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Junkmail ade – heute Praktisches beim Sprachbloggeur.

Mein Wortladen befindet sich zwar in einem obskuren Vorort jener bunten Megapolis namens WehWehWeh, er bietet seinen Kunden dennoch nicht nur tiefschlürfende Abstraktionen, dekorative Diskurse und diverse bunte Bonmots an. Wer sich die Mühe macht, auf sich den langen Weg hierher zu nehmen, findet auch mal Nützliches im Sortiment.

Deshalb heute einen hilfreichen Tipp, wie man den unermüdlichen Versendern unerwünschter Reklamesendungen, genannt: Junkmail, also Müllpost, ein Schnippchen schlagen kann.

Jawohl, Praktisches.

Notabene: Hier finden Sie leider keine Ratschläge, um Internetspam loszuwerden. Dagegen hilft nur die besser ausgerüsteten Kammerjäger vom BND, FBI usw.

Es geht hier lediglich um die altgediegene Müllpost, die manche Tage regelrecht aus dem Briefkasten überquillt.

Aber jetzt zu den Details:

Einer Müllsendung liegt, wie jeder weiß, beinahe ausnahmslos ein Rückkuvert bei, was nur logisch ist. Es wäre aberwitzig zu verlangen, dass der erhoffte „Kunde“ auch Porto bezahlt, um etwas zu bestellen, was er nicht unbedingt braucht oder will. Diesen einfachen Sachverhalt werden wir zunutze machen.

Ich, zum Beispiel, bekam jahrelang Angebote von diversen Zeitschriften. Ich weiß sogar, wie es dazu gekommen ist: Eine gewisse Zeitung, die ich abonniere, hat nämlich – völlig gegen meinen Willen – meine Adressendaten an diese Zeitschriften verkauft. Das weiß ich so genau, weil besagte Zeitung meine Adresse schon immer falsch buchstabiert hat. Und siehe da; Meine Adresse auf den Müllpostsendungen wird ebenso falsch buchstabiert.

Doch eines Tages kam ich auf folgende Idee: Was würde passieren, wenn ich das Rückkuvert benutzte, um es mit dem gesamten Inhalt des Werbungsbriefes – auch mit dem Außenkuvert selbst – zu füllen und einfach zurückschickte? Natürlich war es erst nötig, damit alles im Rückkuvert schön Platz bekäme, sämtliche Blätter, Mitgliedskarten aus Plastik usw. zu zerreißen oder zerkleinern. Nur das Blatt mit meiner Anschrift blieb heil, und darauf schrieb ich: „Keine Müllpost mehr!“ oder ähnliches. Manchmal legte ich auch ein paar Schnipsel aus meinem Papierkorb bei, um das Kuvert noch prahler, also schwerer, zu machen. Dann ab mit der Post. Immerhin „Porto bezahlt Empfänger“.

Und das ist der Clou: Das Porto kann unter Umständen bis zwei oder drei Euro kosten – insbesondere, wenn sich der Absender im Ausland befindet. Und siehe da! Nachdem ich dies ein paarmal gemacht hatte, erhielt ich keine Müllpost mehr. Zugegeben: Einmal bekam ich – als Rache nehme ich an – Müllpost, in der kein Rückkuvert beilag. Das war aber natürlich ein Eigentor und ist deshalb nur ein einziges Mal geschehen.

Doch stellen Sie sich vor, wie die Wirkung wäre, wenn Tausende oder gar Abertausende, ihre Müllpost so entledigen würden! Das käme dem Marketingbudget des Vermüllers teuer zu stehen. Man müsste eine Kosten-/Nutzenrechnung ganz neu erwägen, um festzustellen, ob es sich überhaupt noch lohnte, Bettelbriefe, betrügerische Angebote, Post von zwielichtigen Lotterieanstalten oder Zeitschriftenvermarktern usw. auf dem Postweg zu schicken.

Nur ein Gedanke. Dafür aber ein praktischer. Ihnen heute vom Sprachbloggeur aus seinem schnieken Laden in einem biederen Vorort des WehWehWehs kostenlos in Angebot.

„Pussy Riot“ als sprachwissenschaftliche Herausforderung

„Weißt du, worüber du in deinem Blog schreiben solltest?“ sagte mir Freund E. vor ein paar Tagen.

Achtung! Jetzt kommt wieder einer seiner Einfälle, habe ich gedacht und fragte diplomatisch: „Worüber?“

„Dass die Olympiade quasi Privateigentum einer machthungriger Clique ist und das schon immer. Wäre was für dich, oder?“

„Gute Idee. Ich denke darüber nach. Nur: Was hat das mit Sprache zu tun?“

„Aber bitte, deine Blogs sind längst von der Sprachthematik abgekommen.“

Freund E. hat nicht unrecht, was die Politik der Olympiade betrifft. Trotzdem war das Thema nicht mein Fall.

Als mir dann E. gestern vorschlug, über die „Pussy Riot“ zu schreiben, war ich ebenso wenig begeistert. „Aber schau: Es handelt sich glasklar um eine heimtückische Verquickung zwischen Putin und der Orthodoxen Kirche. Ist die Redefreiheit für dich kein Thema?“

Stunden vergehen. Ich hatte unser Gespräch beinahe vergessen, plötzlich geht mir wie aus heiterem Himmel folgender dummer Gedanke durch den Kopf: Welcher grammatikalische Artikel passte am besten zu „Pussy Riot“? Spontan entschied ich mich für „die“. Doch warum? Aus den üblichen willkürlichen Gründen, die vorherrschen, wenn die deutsche Sprache Fremdwörter willkommen heißt. Erstens: weil es sich um eine Band, also „die“ Band, handelt. Zweitens: weil „Riot“ eventuell mit „Randale“ zu übersetzen wäre. Drittens: weil es sich um drei junge Damen („die“ jungen Damen) handelt.

Inzwischen hatten sich meine Gedanken verselbstständigt, und ich erwischte mich bei der Überlegung, dass in den USA diese jungen Frauen mit dem Künstlernamen, „Pussy Riot“ nicht allzu weit auf dem Popchart hätten steigen können. Denn wörtlich übersetzt bedeutet „Pussy Riot“ „Möse-Krawall“, „Fotzenrandale“ oder ähnliches. Es gibt sogar Regionen, wo ein solcher Name bestimmt mit Landfriedensbruch geahndet worden wäre. Im Internet habe ich allerdings eine Gruppe mit dem Namen „Nashville Pussy“ aufgedeckt. Ich bin sicher, dass man sie nur in ausgewählten Clubs antrifft.

Hand aufs Herz: Könnte eine Girl-Group mit dem Namen „Möse-Krawall“ mit einem Auftritt beim Musikantenstadl oder „Deutschland sucht einen Superstar“ rechnen?

„Pussy“, eine Bezeichnung für die weiblichen Genitalien, zählt zu den derben Wörtern in der englischen Sprache. Hätte man – in der Zeit vor der „Pussy Riot“ – diese Vokabel gegoogelt, wäre man mit großer Wahrscheinlichkeit auf endlose Pornoseiten gestoßen. Heute muss man erst durch seitenlange Hinweise auf die russischen Girls durchblättern, bevor das andere in voller Wucht hervortritt.

Es gibt freilich noch Derberes auf Englisch mit dieser Bedeutung– etwa „cunt“, „snatch“, „crack“… „Pussy“ wirkt hingegen beinahe harmlos, ja lieblich. Das kommt daher, dass dieses Wort eine zweite, jugendfreie Bedeutung hat: Es dient nämlich als Kosewort für Katze – zu Deutsch etwa „Kätzchen“. Kein Mensch weiß übrigens, welcher Sinn den zeitlichen Vorrang hat. Wurden die weiblichen Genitalien nach dem weichen, lieblichen Kuscheltier genannt, oder war es umgekehrt? (Gleiche Frage musste man sich beim englischen „cock“ stellen, einem Wort, das sowohl „Hahn“ wie auch „Penis“ meint. Im Gegensatz zu „pussy“ vermittelt Letzteres jedoch nichts Liebliches).

Nebenbei: Das französische „chatte“, im Sinne von „Katze“ wird ebenfalls als Bezeichnung für die weibliche Intimsphäre verwendet.

Ich persönlich finde den Namen „Pussy Riot“ witzig. Er klingt kühn und sexy zugleich ohne schlüpfrig zu wirken. Ich bin überzeugt, dass auch viele Amerikaner – wenn sie nicht gerade zu den Fundamentalisten oder den argprüden zählen – ebenso wenig Anstoß daran nähmen wie ich.

Wie hieße die deutsche Entsprechung zu „pussy“? Hier muss ich leider eine gewisse persönliche Schwerhörigkeit eingestehen. Als Migrationshintergründler höre ich nämlich die Nebentöne im Wortschatz um die weiblichlichen Genitalien nicht immer klar heraus. Sicherlich wäre „Fotze“ hier falsch. Dieses Wort klingt – zumindest mir – viel zu vulgär. „Möse“ hätte, meiner Meinung nach, Chancen. „Scheide“ kommt mir hingegen zu klinisch vor. „Fut“ klingt ebenso vulgär wie „Fotze“. Ich bin überzeugt, dass es noch weitere Begriffe gibt, die ich einfach nicht kenne.

Ich jedenfalls wünsche der „Pussy Riot“ viel Erfolg beim Schauprozess. Freund E. hat mit Sicherheit recht: Putin und Kirche machen hier gemeinsame Sache. Doch gegen drei dreiste junge Frauen, die sich „Pussy Riot“ nennen, hat im Informationszeitalter kein Machthaber – meinem Gefühl nach – ernst zu nehmende Chancen gegen das Frivole zu siegen.

Vorhäute und Überraschungseier – ein Vergleich

Achtung! Achtung! Hier eine Reisewarnung:

Wer mit Überraschungseiern in die Vereinigten Staaten einreist, riskiert Kopf und Kragen.

Okay. Das habe ich etwas übertrieben ausgedrückt. Er riskiert jedenfalls ein saftiges Bußgeld und, wenn alle Striche reißen, kann es vorkommen, dass er tatsächlich hinter den sprichwörtlichen „schwedischen Gardinen“ landet. (Nebenbei: Kein Mensch weiß, warum Gefängnisgitter so heißen – vielleicht wurden sie einst in Schweden hergestellt).

Nein, ich erzähle hier keinen Witz. Überraschungseier – auf Englisch „kinder eggs“ – haben den gleichen Stellenwert in den USA wie Senfgas und Schweizermesser im carry-on-Gepäck. Der Import ist verboten. Warum ausgerechnet Überraschungseier? Weil kleine Kinder an der „Überraschung“ ersticken könnten. Das habe ich jedenfalls in einer Zeitung (oder im Internet) gelesen.

Spontan las ich „kinder“, als handele sich es um die Versteigerungsform von „kind“, also gütig. Gütiger Eier. Das war falsch.

Doch nun zum eigentlichen Thema: die Beschneidung. Über die Vorhaut des männlichen Glieds, Lateinisch „praeputium“, scheiden sich momentan die Geister.

Die Befürworter, hauptsächlich Muslime und Juden, argumentieren, dass ein Verbot dieser uralten religiösen Tradition einer außerordentlichen Beeinträchtigung ihrer religiösen Identität gleiche, was stimmt.

Die Gegner, hauptsächlich aufgeklärte Deutsche männlichen Geschlechts, halten diese Tradition für absurd. Auch das stimmt.

Mein Freund und Kollege Peter Ripota hat für Gegner eine sehr überzeugende Glosse zu diesem Thema verfasst (sie „Links“). Er weist – mitunter – daraufhin, dass dieser uralte Brauch aus einer dunklen Zeit stamme und habe wohl einst entweder als symbolisches Menschenopfer oder als Unterordnungsgeste betreffend einer Gottheit gegolten. Vielleicht hat er recht.

Meine Frau sieht die Sache allerdings ganz anders: Die Gegenden, wo die Beschneidung vorkomme, etwa Ägypten und der Nahe Osten seien wüstenartig. Wasser, so meine Frau, ist also dort Mangelware, was dazu veranlasst, dass Sand etwa bei der Notdurft als Reinigungsmittel verwendet wird. Es wäre auch möglich, dass auch die Beschneidung, mutmaßt meine Frau, lediglich als brauchbare Methode erfunden wurde, um die männliche Intimhygiene zu vereinfachen. Diesen Körperteil mit Sand zu reinigen, wäre alles anders als wünschenswert. Ich halte ihre Idee für plausibel.

Natürlich steckt viel unartikulierte Emotion in der Diskussion über die Beschneidung. Unbeschnittene Männer denken schnell an einen viel radikaleren Schnitt. Was verständlich ist. Eine vermurkste Beschneidung kann tatsächlich unangenehme Folgen haben. Dieses Problem kennt man auch bei Impfungen. „Herumschneidung“ halte ich übrigens für eine genauere Übersetzung des lateinischen „circumcisio“.

Die männliche Beschneidung mit der Verstümmelung von Mädchen zu vergleichen, wie sie in Teilen Afrikas praktiziert wird, ist freilich sehr an den Haaren herbeigezogen. Letzterer Eingriff hat nur den Zweck eine Frau fügig zu machen.

Dennoch prangern Gegner der männlichen Beschneidung diesen Brauch als grausam und schmerzhaft an. Manche munkeln sogar, dass das Empfindungsvermögen des männlichen Gliedes durch dieses Frisieren ziemlich abstumpft. Schreckliche Vorstellung.

Nun wird es persönlicher, liebe Leser. Erstens: Da ich selbst Beschnittener bin, halte ich diese Angst um die betäubte Liebesfähigkeit für eine Mär. Zweitens: Ich habe Beschneidungen mehrmals beigewohnt. Die Kinder, waren ca. acht Tage alt. Zwei Augenblicke werden während dieser Zeremonie schmerzhaft für den Knaben: 1.) die Lockerung der Vorhaut vom Eichel (eine Art Vorbereitung für die eigentliche „Herumschneidung“. Die Sache ist allerdings nach etwa einer halben Minute erledigt. Das Kind beruhigt sich wieder schnell. 2.) der Schnitt selbst, der etwa fünfzehn Minuten später folgt. Auch er ist schnell erledigt – innerhalb einer Minute.

Doch was sind das für Schmerzen? Fakt ist: Säuglinge sind nicht in der Lage, Schmerzen zu lokalisieren oder zu differenzieren. Daran hat mich meine Frau erinnert. Ob Bauchweh, Hunger oder Beschneidung werden Schmerzen von Säuglingen und Kleinkindern nicht unterschieden. (Fragen Sie Ihr zweijähriges Kind, wenn es Halsweh hat, wo genau es wehtut). Die zu beschneidenden Knaben beruhigen sich rasch nach dem Eingriff – und damit meine ich innerhalb einer Minute, schneller als bei Bauchweh. Es ist, als wäre nichts gewesen. Ich habe keine Erfahrungen mit der muslimischen Beschneidung gemacht. Ich gehe davon aus, dass den Kindern, weil älter, eine Lokalanästhesie verabreicht wird.

Ist das Verbot von Überraschungseiern in den USA nicht vielleicht zu radikal? Nicht weniger radikal wäre es, den kleinen Schnitt mit den großen Folgen zu kriminalisieren.

Frei zur Wahl: Sadomasochismus oder lingua latina

Schon seit Jahren bin ich nicht mehr ganz auf dem Laufenden. Als alle Zeitgenossen Krawatten wie dünne Stricke trugen, sah meine wie ein Brustpanzer aus. Als ich endlich im Besitz eines schlichten, schmalen Schlips war, waren die breiten wieder in Mode.

Das nur zur Einleitung. Und nun zum Fenster, um mich weit über den Abgrund hinauszulehnen. Denn heute möchte ich ein Buch empfehlen, das mich schon wieder zu einer Lachnummer machen könnte. Ich riskiere damit meinen Ruf als harmlosen Exzentriker noch mehr zu entwerten wie bisher – wenn das überhaupt möglich ist: Heute möchte ich nämlich über ein Buch in lateinischer Sprache ins Zucken geraten.

Sind Sie noch da, liebe Leser? Oder habe ich Sie mit meinem öden Geschwätz schon jetzt in die Hände der Konkurrenz vertrieben? Bei YouTube gibt es, so höre ich, ein tolles Video, das einen niedlichen kleinen Hund zeigt, der seine Notdurft in eine Teetasse verrichtet. Man weiß nie, wohin der nach Nervenkitzeln hungrige Surfer abdriftet, wenn der Geduldsfaden reißt.

Oder man (bzw. frau) klickt auf eine Seite, wo man/frau in den Genuss einer Leseprobe von „Shades of Grey“ kommt. Sie wissen schon (wahrscheinlich besser als ich): die neue Bücherreihe, über eine Frau, die einem respektlosen Halunken mit überdimensionalem Libido zuliebe vierzig Jahre Frauenbewegung über Bord wirft.

Nebenbei: Als ich auf die Idee kam, „Shades of Grey“ in dieser Glosse zu erwähnen, fiel mir der Name nicht ein. Was tat ich? Ich googelte folgende englischsprachige Begriffe: „sado-masochistic book“ und „bestseller“. Prompt leuchtete „Shades of Grey“ auf dem Bildschirm.

Wer braucht ein Gedächtnis, wenn man das Internet und einen funktionierenden Browser hat?

Aber jetzt zu meiner Empfehlung, die freilich nur denen gilt, die Lateinisch Kenntnisse haben bzw. auffrischen möchten. Oder vielleicht Sind Sie Elternteil eines Schülers bzw. einer Schülerin, der/die Latein auf dem Lernprogramm hat.

Ich selbst kam ganz zufällig zum besagten Buch. Meine Frau arbeitet nämlich bei einem Verlag und begutachtet beinahe täglich den dortigen „Grabbeltisch“, wo die Lektoren auf laufenden Band Bücher zur kostenlosen Mitnahme hinterlegen. Eine schöne Einrichtung. Für meine Frau ist der „Grabbeltisch“ (ich möchte fast „Krabbeltisch“ schreiben) zu einer Sucht geworden, was sich allerdings diesmal für mich als Glücksfall herausstellte.

Und jetzt komme ich zu „Diarium Rubeculi“ – zu Deutsch „Robinsons Tagebuch“, erschienen zweisprachig bei dtv.

Es handelt von einem Engländer namens Robinson (Rubeculus), der auf eine Schifffahrt nach Lateinamerika Schiffbruch (naufragium) erleidet. Er ist der einzige Überlebende. Das Wrack des Schiffes (fragmenta navis) liegt unmittelbar vor der Küste einer einsamen Insel. Der gerettete Matrose (nauta) kann also Vorräte vom Schiff holen, um sich auf der Insel gemütlich einzurichten. Außerdem hat er als Gesellschafter den Schiffshund, „Jacky“ (Jacco).

Der Witz ist: Da Robinson wusste, dass das Schiff Kurs auf Lateinamerika nehmen würde, hatte er vorsorglich ein lateinisches Wörterbuch mitgebracht, um sich mit dessen Hilfe mit den Lateinamerikanern besser zu verständigen. Nun führt er sein Tagebuch als einsamer Schiffsbrüchiger auf Lateinisch. Er möchte es den Lateinamerikanern, falls sie sein Tagebuch finden, leichter machen. Schöner Einfall, nicht wahr?

Ich werde hier Robinsons aufregende Abenteuer nicht verraten. Wer sie liest, wird diese selbst entdecken. Fest steht aber: Die Sprachebene des Lateinischen ist ziemlich einfach. Wer Basiskenntnisse hat, kann ziemlich fließend lesen. Ein Erfolgserlebnis ist also vorprogrammiert. Außerdem wird eine Übersetzung - gut für die kniffligen Stellen – mitgeliefert. Last but not least findet man auf den letzten Seiten ein Wörterverzeichnis.

„Shades of Grey“ wird längst mal Geschichte sein und die tollsten YouTube Videos werden wie alles Kurzlebige in Vergessenheit geraten. Die lateinische Sprache hingegen, Fundament der europäischen Kultur, bleibt uns lange als unentbehrliche Quelle erhalten. Hier eine nette Gelegenheit in die alte Sprache neu einzusteigen. P.J. Florum Vallis, Linguae Bloggorius.

Etwas Sexy über Higgs Boson

Hier der erste (zumindest mir) bekannte Witz über das Higgs-Boson-Gottesteilchen. (Schon davon gehört…oder?) Doch leider ist er auf Englisch. Noch schlimmer: Die Pointe ist nur verständlich, wenn Sie ein gewisses Wortspiel verstehen. Wahrscheinlich liege ich heute total daneben, einen obskuren Witz über ein noch obskureres Phänomen zu offrieren. Aber here goes:

Higgs Boson walks into a church. The priest says: “Blasphemer! Calling yourself the God particle! Get out of here!”

Higgs Boson replies: “Okay, but without me, you can’t have Mass.”

Haben Sie verstanden? Falls nicht, kann ich im folgenden ellenlangen Aufsatz den Witz und das Phänomen leicht verständlich machen.

Nein, wieder nur ein dummer Witz. Im Grunde verstehe ich selbst nicht, was Higgs Boson, sprich das „Gottespartikelchen“ sein soll – obwohl ich Zeitungen lese.

Mr. Higgs – Vorname Peter – hat offenbar schon vor fünfzig Jahren die Existenz des „Boson“ gemutmaßt. Boson? Genannt nach dem theoretischen Physiker Satyendranath Bose, sind Bosonen (Mz.) winzige Kraftteilchen, die Fermionen, also winzige Materie-Teilchlen, zu konkreten Dingen verwandeln. Alles klar? Natürlich nicht.

In der Zeitung hieß es – und ich glaube, man hat irgendeinen Physiker mit gewissen pädagogischen Fähigkeiten zitiert – : Ein Boson sei der „Zuckersyrup“ (Englisch „molasses“) dass die klitzekleinste Materie, die Fermionen, zusammenführt, um die Dinge des sichtbaren Universums zu formen.

Wieso wird diese Melasse ausgerechnet als „Gottesteilchen“ bezeichnet? Keine Ahnung. Außerdem würde ich die Bosonen lieber als eine Art Kitt verstehen und nicht als Melasse.

Egal. Als ich das erste Mal dem Wort „Boson“ in der Zeitung begegnet bin, konnte ich mir nichts darunter vorstellen. Ich habe sogar einen Tippfehler vermutet. Vielleicht wollten sie „Bison“ schreiben, dachte ich. Oder „bosom“, Englisch für „Busen“.

Beim Gedanken an „bosom“ überraschte mich die folgende Überlegung: Ein Glück, dass Higgs sein „Boson“ erst in den 1960er Jahren als Prinzip der Schöpfung ausgedacht hat und nicht in den 1950er Jahren. Denn in den 1950er Jahren wäre er mit einem solchen Namen auf erhebliche Schwierigkeiten gestoßen.

Tatsache ist: In den USA – und in England – in den 1950er Jahren herrschte eine Sittenstrenge wie wir sie heute in Qatar oder Saudi Arabien kennen. Manches war prinzipiell nicht erlaubt. Darunter gewisse Wörter. „Boson“ wäre bestimmt eins dieser Wörter gewesen. Denn es lässt zu sehr an „bosom“, also „Busen“ denken. Ein „Gottesteilchen“ als „Boson“ zu bezeichnen, hätte dazu führen können, dass manchen Leuten Witze über Brüste eingefallen wären. Damals ein großes „no-no“.

Ich erinnere mich, wie ich einmal als Kind das Wort „bosom“ als Bezeichnung für „Geborgenheit“ zu Ohren bekommen habe – und zwar in einer Redewendung aus dem 16. Jahrhundert, die besagte, einer sei „in the bosom of Abraham“. Damit meinte man „völlig beschützt“. Wir Kinder konnten uns aber bei diesem Gedanken kaum beherrschen und kicherten unaufhörlich los. Wir dachten natürlich an weibliche sekundärsexuelle Merkmale.

In den 1950er Jahren hätte niemand vom „Higgs Boson“ reden können, ohne dieses Missverständnis zu riskieren.

Ach wie weit bin ich vom englischen Witz abgedriftet, den ich oben erläutern wollte.

Falls Sie die Pointe von alleine nicht gelöst haben, hier die Erklärung: „Mass“ hat im Englischen zwei Bedeutungen. Es ist die Masse (also Materie) und die „Messe“, die in der Kirche gelesen wird.

Zum Umfallen lustig ist der Witz vielleicht nicht. Immerhin: Es handelt sich, so weit ich weiß, um den allerersten Witz über Higgs Boson – exklusive für Sie beim Sprachbloggeur.

Ende des Internets

Freund L. hat mir neulich Folgendes mitgeteilt: „Mach dir keine Sorgen um den Erhalt des Kulturguts der Gegenwart. Alles kann man digitalisieren. Alles: Bilder, Bücher, Notizen, Verträge, auch Gemälde. Ich verspreche: All diese Dateien sind so sicher, als wären sie in Stein gemeißelt.“

Er wollte mich beruhigen, nachdem ich die Befürchtung geäußert habe, dass künftige Generationen möglicherweise weniger über unser Zeitalter wissen werden als wir über das europäische 8. Jahrhundert.

Digitales Wissen gelte nämlich als gefährdet, weil nur kurzfristig speicherbar. So mein Argument. „Was passiert, zum Beispiel“, sagte ich, „wenn das Internet aus heiterem Himmel zusammenbricht? Dann ist aus mit der ‚Cloud‘. Die ‚Cloud‘ wird dann wie jede Wolke verdünsten. Paff! und alles ist weg.“

„Nein“, besänftigte L. „Das Tolle am Internet ist seine dezentralisierte Struktur. Auch wenn das Netz an vielen unterschiedlichen Orten zeitgleich kollabierte, bliebe der gesamte Inhalt irgendwo erhalten.“

„Und was ist, wenn das ‚Irgendwo‘ ausgerechnet China, Iran, Nordkorea oder Saudi Arabien wäre? Meinst du, die hätten großes Interesse, Kontroverses zu konservieren? Der Sprachbloggeur wäre im Nu Pfutsch. “

„Du machst dir unnötige Sorgen.“

Ja, das hat mir L. gesagt, und ich habe mich von ihm vorerst besänftigen lassen. So sehr, dass ich mir folgende Fantasie ausdachte:

Wir schreiben das Jahr 4012 n.Chr. Archäologen entdecken bei Ausgrabungen einen riesiegen unterirdischen Raum und stoßen auf tausende USB-Sticks – eine Art Digitalbliothek vielleicht. Natürlich haben die Archäologen USB-Sticks nie gesehen, wissen nicht, was die Dinge sind.

Rückblick: Mitte des 19. Jahrhunderts stießen Forscher während Ausgrabungen im Irak auf abertausende beschriebene Tontafeln, die zunächst nur Rätsel aufwarfen, obwohl man vermutete, es handele sich wohl um eine Schrift. Über die nächsten Jahrzehnte war es den Forschern dank einem unfassbaren Fleiß, diese Tafeln beinahe vollkommen zu entziffern. Schon 1915 hatten sie über eine Million Tafeln an verschiedenen Stätten im Irak und Syrien an den Tag gelegt und entkodiert.

Die Geschichte dieser Entzifferung ähnelte gewissermaßen der Lösung eines Sudoko-Rätsels. Trial and error, sozusagen. Und Logik. Henry Creswicke Rawlinson, einer der frühen Codeknacker behauptete Jahrzehnte später: „Ehrlich gesagt, weiß ich nicht mehr, wie wir das geschafft haben.“

Doch zurück zu meiner Fantasie aus dem Jahr 4012, als der Fund USB-Sticks entdeckt wird. Ich stelle mir vor, dass ein künftiger Rawlinson ebenso hartnäckig wie sein Vorgänger aus dem 19. Jahrhundert den Sinn dieser ulkigen Datenträger entlocken wird, um sich somit die Stimme unserer heutigen Zivilisation zu erschließen.

(Nebenbei: Wir wissen heute dank den Tontafeln mehr über das tägliche Leben der Babylonier und Assyrer als über die der Griechen und Römer. Denn gebrannter Ton vergeht nicht. Unter den zahllosen Keilschrifttexten der Akkader, Babylonier und Assyrer befinden sich zahllose Briefe, Gerichtsurteile, Geschäftsverträge, Schulbücher usw. Solche Texte sind aus Rom und Griechenland kaum erhalten geblieben).

„Tut mir Leid“, unterbrach Freund P., als ich ihm neulich von meiner Zukunftsfantasie erzählte: „Deine USB-Sticks, gesetzt den Fall, sie würden die Zeiten unbeschädigt überstehen, was ohnehin fraglich ist, bräuchten mehr als einen Rawlinson, um sich erschließen zu lassen. Hilfreicher wäre ein Wahrsager. Der alte Rawlinson musste schließlich ca. 200 Zeichen erfassen und kombinieren, um eine zum Teil bereits bekannte Sprache ins Leben zu rufen. Ein künftiger Rawlinson hätte eine ganz andere Aufgabe, gesetzt den Fall, die digitale Information noch lesbar wäre, was auch zweifelhaft ist.“

„Und was wäre diese Aufgabe?“

„Bei der Digitalisierung wird Information entweder als Null oder Einser gespeichert. Dein Rawlinson müsste also aus lauter Nullen und Einsern feststellen, ob er einen Text, ein Bild oder gar Musik vor sich hat. Eine undankbare Arbeit.“

„Aber das Internet. Es wird vielleicht nie kaputt gehen. Dann haben wir uns den ganzen Salat der Entkodierung gespart. Alles Wissen um die Codes würde praktisch ewig wahren.“

„Pustekuchen. Schon jetzt stehen wir wegen des hohen Stromverbrauchs des Netzes einem Energieinfarkt nahe.“

„Was schlägst Du denn vor.“

„Ganz einfach: Alles auf Tontafeln einritzen. Ein mehrfach bewahrtes System.“

Sieht Ihr Wortschatz alt aus?

Sprachforscher lieben meine Mutter. Wenn sie redet hört man manchmal Redewendungen, die so alt sind wie „Lonesome George“. Sie wissen schon: die Riesenschildkröte, letztes Exemplar seiner Unterart, die jüngst auf den Galápagos zum ewigen Laichplatz zurückgekehrt ist. Die Sprache meiner Mutter ist wirklich museumreif. Doch kein Wunder. Sie ist 95 Jahre alt. Würde ich ihren Namen und Telefonnummer verraten, so würden Scharen von Sprachwissenschaftlern Interesse zeigen, davon bin ich überzeugt, sie zu interviewen.

Wahrscheinlich würden sie sie aber kaum antreffen. Meine Mutter ist selten in ihrem Zimmer. Meistens spielt sie Karten und Bingo oder sie brettert durch die Weltgeschichte mit ihrer Freundin Vera – Vera allerdings am Steuer nicht meine Mutter.

Was sagt sie, das so besonders ist? Hier ein Beispiel. Sie erzählte mir einmal am Telefon, wie ihre Freundin Anni, ein Mensch, der unbedingt und zu jeder Zeit Mittelpunkt sein muss, einen Raum betrat: „She barged in [„hineinstürmte“] like Grant took Richmond.“

Haben Sie das verstanden? Sie ist sozusagen mit der Tür in den Raum gefallen, so forsch wie einst General Grant, als er Richmond einnahm – ein Hinweis auf eine berühmte Schlacht, am Ende des amerikanischen Bürgerkriegs, also im Jahr 1865. So was sagt kaum jemand mehr – außer meine Mutter.

Oder noch ein Beispiel: „I haven’t seen that film since Hector was a pup.” Das heißt: als Hector noch ein Welpen war, d.h., „seit ewig“. Sprachforscher sind uneinig über die Herkunft dieser Redewendung. Manche sehen darin einen Hinweis auf den Hektor des trojanischen Krieges. Anderen zufolge war „Hector“ in den 1920er Jahren in den USA ein sehr verbreiteter Hundename. Ich hingegen bilde mir ein, dass Hector ein Hund aus einer Komik in den 1920er Jahren war. Ich weiß aber nicht, ob das stimmt.

Oder: „Now you’re cooking with gas!“ Dieser heiterer Spruch stammt aus der Zeit, als in der Küche der Holzofen zum alten Eisen geworfen und vom Gasherd ersetzt wurde.

Und ein letztes Beispiel: „That’s the cat’s pajamas.“ Der Schlafanzug der Katze. So drückten junge Amerikaner der 1920er Jahre das aus, was junge Deutsche heute mit “voll geil” wiedergeben.

Warum über den alten Wortschatz meiner alten Mutter erzählen? Weil ich feststelle, dass auch mein Wortschatz – und an dieser Stelle denke ich lediglich an deutsche Vokabeln – allmählich alt wird.

Als ich 1975 in München eintraf, sagten junge Leute – zu denen auch ich zählte – „toll!“, wenn, sie sich über etwas freuten. Ich gebe zu: Dieses Wort ist auch heute lange nicht verschwunden. Aber wer drückt noch seine Begeisterung damit aus? Neulich habe ich in den Nachrichten die grüne Claudia Roth beim Ausführen eines arabischen Tanzes in Libya sehen können. Bestimmt hat sie nach dem Tänzchen „Toll!“ ausgerufen.

Der alter Otto – Jahrgang 1896 – , den ich nach meiner Ankunft in München kennenlernte, pflegte zu sagen, wenn er sein Staunen zum Ausdruck brachte: „Donnerwetter“. „Toll“ hingegen betrachtete er als schlichte Vulgarität.

Und die coolen jungen Leute, mit denen ich damals verkehrte, beschrieben einen Gesamtvorgang oft als „die ganze Chose“. Diese Bekannten meiner Jugend, wenn sie noch leben, sind immer noch von der ganzen Chose erpicht. Da bin ich sicher. Und wer jauchzt noch mit einem freudigen: „Affengeil!“? Ich tippe auf alternde Richter (zumindest während in ihrer Freizeit) und vergraute Lehrer.

Ca. 1983 entdeckte ich, dass junge Deutsche, d.h., Deutsche, die jünger waren als ich, über eine eigene, mir fremde Jugendsprache verfügten. :Die erste Vokabel, die ich aus dieser Jugendsprache bewusst vernahm, war „Ätzend!“ Ich nahm es mir schon damals vor, das Wort nie selbst zu verwenden. Mir kam es zu, zu…jugendlich vor.

So eine Haltung bezeichneten die Deutschen meiner Generation als „konsequent“.

ich meine: Man ist, was man sagt.

Alter Witz in neuer Kleidung

Vorstandsvorsitzender: Hmm. Etwas stimmt nicht. Wurm!

Wurm: (betritt den Raum, er ist außer Atem) Was ist o Herr, o Mittelpunkt aller irdischen Verehrung, Sonne aller Sonnen?

Vorstandsvorsitzender: Rufen Sie meinen Steuerberater an.

Wurm: Ich bedaure, o Herr, o Mittelpunkt aller irdischen Verehrung, Sonne aller Sonnen. Sie haben leider keinen Steuerberater mehr. Sie haben ihn vor sechs Monaten entlassen. Wenn ich erinnern darf: Sie haben damals gemeint, dass man genügend Freeware im Internet finde, um das kostenlos zu erledigen, wofür er sich frei gefühle, Ihnen unverschämte Rechnungen zu verschicken.

Vorstandsvorsitzender: Na, dann ist gut. Werfen Sie meinen Rechner an. Ich möchte mein Steuerprogramm konsultieren. Wurm, wieso hecheln Sie so? Schon reif für die Frühpensionierung? Hmm?

Wurm: Weil ich gerade siebzehn Stockwerke hinaufgestiegen bin. Außerdem kann ich Ihnen, o Herr, o Mittelpunkt der…

Vorstandsvorsitzender:… Sie dürfen sich heute ausnahmsweise die ganzen Titel sparen. Es dauert sonst zu lange, bis ich endlich erfahre, was Sie zu sagen haben. Zeit ist schließlich Geld.

Wurm: Ich wollte nur sagen, o…Verzeihung. Ich wollte nur sagen, dass ich Ihnen den Rechner nicht anwerfen kann, weil wir keinen Strom mehr haben. Deshalb bin ich die siebzehn Stockwerke hochgegangen.

Vorstandsvorsitzender: Keinen Strom? Keinen Lift? Was reden Sie für Unsinn? Bin ich heute nicht schon mit dem Lift hochgefahren?

Wurm: Jawohl. Das war aber heute früh. Seit dreizehn Uhr gibt es keinen Strom mehr.

Vorstandsvorsitzender: Ist was passiert? Ein Stromausfall? Wurden auch andere Hauser in Mitleidenschaft gezogen. Bäh! Wie ich das Wort hasse.

Wurm: Welches Wort, o…Verzeihung.

Vorstandsvorsitzender: Mitleidenschaft. Man hört unentwegt das Wort „Mitleid“ heraus. Jeder vernünftige Firmenchef weiß, dass die Erzsünde eines jeden Managers ist, wenn er Mitleid verspürt.

Wurm: Ich verstehe.

Vorstandsvorsitzender: Aber erzählen Sie vom Stromausfall. (Er schaut aus dem Fenster). Komisch, in den Häusern gegenüber sehe ich Lichter. War nur bei uns ein Kurzschluss im Generator?

Wurm: Nein, o Herr. Wir haben keinen Strom, weil wir die Stromrechnung nicht bezahlt haben?

Vorstandsvorsitzender: Sie machen Witze, Wurm. Holen Sie mir den Chefbuchhalter.

Wurm: Leider unmöglich. Sie haben ihn vor zwei Jahren in die Frührente geschickt und die Stelle nie wieder besetzt.

Vorstandsvorsitzender: Wer macht denn die Bücher?

Wurm: Eine Zeitlang war es die Zugehfrau, die einst in der Buchhaltung mitgearbeitet hatte, aber Sie haben sie vor zwei Wochen vor die Tür gesetzt, weil sie auf der Toilette geraucht hat.

Vorstandsvorsitzender: Schließlich haben Angestellte das Rauchverbot einzuhalten. Finden Sie nicht? Seit zwei Wochen ist sie weg?

Wurm: Jawohl, o…

Vorstandsvorsitzender: Ach deshalb sind die Toiletten so dreckig. (Er hält kurz inne.) Lieber Wurm, ist die Lage wirklich so schlimm?

Wurm: Ich fürchte, ja.

Vorstandsvorsitzender: Und was höre ich da? Als würden lauter Menschen durch die Gänge toben.

Wurm: Es ist ein Aufstand. Sie suchen nach Ihnen.

Vorstandsvorsitzender: Ach du lieber. Wir müssen die Polizei holen.

Wurm: Die Telefonanlage funktioniert ohne Strom nicht.

Vorstandsvorsitzender: Haben Sie ein Handy?

Wurm: Nein.

Vorstandsvorsitzender: Ich wusste nicht, dass es so schlimm um uns bestellt war. Tja. Sieht aus, als seien wir am Ende, lieber Wurm.

Wurm: Was heißt „wir“, Herr Turbokapitalist?

Wieder die E-Bücher – aber diesmal nenne ich Namen

Es gibt kein Zurück: Das Zeitalter der E-Bücher schreitet voran. Eines Tages wird das vertraute Taschenbuch alt aussehen – wie heute meine schöne Leica.

Eines Tages, aber noch nicht. Die Kuh ist noch nicht in trockenen Tüchern – wenn ich meine Metaphern durcheinander bringen darf.

Zuerst aber ein Erfahrungsbericht: Gestern habe ich ein E-Buch fertiggelesen. Es war das erste Mal, dass ich auf meinem Reader ein ganzes Buch vom Anfang bis Ende vertilgt hatte. Fazit: Das Lesen war ganz unproblematisch. Auch meine Frau ist dabei, ein Buch auf ihrem Lesegerät zu lesen. Auch sie findet die Lektüre angenehm – vor allem weil man die Schriftgröße selbst bestimmen kann.

Bei mir aber stehen die Bücher Schlange. Ab gestern war ein Buch, das lange an der Reihe ist, dran: ein Roman mit ca. 930 Seiten. Ein Buch aus Papier, kein E-Buch. Es wiegt leider ca. ein Kilo. Manche weinen beim Gedanken an die E-Bücher das schöne haptische Gefühl des Analogzeitalters nach. Ich hingegen wähne mich bei der Lektüre meines schwergewichtigen Romans im Fitness-Studio. Ade einhändige Lektüre auf dem E-Reader. Hätte ich den Roman nur als E-Buch, denke ich. Leider existiert er in dieser Form nicht, bzw. noch nicht. Und noch ein Problem: Dieser – sehr schöne – Roman nimmt mindestens zehn Zentimeter Regalplatz in Anspruch.

Es hilft kaum, sich in Sentimentalitäten zu schwelgen. Wir leben nun mal im Digitalzeitalter. Zur Erinnerung: Inzwischen haben sich die meisten Menschen leichten Herzens von ihren schönen (und schweren) Analogfotoapparaten verabschiedet. Der Schreibmaschine begegnet man nur noch im Museum oder im muffigen Kellerabteil. „Vinyl“ ist nur mehr die Spezialität einer Nischenbewegung geworden. Heute hört man lieber MP3, Bluetooth usw. Und man spart auch viel Platz in der engen Wohnung.
So schnell wird man die Uhren nicht zurückdrehen.

„Ja, aber das ganze Wissen unseres Zeitalters wird innerhalb fünfzig Jahren, weil digitalisiert, verschwinden. Strom ab und paff!“ Das sagte ich meinem Computer-Guru G. erst vor vier Wochen.

„Aber woher“, antwortete er. „Es ist viel wahrscheinlicher, dass Bücher verschwinden werden. Digital gespeichertes Wissen ist sehr hartnäckig. Die Bücher der Antike wurden in Bibliotheken aufbewahrt und sind deshalb zu 95% zugrunde gegangen, restlos verschwunden. Der Vorteil der Digitalisierung liegt in der Dezentralisierung des Wissens. Irgendwo auf der Welt werden E-Bücher usw. überleben – auch nach einer größeren Katastrophe.“

„Aber was ist“, parierte ich, „wenn keiner in der Lage ist, die Rechner wieder anzuschmeißen?“

„Auch das dürfte kein Problem sein. Informatiker gibt es wie den Sand am Meer.“

G. ist kein Schwärmer. Er verfolgt die Entwicklung der Digitalisierung seit 40 Jahren.

Im Februar 2013 erscheint mein Buch „Kaspar Hausers Geschwister“ bei dtv. Ich habe es für diese Veröffentlichung gründlich überarbeitet, so dass es endlich das Buch wird, das es vor zehn Jahren hätte werden sollen. Dies erzähle ich nicht nur, um Eigenwerbung zu betreiben. Der Verlag wird KHs Geschwister zweigleisig herausgeben: Als Taschenbuch und als E-Buch. Ich bin mit dieser Lösung sehr zufrieden. Wichtig ist nur – und das habe dem Verlag bereits mitgeteilt – , dass die E-Buch-Version gut navigierbar sei.

Aber nun zu den Problemen. Ab jetzt werde ich Namen nennen: Der Sony Reader, z.B., ist nicht in der Lage – zumindest nicht in Deutschland– griechische Texte korrekt darzustellen. Dies entdeckte ich, als ich versuchte, eine zweisprachige Ausgabe von Sappho auf dem Reader zu lesen. Der griechische Text erschien zum Teil als Buchstabensalat. Wer Hebräisch, Arabisch und Russisch auf dem Reader haben will, schaut ebenfalls in die Röhre. Als ich dieses Manko dem Sony-Kundendienst mitteilte, bekam ich die Antwort: „Allein Microsoft betitelt die Fonts auf über 100.000. Und täglich werden neue geschaffen. Sie werden Verständnis haben, dass damit der e-Reader völlig überlastet wäre.“ Meine Antwort: „Ich verlange nur drei oder vier Fonts und keineswegs 100.000.“ Bis Sony in der Lage ist, diverse Schriften in E-Büchern darzustellen, die bei Analogbüchern eine Selbstverständlichkeit sind, kann man das Lesergerät nur begrenzt ernst nehmen.

Der Kindle hingegen kann die von mir erwünschten Schriften korrekt anzeigen. Ein Plus für Amazon. Nur: Beim Kindle weiß der Leser nicht, auf welcher Seite im Buch er sich befindet. Der Kindle zeigt nämlich keine Seitenzahlen an nur Prozentzahlen. Der arme Leser bzw. Leserin, meine Frau, zum Beispiel, weiß nur, dass sie 38% Ihres Buches gelesen hat.

Und dann gibt es noch immer die leidige Frage der Reproduzierbarkeit von E-Büchern. Amazon gönnt dem Leser eine gewisse Anzahl an Kopien, die er dann auf verschiedene eigene, bei Amazon registrierte Lesegeräte überspielen darf. Gleiches gilt für Weltbild, Buecher.de, TXTR usw. Um ein unerlaubtes Kopieren zu verhindern, werden Bücher mit einem DRM-Schutz versehen. Was ist aber, wenn ich ein E-Buch, das ich gekauft habe, weiterverkaufen möchte? Analogbücher kann ich jederzeit weiter verkaufen. Der DRM-Schutz ist ohnehin eine Scheinlösung zu einem Problem. Denn man findet überall im Internet die entsprechende Software, um den DRM-Schutz zu entfernen.

Manche Anbieter, zum Beispiel der amerikanische E-Verleger Delphi Classics, gibt Gesamtwerkausgaben von Autoren, die schon mindestens 70 Jahre tot sind (Fontane, Dickens, Proust usw.) heraus – sowohl in MOBi-Format (also für den Kindle) wie auch in EPUB-Format – dies ohne DRM-Schutz. Was man mit den Büchern macht, ist also jedem frei gestellt.

Dennoch ist es verständlich, dass lebende Autoren, Verlage und Buchhandlungen daran interessiert sind, Urheberrechte zu schützen. Es geht hier schließlich um ein Geschäft. Die Lösung zu diesem heiklen Problem muss selbstverständlich ein anderes sein als im Analogbuchzeitalter.

Auch ich als künftiger E-Buch-Autor will meine Interessen verteidigen. Ich werde über eine Lösung nachdenken.

Noch eine Beobachtung: Amazon hat unter den E-Buch-Anbietern meiner Meinung nach noch immer die Nase vorn. Zunächst, weil das Angebot sehr groß ist. Und ebenso wichtig: Der Käufer kann „ins Buch blicken“. So erfährt er vor dem Kauf, ob die Navigation des E-Buches vernünftig organisiert ist oder nicht. Hier nur ein Wink mit dem Zaunpfahl für die Konkurrenz.

Zum (hoffentlich) letzten Mal: Gehört der Islam zu Deutschland?

Es war der rührselige Bundespräsident a.D. Christian Wulff, der als erster den Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ in den Mittelpunkt der deutschen Tagespolitik platzierte.

Das war im Jahr 2010. Schon damals haben Besucher der vorliegenden Seite eine Glosse zu diesem Thema (s. „Die Leitkultur und die Leidkulturen“ vom 19. Oktober 2010) vorgefunden.

Nun hat Bundespräsident Gauck Gleiches erläutert wie ich damals: dass nicht der Islam, sondern Muslime zu Deutschland gehören. (Beinahe zeitgleich mit der Aussage Gaucks bestätigte hingegen CSU Staatsminister Söder überraschenderweise die Wulff’sche These).

Wer hat recht?

Hier hilft nur ein bisschen Geschichtsunterricht.

Tatsache ist: Der Islam hat nie eine zentrale Rolle in der deutschen Geschichte gespielt – mit Ausnahme vielleicht von der Zeit der Kreuzzüge, als deutsche Ritter, Haudegen und diverse Fußsoldaten, die als Kanonenfutter dienten, in Richtung Jerusalem marschierten.

In der Zeit danach gab es zwar immer wieder mal Konfrontationen mit dem osmanischen Reich, doch es waren Österreicher, Polen und Ukrainer, die in diesem Konflikten stets eine größere Rolle spielten als die Deutschen.

Nein, der Islam gehört vom Standpunkt der Geschichte nicht zu Deutschland. Er war vielmehr ein exotischer Traum für manche Deutschen. Denken Sie an Goethes West-östlichen Diwan, Karl Mays abenteuerliches Kurdistan. Immerhin waren es deutsche Orientalisten, die seit dem 19. Jahrhundert mit bewunderswürdigem Fleiß , die arabische, die persische und die türkische Sprachen und Kulturen unter die Lupe nahmen. Ihre Bemühungen haben viel dazu beigetragen, diese für Deutsche fremden Welten – auch in religiöser Hinsicht - zu öffnen.

Trotzdem war der Islam hierzulande de facto ein Exotikum. Nur deshalb bezeichneten früher die meisten Deutschen die islamische Religion als „Mohammedanismus“ und die Anhänger dieser Religion als „Mohammedaner“.

Nur Hitler täuschte gute Beziehungen zur islamischen Welt vor und hieß den Mufti von Jerusalem in Berlin willkommen. Nicht aber weil er für den Islam etwas übrig hatte, sondern weil er auf allen Fronten Krieg gegen die Juden führte.

Die muslimische Präsenz in Deutschland ist letztendlich – und das weiß eigentlich jeder – etwas Neues. Umso mehr ist sie historisch signifikant, und deshalb ist es heute wichtig zu untermauern, dass Muslime zu Deutschland gehören.

Befänden wir uns nicht in Deutschland, sondern in Bulgarien, Griechenland, Albanien, Rumänien, Ungarn, Serbien usw., würde ich auf jeden Fall zustimmen, dass der Islam zu diesen Ländern gehörte. Gleiches gilt selbstverständlich für Spanien, Südfrankreich und Sizilien.

Und doch frage ich mich, welcher Politiker in der Türkei, in Ägypten, in Libyen, in Algerien, im Irak usw. öffentlich wagen würde zu behaupten, dass das Christentum zu ihren Ländern gehört. Außerdem habe ich bisher noch keinen saudischen Politiker erläutern hören, wie sehr das Judentum zu Saudi Arabien gehört (was übrigens auch für den Irak, für Ägypten, Libyen usw. gelten müsste).

Das ist aber ein anderes Thema.

Übrigens: Ist es Ihnen aufgefallen, dass Gauck sein Statement im Lauf eines Interviews gemacht hat und nur weil man ihn direkt darüber gefragt hat. Wulff hingegen hat aus diesem Thema bewusst ein Politikum gemacht.
Ich denke, dass es Themen gibt, die man sanft und sachlich angehen sollte. Dazu gehört ganz bestimmt alles, was mit Religion zu tun hat.

Ende der Predigt. Nächste Woche – Hand aufs Herz – gibt es beim Sprachbloggeur leichtere Kost. Die hat man dringend nötig in einem mit Fakten überfütterten Zeitalter.

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