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Sexualkunde beim Sprachbloggeur: z.B., die "Affäre Edathy"

Ich nehme auf mich die Rolle des sexuellen Aufklärers ungern. Bin kein Fachmann.

Aber dann las ich gestern in Spiegel-Online Auszüge aus einem Interview mit dem SPD-Politiker Sebastian Edathy. Er halte sich momentan versteckt in Südeuropa auf, würde gerne nach Deutschland zurückkehren – wenn sein Haus von Journalisten und Protestierenden nicht belagert wäre.

Das gesamte Interview ist in der Printausgabe des Spiegels zu lesen. Ich bin wie viele andere „Websurfer“ und lass mich nur mit kostenfreien Inhalten verköstigen. Ich habe die Zeitschrift also nicht gekauft.

Edathy behauptet in den Auszügen jedenfalls, dass er kein Pädophiler sei. Er halte es für zulässig, Nacktaufnahmen von Knaben (Bilder, die, wie er betont, nicht kinderpornografisch sind) aus Kanada zu bestellen. O-Ton Edathy: „In der Kunstgeschichte hat der männliche Akt, auch der Kinder- und Jugendakt, übrigens eine lange Tradition. Man muss daran keinen Gefallen finden, man darf es aber, ohne darüber öffentlich Rechenschaft abzulegen zu haben.“

Er fühle sich ungerecht verfolgt und von seiner Partei, der SPD, im Stich gelassen.

Was ist von alledem zu halten?

Meine Meinung: Sebastian Edathy hat recht. Er ist kein Pädophiler.

Und jetzt würde ich gern den Begriff der Pädophilie etwas genauer unter die Lupe nehmen.

Männer (und manchmal – wenn auch viel seltener –Frauen), die geschlechtsunreife Kinder (und sogar Säuglinge??!!) missbrauchen oder gar ermorden, um sich abartig zu befriedigen, sind eindeutig Pädophile. Sie vergehen sich auf „paidoi“, Griechisch für „Kinder“. Auch das Bedürfnis, Bilder oder Filme zu betrachten, in denen Kinder missbraucht werden, halte ich für sehr abartig.

Die Bilder, die Edathy aus Kanada bestellte, zeigen, wenn ich dies richtig erfasst habe, nackte Knaben im Alter vom neun bis vierzehn Jahren bei der Körperertüchtigung und nicht bei Sexspielen. (Letzteres wäre ein ganz anderes Problem). Der Fachsprache zufolge ist Edathy nicht als Pädophiler einzustufen, sondern als „Hebephiler“ (Attraktion für pubertierende Jungs und Mädchen) oder vielleicht als „Ephebophiler“ (Attraktion für Jünglingen zwischen der Pubertät und nach manchen Quellen Anfang 20).

Gerade die „Ephebophilie“ ist viel weiter verbreitet als es manchen lieb wäre, ebenfalls das weibliche Pendant, die „Parthenophilie“ (Attraktion für Mädchen zwischen Pubertät und etwa 17 Jahren).

Hier die Namen von nur einigen bekannten Ephebo/Parthenophilen: Caravaggio, Lewis Caroll, Thomas Mann, Adolf von Hildebrandt, Gustav Eberlein, Reinhold Begas, Wilhelm von Schadow und wohl beinahe jeder Maler, der jemals einen Heiligen Sebastian anfertigte. Auch der Filmemacher Pasolini zählt zu den Ephebo/Parthenophilen. Stellen Sie sich vor: Sie wären alle Mitglieder der SPD gewesen. Hätte man gegen sie ein Ausschlussverfahren angestrebt?

Fakt ist: Seit der Antike wird der geschlechtsreife jugendliche Körper bewundert und versinnlicht. Sogar in der mystischen Lyrik des islamischen Mittelalters (Al Ghazali, Rumi) wird die vorzügliche Schönheit des Mundschenks gepriesen. Maler (und Manga-Zeichner), auch diverse Fotografen heben die Reize dieses Alters auch heute hervor. Extreme Beispiele sind Will McBride, Larry Clarke und David Hamilton. Ihre Werke werden noch immer in deutschen Museen ausgestellt – und die Ausstellungen sind gut besucht.

Oder denken Sie an die Mode- und Werbefotografie. Zwar sind nackte Bilder von Jugendlichen in dieser Sparte eher die Ausnahme, doch Jünglinge und Mädchen werden mit Absicht erotisiert bzw. erotisierend dargestellt, weil sie so die Aufmerksamkeit des Konsumenten zu vereinnahmen vermögen.

Über die tieferen Gründe, die hinter diesem Phänomen stecken, werde ich heute nicht spekulieren. Es genügt zu sagen: Wenn das Interesse nicht vorhanden wäre, würde man die Jugend nicht so instrumentalisieren.

Jeder beherbergt eigene erotische Geheimnisse. Ich wage nicht zu erraten, welche Bilder und Geister in den Köpfen der Millionen spuken.

Ich denke, dass die Journalisten und Protestierende, die das Edathy-Haus belagern, das Feld endlich räumen könnten. Es gibt sicherlich viel wichtigere „Affären“ als die von Edathy.

Ende der Vorlesung.

Digitaler Schweinkram: das „Upskirting“

Kaum hat sich das „Selfie“ etabliert, schon steht das nächste denglische Import in den Startlöchern: das „Upskirting“.

Doch bevor ich ins Detail gehe, erst eine kurze Bemerkung zum „Selfie“. Denn diese Vokabel liefert den Beweis, dass Wortimporte nicht immer mit festem Artikel eintreffen.

Sagen Sie „das“, „der“ oder „die“ Selfie? Ich persönlich mag das „Selfie“ so wie das „Bild“ oder das „Selbstporträt“. Google kennt aber „die Selfie“ (vielleiht auf „Aufnahme“ basiert?) und ebenfalls „der Selfie“. Alle Varianten genießen – so jedenfalls Google – millionenfache Unterstützung. Bitte entscheiden Sie sich selbst. Sie sind die Muttersprachler. Ich bin bloß Migrant.

Aber jetzt zum „Upskirting“.

Ich gebe zu: Es gibt wichtigere Themen als dieses Wort zu erörtern, zumal die Spannungen zwischen Europa, den USA und Russland wegen des Krim und der Ukraine täglich wachsen. In Syrien sterben wöchentlich tausende Unschuldige in einem zynischen Proxykrieg. Und nun heißt es, dass Uli Hoeneß über 18 Millionen vor dem Fiskus versteckt hat!

Trotz alledem will ich Sie in die Geheimnisse des „Upskirting“ einweihen. Ja, es ist ein brandneues Wort, sieht allerdings aus wie eine uralte angelsächsische Wortschöpfung – mit „upbringing“ (Erziehung) oder „upload“ zu vergleichen. Betonung übrigens auf der ersten Silbe. Man könnte meinen, dass es dieses Wort seit eintausend Jahren gibt.

Weit entfernt. Das „Upskirting“ ist hundertprozentig postmodern, eine Schöpfung des digitalen Zeitalters. Ein neues Haus hinter einer alten Fassade. Zufällig ist es sogar mit dem „Selfie“ verwandt. Denn ähnlich dem digitalen Selbstporträt braucht man auch fürs „Upskirting“ ein Smartphone.

Aber jetzt wird die Sache etwas vulgär. Denn „Upskirting“ ist nämlich ein Begriff aus der Schweinkramfabrik. „Up“ bedeutet „hinauf“ und „skirt“ „Rock“. Falls Sie es noch nicht begriffen haben: „Upskirting“ ist das, was geschieht, wenn jemand (üblicherweise ein Mann) mit seinem Smartphone unter dem Rock einer fremden Frau ein Foto macht. Der Zweck: ihre Unterhose abzulichten.

Das „Upskirting“ wird, so meine Quellen, mit Vorliebe in der U-Bahn, im Bus und auch auf einer steilen Rolltreppe praktiziert, d.h. überall, wo man(n) Gelegenheit findet, eine solche kindsköpfige Handlung zu begehen.

War ich mit 14 Jahren, wenn ich ehrlich bin, anders? Damals entdeckten wir Jugendliche, dass uns auf der Rolltreppe im New Yorker Subway ein solcher intimer Blick gewährt wurde. Mit 15 waren wir allerdings schon aus diesem Stadium herausgewachsen. Das war damals.

Heute sind auch erwachsene Männer als „Upskirter“ unterwegs. Das haben wir aber dem Informationszeitalter zu verdanken. Die Pubertät hält heute dank den vielen elektronischen Spielzeugen bis zum 40. Lebensjahr an.

Aber wehe, wenn Sie im US-Bundesstaat Massachusetts beim „Upskirting“ erwischt werden. Dort droht Ihnen eine erhebliche Geld- oder Gefängnisstrafe – bis zu fünf Jahren, glaube ich.

Neue Verbrechen, neue Gesetze. Dieses neue Gesetz kam nämlich als Reaktion auf den Freispruch eines angeklagten „Upskirters“ zustande.

In Massachusetts, liebe Upskirter, empfiehlt es sich mit dem Smartphone nur zu telefonieren oder Pornoseiten zu surfen.

Kommt das „Upskirting“ auch mal nach Deutschland? Selbstverständlich. Der Wind weht meistens aus dem Westen. Doch vergessen Sie nicht: Sie haben, wenn es so weit ist, erst drüber erfahren beim Sprachbloggeur…zu Ihren Diensten.

Warum Ihre Sprache an der Inflation leidet: ein Beispiel

„Mach’s gut“, sage ich zu E. Er arbeitet in der Bäckerei, ist jung, hat Träume.

„Mach’s besser“, antwortet er.

Mach’s besser? Hmm. Das kenne ich irgendwoher, dieses „mach’s besser“. Ja, das kenne ich.

Szenenwechsel. Wir befinden uns in den USA. Wahrscheinlich in den 1970er Jahren. Die Zeit jedenfalls, als wir Amerikaner anfingen, die Abschiedsfloskel „Have a nice day“ runterzuleiern. Habe sie wahrscheinlich selber damals aufgesagt – vor allem beim Verlassen eines Ladens. Die Worte klangen heiter, passten gut zum zeitgenössischen Optimismus. Sie strahlten eine nette, unverbindliche Freundlichkeit aus.

Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, was wir für eine Floskel hersagten, bevor „have a nice day“ zur Mode wurde. Vielleicht: „Bye now“ oder „See you“. In den Südstaaten hieß es: „Y’all come back now“.

Ich erinnere mich nicht mehr genau, weil ich damals nach Deutschland ging und blieb, und bald tauchte ich in der Fremdsprache unter, im Deutschen also, und lernte in dieser mir fremden Sprache sogar träumen. Das mit dem „have a nice day“ verschwand mehr oder weniger aus meinem täglichen Bewusstsein. Dafür lernte ich „mach’s gut“ zu sagen – aber nur zu Menschen, mit denen ich per Du war. „Machen Sie’s gut“ sagte ich seltener. Und wenn ich ein Geschäft verließ, sagte ich ohnehin „schönen Tag“ oder an einem Freitag „Schönes Wochenende“. Immerhin ist „schönen Tag“ fast eine Übersetzung von „have a nice day“.

Aber jetzt ein bisschen Wirtschaftsgeschichte: Am Ende der 1970er Jahre, der Zeit also, als man „have a nice day“ erstmals aufsagte, ließ US-Präsident Carter die Bankgeschäfte deregulieren. Genauer gesagt: Er kapitulierte vor dem damals immer stärker gewordenen Druck der Finanzindustrie. Damit gewannen die Banken gewaltig an Macht und Einfluss. Eine Bank war fortan nicht nur der Ort, wo man seine Ersparnisse bunkerte oder vielleicht ein Darlehen beantragte, sondern auch die Stelle, wo man sich vom Bankberater immer wilder geschnürte Pakete, genannt „Instrumente“ ,„Fonds“, „Papiere“ usw., andrehen ließ.

Unter US-Präsidenten Reagan wurde diese Deregulierung noch weiter intensiviert, und bald schwappte die neue Mode auch nach Europa rüber.

Überall strebten Profitgierige nach Mehrwert. Doch komischerweise ist das Geld nicht wertvoller, sondern nur inflationärer geworden.

Können Sie sich erinnern, als Erdbeeren zwei bis vier Mark für 500g kosteten? Heute bezahlt man zwei bis fünf Euro. Zu Bedenken: Der Euro ist gleich ca. zwei Mark.

Daran dachte ich, als mir E. „Mach’s besser“ wünschte. Klar, er meinte es mit mir gut. Denn „besser“ ist immer mehr als „gut“.

Und seit den 1980er Jahren trällert der Amerikaner, wenn er sich höflich verabschieden will: „Have a great day“. „Great“ klingt größer als „nice“. Ist doch klar.

Da das Geld inflationärer wurde, warum auch die Sprache nicht?

Meine Frage: Was geschieht mit der sprachlichen Inflation, wenn die Wirtschaft einmal wieder kräftig kracht? Oder wenn die heutige Deflation schlimmer werden soll?

Kann man etwas wieder gut machen, nachdem man’s schon besser gemacht hat?

Ich weiß es nicht und wage keine Antwort. Doch Fortsetzung folgt…

Mit Hängen und Würgen etc. – über ein paar Tote und übers Geschäft

Der Tod durch Erhängen erfolgt langsam oder schnell.

Wenn der Todeskandidat durch die Falltür stürzt, wird die Halswirbelsäule schleunigst durchtrennt. Der Tod tritt sofort ein. Nicht hübsch anzusehen, dafür aber schnell. Wird einer – wie zum Beispiel im Iran – rückartig von einem Kran hochgezerrt, dann kann es passieren, dass der (oder die!) Gehenkte erst nach Minuten erstickt.

Am Londoner Tyburn-Galgen, der bis 1783 am Anfang der Oxford Street nahe Hyde Park stand, wurde das verzweifelte Treten der Beine des erstickenden Gehenkten als „die Tyburn Gigue tanzen“ (dancing the Tyburn jig) beschrieben.

Ich habe keine genauen Informationen darüber, wie Hashem Shabani und Hadi Rashedi gehenkt wurden: ob vom Kran – oder ob sie auf dem Dach eines Wagens standen, und die Schlinge um den Hals an einer Ampelanlage befestigt war. Man wartet und wartet. Dann fährt Wagen ab und zack!

Fest steht: Den Berichten zufolge schieden beide aus dem Leben wegen: „moharebeh“ (Gotteshass) und „mufsid-fil-ars“ (Korruption auf Erden) – Kapitalverbrechen in ihrer iranischen Heimat.

Beide Hingerichtete zählten zur Ahwasi-Minderheit, einer Arabisch sprechenden Bevölkerungsgruppe im Iran. Offensichtlich hatte Shabani in seinem Blog die Behandlung von Minderheiten in seinem Land etwas zu leidenschaftlich kritisiert. Er war übrigens Lyriker.

Vielleicht deshalb, ich meine, weil er Lyriker war, hat mich sein Schicksal so gerührt. Lyriker hegen stets eine Schwäche für Berufskollegen. Im Iran, so habe ich im WehWehWeh gelesen, wurden in den letzten Jahren, sogar viele Lyriker als vermeintliche Umstürzler hingerichtet.

In China werden vermeintliche Umstürzler wegen des Inhalts eines kühnen Blogs – so weit wir informiert sind – nicht mehr hingerichtet, sondern ins Gefängnis gesteckt.

Übrigens: Über Shabani und Rashedi erschien arg wenig in den westlichen Medien.

Dafür hingegen sehr viel über den Tod vom Schauspieler Philip Seymour Hoffman, der wegen einer Drogenüberdosis aus dem Leben schied. Da ich seit Jahren selten ins Kino gehe, war mir Hoffman kein Begriff. Die Medien heben gern bestimmte Lieblingstote hervor: Elvis, Michael Jackson, Eisbär Knut…Publikumslieblinge halt.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Es tut mir wirklich leid, dass Elvis, Michael Jackson und Knut nicht mehr unter uns weilen. Es tut mir auch leid, dass Philip Seymour Hoffman gestorben ist.

Doch wenn Menschen hingerichtet werden, weil sie Blogger, Poeten, gewaltlose Aktivisten, Homosexuelle oder schutzlose Geiseln sind, tut es mir noch mehr leid – vor allem, wenn kaum einer davon erfährt.

Im Augenblick betreibt der Iran eine Kuschelpolitik mit dem Westen. Nichts dagegen einzuwenden. Der neue Präsident Rouhani wirkt sympathisch und pflegt dieses Image sehr. Aber wer weiß? Hätten die Medien mehr über die Ahwasi-Aktivisten berichtet, wären die zwei vielleicht noch am Leben.

Oder vielleicht ist die Zeit einfach ungünstig, um auf solchen Dingen zu beharren. Schließlich geht es um die Öffnung von neuen Märkten. Auch ein Grund, weshalb auf Regierungsebene im Okzident nur kleinlaut gegen die Verhaftung von Xu Zhiyong protestiert wird.

Wer möchte, dass ein paar Tote die Geschäfte kaputtmachen?

Okay. Ich gebe zu. Ich grantele heute ein bisschen.

Es gibt aber solche Tage. Außerdem: Mir tun die Opfer eines Unrechts immer leid. Mir tun aber gleichwohl ihre Richter und ihre Henker leid…denn sie wissen nicht, was sie tun…

In eigener Sache: Pause jetzt bis Anfang März – bin auf Weltenreise.

SEPA-Sex – eine inbrünstige Bitte an die NSA (enn-ess-äää)

Glauben Sie auch, dass das Leben hauptsächlich eine Verquickung von Zufällen und Unfällen ist? Von den Abfällen nicht zu reden.

Hier ein Beispiel:

Gestern war ich auf der Bank, wo ich zum ersten Mal eine „SEPA“-Überweisung tätigte. So schlimm war die Sache nicht. Man muss nur darauf achten, dass man die schier endlosen Zahlen richtig einträgt. Sonst erhält womöglich ein Unbekannter das überwiesene Geld und darf es sogar, wenn er will, so die neuen Gesetze, auch behalten.

Am gleichen Tag entdeckte ich – ja, so wollte es der Zufall –, in meinem Sprachbloggeur-Mailkonto eine Email mit Absender „Sparkasse“ Berliner Straße 40-41 in Berlin. Die Mail lautete wie folgt:

„Sehr geehrter Kunde,

Wie Ihnen wahrscheinlich bekannt ist, tritt ab 01.Februar 2014 das neue SEPA-Zahlungssystem in Kraft. SEPA (Single Euro Payments Area) ist das neue vereinheitlichte Zahlungssystem, das europaweit gilt. Mit dem neuen SEPA-System werden Überweisungen nicht nur schneller und zuverlässiger, der Zahlungsverkehr wird durch dieses neue System auch sicherer.

Bitte folgen Sie den Anweisungen des untenstehenden Links…“ usw.

Natürlich war die Mail eine Fälschung. (SEPA macht sicherer. Das ich nicht lache).

Immerhin scheint das Deutsch korrekt zu sein – wohl brav abgeschrieben. Ganz offensichtlich das Werk eines „Phishers“, der im trüben Wasser des Internets nach Leichtgläubigen fischt.

Ich gebe zu: „Phisher“ ist ein witziges Wort. Denn es trifft den Nagel wirklich auf den Kopf. FYI (for your information) übrigens ist diese Vokabel schon seit dem Jahr 2000 im Umlauf, eine Abwandlung, wie jeder weiß, von „fishing“. Einer Quelle zufolge stammt diese cyberenglisch „PH“-Konstruktion von „phreak“. Es existiert außerdem – seit 1983 – eine Rockband namens „Phish“. Möglich auch: Das „PH“ in „Phishing“ könnte durch „phony“ (brit. „phoney“) beeinflusst gewesen sein. Das aber nur nebenbei.

Man erkennt falsche Links immer, wenn man den Kursor am Hypertextlink hält (ohne ihn freilich anzuklicken!). Dann erscheint die wahre Adresse, die leicht als Fälschung zu erkennen ist.

Doch jetzt eine Frage an Sie, liebe NSA, ich meine enn ess äää. Denn sicherlich landet auch diese meine Seite, wie jede Seite, wie auch die Phishing-Mail, die ich von der Fantasie-„Sparkasse“ erhielt, im großen Maul Ihres Rechnerkönigreichs, um dort verschlungen und verdaut zu werden.

Liebe NSA, wenn Sie in der Lage sind, alle Mails zu erfassen, alle Telefongespräche, alle SMSe usw. zu erschließen, warum können Sie um Gottes Willen mit den Phishern, den Spammern und dem restlichen Abfall im WehWehWeh nicht aufräumen? Einfach aufräumen!

Wieso wissen Sie alles über mich, Angela Merkel und über Siemens vielleicht auch, aber nichts über all jene Gangster, die bestimmt mittlerweile Milliarden verschieben und reinwaschen?

Denken Sie nicht an die Steuermilliarden, die Ihnen durch die Lappen gehen?

Wäre das vielleicht keine Motivation für Sie? Na bitte.

Oder soll ich aus ihrer Tatenlosigkeit schließen, dass Sie vielleicht kein Interesse haben, die Phisher hinter Schloss und Riegel zu bringen? Hmmm?
Nur ein paar naive Fragen eines Menschen, der die Welt immer unvollkommener versteht.

Mit freundlichen Grüßen
Ihre Sparkasse

Exklusiv: Unterhaltungen mit Marsmenschen – eine Einleitung

Vielleicht haben Sie die Nachricht schon gehört. Ich meine von dem Stein, der jüngst dem Mars-Rover „Opportunity“ über den Weg gelaufen ist.

Plötzlich war er da. Wie aus dem nichts erschienen. Einfach da, an einem Fleck Mars-Boden, der bereits zwölf Tage zuvor vom Rover befahren worden war, ohne dass vorher ein Stein zu sehen war.

Der Stein sei „mit nichts, was wir bisher gesehen haben, zu vergleichen“, beteuerte ein Sprecher der Nasa.

„Wir erblickten diesen Stein“, so Steve Squyres, einer der leitenden Wissenschaftler des Mars-Projekts. „An den Rändern erschien er weißlich auch in der Mitte. In einer dunklen Vertiefung im Mittelpunkt war die Farbe dunkelrot – wie ein Krapfen.“

Die Nasa behauptet, der Stein bestehe aus Schwefel, Magnesium und außerordentlich vielem Mangan. Was aber keiner zu wissen scheint: wieso er da ist. War hier in den letzten Tagen ein Meteorit eingeschlagen? Wurde er von einer unter Druck stehenden Bodenhöhle hoch geschleudert? Wurde er von einem Rad des Rovers in Bewegung gesetzt? So lauten die gängigsten Theorien.

Ich kenne aber eine andere Erklärung für dieses Phänomen: Dieser „Krapfen“ ist das, was gemeinhin als „Marsmensch“ genannt wird.
Nein, keine Fantasie meinerseits. Ich habe diese Info aus besten Quellen.

Und kein Einzelfall dieser „Krapfen“. Es gibt sie auf dem Mars wie Sand am Meer – und es sind im Übrigen sehr intelligente Lebewesen. Doch warum haben sie sich gerade jetzt erst blicken lassen? Mit Sicherheit haben sie ihre Gründe. Darüber aber möchte ich noch nicht spekulieren.

Mein Interesse an diesen Kreaturen, vulgo „Marsmenschen“, gilt lediglich der Sprache. Denn sie sind in der Tat der Sprache mächtig. Der Clou aber: Ihre „Sprache“ ist, wie ich neulich erfahren habe, für unsere Vorstellungen ebenso gewohnheitsbedürftig wie ihre steinige Gestalt. Genauer gesagt: Ihre ist eine Gedankensprache.

Wer jemals einen Gedanken gefasst hat, weiß, wovon ich rede: keine Nomen, Verben usw. sondern lediglich durch Willen bewegte Bilder.

Machen wir die Probe aufs Exempel: Übersetzen Sie selbst in die Gedankensprache folgende Sätze: 1.) „Ich will das erst sehen, bevor ich es glaube.” 2.) „Wenn der Mond hinter dem Horizont verschwindet, sieht man noch mehr Sterne.“

Verstehen Sie, wie ich‘s meine? Beide Sätze werden, wenn man sie in die Gedankensprache übersetzt, zu durch den Willen bewegten Bilderkomplexen. „Wörter“ im üblichen Sinn findet man in dieser Sprache nicht. Es gibt also für die Gedankensprache keine Wörterbücher.

Solche Bilderkomplexen sind die Grundlage für jede Verständigung mit anderen Wesen, die für diese Sprache empfangsbereit sind.

Auch wir Irdischen machen mitunter diese Erfahrung. Sicherlich haben Sie selbst das erlebt, was man unter „Gedankenübertragung“ versteht. Aber anders als die Marsmenschen wissen wir selten, wer der Urheber des Gedankens war: ich oder der andere. Manchmal fragen wir, ob wir beide zeitgleich das Gleiche gedacht haben.

Für „Marsmenschen“ besteht diese Unsicherheit nicht. Die Gedankenübertragung ist die einzige Sprache, die sie verstehen.

Ist Mars der Reise wert? Wenn Sie sich gern mit Steinen unterhalten, dann ja.

Schon jetzt versucht die NSA, Google und vielleicht, wie ich erfahren habe, auch Facebook dieses Verfahren zu patentieren…

Des Sprachbloggeurs Führer für unschlüssige Zeitrechner

Wie heißt dieses Jahr? Nein, kein Witz. Ich frage im Ernst. Leben wir im Jahr „zwanzigvierzehn“ oder „zweitausendvierzehn“? Oder vielleicht im Jahr „zweitausendUNDvierzehn“. Möglich wäre auch „zwanzighundert(und)vierzehn“.

Die Frage ist ernst, weil es dazu noch keine endgültige Antwort gibt.

Die ersten zehn Jahre des neuen Jahrtausends waren dank Stanley Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“, der bereits 1968 auf der großen Leinwand zu sehen war, easy zu meistern. Dreißig Jahre hatten wir Zeit, um diese erste Jahreszahl des neuen Jahrtausends einzuüben. Und da es auch eine deutsche Buchhandelskette mit diesem Namen gab, war alles schnell in Butter.

Klar, dass auf „zweitausendeins“ „zweitausendzwei“ folgte. Doch dann schrieb man 2010. Und schon fing das echte Grübeln an. Sogar der Duden hatte sich zu diesem Thema geäußert.

In einem kurzen online Text aus der Zeit erörterte der renommierte D.-Verlag die verschiedenen Möglichkeiten: „zweitausendzehn“, „zweitausendundzehn“ und „zwanzighundert(und)zehn“. Seltsamerweise aber nicht „zwanzigzehn“. Duden wollte sich jedenfalls nicht festlegen.

In einem amerikanischen Wikipedia-Beitrag mit der Überschrift „2010“ wurde die Problematik der Aussprache ebenfalls direkt thematisiert. Der Autor dieses Artikels erwähnte zwei, eigentlich drei, Varianten: „two thousand (and) ten“ und „twenty ten“. Auch hier kam jedoch keine Empfehlung.

Fest steht: Angelsachsen und Niedersachsen handhabten die Jahreszahlen im vorigen Jahrhundert konsequent unterschiedlich. George Orwells Roman heißt, z.B., auf Englisch „Nineteen Eighty Four“, auf Deutsch „Neunzehnhundertvierundachtzig“. Franzosen hingegen räumten sich im vergangenen Jahrhundert in dieser Sache stets eine gewisse Flexibilität ein. Die Jahre des 20. Jahrhunderts fingen entweder mit einem „dix-neuf-cent…“ also „neunzehnhundert…“ oder einem „mille-neuf-cent…“, „tausendneunhundert…“ an.

Im einundzwanzigsten Jahrhundert haben sich die Franzosen nun eindeutig für „zweitausendund…“ usw. entschlossen. Momentan leben wir im Jahr „deux mille quatorze“, Zweitausendvierzehn.

Ende 2013 führte CNN eine Meinungsumfrage via Telefon über dieses Thema durch. 52 Prozent der Befragten nannten das kommende Jahr „two thousand and fourteen“. 46 Prozent peilten das Jahr „twenty fourteen“ an. „Two thousand fourteen“, (also ohne „and“) stand komischerweise nicht zur Debatte. Amerika hat sich scheinbar noch nicht entschieden. Diese Unschlüssigkeit gilt, nehm ich an, auch für Großbritannien.

Und Deutschland?

Auch hierzulande wurde, wie es scheint, noch keine bindende Entscheidung getroffen. Vielleicht bleibt es im deutschen Sprachgebiet wie bei der Vokabel „Email“, dessen Artikel in Deutschland „die“ und in der Schweiz „das“ lautet.

Ich googelte gestern „zweitausendvierzehn“ und das Suchprogramm registrierte ca. 20.000 Treffer; Ich machte das gleiche für „zwanzigvierzehn“ und bekam ca. 320.000 Treffer. Also doch „zwanzigvierzehn“? No comment. Morgen könnte es ohnehin ganz anders aussehen. Fest steht nur: „ZweitausendUNDvierzehn“ wird höchstwahrscheinlich ein Rohrkrepierer bleiben.

Letztendlich wird sich das Problem (wenn man es überhaupt als „Problem“ bezeichnen sollte), von allein lösen. So ist es eben mit den Sprachen. Wörter beißen sich nur mittels eines Konsenses durch. Wenn etwas richtig klingt, ist es halt richtig.

Nächstes Jahr, also 2015, werden wir alle schlauer sein.

Schumis Unfall – Breaking News im globalen Dorf

„Weißt du, warum Deutsche so gern übers Wetter reden?“ fragte mich mein Sohn, ein Pragmatist.

„Ich denke, man redet übers Wetter, um einem anderen Menschen wenigstens etwas sagen zu können. Manche ertragen die Stille nicht“, antwortete ich.

„Oder vielleicht sind Deutsche wirklich vom Wetter besessen“, sagte mein Sohn, „Das Thema ist für uns vielleicht so brennend interessant, weil das Wetter in unserem Breitengrad so wechselhaft ist.“

Ja, er hat recht. Das Wetter ist hier ziemlich wechselhaft…

Es muss aber nicht immer nur das Wetter sein, was die Menschen zusammenschweißt. Man kann auch unterhaltsame Gespräche über das „Selfie“ führen („Was? Machst auch du Selfies?…usw.“) oder über Schumi. („Schrecklich, was dem Michael Schumacher passiert ist. Es hat mich wirklich betroffen…usw.“). Oder die Geschichte von Frau Merkels Beckenbruch beim Langlaufskifahren. („O Gott. Jetzt geht die Welt endgültig zugrunde. Es hat auch der Merkel erwischt…usw.“)

Alles Gesprächsfetzen aus dem großen Dorf. „Global Village“ auf Englisch.

Können Sie sich noch erinnern? Es war Marshall McLuhan, der den Begriff „Global Village“ als erster formulierte. Er starb 1980, ohne jemals eine einzige Email geschickt zu haben, ohne den WehWehWeh gesurft zu haben. Er kam auf die Idee des globalen Dorfes lediglich durch das Fernsehen.

Nebenbei: Die Breaking-News über Schumis Unfall erfuhren wir, d.h., meine Frau und ich, in der „Heute Sendung“. Es war das erste Thema an dem Tag. Zuerst teilte der Nachrichtensprecher die Begebenheiten nüchtern mit – im Hintergrund sah man ein Schumi-Foto. Dann folgten die Videoaufnahmen vom Unfallort und wieder die Umstände. Schließlich wurde ein Reporter live vor dem Krankenhaus in Grenoble ausführlich vom Nachrichtensprecher befragt. Der Reporter wiederholte alle bereits bekanntgemachten Fakten. All dies dauerte ca. fünf Minuten. Also ein Drittel der gesamten „Heute Sendung“ handelte von Schumis Unfall. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Es ist nicht, als ob der Schumacher diese Aufmerksamkeit nicht verdient hätte. Immerhin hatte er beim Formel 1 sehr oft gesiegt. Und ohnehin, wer möchte täglich Berichte übers Sterben in Syrien sehen, oder übers Völkermord im Kongo, im S. Sudan oder im längst vergessenen Darfur. Manchmal fühlt man sich so hilflos, wenn man die Bilder sieht. Oder Berichte über Hungersnot. Und das mit Israel und Palästina geht einem mitunter wirklich auf den Keks.

„Warum muss man das gleiche fünfmal wiederholen?“ fragte mich meine Frau, während der Reporter vor dem Krankenhaus in Grenoble mit ernster Stimme über Schumis Verletzungen berichtete.

„Es waren nur dreimal“, korrigierte ich.

Übrigens: In den Xinhau-Nachrichten aus China kann man lauter lustige „Selfies“ beäugen. Ja, so was ist halt der Kitt, mit dem eine Nation zusammengehalten wird: mit „Selfies“ oder mit dem Drama um den Eisbrecher, Xuelong („Schneedrache“), der in der Antarktis, nach der Rettung des russischen Forschungsschiffes Akademik Schokalski selbst eines Eisbrechers bedarf.

Sorry. Ich möchte, wenn ich mir übers globale Dorf Gedanken mache, die Ernsthaftigkeit von Schumis Unfall – auch nicht vom Merkel‘schen Beckenriss – nicht schmälern. Ich wünsche beiden gute Besserung – ebenfalls eine baldige Befreiung vom ewigen Eis fürs Xuelong.

Klar. In jedem Dorf, auch im globalen Dorf, reagiert man besorgt über das Wohlergehen der Nachbarn und dergleichen.

Und manchmal denkt sich jemand einen cleveren Namen aus für etwas, das es schon lange gibt: zum Beispiel, das „Selfie“. Auf einmal reden alle im Dorf vom „Selfie“.

Vielleicht deshalb redet man auch gern übers Wetter.

Warum ich heute glücklich bin

Es hätte schlimm enden können. Sehr schlimm, und dann wäre dieser heute ein ganz anderer Text geworden.

Das Unglück taucht immer auf wie aus dem nichts.

Ich stand vor der Papiertonne mit meinem Papiermüll und war dabei Kartonfetzen, alte Eierschachteln, Zeitungswerbung usw. durch den Schlitz im Deckel der blauen Papiertonne zu befördern. Dann ist es passiert…flutsch, gefolgt von einem leisen „klack-klack-klack-klick-klack-rumpa-rumpa“ und dann Stille. Große Stille.

Was ist geschehen? Meine Ringe, d.h. mein Ehering und der Ehering meines Vaters, die ich beide am Ringfinger der linken Hand trage, flutschten widerstandslos vom Finger ab und verschwanden in der Papiertonne.

So einen Augenblick muss man erst verdauen. Man merkt, wie sehr man manchmal an kleinen Dingen hängt, Dinge, die einen idealen Wert haben.

Was tat ich nach dem ersten Schock? Vorsichtig öffnete ich den großen, schweren blauen Deckel der Tonne und begann im Chaos des Papiermülls nach meinen Ringen zu suchen. Bergungsarbeit halt. Man fängt sachte an, in der Hoffnung, dass das Gesuchte nicht allzu weit in den Tunneln, Höhlen und Kanälen des Papiergewühls verschwunden ist.

Ich versetzte Kartonfetzen, entsorgte Taschenbücher, Toilettenpapierrollen, die jemand nicht mehr haben wollte, alte Kuverts, Werbeblätter, Verpackungen usw., schob sie hin und her, in der Hoffnung dass die Ringe nicht allzu weit weggerollt waren.

Und siehe! Beginner’s luck. Ein Ring trat schnell in Erscheinung: der Ehering meines Vaters. Plötzlich war er da, als wäre das das Selbstverständlichste auf der Welt. Er lag auf einer papiernen Unterlage, als würde er einen Mittagsschlaf halten. Ich griff vorsichtig nach ihm und holte ihn erleichtert aus dem Papierchaos. Vielleicht ist auch mein Ehering in der Nähe, sann ich und beseitigte wieder sachte neue Papierebenen, die ich dann um mich auf den Boden herunterwarf. Vergebliche Liebesmühe. Er war nirgends aufzutreiben. Nun grub ich tiefer in der Tonne, so tief, dass ich fast den Tonnenboden erreichte, und kaum mehr wegen der vielen Schatten und des schlechten Lichtes da unten etwas klar hätte sehen können. Zusätzlich erschwerend war die Tatsache, dass ich bisher den schweren blauen Tonnendeckel auf meinem Kopf balanciert hatte, denn es gab keine andere Möglichkeit, den Deckel in offener Stellung zu halten.

Mir war jetzt klar: Um weiter zu kommen, würde ich Werkzeug brauchen. Ich kehrte in meine Wohnung zurück, legte meines Vaters Ring in die Sicherheit meines Schreibtisches nieder und holte eine Taschenlampe und zwei Besen. Der eine sollte als Stütze dienen, um den schweren blauen Deckel offen zu halten. Mit dem zweiten wollte ich im Müll wühlen.

Ab in die Arbeit. Stück für Stück entfernte ich nun das Altpapier aus der Tonne. Bald stand ich knöcheltief im Papiermüll. Doch keine Spur vom Ring. Vielmehr verspürte ich die wachsende Verzweiflung. Umso mehr war ich entschlossen, wenn nötig, den ganzen Inhalt der Tonne auszuleeren. Ja, die Tonne war groß, die Menge des Papiermülls schien schier endlos, und der Ring war klein. Trotzdem wollte ich nicht resignieren. Ich wühlte weiter und beleuchtete die sichtbar gemachten Oberflächen und Höhlen mit meiner Taschenlampe.

Als ich ein großes, sperriges Stück Kartonage aus der Tonne zu entfernen beabsichtigte, erspähte ich an der hinteren Wand der Tonne einen Halbkreis aus Metall. Mein Ring? Oder vielleicht, wie ich vermutete, lediglich eine Niete, die in der Tonnenwand zu Zwecken der Lüftung eingestanzt war. Das wollte ich jetzt näher untersuchen und benutzte dafür den zweiten Besen, genauer gesagt die Kunststofföse an der Spitze des Besenstiels als Sonde. Ich langte mit der Öse direkt in die Niete und hielt sie fest gegen die Tonnenwand. Es war aber keine Niete. Es war tatsächlich mein Ehering. Nicht zu früh sich freuen, mahnte ich mich trotzdem. Die Situation war immer noch sehr prekär. Eine falsche Bewegung…

Sachte verschob ich den Ring, den ich mit der Öse gefangen hielt, entlang die Tonnenwand... bis ich ihn mit meiner Hand ergreifen konnte. Gerettet. Erleichterung.

Als Nächstes räumte den Papiermüll, der sich um mich aufgestapelt hatte, wieder in die Tonne, nahm meine zwei Besen, meine Taschenlampe und meinen Ring und kehrte in meine Wohnung zurück. Nein. Kein Gefühl des Triumphs. Ein Gefühl der großen Dankbarkeit.

Denn die kleinen Dinge können auch große Dinge sein.

Ich bin dankbar, dass ich nicht der Erfinder der „Enkelkindmasche“ (siehe Spiegel-online) bin. Ich bin dankbar, dass ich keine Kinderprostituierten weltweit vermittele. Ich bin dankbar, dass ich keine Daten aus dem Netz entwende. Ich bin dankbar, dass ich meine zwei Ringe wiederhabe, und dass ich Ihnen heute eine frohe Botschaft fürs neue Jahr bringen kann, ohne von eigenem Verlust bedruckt zu sein.

Ich bin dankbar, dass ich Sie als Leser habe, und ich bin dankbar, dass ich Freude habe, für Sie diese Glossen zu schreiben.

Ein gutes, gesundes, erfolgreiches 2014 wünscht Ihnen Ihr Sprachbloggeur.

PS: Das Verlieren-und- Wiederfinden ist eine altbewährte Handlungstechnik der Weltliteratur. Manchmal sind es auch Menschen, oft Geliebte, die sich verlieren und wiederfinden. Nicht von ungefähr ist diese Technik beliebt. Wir freuen uns immer, wenn das, was dem Anschein nach verlorengegangen ist, doch wieder in Erscheinung tritt.

Die Grammatik der Politik: Anfängerkurs

Als Wladimir Putin die „Pussy Riot“ vors Gericht ziehen ließ, habe ich damals geweissagt, dass es public-relationsmäßig unmöglich sein würde, Frauen, die sich als „Muschirandaliererinnen“ bezeichneten, für schuldig zu befinden, ohne das Justizsystem ins Lächerliche zu ziehen. Und sollte sie trotzdem schuldig gesprochen werden, würde man sie auf Geheiß des Staatsoberhaupts alsbald laufen lassen.

Doch W.P. hat die „Muschirandaliererinnen“ nicht laufen lassen. Sie kamen ins Gefängnis. Nicht anders war sein Umgang mit den Greenpeace-Aktivisten und natürlich mit dem Erzfeind Michail Chodorkowski. Diese aber nur nebenbei erwähnt.

W.P. ist aber nicht das Thema dieser Glosse. Er dient hier lediglich als Beispiel eines grammatischen Problems. Genauer gesagt, dass es in der Grammatik für eine einzige syntaktische Situation manchmal mehr als eine richtige Antwort gibt – was, ich gebe zu, eine frustrierende Erkenntnis für jede(n) Sprachenlernende(n) sein kann.

Aber nun ein anderes Beispiel. Diesmal der englischen Grammatik entnommen.

Hier erfahren Sie, wie ich einer Gruppe Studenten – die meisten waren Deutsche – die Feinheiten des englischen Verbalsystems zu erläutern versuchte.

(Wie ich überhaupt in diese Situation kam, ist eine etwas längere Geschichte, die ich an dieser Stelle nicht zu schildern vorhabe. Sie ist ohnehin hier irrelevant).

Um meinen Studenten das nicht gerade einfache Verbalsystem der englischen Sprache zu veranschaulichen, erteilte ich eine Übung aus einem uralten (1957) britischen Lehrbuch, „Modern English Practice“. Zweck der Übung war, die Lücke im jeweiligen Satz mit der passenden Verbalform zu ergänzen. Folgende Zeiten standen für diese Übung zur Wahl: einfache Vergangenheit, Perfekt, Futur, zweite Vergangenheit und auch alle entsprechende Verlaufsformen. Am ersten Tag paukte ich diese Übungssätze mit einer einzigen Studentin.

Hier ein Satz aus dieser Übung: „Since the war we…… (build) up an efficient export sales organization, which….. (introduce) our biscuits into several countries that formerly…… (never, import) any biscuits.”

Besagte Studentin ergänzte die Lücken folgendermaßen: “have been building”, “has introduced” und “never imported”. Ich war mit ihren Lösungen einverstanden.

Am nächsten Tag nahmen mehrere Studenten an dieser Klasse teil. Ich entschloss mich, die Übung vom vorigen Tag auch mit der neuen Gruppe durchzuarbeiten. Die Studentin vom vorigen Tag war übrigens ebenfalls zugegen. Diesmal ergänzte ein Student die Lücken mit folgenden Antworten: „have built“, „introduces“ und „never imported“. Ich war mit seinen Antworten einverstanden.

„Verzeihung“, fragte die Studentin vom vorigen Tag. „Gestern haben Sie ganz andere Antworten für richtig erklärt“, und prompt zitierte sie die gestrigen Lösungen. „Welche sind also die richtigen?“

Es war ein Augenblick der Wahrheit, wie sich jede(r) Lehrer(in) nur wünscht. „Tja“,, sagte ich. „Sie sehen wie grausam die englische Grammatik sein kann. Fakt ist: Sie erlaubt bisweilen mehr als eine richtige Antwort fürs gleiche Problem. Aber nicht verzagen. Das ist auch eine gute Nachricht: So wird einem eine gewisse Freiheit gewährt. Doch freuen Sie sich nicht zu früh. Manches bleibt trotzdem falsch.“

Auch in der Politik gibt es Alternative, die grammatisch einen Sinn ergeben, liebe Studenten der Grammatik der Politik. Aber auch hier bleibt manches immer falsch…

Ein dunkler Text, und ich weiß nicht, warum ich ihn heute unbedingt schreiben wollte. Doch so dunkel der Text auch sein mag, werden die Tage ab jetzt immer länger. In diesem Sinn wünscht der Sprachbloggeur allen Lesern und Nichtlesern frohe Weihnachten und helle Stunden.

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