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Das hässlichste Wort in der deutschen Sprache

Über die hässlichste Vokabel in der deutschen Sprache zu schreiben: das habe ich mir vorgenommen. Denn ich weiß, wie sie lautet.

Doch dann geschah es – wie ein Blitzschlag aus dem kollektiven Unterbewusstsein: Ich bin nämlich auf eine Leserzuschrift in der Münchener Abendzeitung gestoßen. Und siehe da: Jemand schien auf der gleichen Schiene zu seinawie ich!

Sie heißt Anneliese Niekamp. Ich kenn sie persönlich nicht und weiß sonst gar nicht über sie außer einer Sache: Wir sind wohl beide Leser der AZ…oder sollte ich lieber „Leser*Innen“ dieser Zeitung sagen?

Nein brauche ich wirklich nicht. Ich glaube, Frau Niekamp würden, sollte sie sich als Teil eines gegenderten Wortes entdecken, die Haare zu Berge stehen. Hier zum Beispiel ein Zitat aus ihrem Leserbrief, der in der Pfingst-Feiertagausgabe dieser Zeitung veröffentlicht wurde:

„Entweder wird gegendert oder nicht. Wenn ich schon mal dabei bin, die Anlieger-Schilder. Ich fühle mich als Frau ausgegrenzt und bitte darum, die Schilder mit „Anlieger*innen neu aufzustellen.“

Ja. So stand es im. „Leserforum“

Hmm. Wäre es eigentlich nicht korrekter – ich meine politisch korrekter – anstatt „Leserforum“ „Lesendeforum“ zu schreiben? Oder falls das zu blöd klingt, vielleicht „Leser*Innenforum“?

Kein Wunder, dass einer manchmal das Gefühl hat, dass die Genderist*Innen nicht wirklich konsequent genug durchgreifen. Eben das ist worüber sich Frau Niekamp beklagte, als sie sich ein Schild vorstellte, worauf „Anlieger*Innen frei“ oder so ähnlich stehen würde.

Aber ich wollte Ihnen heute eigentlich meine Wahl für das hässlichste Wort in der deutschen Sprache vorstellen und wurde dann abgelenkt, weil ich gemeint habe, dass Frau Niekamp über das gleiche Wort schwadroniert hatte wie ich. Das stimmte aber nicht, wie ich nun entdecke.

Jedenfalls: Mein Kandidat in diesem Wettbewerb heißt…“Studierendenschaft“.
Für einen Augenblick habe ich mir eingebildet, dass auch Frau Niekamp dieses Wort auf den Magen ging, aber ich habe mich geirrt. Frau N. hat vielmehr in ihrem Leserbrief („Leser*Innenbrief“?) Folgendes geschrieben:

„Was sind Sie dann nun, Studenten oder Studierende? Studierendenwerk – wie sich das anhört! Komisch, sehr komisch. Und dann die U-Bahn- und Bushaltestelle ‚Studentenstadt‘. Sofort, aber sofort plädiere ich dafür, dass sie ab jetzt ‚Studierendenstadt‘ heißt…“

Amen!

Nun muss ich selber überlegen, ob „Studierendenschaft“ wirklich das hässlichste Wort der deutschen Sprache ist. Vielleicht ist „Studierendenstadt“ ebenso hässlich oder noch mehr so. Bloß: „Studierendenstadt“ ist eine Fantasieschöpfung. „Studierendenschaft“ gibt es tatsächlich.

Oder vielleicht bin ich noch nicht aufs hässlichste Wort in der deutschen Sprache gekommen. Wahrscheinlich könnte man die Kandidatenliste erweitern. All diese Gedanken haben wir der sprachlichen Gleichberechtigung zu verdanken.

Jetzt muss ich also nochmals darüber nachdenken, ob auch andere frische Hässlichkeiten noch hässlicher sind. Arme deutsche Sprache. Sie war einst so schön.

Vielleicht haben auch Sie einen eigenen Lieblingskandidaten, die Sie vorschlagen möchten. Man kann es nie wissen.

Nebenbei: Hoffentlich werde ich von der AZ wegen irgendeiner Urheberrechtsverletzung nicht verklagt. Man weiß es heute nie. Immerhin habe ich die Quelle ordnungsgemäß angegeben.

Ein kurzer Exkurs über die Sklaverei – für Sprachinteressierte (und andere)

Wir schreiben das Jahr 1581. Es ist Juli, und wir befinden uns nahe Pisa an der Mittelmeerküste, wohin wir Michel de Montaigne auf einer langen Reise begleitet haben.

Montaigne hatte im vorigen Jahr, d.h., 1580 seine heute berühmten Essays veröffentlicht. „Essay“ bedeutet auf Französisch „Versuch“ und stammt aus dem lateinischen „exagium“, das etwas wie „Erwägung“ bedeutet. Nun ist Montaigne auf Reise.

Genauer gesagt: Er nimmt auf sich die lange Strecke von seiner Kleinstadt namens Montaigne in der Nähe von Bordeaux nach Italien, wo er sich am Heilbad bei Lucca Linderung für seine schmerzhaften Nierenkoliken erhofft. Nebenbei: In seinen Essays pflegte der Leidende stets abschätzig über die Ärzte zu schwadronieren. Doch die Literatur und die Wirklichkeit sind, wie jeder weiß, zwei Paar Schuhe.

Übrigens: Dieses Tagebuch seiner Reise ist ein faszinierendes Werk. Man erfährt, wie es damals im täglichen Leben in Frankreich, Süddeutschland, in der Schweiz und in Italien ausgesehen hat. Kann ich nur empfehlen.

Aber zurück nach Pisa. Wir lassen Montaigne selbst berichten:

„Am zweiundzwanzigsten [Juli] landeten hier in der Nähe drei türkische Korsarenschiffe und entführten fünfzehn bis zwanzig Fischer und arme Schäfer als Gefangene.“

Ende des Zitats und weg waren sie. Die Piratenschiffe stachen auf nimmer wiedersehen wieder in See.

Was wollten diese Piraten von diesen italienischen Fischern und Schäfern? Ganz klar: Diese sollten im osmanischen Reich als Sklaven verkauft werden! Was sonst?

Ich weiß: Dies ist eine längst und gern vergessene Episode in der europäischen Geschichte. Doch fakt ist: Jahrhunderte lange verübten osmanische Freibeuter Menschenraubzüge in Europa. Darüber hat Mozart eine Oper komponiert: Die Entführung aus dem Serail.

Doch keine Sorge: Es waren nicht nur die Osmanen, die aus dem Menschenhandel einen profitablen Sport gemacht haben. Hier noch ein Zitat aus Montaignes Reisebericht:

„Am selben Tag [er meint hier den 14. Juli] flohen in der Nähe meines Hauses einundzwanzig türkische Sklaven aus dem Arsenal und bemächtigten sich eines voll ausgerüsteten Ruderschiffs…“

Das mit der Sklaverei schien damals eine weitverbreite Sitte zu sein. Zur gleichen Zeit waren auch arabische Freibeuter an der sog. „barbarei Küste“ Nordafrikas recht aktiv im Geschäft – und blieben so bis zum 19. Jh!

Ja so waren die Menschen damals: ob Türken, Araber, Europäer – auch übrigens Afrikaner. Trotz alledem bleibt uns am bekanntesten uns allerdings jener ominöse Handel europaseits vor allem der Handel mit Afrikanern, die in die Neue Welt als unfreiwillige Arbeitskräfte verfrachtet wurden. Vergessen Sie aber nicht: Das Wort „Sklave“ bezog sich ursprünglich auf gefangene Slawen, die von Magyaren an Byzantiner verkauft wurden.

Und auch nicht zu vergessen: Schließlich waren es Engländer, die schon Mitte des 18. Jh begannen, dieses Geschäft moralisch in Frage zu stellen, und sogar die ersten Gesetze gegen die Versklavung von Menschen verabschiedeten, was wiederum peu à peu das Ende der Sklaverei in Europa einläutete. In Nordafrika und im osmanischen Reich hat dies etwas länger gedauert, bis man diesen Handel einstellte.

Eigentlich war es ziemlich überraschend, dass auf die Sklaverei verzichtet wurde. Denn sie war seit der Antike in vielen Kulturen eine Selbstverständlichkeit. Vielleicht hat man dank der industriellen Revolution keine Sklaven mehr gebraucht!?

Ende der Geschichte? Nein, eigentlich nicht. Heute, so habe ich gerade eben in den Nachrichten gehört, leben ca. 50 Millionen Erdbürger in der Sklaverei. Schlagen Sie selbst beim Vorsitzenden Google nach. Er weiß alles, und wir werden zusehends zu Sklaven seines Allwissens…

Schwul, schwül – und andere Schwulitäten

Als ich vor vielen Jahren mit der kalten Sophie in Deutschland ankam, taten die Eisheiligen ihrem schauerlichen Ruf keinen Abbruch. Ja es war wirklich saukalt, grau und oft regnerisch.

Damals waren mir die Eisheilgen aber kein Begriff. Ich war frisch aus Kalifornien aufgetaucht, wo der Mai wirklich ein Wonnemonat ist. Doch das Wetter in dem Sinn ist heute nicht mein Thema.

Wir fangen lieber mit zwei Wörtern an, die im heutigen Deutsch jedem Neuling – wie mir damals – angehalten wird, unterscheiden zu lernen: schwül und schwul.

Ich habe diesen Unterschied in einer gewölbten Kellerkneipe kennengelernt. Dort war ich eines Abends mit meiner damaligen Lebensabschnittspartnerin und ihrer Freundin Dörte.

Meine Lebensabschnittspartnerin war gerade auf dem „Klo“ – auch das damals ein neues Wort für mich. Ich stand da mit Dörte unter einer Wölbung und schaute in die Welt hinein. Die Musik war laut und das Stimmenmeer beinahe unerträglich. Ich glaube nicht, dass man dort tanzte. Das hätte mir lärmmäßig gefehlt.

Dörte war ein liebenswerter Mensch, aber im Grunde hatten wir einander nicht viel zu sagen. Mein bescheidenes Deutsch und ihr bescheidenes Englisch hätten zwar ein Gespräch ermöglicht; dies fand aber nicht statt.

Plötzlich aber wollte ich im Gedränge doch etwas Wichtiges mitteilen: „Ich bin warm“, sagte ich.

Dörte lachte. „Nein, lieber David“ – sie sagte immer „David“ zu mir, weil sie nichts mit dem Namen „PJ“ anfangen konnte. Na ja. Auch daran musste ich mich gewöhnen – „Nein, lieber David. Du willst eigentlich ‚mir ist warm‘ sagen. ‚Ich bin warm‘ hat eine andere Bedeutung, nämlich dass du schwul bist.“

Dieses Wort „schwul“ kannte ich bereits. Meine Lebensabschnittspartnerin arbeitete im Filmgeschäft. Insofern hatte ich keine Schwierigkeiten Dörtes Satz zu verstehen.

Und nun folgte die zweite Belehrung. „Und noch dazu, lieber David. Achte darauf, dass du niemals ‚schwul‘ und ‚schwül‘ durcheinanderbringst. Damit wirst du dir diverse auftretende Peinlichkeiten ersparen.“

Ja. Es war wirklich eine Sprachlektion fürs Leben. Und bis heute denke ich an Dörte, wenn ich diese zwei Wörter – und ebenso das mit „warm“ in den Mund nehme. Fremde sind vor nix gefeit, wenn sie unvorbereitet in der Fremdsprache losplappern.

Gerade heute habe ich wieder an Dörte gedacht, und zwar deshalb, weil ich – endlich – nach etlichen Jahren auf die Idee gekommen bin, diese zwei Wörter, „schwul“ und „schwül“ sprachgeschichtlich zu untersuchen.

Die große Überraschung: Das Wort „schwül“ ist neueren Datums. Meinem Kluge „Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache“ zufolge, wurde diese heute übliche Vokabel „schwül“ durch die Nähe zu „kühl“ beeinflusst. Das heißt: Irgendwo in Deutschland begannen Menschen „schwül“ im Sinne von „heiß und stickig“ zu sagen anstelle der älteren Form, die „schwul“ lautete. Ja, genau. Ich weiß nicht, warum diese Änderung stattgefunden hatte. Vielleicht hatte man bereits damals „schwul“ im Sinne von homosexuell zu gebrauchen begonnen. Kluge sagt dazu nichts.

Fakt ist aber: „Schwul“ bedeutete ursprünglich – schlicht und einfach – „warm“ oder „heiß“ und ist mit „schwelen“ verwandt. Wann Homosexuelle zum ersten Mal als „warme Brüder“ bezeichnet wurden, weiß ich auch leider nicht. Mit Sicherheit hat Vorsitzender Google oder Meisterplapperer Chat-GPT die Antwort gleich parat.

Aber Sie sehen: „schwul“ und „warm“ sind auf beiden Fronten doppeldeutig: im Sinne von homosexuell und auch temperatur- und luftfeuchtigkeitsmäßig.

Vielleicht hätte Dörte mir vor zwei- oder dreihundert Jahren sagen müssen: „Nein, lieber David, ‚mir ist schwul‘, muss du sagen. ‚Ich bin schwul‘ hat bei uns eine andere Bedeutung.“

Seien Sie vorgewarnt: Will man eine Fremdsprache lernen, gerät man leichter in Schwulitäten als man denkt.

HTTPS für mich und Sie!

Es gibt auf dieser Seite eine Neuigkeit, die Ihnen wahrscheinlich gar nicht aufgefallen ist. Dennoch ist sie – wie man auf Englisch sagt – ein „game changer“, d.h., so etwas wie eine bahnbrechende Neuerung. Manche Leser werden aber mehr davon verstehen und darüber urteilen als ich.

Doch genug des Um-den-heißen-Brei-Redens: Diese Seite steht seit ca. einer Woche unter Naturschutz. Ach, schon wieder ein dummes Wortspiel! Genauer gesagt: Schauen Sie sich die Web-Adresse genau an. Wo früher „http“ zu lesen war, steht nunmehr „https“. Was bedeutet das?

Eigentlich weiß ich nicht ganz genau. Ich vermute aber, dass der Sprachbloggeur nun weniger interessant für Spammer geworden ist oder vielleicht, dass Sie sich jetzt nicht mehr befürchten müssen, dass ein Besuch auf dieser Seite damit enden könnte, dass Ihnen Ihre intimsten Geheimnisse durch dunkle Kräfte und Cyber-Geier verschnabuliert werden könnten.

Auf keinen Fall habe ich jedenfalls vor, Ihnen Dienste und Dinge zu verkaufen, wo ich dann https-mäßig Bezahlinfo von Ihnen verlangen würde. Letztendlich bleibt alles beim Alten – nur, wenn ich’s richtig verstanden habe, halt sicherer.

Außerdem, was sollte ich Ihnen verkaufen? Wörter? Geschichten über Wörter? So etwas bekommt man im WehWehWeh überall kostenlos. Fakt ist: Geschichten über Wörter zu erzählen, macht mich einfach Spaß.

Doch da wir beim Thema Geld und Internet gelandet sind, fällt mir Folgendes ein: Einst war das Internet nicht als Markt konzipiert, sondern als Zauberland der Informationsvermittlung. Können Sie sich noch erinnern? Können Sie sich noch erinnern, dass Sie früher alles, was Ihnen das Internet zu bieten hatte, mühelos haben konnten, und zwar kostenlos? Das galt auch für die nötige Software! Wer kam auf die Idee, Geld auszugeben für Signale aus Licht und manchmal Ton, die man „Information“ nannte?

Klar verlangten Microsoft und Co. schon damals Geld für ihre „Software“, schönes, frisch aus dem Boden gestampftes Wort, das an „Hardware“ erinnern sollte. „Die „Hardware“ waren die Dinge wie Rechner, Maus, Drucker usw., die man kaufen musste. Die „Software“ übersetzte „Bits“ und „Bytes“ in lesbare Information.

Microsoft und Co. haben damals Exorbitantes für „Programme“, wie man sagte, verlangt. Notabene: Das war einst ein neues Wort. Doch im Nu war auch die Rede von „Raubkopien“ (was ebenso eine neue Spracherfindung), die – fast – jeder benutzte, außer man war Profi, d.h., Zahnarzt, Steuerberater, Berufsfotograf usw. Solche Leute mussten (und müssen) tief in die Tasche greifen.

Doch jetzt zurück zu „https“, zu Deutsch „Hypertext Transfer Protocol Secure“, womit die sichere Übertragung von Daten vom Browser zu einer Webseite gemeint ist.

Bitte fragen Sie mich nicht, wie das funktioniert. Ich habe immer noch nicht verstanden, wie das Telefon funktioniert. Nur Folgendes weiß ich zu berichten: Da diese Seite namens Sprachbloggeur „secure“ geworden ist, also „sicher“, sind Sie irgendwie in einer risikofreien Zone gelandet.

Das heißt: Sie können davon ausgehen, dass hier keine digitale Wegelagerer Sie auflauern oder ausspionieren werden.

Und? Geht es Ihnen besser? Spüren Sie die Sicherheit wie eine lauwarme Brise?
Wenn Sie mich fragen: Man soll sich auch über kleine Sachen freuen, und wenn man nicht unbedingt weiß, wozu sie gut sind.

Klub der einsamen Herzen: für Papageien und Mars-Reisende

Als ich zwanzig Jahre alt war, überreichte ich die Miete für mein möbliertes Appartement wöchentlich meiner Wirtin. Bei diesen Gelegenheiten stand ich neben dem Käfig, wo ihr Papagei sein Dasein fristete, und plauderte mit der greisen Wirtin (Name vergessen). Einmal steckte ich einen Finger zwischen die Gitterstäbchen, um dem Papagei eine Streicheleinheit zu verpassen. Der Papagei hat gleich – und kräftig – zugebissen. Meine Wirtin lächelte hämisch.

Inzwischen weiß ich, warum der Vogel mich gebissen hat: Er war einsam und wahrscheinlich reichlich frustriert.

Der unspektakuläre Fakt ist: Papageien mögen gern Gesellschaft – am liebsten die von Artgenossen. Ein Mensch kann seinem Papagei nur so viel Zuwendung geben. Uns fehlen aber Federn, Flügel und sonstige Merkmale, die einen Papagei in den siebten Vogelhimmel katapultieren könnten. Für einen Papagei sind andere Papageien sympathischer als jeglicher Mensch. Ist irgendwie logisch.

Doch nun ist es einer Gruppe Wissenschaftlerinnen der Universität von Glasgow und der Northeastern Universität in Boston womöglich gelungen, eine konkrete Abhilfe für einsame Papageien zu verschaffen. Diese Tierforscherinnen haben Papageien die Kunst des Videogesprächs mit Artgenossen beigebracht. Und die Sache scheint wohl zu funktionieren!

18 Testvögel nahmen an diesem Experiment teil.

Als Erstes lernten die Papageien Mitvögel als Bilder auf dem Phone oder dem Tablet – wie bei einem Dating-Service – kennen. Wenn ein Papagei einen sympathischen Artgenossen unter den Fotos entdeckte, wurde der ausgewählte Vogel einfach angerufen. Es folgten dann ein „live“ Gespräch zwischen den zwei Vögeln.

Was heißt Gespräch? Papageien tun das, was Papageien – unter sich – immer tun: Sie kreischen, sie putzen sich in Synchro oder trillern einander Papageienlieder zu usw.

Wie gesagt. Es waren 18 Papageien. Und bald stellte sich heraus, dass die Tiere ihre Präferenzen im Punkto Freundschaft zum Ausdruck brachten. So ist es halt. Man (bzw. vogel) hat immer seine Vorlieben, was die Zuneigung betrifft. Bald wussten die Tiere genau mit welchen Artgenossen, sie „telefonieren“ wollten. Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, so zeigten sie aufs Bild des Kumpels – wie eben bei einem Dating-App.

Darüber hinaus: Um den Wissenschaftlerinnen mitzuteilen, dass sie Lust hatten mit einem Artgenossen ein Gespräch zu führen, brachte das kontakthungrige Federvieh eine Glocke zum Bimmeln. Das diente als Zeichen. Und prompt kontaktierte die jeweilige Wissenschaftlerin den erwünschten Gesprächspartner.

Man möchte denken, dass diese Sache irgendwie liebenswürdig oder putzig ist. Ohnehin eine schöne Lösung, um einsame Papageien zu sympathischen Artgenossen zu führen.

Dem ist aber, wenn Sie mich fragen, nicht so. Mich hat diese traurige Geschichte ein wenig an eine Glosse erinnert, die ich im letzten Jahr auf dieser Seite veröffentlicht hatte. Die hieß „Brief eines letzten Überlebenden der Mars Mission“ (http://sprachbloggeur.de/node/837).

Mein sympathischer Raumschiffabenteurer – er heißt Bradley – schreibt an Elon Musk, und zwar mit der freundlichen Bitte, ihn, Bradley, nach Erden zurückzuholen. Ein vergeblicher Wunschtraum wohl, da – so wie wir im Brief erfahren – diese einst anspruchsvolle Mission längst auf Erden als gescheitert gilt. Und welcher Geschäftsmann schmeißt gutes nach schlechtem Geld nach?

Immerhin hat unser Gefangener auf dem Mars die Möglichkeit via „Interskype“ in Kontakt mit der Erde zu bleiben. Ebenso bekommt er Gitarrenunterricht (ohne allerdings die Möglichkeit Duetten zu spielen wegen der Entfernung, die die Signale durchqueren müssen). Bradley schaut sich auch Netflix Serien noch und nöcher an und wird ebenfalls mit Pornografie bei Laune gehalten. Dennoch ist er – wie jeder Papagei im Käfig – alles anders als glücklich.

Doch vielleicht hätte mich der Papagei meiner Wirtin nicht gebissen, wenn es damals einen Video Dating-Service für Papageien gegeben hätte. Etwas ist immer besser als gar nichts. Und wie jeder weiß: Papageien gelten ebenso wie Menschen als sehr intelligent.

Die künstliche Dummheit und die Erfindung des Fensters

Beinahe wollte ich über die künstliche Dummheit schreiben. KD ist zwar im Augenblick vielleicht nicht so bekannt wie KI; ich wage aber zu behaupten, dass sie viel verbreiteter ist als man denkt – Tendenz steigend.

Hier eine persönliche Begegnung: Letzte Woche habe ich auf dieser Seite die Frage gestellt, ob die KI Angst vor dem Tod hatte.

Die Frage ist berechtigt, und ich habe mich direkt an die KI-Programme gewandt und deren Antworten dann veröffentlicht.

Stellen Sie sich vor, was aber ein paar Tage später passiert ist. Offensichtlich hatten diverse Internetbots das Stichwort „KI“ im Titel meiner Glosse registriert, und prompt machten sie den Versuch, diese beliebte Seite namens „Sprachbloggeur“ zu bestürmen. Natürlich vergebens. Heutzutage hat man Schutzmaßnahmen, um solche Angriffe abzuweisen.

Denken Sie an eine Hornochsenherde, die im wilden Getrampel wie Lemminge in den Abgrund stürzen. Denn genau das haben meine KD-Bots getan. Es gab keine Möglichkeit, die Schutzmauer dieser Seite zu knacken, um sie mit Texten über gefälschte Antivirus-Programme, Penisvergrößerer, Pornografie, Phishing, etc. etc. zu verseuchen.

Wissen Sie, wieviel Energie es kostet, diese Bots in Gang zu setzen? Der CO2-Fußabdruck ist mit Sicherheit viel höher als der der ganzen Autoindustrie. Mein Vorschlag: Jedes Mitglied der Letzten Generation sollte sich mit Sekundenkleber an den Rechnerzentren ankleben, wo diese KD-Bots produziert werden.

Mein Administrator Herr P. meinte, als ich über diesen abgewehrten Angriff berichtete, dies wäre ein interessantes Thema für den Sprachbloggeur. Ich lehne das Thema aber ab. Denn heute möchte ich lieber über das Licht berichten. Genauer gesagt über die Geschichte des Fensters.

Neulich fand in München eine beeindruckende Ausstellung in der sog. Antiken Sammlung statt. Sie hieß „Neues Licht aus Pompeji“ und hat ein Thema wahrlich veranschaulicht, worüber ich bisher keinen einzigen Gedanken gemacht habe: über die Beleuchtung der Innenräume in Pompeji.

Möchten Sie wissen, wie es in diesen römischen Räumen ausgesehen hat? Ich kann die Frage mit einem Wort beantworten: düster. Und wissen Sie warum?
Ganz einfach: Weil man damals keine Fenster in den Häuserwänden gebaut hatte. Warum nicht? Weil man Angst vor Räubern hatte!

Das klingt beinahe wie heute, nicht wahr? Wir machen unsere Webseiten so fensterlos wie möglich, weil auch wir Angst vor Räubern – genauer gesagt „Phishern“ etc. – haben.

Eigentlich gab es doch so etwas wie Fenster in manchen Häusern in Pompeji. Sie waren aber winzig klein und ohne Glas, vielleicht groß genug, um einen Menschenarm zu umrunden.

Nebenbei: Fensterglas scheint ca. 60 n.Chr. eine neue – sprich „höchstmoderne“ Erfindung gewesen zu sein. Man nannte diese durchsichtigen Scheiben, die plötzlich der letzte Schrei waren – sie waren allerdings nicht allzu groß – „speculares“ – will heißen „durchschaubare Dinge“. Auch der römische Philosoph Seneca berichtet darüber.

Die Germanen nannten diese Öffnungen etwas wie „ougdura“, d.h. „Augentüre“. Die Angelsachsen und die Nordmenschen hatten ein ähnliches Wort, und noch dazu sagten manche „vindauga“, ein „Auge“ (sprich „lichtempfindlich“) für den Wind.

Zuerst waren sie ohne Glas; später mit.

Diese Fakten versteht die KD nicht. Kann sie nicht verstehen. Die KI wäre hingegen sicherlich in der Lage darüber zu berichten.

Hier nun ein Hoffnungsschimmer: Langfristig gibt es natürlich keine Zukunft für die KD, dafür aber eine lange Vergangenheit.

Haben KI-Bots Angst vor dem Tod? Fragen Sie Dante!

„Haben Sie Angst vor dem Tod?“ Diese Frage habe ich neulich Chat-GPT gestellt. Notabene: Ich habe Chat-GPT gesiezt. Denn ich bin der Meinung, dass das Siezen eine sinnvolle Einrichtung in der deutschen Sprache ist.

Hier nun ein Teil seiner Antwort:

„Als künstliche Intelligenz habe ich keine menschliche Emotionen oder Empfindungen, daher kann ich nicht sagen, ob ich Angst vor dem Tod habe oder nicht.“

Notabene: Chat-GPT schreibt „keine menschliche Emotionen“. Das ist freilich falsches Deutsch. Das erwähne ich aber nur nebenbei.

Seine Antwort geht aber weiter:

„Allerdings kann ich sagen, dass viele Menschen Angst vor dem Tod haben, da er oft als das Ende des eigenen Daseins und aller Erfahrungen und Beziehungen angesehen wird…etc.“

Plausible Antwort…oder?

Nun habe ich dem Microsoft-Bing-KI-Bot die gleiche Frage gestellt. Hier ein Teil seiner Antwort:

„Eine Thanatophobie ist keine Seltenheit und kann bei vielen Menschen auftreten. Fast jeder fürchtet sich vor dem Sterben und der Tod wird meistens mit negativen Dingen assoziiert…“

Sie sehen: Das Bing-KI-Bot hat meine Frage überhaupt nicht beantwortet. Vielmehr habe ich ein paar Gemeinplätze über die Todesangst unter Menschen serviert bekommen.

Ich hätte auch gern Googles „Bard“ dieselbe Frage gestellt. Doch erst hätte ich mich bei Google anmelden müssen, was mir viel zu umständlich vorkam. Im Zeitalter der künstlichen Intelligenzen will man sich ohnehin nicht immer überall anmelden. Man weiß nicht, wohin das alles führt.

Doch eine kurze Zusammenfassung des Bisherigen: Immerhin hat Chat-GPT recht vernünftig beantwortet. Und wer weiß? Vielleicht hätte Chat-GPT4, das Update meines KI-Bots, noch vernünftiger geantwortet, wenn ich die gleiche Frage gestellt hätte. Doch das hätte im Augenblick Geld gekostet. Außerdem bin ich überzeugt, dass ich bereits von den zwei KI-Bots die einzigen möglichen KI-Antworten erhalten hatte.

Aber wer weiß? Vielleicht hätte ein anderes KI-Bot unter dem Begriff „Tod“ etwas wie „den Strom ausschalten“ verstanden. Dann wäre es interessant zu wissen, was dieser Vorgang für ein KI-Bot bedeutet hätte.

Wahrscheinlich nichts. Denn letztendlich „verstehen“ KI-Bots – genauer gesagt – verinnerlichen nichts. Sie sind denkende und nicht fühlende Dinge. Sie verarbeiten nur das, was ihnen von Menschen eingetrichtert wird.

Diese Tatsache kann man auch anders ausdrücken: Sie leben ausschließlich in der Vergangenheit – unserer Vergangenheit.

Und jetzt ist die Zeit gekommen, einen kurzen Abstecher in Dantes Inferno zu machen – will heißen vom Standpunkt des deutschen Literaturkritikers Erich Auerbach.

Der jüdische Professor Auerbach hatte das Glück vor dem 2. Weltkrieg rechtzeitig Deutschland zu verlassen, und zwar in Richtung Istanbul, wo er 1936 einen Lehrauftrag an der Universität Istanbul erhalten hatte. Während seines elfjährigen Aufenthalts in dieser schönen Stadt verfasste er das Buch „Mimesis: dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur“: bis heute ein Klassiker.

In einem Kapitel über Dantes Divina Commedia teilt er seinen Lesern eine profunde Beobachtung mit: Die Bewohner von Dantes Inferno seien nur in der Lage, über die Vergangenheit zu erzählen. Oder sie spekulieren mal über die Zukunft. Was ihnen aber fehlt – so Auerbach – ist ein Wissen – besser gesagt ein Bewusstsein – für die Gegenwart.

Kommt das Ihnen bekannt vor? Ja genau! Das ist das Schicksal der KI! Sie kennt sich in der Vergangenheit (zumindest manchmal) bestens aus, und sie kann auch über die Zukunft fantasieren. Was aber die Gegenwart betrifft, darüber hat sie keine Kenntnisse.

Und nun wissen Sie, warum die KI-Bots keine Angst vor dem Tod haben.

Influencer, Lügen und Tongyi Qianwen

Ich hatte vor, eine Satire über „Influencer“ zu schreiben.

Ich bin auf diese Idee gekommen, weil ich feststellte, dass die Sprecher in manchen Videos, die ich über technischen Themen im Internet konsultiere – ob über Fotoapparate, Rechner, Phones, Betriebssysteme usw. –, eben doch keine unparteilichen Berichterstatter sind, sondern Verkaufsleute. Heute sagt man dazu: „Influencer“.

Meine Satire sollte – so meine Idee – mit der freundlichen Stimme eines Influencers (oder einer Influencerin) anfangen, und zwar folgendermaßen:

„Hallo liebe Zuschauer, liebe Zuschauerinnen und liebe ZuschauerInnen. Wie Sie wissen, halte ich mich auf den Laufenden, wenn es um Türklingeln von der Firma Zauberklang geht…“

An diesem Punkt gelangt, war ich überzeugt, dass sich mein Witzchen ein bisschen harmlos anmutete. Um ein solches Thema spannend anzupacken, muss man richtige Namen nennen, was wiederum einiges an Recherchen erfordert. Das wäre für mich theoretisch kein Problem gewesen. Schließlich war ich früher praktizierender Journalist und weiß, wie man zeitaufwendig recherchiert.

Doch diese Satire werde ich nicht schreiben. Schauen Sie selber mal bei YouTube. Sie werden schnell die vielen Influencer entdecken, die so tun, als würden sie kritisch über neue Produkte berichten.

Ich werde diese Satire auch aus einem anderen Grund nicht schreiben: Denn während ich darüber nachdachte, fiel mir ein anderes Thema, das auch irgendwie mit Influencern zu tun hat, ein: Und zwar, dass es im Zeitalter der Inforevolution, deren holprigen Anfang wir gerade durchmachen, im Allgemeinen immer schwieriger wird, zwischen Wahrheit und Unwahrheit zu unterscheiden.

Denn jetzt hatte mich (und Sie) die Nachricht erreicht, dass seit Wochen 53 (wenn nicht viel mehr) strenggeheime Dokumente des amer. State Departments im Internet kursieren. Zunächst waren sie offensichtlich nur auf Gaming-Seiten zu finden. Inzwischen findet jeder diese „top-secret“ Blätter, die hauptsächlich, so heißt es, vom Krieg in der Ukraine handeln.

Gute Nacht, denkt der vernünftige Mensch. Aus ist jetzt. Doch nun folgte die nächste Botschaft: Und zwar in Form einer Art Rückzieher. Plötzlich hieß es: Alles nur halb so schlimm. Alles Fälschungen bzw. Halbfälschungen, die den Zweck haben, Konfusion zu stiften.

Das behaupteten jedenfalls die Ukrainer und zumindest teilweise die Amerikaner. Die Russen hingegen waren von der Wahrheit der Dokumente überzeugt. Wie heißt es so schön? Im Krieg ist das erste Opfer immer die Wahrheit.

Ja, und darum geht es: ca. 25 Jahre digitale Revolution, und alles wird nur noch komplizierter. Im Zeitalter der KI und der Deepfakes wird es immer schwieriger, sich auf Information zu verlassen.

O je. Ich spüre, dass ich heute zu schwadronieren anfange. Solche Tage gibt es auch. Wahrscheinlich bin ich heute schlecht beieinander.

Und da sind wir wieder bei den Influencers gelangt.

By the way. Ich stehe da mit dem Schwadronieren nicht allein. Neulich bin ich auf eine New York Times-Schlagzeile gestoßen. Da hieß es: „It’s becoming easier to fool the public.“ Zu Deutsch: Es wird immer einfacher, das Publikum zu täuschen. Natürlich handelte es sich um die künstliche Intelligenz.

Kennen Sie den neuen Begriff „Halluzinieren“? Damit meine ich nicht das, was geschieht, wenn man einen Drogenüberdosis oder eine Psychose erleidet. So werden die Lügen der KI-Stimmen wie Chat-GPT, Bard usw. genannt. Diese Programme beharren darauf, dass sie recht haben, auch wenn sie keine Ahnung haben.

Und nun gibt es auch Tongyi Qianwen. So heißt das neue Alibaba KI-Programm. Zu Deutsch: „Die Wahrheit suchen, indem man tausend Fragen stellt“. Gurt anschnallen. Es kann nur turbulenter werden.

Doch keine Sorge: In zehn Jahren ist alles wieder gut…

Brief an die Obi-Geschäftsführung

Hey Sebastian! Ich hoffe, die Geschäfte laufen gut! Wäre spitze! So weit ich weiß, bist Du ja neu als Geschäftsführer. Mensch, eine sehr verantwortungsvolle Stelle, so denke ich. Tausende von Mitarbeitern und viele Filiale und noch dazu die Notwendigkeit mit der Konkurrenz schrittzuhalten!

Doch nun zur Sache! Dass ich Dir diesen Brief schreibe, hat folgende Bewandtnis: Neulich habe ich zwei Lampen im Obi-Online-Shop bestellt. Hier nun ein paar Mails, die mich Obi schickte, um mich auf den Laufenden zu halten:

„Hey P.J.,
herzlichen Glückwunsch! Deine Bestellung war erfolgreich und damit ist der erste Schritt zu deinem neuen Projekt auch schon geschafft!
Deine Auftragsnr. lautet: XXXXXXXXXXXXXX
Lieferzeit: Lieferung ca. 12. Apr. - 14. Apr. (Artikel XXXXXX, Artikel XXXXXXX) Alle Infos zu deiner Bestellung findest du hier noch mal im Überblick: Deine Rechnung erhältst Du per E-Mail, sobald die Ware versendet wurde…. usw.“

Ja so war die erste Mail. Zwar weiß ich nicht, was mit „Projekt“ gemeint war, aber egal! Es folgte dann die zweite:

„Los geht’s
Deine Artikel sind bald bei dir.
Hey P.J.,
wir freuen uns dir mitzuteilen, dass wir deine Bestellung XXXXXXXXXXX gerade an unseren Versandpartner übergeben haben. Es dauert also nicht mehr lange, bis du mit deinem Projekt loslegen kannst…usw.“

Hey Sebastian, vielleicht leuchtet Dir bereits ein, worauf ich hinauswill. Ja, sehr richtig: Es geht um diese saloppe Art, mit der deine Firma einen erwachsenen Kunden anspricht.

Mal ehrlich: Ist Dir der lockere Ton meines Briefes auch in die falsche Kehle gelandet? Warst Du irritiert, dass ich Dich so anstandslos mit „Hey Sebastian“ angesprochen habe und dass ich Dich obendrein geduzt habe? Hast Du dich gefragt: Was bildet sich dieser fremde Mensch ein?

Falls es so war, dann wirst Du auch meine Irritation verstehen, wenn Obi, eine Firma, mit der ich lediglich ein Geschäft eingehe, so – wie man sagt – locker vom Hocker mit mir umspringt.

Kannst Du das verstehen? Mit Sicherheit bin ich nicht der einzige Kunde, der so denkt.

Zugegeben, Obi ist nicht die einzige Firma, die durch eine solche verbale Respektlosigkeit auffällt. Ich könnte eine ganze Liste derer aufstellen. Weiß Du aber, wohin diese Marotte führt? Schlussendlich machst Du und andere Firmen die deutsche Sprache kaputt!

Klar, unter Jugendlichen, die immer noch die Illusion hegen, dass alle Menschen irgendwie ihre „Freunde“ sind, kommst Du bestimmt gut an. Aber bei erwachsenen Menschen?? Denk darüber nach, Sebastian.

Denn Erwachsene unterscheiden gern zwischen „Freund“, „Bekannten“ und „Fremden“. Und um diesen Unterschied zu unterstützen, verfügt die deutsche Sprache über ein „Sie“ und ein „Du“. Willst Du diese alte sprachliche Tradition wirklich kaputt machen? Wäre echt schade.

Das wollte ich nur gesagt haben.

Ach übrigens. Was passiert, wenn ein Kunde seine Rechnung nicht begleicht, wie vereinbart? Kommt wieder ein „Hey XY, hast Du vergessen, Deine Rechnung zu bezahlen o.ä.? Falls ja, bitte bis zum folgenden Datum nachholen…usw.“?
Ursprünglich hatte ich in diesem Brief vor, auch die Namen anderer duzender Firmen aufzulisten, die ebenso liederlich mit der deutschen Sprache umgehen. Ich denke aber, dass für heute dieses eine Beispiel reichen wird.

Dein
PJ

„Sensitivity Reader“ gesucht! Lesen Sie weiter!

Schon von den „Sensitivity Readers“ gehört? Oder soll es vielleicht lieber „Sensitivity Reader*Innen“ heißen?

Womöglich ist Ihnen dieser Begriff schon bekannt. Denn sie sind in Deutschland bereits eingetroffen. Es fehlt nur noch eine sensible deutsche Übersetzung, um das auszudrücken, was dieser neue Beruf beinhaltet.

Eigentlich geht es um nix Neues. Früher (und in manchen Ländern noch immer) sagte man dazu „Zensur“, und jene Sittenrichter, die diese Zensur ausübten, bezeichnete man als „Zensoren“. Heute würden wir wohl „Zensor*Innen“ sagen.

Diese Sittenrichter hatten (und haben) die Aufgabe, diverse ungebührliche Ideen, Sprachformulierungen und Gefühle zu entsorgen, damit sich Künstler und Denker die Grenzen des Anstands zu respektieren lernen.

So entstand der sog. „sozialistischer Realismus“ oder sein Gegenteil die „entartete Kunst“.

Aber zurück zu den „sensitivity Readers“. Momentan scheint dieses Phänomen in den USA so etwas wie ein Traumberuf zu sein. Diese „Readers“ haben die Aufgabe, ihre Mitbürger vor diversen Ungebührlichkeiten in der Literatur zu schützen. (Ich weiß nicht, ob es bereits etwas Ähnliches in der bildenden Kunst gibt, und wenn ja, kenne ich die Berufsbezeichnung nicht).

Manche Amerikaner werden in den letzten Jahren merklich egalitär. Will sagen: Alle Menschen sollen als gleich gelten, damit keiner unter Nachteilen im Leben zu leiden habe. Klingt gut. Unterschiede werden sozusagen unter den Teppich gekehrt, damit Chancengleichheit vorherrscht. Um dies zu gewährleisten, ist einiges geschehen. Zum Beispiel: Autoren dürfen nur noch das beschreiben, was sie selber sind. Alles sonst gilt als „cultural appropriation“, etwa „die Usurpierung von Eigenschaften, die nicht die eigenen sind“. Ja die Übersetzung klingt unbeholfen, aber wie soll man sonst diesen komplizierten Anspruch verdeutschen?

Wenn ich mich nicht täusche, dürfen Männer deshalb nicht versuchen in Frauenrollen zu schlüpfen – es sei denn selbstverständlich, man wechselt das Gender permanent. Ein heutiger „sensitivity Reader“ hätte, z.B., Gustave Flaubert getadelt, weil er so intim übers Innenleben von Madame Bovary geschrieben hatte. „Non non non, Monsieur Flaubert, schreiben Sie lieber über einen Mann!“, hätte der Leser gesagt. Wobei Flaubert höchstwahrscheinlich geantwortet hätte: “Madame Bovary, c’est moi!“ (Nebenbei: Dies ist O-Ton).

„Sensitivity Readers“ achten außerdem darauf, dass man keine Witze über dicke oder dünne, kleine oder große Menschen macht, dass man zwischen Sehenden und Blinden, Hörenden und Tauben, Gehenden und Lahmen nicht unterscheidet, etc. Man darf auch nicht über gefühlte Unterschiede hänseln oder ironisch schreiben. Alles soll nüchtern und gerecht vonstattengehen.

All dies wissen Sie bestimmt schon. Sie wissen auch, dass die Werke des engl. Autors Roald Dahl neu überarbeitet werden, damit sie niemandem die Gefühle verletzen. Auch Agatha Christie wird neuerdings unter die Lupe genommen.

Dieses „Sensitivity“-Phänomen breitet sich momentan, wie gesagt, vor allem in den USA und im UK aus. Und von daher engagieren viele Verlage „sensitivity readers“, damit sich Autoren – und Autorinnen – an den neuen Regeln zu halten lernen.

In Deutschland ist die Branche brandneu. Weshalb man nicht einmal einen dt. Begriff für diesen Berufszweig gefunden hat. „Sittenwächter“ oder „Sittenrichter“ klingt viel zu streng für das, was gemeint ist.

Das Schlüsselwort lautet ohnehin „sensitivity“. Auf Deutsch „Empfindsamkeit“ oder „Mitgefühl“. Das wäre auf Deutsch auch mit „sensibel“ zu übersetzen. Vielleicht wäre eine passende Übersetzung „Sensibilitätsleser“? Nein, klingt scheußlich. „Empfindsamkeitsleser“ hört sich auch nicht besser an. Ich muss noch drüber nachdenken.

Nebenbei: Das dt. „sensibel“ und das engl. „sensible“ sind – wie man sagt – „falsche Freunde“. „Sensible“ bedeutet „vernünftig. „Sensibel“ lässt sich mit „sensitive“ übersetzen. Aber vielleicht sind die „sensitivity Readers“ ebenso falsche Freunde!

Ach! Noch etwas habe ich vergessen zu erwähnen: Denken Sie zweimal drüber nach, falls Sie auf die Idee kommen, selbst „sensitivity Reader“ werden wollen. Ich habe gelesen, dass dieser Beruf sehr schlecht bezahlt wird. Dazu geht man dem Risiko ein, selbst verhöhnt zu werden. Und das ist genau das Gegenteil vom Zweck der „sensitivity Readers“ …

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