurm: Nein, o Herr. Wenn man überarbeitet ist.

Vorstandsvorsitzender: Nein, es war ein Zeichen. Ja, genau. Es war ein Wink mit dem Zaunpfahl. Ich muss wieder die Gewinne maximieren. Das ist es. Holen Sie mir die Liste, Wurm.

Wurm: Meinen Sie die Liste?

Vorstandsvorsitzender: Ja, die Liste. Heute stelle ich drei Blätter ein und kündige ein Zehntel der Belegschaft. Geld sparen, Gewinne maximieren. Das tut gut. Niemand soll behaupten, es gebe kein Heilmittel gegen schlechte Träume.

Pfingstpredigt für die cleveren Inseratenschleicher

Warum schlagen sich die Leute die Köpfe ein, liebe Inseratenschleicher? Ganz klar! Weil sie sich gegenseitig nicht verstehen.

Pfingsten, zum Beispiel. Das Wort ist eine Verballhornung des griechischen „Pentakoste“, zu Deutsch „Fünfzigste“, d.h., der fünfzigste Tag nach Ostern. Genauer gesagt, der fünfzigste Tag nach dem jüdischen Passachfest. Denn das Pfingstfest wurde von einem jüdischen und nicht von einem christlichen Fest abgeleitet, das in der Antike auf Griechisch „Pentakoste“ hieß. So steht es jedenfalls in der „Apostelgeschichte“.

Genug der Religionsgeschichte. Die Frage lautet, liebe Inseratenschleicher: Warum schlagen sich die Leute die Köpfe ein?

Die Antwort: Weil sie sich nicht verstehen.

Pfingsten will genau das Gegenteil. Denn die Leute haben an diesem Tag, so heißt es, die Sprachen der anderen verstanden – so unterschiedlich sie auch waren. „Sie haben in Zungen geredet.“

„In Zungen geredet?“. Komisch. Auf Englisch ist die „Zunge“ nicht nur ein glitschiger Fleischkloß im Mund, sondern die „Sprache“ selbst. Dito auf Französisch („langue“), Spanisch („lingua“), Italienisch („lengua“) usw. Nur der Deutsche ist ohne „Mutterzunge“; dafür hat er eine „Muttersprache“ – in meinem Fall ist es eine „Schwiegermuttersprache“. Deutsch kennt den „Zungenkuss“, die „spitze Zunge“, die „Schuhzunge“, die „herausgestreckte Zunge“, den Zungenbrecher.

Die ersten germanischen Christen fragten wohl: „Wie heißt dieser Feiertag?“

Antwort: „Pentakoste, meine Lieben.“

„Pfenkostn?“ radebrechte der Häuptling, das Wort ein rechter Zungenbrecher.

„Ja, mein Sohn“, antwortete der Pfarrer gütig. Neunmalkluge gewinnen keine Konvertierten.

Ist das nicht ulkig, dass der Name dieses Festes der Verständigung nicht präzise verständigt werden konnte?

Komisches Pfingstwunder.

Diese knifflige Anekdote fiel mir ein, als ich heute über die Techniken der jüngsten Generation der Inseratensschleicher im Internet nachdachte. Ja, liebe Inseratenschleicher, ihr seid gemeint. Hier geht es um meine eigenen Erfahrungen. Denn die neueste Masche der Inseratenschleicher sieht folgendermaßen aus: Kleine Firmen tarnen sich als engagierte Leser, schreiben vermeintliche „Kommentare“ an mich, als interessierten sie sich für den Inhalt meiner Beiträge – wobei sie in Wirklichkeit durch pure List einen Link zu ihrem eigenen online Gewerbe erstellen möchten. Neulich habe ich mehrere solche „Kommentare“ erhalten. Manche lasse ich sogar durchgehen – vom Link allerdings gereinigt.

Mein kleiner Wortladen befindet sich, wie ich immer wieder betone, in einem Vorort des WehWehWehs. Unsere Straße sieht ein bisschen ärmlich aus, ist aber aufgeräumt, auch die Nachbarhäuser und Geschäfte sind alles andere als nobel. Man könnte unsere Nachbarschaft als gepflegte „Favela“ bezeichnen.

Wer auf meiner Seite durch Charme und List  erschlichene Werbung unterzubringen versucht , ist gewissermaßen wie der Ladendieb, der im Tante-Emma-Geschäft Kekse mitgehen lässt.

Dass die Reichen die Armen beklauen, ist ein bekanntes Phänomen; dass die Armen die Armen beklauen, ist nur traurig.

Aber Achtung, liebe Inseratenschleicher: Tante Emma schläft nie. Sie kennt ihre Pappenheimer sehr gut. Noch wichtiger: Wenn sie ein Auge zumacht, dann nur, weil sie sich an dem Tag geradezu gütig fühlt.

Ende der Predigt.

Die Rache der Killertomaten etc.

„Boccaccio“? Heute muss man davon ausgehen, dass dieser Name den meisten Menschen nicht mehr geläufig ist. Man denkt vielleicht an eine putzige japanische Trickfilmfigur. Oder man tippt auf ein italienisches Kartenspiel oder eine Salatart der nouvelle cuisine. (Zum Thema Salat komme ich unten noch einmal zurück).

Gewiefte Bildungsbürger wissen aber, dass mit diesem Namen Giovanni Bocciaccio, italienischer Schriftsteller des 14. Jahrhunderts, Autor der lustigen Geschichtensammlung „Dekameron“, gemeint ist. In seinem Buch entfliehen zehn adlige junge Menschen der Pestwelle in Florenz und treffen sich auf einem schönen Landgut, wo sie sich zehn Tage lang Geschichten erzählen, um die Langeweile zu vertreiben. Notabene: Es handelt sich hier nicht um irgendeinen gewöhnlichen Pestausbruch, sondern um den berüchtigen Schwarzen Tod, der in den Jahren 1348 und 1349 ein Drittel der Bevölkerung Europas dahingerafft hat.

Letzte Woche waren wir in der Oberpflalz. Meine Reise kann man nur oberflächlich mit der Flucht der hübschen Edlen Boccaccios vergleichen. Ich war nicht auf der Flucht vor den Killertomaten -gurken und -salatblättern. Von den Killersprossen war damals noch nicht die Rede.

Ich war lediglich reif für die Insel. Zum Glück haben wir unsere Insel der Seligen (selig zumindest für die Touristen) gefunden: Runding hieß sie, ein Bergdorf zwischen Cham und Bad Kötzting. Mein Rat: Nichts wie hin. Runding ist viel näher als Rhodos, Málaga, Bangkok und Co.

In diesem kleinen Dorf haben wir viel erlebt, doch an dieser Stelle möchte ich nur über zwei Begebenheiten (oder vielleicht meine ich „Aspekte“ der Reise) berichten. Die erste wird alle Nordlichter zutiefst befriedigen – und momentan bedürfen Nordlichter dringend einer guten Nachricht. Es geht um die Abschiedsvokabel „Tschüss“. Dieses in Bayern lang verfemte Wort hat sich nämlich in der Oberpfalz fest durchgesetzt. Dass sich Einheimische von uns Touristen mit einem lockeren „Tschüss“ oder einem verkrampften „Auf Wiedersehen“ verabschieden, ist nachvollziehbar. Aber die Leute dieser Gegend sagen es auch zueinander. „Tschüß“, sagte die Kassiererin zu der Kundin. „Tschüß“ sagte der Busfahrer zu dem Schüler. Staunen Sie auch? Mein Gedanke: Wann fangen die Norddeutschen an, mit „Grüß Gott“ zu grüßen?

Die zweite Begebenheit hat mit Bier zu tun. Und damit komme ich auch zu meiner Magenverstimmung. Welch Ironie, gell? Im Zeitalter der EHEC-Plage prompt von einer Magenverstimmug befallen zu werden. Aber so spannend ist nunmal das Leben.

Wir gingen in die Wirtschaft, und ich erzählte Frau Kopp, der Wirtin von meiner Malaise, und dass ich nur Mildes essen wollte. Irgendwie sind wir dann auf das Thema Bier gekommen, und nun erfuhr ich, dass Familie Kopp eigenes Bier braut.

„Ich trinke Bier gerne“, sagte meine Frau, „mein Mann aber nicht.“

„Seit 1985 nicht mehr“, fügte ich provokativ hinzu.

Inzwischen war auch Herr Kopp mit von der Partie. „Muss man wissen“, sagte er, „dass das Bier ein Grundnahrungsmittel ist, das wertvolle Spurenelemente enthält.“

„Ja“, sagte meine Frau, „deswegen gilt es in Deutschland als Lebensmittel und nicht als Betäubungsmittel. Aber es ist nur gut, wenn man es nicht übertreibt.“

„In Maßen nicht in Massen soll man’s Bier trinken“, fügte Herr Kopp an.

„Und für Magenleidende ist’s Bier besonders geeignet“, sagte Frau Kopp und schaute in meine Richtung.

So groß wurde meine Neugierde, dass ich nun ein kleines, helles der Marke Schlossbrauerei Runding bestellte. Jawohl. Mein erstes Bier seit 1985 – und, stellen Sie sich vor: Es hat auch geschmeckt. Wie soll ich es beschreiben. Es war vollmundig, also keine dünne Flüssigkeit, und es hatte nur wenig Kohlensäure. Meine Frau sagte, es sei „untergärig“ gewesen. Für mich ein neuer Begriff. Ich weiß aber nicht, wie man Bier am besten beschreibt. Da müssen Sie selbst nach Runding fahren. Denn nur in der dortigen Umgebung ist es, so weit ich weiß, erhältlich. Sehen Sie: Jetzt habe ich gerade Werbung für ein Dorf und für ein Bier gemacht. Und zwar kostenlos. Ist das Leben nicht voller Überraschungen?

Das Bier hat meine Magenverstimmung allerdings nicht kuriert. Aber trotzdem.

Wenn Sie meinten, ich wollte heute – wie jeder anderer – die EHEC-Epidemie thematisieren, dann haben Sie sich geirrt. Mir geht es nur um das Wort „Tschüss“ und um mein erstes Bier seit 25 Jahren. Boccaccios Edlen erzählten von der Liebe, von der Eitelkeit, vom Schwindel, nicht aber von der allgegenwärtigen Pest. Ist gesunder, wenn man auch andere Interessen hat.

Doch jetzt kehre ich zum Salat zurück: Im Supermarkt in Runding wartete ein älterer Herr an der Kasse, einen Salat in der Hand. „Is mir wurscht, wenn i wegn am Salat sterb, bin oid g’nug“, sagte er.

Ich konnte mich in diesem Augenblick nicht mehr zurückhalten. Es platzte regelrecht aus mir heraus: „Sehen Sie, jetzt haben Sie den Salat“, sagte ich.

Ein Tag wie jeder andere in Runding.

Stellen Sie sich vor: Es ist Weltuntergang und keiner geht hin

Als die Welt am 21. Mai wider Erwarten nicht zu Ende ging, habe ich gedacht: Kein Wunder. Wie sollte das in einer globalisierten Welt überhaupt funktionieren?

Ich hatte nämlich irgendwo gelesen, dass es um 17.30 in Kalifornien losgehen sollte. Das hat mich gleich stutzig gemacht. Denn um diese Zeit wäre in Mitteleuropa schon der 22. Mai. Und in China wäre man längst dabei, den Geschäften nachzugehen und die Regimekritiker niederzuknüppeln.

Irgendwie ist der Wurm drin, sagte ich mir.

Inzwischen verstehe ich die Handhabe dieses Weltuntergangs bestens. Und ehrlich gesagt: Noch nie wurde uns eine so logisch durchdachte Endzeit versprochen. Urheber dieser Prophezeiung ist der 89jährige amerikanische Radioprediger Harold Camping. Ihm zufolge soll der Untergang rund um die Welt jeweils um 18h Ortszeit vonstatten gehen. Ist das nicht raffiniert?

Bedenknen Sie: Am 21. Mai gab es ein Erdbeben in Neuseeland, einen Vulkanausbruch auf Island und noch dazu einen verheerenden Tornado im US-Bundesstaat Missouri. Ach ja, und die Taliban begannen im Ernst die Atommacht Pakistan zu destabilisieren.

Nun werden Sie entgegnen, dass der 21. Mai schon vorbei ist und dass wir offensichtlich noch immer da sind. Ich warne aber vor voreiliges Ins-Fäustchen-Lachen.

Herr Camping hat seinen Untergang meisterhaft ausgeheckt. Er behauptet nämlich, dass der 21. Mai erst der Anfang des Endes sei. Ihm zufolge geht die Welt scheibchenweise zugrunde. Der echte Schluss findet am 21. Oktober 2011 statt. Erst dann fahren alle Sünder in die Hölle, während Gottes Treueste – zu denen wahrscheinlich auch Mr. Camping zählt – in den Himmel kommen. Das haben Sie wahrscheinlich nicht gewusst, oder?

Und damit komme ich zum eigentlichen Thema: Ich will nämlich über meinen eigenen Untergang berichten. Ohnehin (für mich) interessanter als jede pauschale Vernichtung.

Ende 1963 oder Anfang 1964 hatte ich einen Traum: „Du wirst am soundsovielten April 1964 sterben“, hieß es. Ich hatte sogar ein Kalenderblatt im Visier. Notabene: Im Traum war das kein „soundsovieltes“, doch kaum hatte ich die Augen aufgeschlagen, war das Datum aus meinem Gedächtnis verschwunden. So was kennen Sie bestimmt auch. So sind nunmal die Träume. Ich war damals noch ziemlich jung und hatte, ehrlich gesagt, wenig Lust zu sterben. Doch bald schrieb man April 1964, und ich rechnete täglich damit, dass das Ende kommen würde. Komischerweise verspürte ich keine Angst, eher Neugier. Die Tage vergingen der Reihe nach, und ich fragte mich jedes Mal: „Wird es heute sein? Sterbe ich heute?“ Ich bin aber nicht gestorben. Als der Monat zur Neige ging und ich noch immer am Leben war, dachte ich, hmm, hier stimmt etwas wohl nicht. Dann war Mai. Die ganze Chose habe ich schnell wieder vergessen.

Anfang 2011 hatte ich wieder einen Traum. Abermals ging es um die Zahl 64, den Monat April und das Sterben. Da ich in diesem Jahr 64 Jahre alt bin, fragte ich mich: Kann es sein, dass ich 64jährig im April sterbe? Nun wurde ich neugierig und zack! Im Nu hatten wir den April. Die Tage gingen einer nach dem anderen dahin, und ich lebte fort. Ich war außerdem sicher, dass ich am 15. April nicht sterben würde, weil ich da nämlich Hochzeitstag habe. Sterben tut man normalerweise an so einem Tag nicht. Zudem war ich im ganzen April damit beschäftigt, an meinem neuen Buch zu polieren – auch keine zumutbare Zeit zu sterben. Denn ich wollte dieses Buch unbedingt fertig schreiben. Natürlich kann man das eigene Sterben nicht so ohne Weiteres steuern (jedenfalls, wenn man kein Gunter Sachs und Co. ist). Es war mir trotzdem wichtig, das neue Buch zu beenden. Die Tage vergingen – wie immer – im Flug. Gestorben bin ich aber nicht.

Nur gegen Ende des Monats erlitt ich tatsächlich eine körperliche Schwäche. Hopla, habe ich gedacht. Vielleicht sterbe ich doch noch in diesem Monat. Pusteblume. Am 1. Mai war ich quietschfidel. Erst dann erzählte ich meiner Frau die ganze Geschichte. Sie kennt mich viel zu lange, um beeindrückt zu sein und meinte nur, ich spänne.

Ich hatte jemandem gesagt: „Wenn ich den April 2011 überlebe, dann werde ich noch 20 Jahre leben.“ Inzwischen bin ich nicht mehr so sicher. Meine Fähigkeiten als Wahrsager lassen doch zu wünschen übrig.

Meine Glaubwürdigkeit habe ich also verspielt. Herr Camping – bzw. Reverend Camping – hat noch bis Oktober Zeit, die seine unter Beweis zu stellen. Wenn er Glück hat, wird er recht behalten. Wie heißt es so schön: Als Letztes stirbt die Hoffnung.

Toi toi toi, Reverend – bzw. Mr. – Camping. Von einem Wahrsager zum verehrten Kollegen: Alles Gute im neuen Leben!

 

P.S. Nächste Woche keine Glosse. Ich mache mich kurz unsichtbar. Wo bin ich? Vielleicht sehen Sie mich ganz plötzlich in Ihrer Straße.

Geheimwaffe gegen Spammer: Friede, Freude, Eierkuchen

Wäre es nicht schön, wenn wir alle nett zueinander wären und kein Mensch mehr über Krieg redete nur noch über den Frieden?

Im Paradies habe ich jemanden kennengelernt, der nach dieser Devise zu leben scheint.

Sie wissen vielleicht schon: „Paradies“ ist der Name meines Lieblingsobstundgemüseladens. (Oder sagt man: „Lieblingsobst- und Gemüseladen? Das nur nebenbei gefragt).

Ich hatte eine Avokado, einen Kopfsalat, Erdbeeren und, glaube ich, eine Flasche Granatapfelessig (sehr lecker, nur zu empfehlen), gekauft. Die Kasse registrierte elf Euro und elf cent. Frau M. bestand darauf, den Betrag auf elf Euro abzurunden. Manchmal tut sie das, vielleicht weil ich über den Laden so gerne schreibe. Schriftstellerrabatt also.

Trotzdem war ich plötzlich bei der Zahl „elf elf“ hängengeblieben. Diese Zahl hat nämlich bei mir die Erinnerungsmaschine in Gang gesetzt. In Bayern erweckt „elf elf“, bzw. „Elfter Elfter“, automatisch Gedanken an den Faschingsanfang. In meiner Kindheit mussten wir jedes Jahr am elften November um elf Uhr elf Minuten in meiner Grundschule in der Bronx stillschweigend aufstehen, um eine Minute lang des Endes des Ersten Weltkriegs zu gedenken. Denn an diesem Tag und zu dieser Stunde und in dieser Minute hatten 1918 alle Kriegführenden die Waffen niedergelegt. Bei uns hieß dieser Tag fortan „Armistice Day“, also „Tag des Waffenstillstands“. Den Feiertag gibt es schon lange nicht mehr in den USA.

Während ich lange und wahrscheinlich viel zu ausführlich in dieser Erinnerung schwelgte, betrat eine Kundin das Paradies. Sie war bestimmt nicht viel älter als ich, schob aber einen Rollator vor sich her. Man kann nur von Glück reden, wenn man selbst noch keinen Rollator vor sich herzuschieben hat. Ich kannte die Dame nur vom Sehen, hatte mit ihr noch nie ein Wort gewechselt. „Ich erzähle grad vom Ende des Ersten Weltkriegs“, erklärte ich, „der am Elften Elften zu Ende ging.“

Sie schaute etwas skeptisch drein.

„Nicht der Zweite Krieg, sondern der Erste“, fügte Frau M. hilfreich hinzu.

„Wahrscheinlich haben junge Leute heute keine Ahnung, wann der Erste Weltkrieg war oder dass es ihn überhaupt gegeben hat“, sagte ich ein bisschen altklug.

„Besser so“, sagte die Frau streng. „Man soll jeden Krieg vergessen und nur über den Frieden reden.“

„Aber ohne Geschichtskenntnisse sind wir praktisch vorverurteilt, die gleichen Fehler zu wiederholen“, antwortete ich gewissenhaft.

„Die Menschen sollen nett zueinander sein und alles miteinander teilen und in Liebe zueinander leben…“

Ich gebe hier nur den Anfang ihrer Rede wieder. Bald legte sie sich ganz heftig ins Zeug. Ein endloser Monolog über Frieden, Freude, Eierkuchen – auch Jesus fehlte nicht, wenngleich sein Auftritt in ihren Argumenten für den Frieden nur sehr kurz war. Sie war mit ihren Ausführungen lange nicht fertig , als ich mich mitten im Satz friedlich und freundlich verabschiedete. Selbstverständlich hatte ich Frau M. schon die elf Euro bezahlt. 

Mir fiel dieses Gespräch am Abend wieder ein, während ich eine lange Liste von Kommentaren an den Sprachbloggeur studierte, Kommentare, die Sie als Leser selten zu sehen bekommen. Es sind eigentlich keine Kommentare, sondern peinlich dumme Werbetexte von Spammern, die versuchen auf meine Kosten Turnschuhe, Potenzmittel, Elektronik, Ferienhäuser in Polen, Esoterikwochenenden und Spielkasinos an den Mann und an die Frau zu bringen.

Ich bin täglich damit beschäftigt, diese falschen Freunde zu eliminieren. Der neueste Trick: Spammer registrierte sich ganz normal als „Benutzer“ dieser Seite. Das machen sie, weil registrierte Benutzer Kommentare ohne vorherige Kontrolle ihrer Texte veröffentlichen dürfen. Nun bin ich dabei, die Mitgliedschaft dieser neuen „Benutzer“, die bestimmt kein Wort Deutsch lesen, zu blockieren. Diese neue Generation von Spammern stammt übrigens (fast) ausnahmslos aus China.

Ich dachte an die Dame im Paradies, die den Krieg verbieten und die Welt in ein kuscheliges Liebesfest verwandeln möchte. Hätte sie eine Webseite, wie sähe diese aus, habe ich überlegt. Ein müßiger Gedanke. Denn ich weiß: Es wird immer Menschen geben, die ihre Kinder nicht gegen Masern impfen lassen, die den Tod Osama bin Ladens als einen entsetztlichen Verstoß gegen seine Bürgerrechte verschreien und die gerne vergessen, dass es Kriege gegeben hat und geben wird. Hauptsache Ruhe.

Gunter Sachs und ich reden über den „wuss“

Kaum blitzte das Schwarz-Weiß Foto des alten „Lebemanns“ über den Bildschirm, schon habe ich den Sinn des Ikons begriffen. „Gunter Sachs ist tot“ sagte die Nachrichtensprecherin mit einer gewissen Pietät. Das ist immer der Tonfall im Fernsehen, wenn ein „Prominenter“ von der Bühne abtritt.

Am nächsten Tag skandierte die Münchener Abendzeitung: „Trauer um den letzten Playboy“. Ab sofort konnte man sich in die erste Folge einer mehrteiligen Serie über Leben und Werdegang des Verstorbenen vertiefen. Dass man manche Tote besonders gut vermarkten kann, weiß jeder Boulevardblattmacher. Gunter Sachs (Sie wissen schon: Brigitte Bardot, Nacktfotos usw.) ist so ein Blickfang.

Trotzdem muss ich’s sagen: Gunter Sachs ist als „wuss“ gestorben. (Notabene: Dieses Wort spricht sich fast wie im Deutschen aus, nur mit einem englischen „Dabbelju“anstatt eines stimmhaften deutschen „W“ im Anlaut). Und zwar, weil er sich erschossen hat, was die Abendzeitung als „seinen dramatischen Selbstmord“ bezeichnete.

Der Grund für diesen Akt der Verzweifelung? Er stellte „durch die Lektüre einschlägiger Publikationen“ fest, dass er „an der ausweglosen Krankheit A.“ leide.  Sein logisches Denken sei noch in Ordnung, konstatierte er. Was ihn aber beunruhige, sei seine wachsende Vergesslichkeit und die Verschlechterung seines Gedächtnisses. „Diese führt schon jetzt zu gelegentlichen Verzögerungen in Konversationen.“

„Der Verlust der geistigen Kontrolle“ sei für ihn „ein würdeloser Zustand“. Peng! und weg.

Schade, dass er sich nicht erst mit mir über dieses Thema unterhalten hat. Ich hätte ihm gesagt: „Gunter, du machst einen Fehler. Viele Leute sind vergesslich oder kommen mit ihren Sätzen nicht weiter, weil sie das Wort nicht finden, wonach sie verzweifelt suchen. Ich zum Beispiel. Und das seit Jahren und zwar in zwei Sprachen.“

Und dann hätte ich ihm gesagt: „Tut mir leid, altes Haus, aber meiner Meinung nach bist du ein ‚wuss’ geworden.“

„Ein ‚wuss’, lieber Sprachbloggeur?“ Vielleicht hätte er das Wort mit deutschem Akzent ausgesprochen. Dann wäre sein „Dabbelju“ zu einem „W“ geworden.

„Jawohl, ein ‚wuss’.“

„Und was ist, bitte schön, ein ‚wuss’?“

„Eine neuenglische Vokabel, lieber Gunter, die in etwa ‚Memme’ bedeutet.“ „Vielleicht möchtest du mir als Sprachbloggeur Nähleres über das Wort sagen.“

„Gerne. Es ist mit ‚pussy’ verwandt.“

„Dieses Wort kenne ich als alter Lebemann und vormaliger Playboy natürlich sehr gut. Es bedeutet zwar ‚Kätzchen’ ist aber die Bezeichnung für das weibliche Geschlechtsteil – ähnlich dem französischen ‚chatte’. Habe ich recht?“

„Volltreffer! Manches vergisst man also doch nicht, siehst du. Nur: ‚pussy’ hat eine dritte, politisch sehr unkorrekte – genauer gesagt, eine ausgesprochen sexistische – Bedeutung. Man bezeichnet damit einen verweiblichten, nicht unbedingt homosexuellen Mann, einen Mann, der keinen Widerstand leistet. Eine besonders fiese Form des Wortes ist ‚pussy-wussy`. Der ‚wuss’ wird also vom ‚wussy’ in ‚pussy-wussy’ abgeleitet. Nun habe ich dir alles über den ‚wuss’ erklärt, damit du den Begriff besser verstehst.“

„Nur eins verstehe ich nicht: Warum hältst du mich für einen ‚wuss’?“

An dieser Stelle, liebe Leser, werde ich den Dialog abbrechen. Gunter hätte die Antwort ohnehin nicht verstanden – und nicht wegen der heimtückischen Krankheit. Wie erklärt man einem, der ein Luxusleben geführt und nun Angst hat, die Kontrolle zu verlieren, dass fast nur reiche Leute Teile ihres Daseins unter „Kontrolle“ haben – und auch dann nur äußerst selten. Ein Glückspilz warst du, Gunter. Naja fast. Und wie erklärt man einem, dass die Entscheidung, sich umzubringen, fast wie die nüchterne Entscheidung klingt, Behinderte – also „unwertes Leben“ – eliminieren zu lassen? Denn so denken manche Leute wirklich.

Tut mir leid, wenn mir hier keine anderen Worte einfallen. Die obigen kommen mir nämlich viel zu polemisch vor. Vielleicht fallen mir mal andere, ja mildere ein. Ich habe schon gesagt: Mein Kampf mit den Worten war mit Sicherheit schon immer ärger als alles, was der begnadete Lebemann a.D. zu beklagen hatte.

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