You are here

Mandela und der Sprachenjunkie…

Ja, liebe Freunde der deutschen Sprache, hier eine frische Folge aus der endlosen Sprachengeschichte eines Menschen mit Migrationshintergrund, der unermüdlich bestrebt ist, diese ihm fremde Sprache zu beherrschen. Und ausgerechnet heute, am Tag der Trauerfeier für Nelson Mandela, erscheint dieser Text. Egal. Ich mache weiter. Nähere Gründe unten…

„Sorry, lieber Sprachbloggeur“, schärfte mir Freund Harald vor vielen Jahren ein, „Keiner kann eine Sprache beherrschen – auch nicht die deutsche Sprache.“

Rückblick: Harald war der erste echte Deutsche, der bereit war, mit mir lange Gespräche in seiner Muttersprache zu führen – obwohl dieses Unterfangen sehr viel Geduld erforderte.

„Sprachen beherrschen Menschen“, sagte Harald weiter, „nicht umgekehrt.“

Nebenbei: Etwas Anderes brachte mir Harald bei – und zwar nicht bewusst, also nur quasi durch sein Beispiel. Ich beobachtete, dass seine Sätze immer klar und einfach formuliert waren – das Gegenteil von meinen also. Sprechneulinge drücken sich oft sehr kompliziert aus.

Wenn es mir gelingt, klar und einfach zu schreiben, denke ich immer an Harald,.

Das nur einleitend. In dieser Folge meiner endlosen Geschichte können Sie nun zuerst zwei Beispiele meines Sprachfortschrittes lesen:

Beispiel eins: Folgenden Satz von Henrik Broder las ich gestern in der neuen „Weltwoche“: „…die anderen sagen, man solle den Einfluss des Fernsehens nicht überschätzen.“

Alsbald dachte ich: Ich finde, dass hier „überbewerten“ schöner klingt als „überschätzen“. Zu bemerken: Auch Migrationshintergründler entwickeln einen eigenen Geschmack in der Fremdsprache.

Beispiel zwei: In der gleichen Ausgabe dieser Zeitschrift stieß ich auf folgenden Satz des Journalisten Hansrudolf Kamer: „Die Ankündigung einer neuen Luftverteidigungszone im Ostchinesischen Meer hat Japan, Südkorea und auch Amerika zu Protestaktionen veranlasst.“

Hoppla, dachte ich, ich würde hier lieber „auf den Plan gerufen“ anstelle von „zu Protestaktionen veranlasst“ lesen. Doch genug des Selbstlobes.

Nun zum zweiten Teil dieser Folge aus der endlosen Sprachengeschichte:
Hier geht es um das Wort „gleichsam“. Vor etlichen Monaten hatte ich in einer Glosse mein Leid bezüglich dieses Wortes ausgiebig beklagt. Der Grund: Ich war unfähig, es in einem Satz korrekt zu verwenden.

Dem Duden zufolge bedeutet „gleichsam“ „gewissermaßen“, „sozusagen“ und „wie“. Dennoch war ich nicht in der Lage, einen funktionierenden Satz mit diesem verdammten Wort zu schreiben.

Einmal fragte mich mein Lektor, während er einen Text von mir überarbeitete: „Sagen Sie: Was soll das ‚gleichsam‘ hier für einen Sinn haben?“

„Es war schon lange mein Traum, dieses Wort in einem Satz zu schreiben“, antwortete ich.

„Ja, Sie haben recht. Es ist ein sehr schönes Wort. Nur, es passt in Ihrem Satz leider nicht.“

Inzwischen bin ich „Gleichsam-Meister“ geworden, ein Rang, der nur wenige Migrantler erreichen. Ich könnte, wenn ich wollte, „gleichsam“ gleichsam in jedem Satz korrekt verwenden. Doch ich will nicht mehr. Denn das Wort hat für mich seine Allüre verloren.

Fakt ist: Auch viele Deutsche haben, wie ich erfahre, Probleme mit dieser Vokabel, was auch verständlich ist. „Gleichsam“ steht nicht gerade im Top 100 des deutschen Wortschatzes. Es ist ein seltener Begriff, und vielleicht ein bisschen altmodisch. Falls Sie zu den Unsicheren zählen, hier ein bisschen Starthilfe: „Gleichsam“ ist gleich „quasi“. Wo man „quasi“ sagen oder schreiben kann, passt jederzeit ein „gleichsam“. Bespiel: „Tote Menschen kann man leicht instrumentalisieren. Man macht sie quasi zu ‚Posterboys‘.“ „Quasi“ mit „gleichsam“ auswechseln und voilà! Der Satz klingt auf einmal viel edeler.

Aber zurück zu Nelson Mandela. Eigentlich hätte ich heute als Medienmensch einen ganzen Text über ihn schreiben müssen, mit dem Zweck „Kundschaft“ heranzuziehen. Das macht man im Medienbusiness immer. Der Tod (auch die runden Gedenktage) eines Prominenten (Lady Di, Elvis, JFK) wirkt garantiert als Auflagenaufputschmittel.

Nein, ich habe die Gunst der Stunde nicht wahrgenommen. Sprachenjunkies kann man schwer von ihrer Sucht abbringen. To be continued…

In eigener Sache: Nächste Woche keine neue Glosse. Bin auf Geheimreise. Erst wieder zu Weihnachten.

Ein Kratzer auf der Scheibe – oder: der "game-changer"

Hat es „kratsch“ gemacht? Oder „kritsch“? „Ssssnitsch“ vielleicht? Oder war nur Grabesstille? Keine Ahnung. Fest steht nur: Auf einmal war der Sprachbloggeur nicht mehr da. Weg. Als hätte es ihn nie gegeben.

Erst hinterher erfuhr ich von Herrn P., meinem Provider, dass die Serverfestplatte („Scheibe“, nennt er das) „Kratzer“ hatte. Zum Glück konnte alles, was auf der „Scheibe“ gespeichert war, gerettet werden.
Meine und auch andere vom Server betreuten Webseiten sind quasi dem virtuellen Tod gerade noch von der Schippe gesprungen.

Das gibt zu denken. Oder? Now you see it, now you don’t.

Selbstverständlich war ich erleichtert, als die Texte der letzten vier Jahre wieder zum Vorschein kamen. Doch meine Erleichterung währte nur kurz . Denn bald stellte ich fest, dass auf der Seite die Kommentare – alle Kommentare der letzen vier Jahre – fehlten. Ihre Beiträge also, liebe Kommentarschreiber, wichtige Texte, die diese Seite zu einem bunten Dialog machen, waren weg.

Ich gebe zu: Ich mache es meinen Lesern nicht leicht, Kommentare beim Sprachbloggeur zu veröffentlichen. Man muss sich anmelden, dann auf eine Berechtigung warten usw. Schuld daran sind natürlich die Spammer, die Krankheitserreger des WehWehWeh. Seit einem Jahr habe ich über 2 Millionen Spammern den Zugang zu dieser Seite abgeblockt. Aber Roboter sind unermüdlich.

Doch zurück zu den Kommentaren. Deren Verschwinden hat mich sehr traurig gemacht, ein Verlust, der mir wie eine Amputation vorkam. Zum Glück konnte der nette Herr P. mich schnell wieder beruhigen. „Alles bald wieder da“, schrieb er mir in einer Mail.

Und es war tatsächlich so. Alles war bald wieder da.

Ich habe mich gefreut, dass es diesmal gut gegangen ist. Trotzdem wars mir klar: Es wird bestimmt mal wieder neue Kratzer geben: Now you see it, now you don’t.

Ein Kratzer auf der Scheibe kann jederzeit zum „game-changer“ werden. Schade, dass es keine adäquate Übersetzung für diesen englischen Begriff gibt.

Und damit komme ich zu meinem Freund Ludwig, der vor zwei Wochen einen Schlaganfall hatte. Auch das ist wie ein Kratzer auf der Scheibe.
Zufällig hatte ich Ludwig in dem Moment, als er den Schlaganfall erlitt, angerufen. (Ein Wunder, dass er überhaupt ans Telefon ging). Er selbst hatte allerdings nicht erkannt, dass er einen Kratzer auf der Scheibe hatte. Ich schon. Denn er sprach zu mir plötzlich in Flüstertönen und obendrein auf Französisch.

Man will vorerst nicht glauben, dass der Freund, den man Jahrzehnte lang kennt, dabei ist, ein Schlaganfall zu erleiden. „Ludwig, ist was?“ fragte ich.

„Non, non.“

Ich rief den Notarzt.

Es geht Ludwig inzwischen wieder bestens. Tagelang aber hatte seine Scheibe noch immer einige kleine Kratzer. Er wirkte abwesend (wie in „nicht da“). Bisweilen fielen ihm Wörter nicht ein – was für ihn ungewöhnlich ist. Mir fallen Wörter ständig nicht ein – und zwar in zwei Sprachen. Die Lücken haben ihn aber geärgert.

Nun sind alle Wörter wieder da und noch etwas: „Stell dir vor“, sagte er zu mir. „Ich habe das Gefühl, dass ich Klavier einfühlsamer spiele als früher.“

Nein, keine Einbildung seinerseits. Ein Kratzer auf der Scheibe kann tatsächlich die Dinge im Hirn neu ordnen.

Beispiel Lachlan Connors, ein Teenager aus Colorado. Nach einer schweren Gehirnerschütterung wurde er aus heiterem Himmel zum Musiker. Inzwischen spielt er Klavier, Banjo, Ukelele, Mandoline, Harmonika usw. Das Phänomen ist den Neurologen bekannt.

Hier trotzdem keine Empfehlung, sich eine Gehirnverletzung zuzuziehen. Gleiches gilt für die Festplatte.

Schade, dass es auf Deutsch keine adäquate Übersetzung für „game-changer“ gibt.

Wie es zur Schlammschlacht zwischen Justin und Miley kam

Vorstandsvorsitzender 2: Wir können schon anfangen. Bubu kommt nicht.

Vorstandsvorsitzender 1: (ruft) Wurm! Sicherheitszelt schließen!

(Wurm, der dem Vorstandsvorsitzenden 1 zu Füßen liegt, erhebt sich, eilt zum Eingang und zieht von oben nach unten an einem großen Reißverschluss. Dann legt er sich neben dem Vorstandsvorsitzenden 1 wieder hin, der ihn kurz am Kopf streichelt.)

Wurm: Wau wau.

Vorstandsvorsitzender 3: Armer Bubu, er wäre gern gekommen.

Vorstandsvorsitzender 1: Heute muss einer schließlich vorsichtiger sein. Man weiß nie, mit wem man sich verplappert hat, mein Lieber. Das muss ich dir nicht ausführlich buchstabieren, oder? Du weißt schon: enn ess äääj.

Vorstandsvorsitzender 3: Früher war alles einfacher.

Vorstandsvorsitzender 1: Ja, früher!

Vorstandsvorsitzender 3: Ich gebe zu: Mich macht dieses Informationszeitalter nervös. Man weiß nie…

Vorstandsvorsitzender 2: Jammere nicht so. (Er wendet sich an Vorstandsvorsitzenden 1) Sag mal, muss der da (er zeigt auf Wurm) unbedingt hier sein?

Vorstandsvorsitzender 1: Der? Was für eine Frage! Vielleicht solltest du dir auch einen anschaffen. Viel wirksamer als Beruhigungsmittel. Und auch billiger! Nicht wahr, Wurm? (Er fährt ihm kurz über die Haare).

Wurm: Wau wau.

Vorstandsvorsitzender 2: Wenn du meinst. Nur nicht, dass er hinterher alles nachplappert. Du weißt schon: enn ess äääj. Eine Geheimsitzung im Sicherheitszelt ist schließlich eine Geheimsitzung.

Vorstandsvorsitzender 1: Aber woher. Ich habe ihn bestens erzogen. Er hat das Sprechen längst verlernt, dafür folgt er auch den kompliziertesten Kommandos. Und schreiben kann er auch. Braver Wurm.

Wurm: Wau wau.

Vorstandsvorsitzender 3: Mich hätte es genauso treffen können wie Bubu.

Vorstandsvorsitzender 2: Das meine ich auch. Die Spionen sind überall. Wenn einer ja wüsste, dass wir miteinander kollaborierten. Sei bloß nett zu deiner Frau – und deiner Mätresse. Haha.

Vorstandsvorsitzender 1: Ja, schon gut. Fangen wir mit dem Wesentlichen endlich an. Ideen brauchen wir, Ideen!

Vorstandsvorsitzender 2: Ja, eben, und ich habe eine: Wie wäre es mit einem saftigen Zeitungskrieg? Deine gegen meine, quasi. Eine schöne, schmutzige Schlammschlacht – wie ja in den guten alten Tagen – ich meine vor der Informationsrevolution…

Vorstandsvorsitzender 3: (träumerisch) Ja, vor der Informationsrevolution!

Vorstandsvorsitzender 1: Werdet bitte nicht so sentimental. Die Zeiten sind endgültig vorbei. Erzähle mir lieber von deiner Schlammschlacht.

Vorstandsvorsitzender 2: Ganz einfach. Wir kaufen uns die exklusiven Rechte – also print und didschital – für Justin und Miley. Deine Medien ziehen Justin durch den Schlamm und meine Miley! Man bringt selbstverständlich so viel Haut wie möglich. Das mögen die Leser. Und was die Leser mögen, liebt die Werbung noch mehr.

Vorstandsvorsitzender 1: Du bist genial, mein Lieber! Wenn du nicht die Konkurrenz wärst, würde ich dich sofort abwerben! Und du (er zeigt auf Vorstandsvorsitzenden 3): Deine Medien werden für die berechtigte Entrüstung sorgen. Ihr spielt die moralische Keule quasi, damit die Sache schön rund läuft! Braver Wurm! Wer ist mein braver Wurm. Möchte Wurm einen Keks?

Wurm: Wau wau!

Vorstandsvorsitzender 3: Ja, die Idee gefällt mir. Ich hoffe allerdings, dass wir hier nicht die Rechnung ohne Wirt machen. Ich meine: Zu Erinnerung: Wir verfügen zwar über Multimedia platforms. Die Social Media sind aber schneller– und billiger!

Vorstandsvorsitzender 1: Und wie wäre es, wenn auch wir unsere Platforms gebührenfrei machten?

Vorstandsvorsitzende 2 und 3: Spinnst du?

Vorstandsvorsitzender 1: Aber bitte. Denkt bloß mit. Uns steht wegen der Deregulierung nichts mehr im Wege, um Kosten zu reduzieren. Alle Träume kann man verwirklichen! Ich hab’s euch schon vorgemacht. Und meine Geheimwaffe gegen die Social Networks funktioniert bestens.

Vorstandsvorsitzender 2: Deine Geheimwaffe?

Vorstandsvorsitzender 1: Da ist sie! Mein Wurm!

Wurm: Wau wau.

Vorstandsvorsitzender 1: Er macht alles, was ich von ihm verlange und kostet lediglich ein paar Kekse. Die Social Media haben nichts Vergleichbares – außer Benutzer, die ständig bedient und gebauchpinselt werden möchten. Haha.

Wurm: Wau wau.

In eigener Sache: Bin nächste Woche schon wieder auf Geheimmission. Erste Berichterstattung übernächste Woche.

Sanktionieren oder nicht sanktionieren – das ist die Frage

Hey Germans! Vielleicht kommen Sie mit folgendem Satz besser zurecht als ich armer Migrantler.

Ich bin auf ihn in der Schweizer Wochenzeitschrift „Die Weltwoche“ gestoßen. Nein, hier keine exotische Schweizer Zungenbrecher, sondern waschechtes hochgestochenes (auf Englisch „high faluting“) Feueilleton-Deutsch.

Der Satz kommt in einem Artikel über Inzest (man sagt auf Englisch: „a family that plays together stays together“) des Literaturwissenschaftlers Hans Ulrich Gumbrecht vor. Zitat: „Die Ödipus-Geschichte illustriert dann, dass Geschlechtsverkehr zwischen Eltern und ihren Kindern im antiken Griechenland sanktioniert wurde, während auf der anderen Seite der Geschwisterehe – als Normalform in den mythischen Erzählungen über die Götter des Olymps – im Alltag die rechtliche Möglichkeit und gängige Praxis der Verheiratung mindestens mit Bruder- oder Schwesterkindern entsprach.“

Bitte, liebe deutsche Muttersprachler. Lassen Sie mich hier nicht im Stich, bloß weil dieser Satz so furchtbar verschachtelt ist. Ich bin mir selbst nicht im Klaren, ob er überhaupt grammatisch korrekt ist. Denn ich denke, es muss hier eigentlich heißen die und nicht der „Geschwisterehe“ und „der rechtlichen Möglichkeit und gängigen Praxis“ . Oder? Sprachliche Außenstehende wie ich fühlen sich schnell verunsichert, wenn sie an der Richtigkeit eines Satzes in der Fremdsprache zweifeln – erst recht, wenn der Autor ein Literaturwissenschaftler ist.

Aber egal: Mir geht es hier ohnehin um das Wort „sanktioniert“. Hoppla, habe ich gedacht, nachdem ich obigen Satz das erste Mal gelesen hatte. Hat der Autor grad eben behauptet, dass man im antiken Griechenland Geschlechtsverkehr zwischen Eltern und ihren Kindern sanktionierte, also billigte? Das kann nicht wahr sein. Ich habe den Satz abermals gelesen und wurde allmählich stutzig. Nun holte ich meinen Duden.

Und siehe da! „Sanktionieren“ hat zwei Bedeutungen.

Hier O-Ton-Duden: „[öffentlich, als Autorität] billigen, gutheißen {und dadurch legitimieren}: Umweltzerstörungen aus ökonomischen Motiven sanktionieren…“

Und:

„Mit Sanktionen belegen: die soziale Umwelt sanktioniert (bestraft) jeden Regelverstoß.“

Soll das heißen, dass jemand, wenn er etwas sanktioniert, dieses Etwas nach Lust und Laune billigt oder missbilligt?

Ist diese Doppeldeutigkeit zu sanktionieren?

Neues Thema (aber verwandt):

Als ich noch ein Frischling in diesem mir fremden Land war, erhielt ich eines Tages ein Schreiben von der Münchner Polizei. Darin erfuhr ich, dass das Verfahren gegen mich wegen einer Verkehrswidrigkeit „eingestellt“ wurde.

„Eingestellt“? Was soll das bedeuten, grubelte ich etwas unsicher und forschte in meinem Wörterbuch. Dort las ich, dass „einstellen“ verschiedene Bedeutungen hatte – unter anderen – „to set up“, was ich in dem Augenblick im Sinne von „ins Rollen bringen“ verstand. Ich war entsetzt, weil ich von meiner Unschuld überzeugt war.

Umgehend rief ich bei der Polizei an, um mich zu beschweren. „Schon gut“, sagte die ruhige Stimme am anderen Ende. „Die Sache wurde eingestellt.“

„Ja, deshalb rufe ich an. Ich bin nämlich unschuldig.“

„Ja, eben. Von daher haben wir das Verfahren eingestellt.“

„Ich bin aber unschuldig!“

„Eingestellt haben wir den Fall. Verstehen Sie? Finished. Alles OK. Nix. Kapiert?“

Kurze Stille meinerseits. „Ach so“, sagte ich endlich etwas kleinlaut. „Sie meinen, Sie haben das Verfahren eingestellt?“

„Ja, eben. Das versuche die ganze Zeit zu erklären.“

„Warum haben Sie es mir denn nicht gleich gesagt?“

Mein Rat: Immer vorsichtig sein, wenn Sie sanktioniert werden.

Aha! So läuft es in der Werbung

Endlich kann ich zwischen Esel- und Ziegenhirn unterscheiden.

Folgendes Exempel: ich gehe auf den Feigenbaum gegenüber vom Gehege zu, weil ich mir eine frische Feige pflücken will. Und ich denke: Wie schön es ist, eine leckere Feige direkt vom Baum holen zu können und dann zu schnabulieren.

In dem Augenblick ein ungewohntes, tiefes Geräusch. Es ist Bêtise die Eselin, die mich die ganze Zeit klammheimlich beobachtet hat, ohne dass ich sie überhaupt registrierte. Sie steht am Zaun und schaut mich sehr intensiv an.

„Chun-unk“ oder „Chua-ap“ oder so ähnlich grunzt sie. Ich finde die passende Schreibart für diese deutliche Botschaft aus der Eselsprache in der Buchstabenschrift nicht.

Es ist aber klar, was das wuchtige Tier will: eine Feige. Meine Feige. Oder irgendeine Feige. Sie ist nicht besonders wählerisch. Hauptsache Feige. Als fürsorgender Mensch kapiere ich gleich und bin bereit, ihr just die Feige, die ich mir gerade gepflückt habe, zu schenken. Beherzt werfe ich diese über den Zaun.

Was macht Bêtise? Nichts. Sie schaut mich noch immer mit großen Kulleraugen erwartungsvoll an. In der Zwischenzeit sind wie aus dem nichts die zwei schwarzweiß gefleckten Ziegen, Becassine und Agathe, aufgetaucht. Sie haben die Szene aus der Ferne verfolgt. Eine der beiden flinken Ziegen, ich vergesse welche, hat die im Gras liegende Feige schon erspäht und augenblicklich verschnabuliert.

Mir tut die träge Bêtise aber leid, und ich will, dass auch sie auf ihre Kosten kommt. Nun werfe ich ihr eine zweite Feige zu. Zielgenau sogar. Sie trifft Bêtise direkt auf der Schnauze, prallt dann ab und fällt neben ihr ins Gras, wo sie im Nu von Agathe schnell aufgegabelt wird.

Bêtise bewegt sich aber nicht vom Fleck, blickt mich nur erwartungsvoll an und grunzt. „Feige“, scheint sie zu sagen, überzeugt, dass eine Feige irgendwie den Weg zu ihrem Maul finden wird.

Wieder werfe ich ihr weitere Feigen – zwei oder drei – zu. Wenn sie ins Gras fallen, sucht sie aber nicht nach ihnen. Es sind vielmehr Becassine und Agathe, die zu Findern werden und dadurch doppelte und dreifache Portionen bekommen.

Endlich aber habe ich verstanden, was ich tun muss. Ich muss selbst zum Zaun – was erfordert, dass ich einen tiefen Graben erklettere, um Bêtise höchstpersönlich eine Feige ins Maul zu stecken. Aber nur eine. Und so geschieht es.

Szenenwechsel…

Jemand hat vergessen, die Gehegetür festzumachen. Bêtise und die Ziegen schlendern durch die Tür und lungern jetzt draußen im Garten. Wie bekommt man die Tiere wieder ins Gehege zurück?

Jeder hat mal von der sprichwörtlichen Sturheit des Esels gehört. Es stimmt. Man kann Bêtise nicht einfach durch gut reden ins Gehege zurückführen – außer vielleicht mithilfe eines dicken Knüppels. Und Ziegen? Sie sind sehr flink, lassen sich nicht so leicht fangen.

Was macht man?

Man holt Feigen! Und siehe da! Die Tiere würden mir jetzt bis zum Ende der Welt folgen, weil ich mit den Feigen ihre Aufmerksamkeit gefangen habe. Innerhalb Sekunden sind sie im Gehege wieder – weil ich das richtige Köder entdeckt habe.

Aha! sog i. So läuft es in der Werbung.

Krieg der Götter – oder "God Mad"

Hurra! Endlich ist es amtlich: Es gibt nicht nur einen Gott.

Wie soll ich sonst das Urteil des hohen Richters Mohamed Apandi Ali in Malaysia verstehen? Ich zitiere: „Der Gebrauch des Wortes Allah ist kein wesentlicher Teil des christlichen Glaubens. Der Gebrauch dieses Wortes wird Verwirrung in der Gemeinschaft verursachen.“

Zum Hintergrund: Es ging um die Frage, ob die katholische Zeitung „Herald“ in Malaysia „Allah“ als Bezeichnung für Gott verwenden darf. Der christlichen Minderheit in Malaysia zufolge, etwa 9% der Gesamtbevölkerung, wird dieses Wort seit Jahrhunderten von Christen als Gottesnamen benutzt. Damit ist jetzt endgültig vorbei.

Ein kurzer Exkurs in der vergleichenden Linguistik: Die arabische Vokabel „Allah“ – genauer: „Allahu“ – bezeichnet in dieser semitischen Sprache den Gottesnamen plus bestimmten Artikel, wörtlich also „der Gott“. Ohne Artikel lautet das Wort auf Arabisch „ilah“, eine Bezeichnung, die übrigens viele Verwandte in anderen semitischen Sprachen hat. Zum Beispiel das hebräische „eloha“ (meistens in der Mehrzahlform „elohim“ gebraucht), Aramäisch „elah“, Babylonisch „ilahi“ usw.

Früher gingen Arabisch Sprechende großzügig mit dem Gebrauch des Gottesnamens „Allah“ als Bezeichnung für die monotheistische Göttlichkeit um. Zufällig besitze ich ein sehr betagtes arabisch sprachiges Altes und Neues Testament. Da erfährt man bereits auf Seite eins, dass am Anfang , Allahu Himmel und Erde schuf.

Ja, das war einmal. Heute ist man halt empfindlicher geworden, im punkto Religion. Aber bitte: Es sind beileibe nicht nur Muslime, die „Gott“ (oder Allah) für sich beanspruchen. Na na. Vor etwa 14 Jahren kandidierte Johannes Friedrich fürs Amt des evangelischen Landesbischofs in Bayern. Damals erfuhr ich in der Süddeutschen Zeitung, dass Friedrich die Meinung vertrat, dass der Gott der judäo-christlichen Religionen ein anderer sei als der Gott des Islam. Ja, das hat er behauptet. (Manche Christen sind immer noch der Meinung, dass der Gott des Alten und der des Neuen Testaments nicht identisch seien: Gott der Rache vs. Gott der Liebe usw. Das nur nebenbei).

Ich war jedenfalls mit dem Standpunkt des Kandidaten Friedrich nicht einverstanden und schickte sofort einen klärenden Leserbrief an die SZ.

Nach wenigen Tagen bekam ich Post von der Zeitung: Man sehe leider davon ab, meinen Brief zu veröffentlichen, hieß es, weil ich meinen Namen nur unvollständig preisgegeben habe.

Mit anderen Worten: Die SZ hielt „P.J. Blumenthal“ für einen unvollständigen Namen. Postwendend antwortete ich auf diese Ablehnung und fragte dabei, ob auch Briefe von E.T.A. Hoffmann und O.W. Fischer in der SZ nicht erscheinen dürften. Man erteilte mir daraufhin eine Sondergenehmigung. Leider zu spät, um dass mein Kommentar über „Gott“ und „Allah“ hätte rechtzeitig erscheinen können.

So ist es mit der Namenpolitik.

Namen sind amen, sog i.

Ich gebe zu: Wenn es um Gott geht, wird die Sache doch noch heikler, und man muss auf alles gefasst sein. So, zum Beispiel, stieß ich Englisch Muttersprachler einmal in einen Fastfood-Laden in Dänemark auf die Worte: „God Mad“. Mei, dachte ich. Sind das ja religiöse Menschen in diesem Fastfood-Laden. Sie sind offensichtlich ganz verrückt nach Gott. „God mad“ bedeutet aber „gutes Essen“ auf Dänsich. So kann man sich täuschen. „Mad“ ist übrigens mit dem deutschen „Mett“ verwandt – und „Mett“ wohl mit dt. „Mette“. Schon wieder ein voller Kreis in die religiösen Belange.

Ich wünsche jedenfalls gute Besserung. Auf Dänisch: God bedring.

In eigener Sache: Bin die nächsten zwei Wochen auf Geheimmission. Die nächste Glosse erscheint voraussichtlich im Anfang November.

Preiswert = gut, billig = geil

Hallo Schnäppchenjäger, der heutige Exkurs spielt sich in unserem Lieblingsobstgeschäft, im Paradies, ab.

Stammgäste des Sprachbloggeurs kennen das Paradies schon lange: Es ist das berufliche Zuhause von Frau M. und ihren sympathischen Mitarbeiterinnen, Frau B., Frau D. und Frau N. In diesem Paradies haben die Evas das Sagen. Der Adam hier, Herr L., bleibt meistens im Hintergrund.

In diesem Obstgarten finde ich nicht nur leckere Naturprodukte (die Melonen sind heuer köstlich), sondern auch reichlich „Aha-Erlebnisse“, die mein Bewusstsein für diese mir fremde deutsche Sprache stets vertiefen.

Heute nur ein Beispiel: Letzte Woche habe ich Frau M. von den oben erwähnten Melonen vorgeschwärmt: „Eine unglaubliche Qualität und noch dazu so billig!“

„Ja“, erwiderte Frau M. „Sie sind heuer sehr günstig“.

Aha! Sie mag das Wort „billig“ irgendwie nicht, dachte ich. Das muss ich mir merken. Vielleicht kommt ihr „billig“ zu…zu…zu…billig vor?

Ich habe zwar diesen Gedanken für mich behalten, war aber sicher, dass Frau M. mir ein unterschwelliges Signal über Sprachgepflogenheiten hat verlautbaren lassen. Um meine Theorie auf den Prüfstand zu stellen, verwendete ich das Wort „billig“ in ihrer Gegenwart mehrmals über die nächsten Tage. Prompt folgte die Bestätigung: Auf mein Lob der Waren als „billig“, antwortete Frau M. stets mit „günstig“ oder „preiswert“.

„Billig“, so meine Schlussfolgerung, klingt – zumindest für Frau M. aber sicherlich auch für andere Deutsch Muttersprachler…irgendwie abgetakelt.

Fazit: Künftig werde ich die leckeren Melonen im Paradies als „preiswert“ oder „günstig“ bezeichnen.

Doch nun habe ich den Spieß umgedreht – zumindest in Fantasie. Ich stellte mir vor, dass ich der Inhaber einer „fruit store“ bin und Frau M. ist meine deutsche Kundin. Eines Tages gerät sie in Verzückung über die „cantaloupe melons“. „O! Herr Sprachbloggeur“,sagt sie, „Your cantaloupes are simply delicious and soooo cheap!“

“Yes”, antworte ich, “They are quite inexpensive.” Oder: “They are priced quite nicely.”

Achtung, liebe Frau M.: “Cheap” klingt auf Englisch sehr sehr….cheap!
Jetzt ein bisschen Sprachgeschichte:

„Billig“ schrieb sich ursprünglich „bill-lich“. (Hinter „billig“/“billich“ steckt eine heute ausgestorbene dt. Vokabel „Bill“, das „Recht und „Gesetz“ heißt). Ursprünglich meinte „billig“ „gesetzlich“ – wie wenn man sagt, etwas sei „recht und billig“. (Der Gegensatz von „Bill“, „Unbill“, lebt noch heute. Kein Mensch weiß, warum). Vor etwa 250 Jahre wurden Waren, deren Preis man für „angemessen“ – also „gesetzlich“ – hielt, als „billig“ bezeichnet. Doch hier der Clou: Wenn einer etwas zu „angemessenen Preisen“ anbietet, prompt kommt die Konkurrenz daher und verlangt noch „angemessenere“ Preise. Aus „billig“ = gut, wurde bald „billig“ = geil.

Ein paar Worte zu „cheap“. Diese Vokabel ist eigentlich Lateinisch. Der „caupo“ war der Händler, der das römische Heer begleitete und die Soldaten mit Waren versorgte. Die Angelsachsen bezeichneten ihn als einen „Chapman“. Für die Deutschen war er übrigens ein „Kaufmann“.

Das Londoner Geschäftsviertel im Mittelalter hieß „Cheapside“ – oder vielleicht mal „Chapside“. Eines Tages wurden die Preise am „Cheapside“ immer…günstiger…immer preiswerter. Mehr brauche ich dazu nicht zu sagen.

Und jetzt wissen Sie, warum die Melonen im Paradies so günstig sind.

Triftige Leitlinien für Autoren und Verleger

Affi geht’s! Buchmesse is! Und ich nehme dies als Anlass, die wichtigsten Benimmregeln dieser Branche den werten Autoren und Verlegern vorzulegen.

Wichtigste Regel freilich: „It takes two to tango.“ Um Tango zu tanzen, braucht man immer zwei. In diesem Fall: „Autoren“ und „Verlage“.

Das Anbaggern, die Annäherung, das gegenseitige Beschnüffeln, die Ablehnungen, die einseitigen Verliebtheiten, die one-night-stands: all dies tanzt bei diesem leidenschaftlichen „Tango“ mit.

Das nur nebenbei. Alles der Reihe nach…

Leitlinien für Autoren

1.) Wenn Sie zu den Prominenten zählen, brauchen Sie nicht weiter zu lesen. Klicken Sie unter „Favorites“ auf „Facebook“. Für alle andere:

2.) Achten Sie darauf: Das Jahr hat zwar ca. 365 Tage, doch für Sie als Autor kommen etwa 21 dieser Tage in Frage, um Kontakt mit einem Verlag zu knüpfen. Wieso nur 21 Tage? Ganz einfach: Im Herbst ist Buchmesse. Für den Autor bedeutet das: Bereits zwei Wochen vor der Buchmesse sind die „Zuständigen“ unerreichbar. Eine Woche nach der Buchmesse ist ebenso schlimm. Alle Lektoren (ich meine selbstverständlich LektorInnen) sind noch dabei, ihre Erkältungen und sonstige Viren auszukurieren. Auf die Buchmesse folgen die Herbstferien und prompt weihnachtet es. Keine Chance also bis kurz nach Dreikönigen, um Ihr literarisches Anliegen darzustellen. Aber dalli dalli, denn nun folgt die Faschingswoche (bzw. Karneval) und dann die Frühjahrsbuchmesse und im Nu ist schon Ostern. Immerhin haben Sie nach Ostern ein paar Tage Zeit, um einen Lektor zu belästigen – wenn Sie Glück haben. Hegen Sie aber keine großen Hoffnungen: Bei ihm (bzw. ihr) ist ohnehin längst landunter und schon ist es Pfingsten und dann Sommer. Ein paar Tage im Juli kommen eventuell in Frage. Aber beeilen Sie sich. Denn den August können Sie vergessen: Ferien. Und dann ist wieder Herbst und Buchmesse.

3.) Ist Ihr „Skript“ (Kurzform für „Manuskript“) griffig und pfiffig? Prüfen Sie dies aufs Genauste. Sonst hört der Lektor nach dem ersten Absatz zu lesen auf. Am liebsten erzählen Sie, dass Sie 17 bis 19 Jahre alt sind und sexy. Behaupten Sie ohne Scham, dass Ihr Buch das üppige und schlüpfrige Leben Ihrer Zeitgenossen üppig und schlüpfrig beschreibt. Das kommt immer gut an.

4.) Gute Chancen haben Sie, den Lektor anzuturnen, wenn Sie sagen, dass Ihr Buch sich für eine „multimediale Darstellung“ eignet. Das wird der Lektor nicht ganz verstehen. Er (bzw. sie) weiß jedenfalls, dass Sie kein Grufti sind.

5.) Für Sachbuchautoren: „How-to“-Bücher sind immer „in“. Gier-Themen sind besonders beliebt. Sie wissen schon: Erfolg mit dem anderen Geschlecht, Pottenz, Geldanlagen und dergleichen.

6.) Achtung Achtung: Niemals selbst auf die Buchmesse mit einer Aktentasche voller „Skripts“ auftreten. Verleger fürchten sich vor unveröffentlichten Autoren. Sie könnten Virusträger sein.

Leitlinien für Verlage

1.) Kaufen Sie sich einen großen Müllcontainer für unverlangte und sonstige „Skripts“.

2.) Vergessen Sie nie: Der Autor ist (wenn kein Promi, oder man den Bestseller nicht sofort wittert) der Feind. Schaffen Sie ihn vom Leib – egal wie. Er will etwas von Ihnen. Bedenken Sie: Ihr Geld und Leumund stehen auf dem Spiel.

3.) Schicken Sie Ihre Vertreter zu den Sortimentern. Die Sortimenter wissen alles. Zu bemerken: Auf keinen Fall dürfen Vertreter das Wort „Amazon“ oder „E-Buch“ in Gegenwart von Sortimentern aussprechen. Lebensgefahr.

4.) Gehen Sie auf Partys, wo Prominenten sind und viel Alkohol fließt. Bearbeiten Sie die Prominenz, bis sie sich bereit erklärt, für Sie einen Bestseller zu schreiben. Fragen Sie die Sortimenter, was sie davon halten (Siehe Leitlinie Nr. 3).

5.) Sagen Sie das Wort „E-Buch“ so oft wie möglich. Ja, jeder weiß, dass es „baba“ ist. Versuchen Sie es trotzdem auch in Sätzen, die eine gewisse Begeisterung an den Tag legen, zu benutzen – auch wenn Sie nicht ganz verstehen, was es bedeutet.

Obige Liste zielt freilich nicht auf Vollständigkeit. Hauptsache Erfolg. Toitoitoi. Viel Glück, sog i.

Mit besten Empfehlungen
Ihr Sprachbloggeur

Bah! Leck mich an der Kulanz

Es geschah am Wochenende. Endlich wieder ins Museum, ich meine in die Pinakothek der Moderne, die monatelang wegen einer Reparaturarbeit geschlossen hatte.

Doch weil auch ich in letzter Zeit wegen meines lädierten Rückens selbst in der Reparatur war, machte ich mich mit einem Spazierstock auf den Weg in die Pinakothek. Den Stock brauche ich übrigens nicht fürs gehen, sondern allein fürs Bücken und Beugen. Meine Physiotherapeutin will nämlich, dass ich, wenn ich etwas heben will, in die Knie gehe anstatt mich, wie es normale Menschen tun, zu bücken. Da aber auch dieses in die Hocke gehen manchmal wehtut, habe ich den Stock quasi als Stütze. So viel zum Hintergrund.

Den Gehstock habe ich übrigens von Luise, Witwe meines mit 97 Jahren gestorbenen Lektoren, Ernst-Theo Rohnert. „Mein Mann bekam ihn“, so erzählte sie mir, „von einem Bekannten, einem Kunsthändler aus Zürich, Otto Ackermann. Auch er ist mit 97 Jahren gestorben. Vielleicht lebst auch du so lang.“ Ja, es ist ein schöner Gehstock, schlicht und elegant mit einer Spitze aus Metall.

Tagelang war ich mit dem Stock unterwegs. Es hat mich beflügelt, mit der Metallspitze klickklickklick auf dem Bürgersteig zu machen. Und der Stock war geradezu ideal, wenn ich im Supermarkt oder in der Buchhandlung am untersten Regal hinlangen musste. Ja, und alle meinten, ich sehe mit dem Stock so…elegant aus. Ja, das hört man gerne. Schließlich bin ich ja ein bisschen eitel.

Und damit komme ich zum eigentlichen Thema: Nein, nicht meine Eitelkeit, sondern die Kulanz. Ich war im Museum, war bestens gelaunt und ließ den Stock bisweilen tacktacktack gegen den Betonboden anprallen. Natürlich nur sachte. Schließlich wollte ich das Museum nach der Reparatur nicht kaputtmachen. Der Stock diente bloß als Stimmungsbarometer – wie des Hundes wedelnder Schwanz.

Dann geschah es. Während ich in einem Raum eine Reihe wunderschöner Fotos von William Eggleston bestaunte, sprach mich ein Wächter an: „Sie. So ein Stock ist hier im Haus nicht erlaubt“, sagte er. „Es geht nur mit Gummipfropf.“

Ich gebe zu: Ich war nicht restlos überzeugt, dass es eine solche Hausregel gibt. Das habe ich ihm aber nicht gesagt. Ich hatte keinen Grund, sarkastisch zu sein. Ich erklärte lediglich, dass ich den Stock nicht fürs Gehen brauche, sondern als Stütze für den Rücken und ohnehin tunlichst darauf achte, dass ich damit keine Löcher in den Boden bohre.

Er leierte aber das Gleiche wieder runter, und ich antwortete wieder wie vorhin. Man wiederholt sich gern, wenn man nicht viel zu sagen hat. Und dann passierte es: „Also, diesmal dürfen Sie‘s…aus Kulanz. Das nächste Mal nicht ohne Gummipfropf“, sagte er. War ich glücklich?

Zack! Aus mit der guten Laune. Warum? Weil mich dieses Wort „Kulanz“ irritierte. Ich dachte: Wie kann man etwas als Kulanz bezeichnen, wenn man von sich expressis verbis behauptet, er sei gerade kulant? Meiner Meinung nach ist jemand erst kulant, wenn er nicht behauptet, er sei es. Die „Kulanz“ des Wächters war also, meiner Meinung nach, keine. De Facto hat er mit Konsequenzen gedroht, hat gesagt: „Seien Sie vorgewarnt. Das nächste Mal mache ich Gebrauch von meiner Waffe.“

Und nun machte ich mir zum ersten Mal Gedanken über dieses Wort. Woher kommt es überhaupt? Erste Fantasie: Wahrscheinlich von „Kuli“ (damit meine ich nicht die Abkürzung von „Kugelschreiber“). Jeder „Kuli“ hofft nämlich auf „Kulanz“ – ein Balsam für die Unterdrückten. Zweite Fantasie: Das Wort ist mit dem italienischen und spanischen „culo“ verwandt. Notabene: „Culo“ bedeutet in diesen Sprachen der„menschliche Hinterteil“. Der italiener sagt, wenn irritiert: „Vaffanculo“ (gehe und tue es) in culo“. Die spanische Variante heißt: „Besa (küsse) mi culo“. Kulanz wäre demgemäß die Gnade des Aftermenschen.

Eins steht jedenfalls fest: „Kulanz“ hat nicht das Geringste mit „cool“ zu tun.

Studierte Etymologen werden behaupten, dass dieses Wort vom französischen – „couler“, „fließen“ ins Deutsche hereingeflossen ist. Auf Französisch bedeutet „coulant“ nämlich „nachsichtig“. Ich halte diese Etymologie für nicht mehr zeitgemäß.

Deshalb meine Empfehlung: Sagt einer, er mache etwas aus „Kulanz“, sollte der derart Begnadete folgendermaßen antworten (oder denken): „Danke, o Herr, und leck mich an der Kulanz.“

Was tut mehr weh: Englisch oder Deutsch? – eine Vergleichsschmerzfibel

Nein, ich lasse meine gute Laune wegen eines schäbigen kleinen Bandscheibenprolaps L2/3 und einer Spondylarthrose der LWS nicht vermiesen. Ich übersetze: wegen eines Bandscheibenvorfalls (wenn auch ein kleiner) und des Verschleißes meiner Lendenwirbelsäule.

Anstatt über meine scheußlichen Schmerzen zu jammern (Aua! Es tut verdammt weh, egal ob ich sitze, stehe oder liege! Im Ernst) möchte ich als Sprachinteressierter lieber das Phänomen meines Leidens vom linguistischen Standpunkt in Betracht nehmen.

Ich fange mit dem Einfachsten an: mit dem mitleiderregenden Ausruf „Aua“.
Zu bemerken: Diese Vokabel, eigentlich ein Laut aus der Kindersprache, darf man nicht mit AUA (Austrian Airlines) verwechseln.

Meine erste Begegnung mit diesem Wort fand bereits in San Francisco statt – lange bevor ich wusste, dass ich den Rest meines Lebens in Deutschland verbringen würde und dass ich eines Tages als verborgener Held den Namen „Sprachbloggeur“ führen würde.

Ich stellte fest, dass meine deutsche Lebensabschnittspartnerin, wenn sie von akuten Schmerzen heimgesucht wurde, „Aua!“ ausrief. Mir kam diese Vokabel irgendwie niedlich vor – ein bisschen weiblich (vielleicht weil das Wort mit „A“ endet) und sehr wehleidig –verweichlicht halt – verglichen mit unserem testosteronträchtigen amerikanischen Ausruf: „Ow!“. Ruft man „ow!“ aus, hören alle die Notlage heraus. Unser„Ow“ (als „au“ auszusprechen) klingt männlich, vollblutig, erwachsen. Es ist eindeutig in der Aussage. Ich glaube, dass „Aua“ unter seiner Zweisilbigkeit leidet. Sie nimmt wohl von der Unmittelbarkeit des Schmerzempfindens ab.

Übrigens: Unsere virile amer. Sprache verfügt über eine zweite Schmerzbekundung: „ouch!“, das – von der Aussprache her –dem dt. „autsch!“ gleicht. Denkbar ist, dass das dt. „autsch“ Denglisch ist. Ich habe dies aber nicht recherchiert. „Ouch“ teilt – mir jedenfalls– ein anderes Kaliber des Schmerzemfindens als „ow!“ mit. „Ow“-Schmerzen erscheinen mir allemal intensiver. Ein wahrer Leidender kann endlos „ow“ schreien: o-o-o-o-w-w-w—w-w! „Ouch“ ist staccato, beschreibt einen plötzlichen Schmerz, der schnell wieder vergeht.

Ich will hier aber keine Doktorarbeit über „ow“, „aua“ und „ouch“ schreiben. Mein eigentliches Thema ist nach wie vor mein lädierter Rücken – und zwar im sprachlichen Sinn. Besagtes Aua fing vor zehn Tagen an – traf mich aus dem heiteren Himmel wie der Schlag: Ich hatte mich gerade gebückt, um einen Stoffbeutel (etwa 300g) zu heben und zack! Gleich schoss die Hexe.

Übrigens: Ich mag den Begriff „Hexenschuss“ sehr. Die englische Sprache kann mit Gleichwertigem nicht aufwarten. Schade, dass die Erinnerung an Generationen von unschuldig gequälten Frauen dahinter steckt: die Schicksale von Frauen, die wegen des Körperverschleißes anderer angeprangert und bisweilen aufgeheizt wurden. Großes Aua. Man vergisst diese Epoche gerne, wenn man heute von seinem „Hexenschuss“ berichtet.

Ein schmerzliches Wort und trotzdem mag ich es, weil so bildhaft. Ich wollte Freunden in den USA mitteilen, dass ich einen Hexenschuss hatte. Mir fiel aber keine adäquate Übersetzung ein. „Lumbago“ (sprich „lumm-bäj-go) steht im Wörterbuch. Doch, „lumbago“ klingt mir irgendwie zu altbacken – etwas, das alte Männer mit Urinflecken an der Hose sagen, um auf ihre chronische Rückenschmerzen aufmerksam zu machen: Ouch, I have a touch of lumbago today.

Zum Glück konnte mir meine Babysitterin, Ethel, eine passende Übersetzung für „Hexenschuss“ unterbreiten: „back spasms“. Glauben Sie mir: Das klingt auf Englisch genauso quälend wie „Hexenschuss“ – nur anders.

Aber zurück zum „Bandscheibenvorfall“. Als ich diese Vokabel vor vielen Jahren zum ersten Mal zur Kenntnis nahm, war ich nicht besonders davon beeindruckt. Come on, liebe Deutsche, dachte ich, es gibt bestimmt eine vollmundigere Weise, dieses unangenehme Leiden zu schildern. „Bandscheibenvorfall“ klingt…ja… so höflich, so verdammt blutarm. Wenn ich an einen „Vorfall“ denke, stelle ich mir vor, dass man auf eine vorsichte Weise von einem kleinen, dummen Ereignis erzählen will. Das Kind verschüttet seine Milch. Die Lehrerin teilt dies der Mutti als einen „Vorfall“ mit. Jemand hat auf dem Markt Äpfel gestohlen. Wieder ein „Vorfall“. Rufen Sie die Polizei! Sollen diese unausstehlichen Schmerzen, die ich erleide, ein Vorfall sein? Lieber sage ich allen: „Ich habe ein Rückenaua.“

Auf Englisch heißt dieses scheußliche Leiden schlicht und einfach „slipped disk“. „Disk“ ist gleich „Bandscheibe“. „Slipped“ gibt die grausame Wahrheit wieder: Diese disk hat sich verrutscht. O-o-o-w-w-w! Bitte, liebe Deutsche, schenken Sie mir zu Weihnachten ein anderes Wort für „Bandscheibenvorfall“.

Dies verlangt einer, der dabei ist, bei bester Laune zu verschleißen.

Pages

Subscribe to Front page feed