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Na na na du du du!

Schauen Sie, ob Sie den Fehler im folgenden Satz finden. Ich habe ihn von „Google-Support“ abgeschrieben:

„In diesem Hilfeartikel [Anm. des Sprachbloggeurs: Diese ersten drei Wörter erscheinen im Original in Hypertext, damit man gleich linken kann] findest du weitere Informationen zu YouTube Premium und unseren kostenpflichtigen Mitgliedschaften.“

Haben Sie den Fehler entdeckt? Aber klar! Vorsitzender Google hat Sie geduzt!
Finden Sie das in Ordnung? Oder zucken Sie mit den Achseln und sagen: „So what!“, beziehungsweise „Na, und?“.

Ich weiß nicht, wie alt Sie sind, liebe Leser, liebe Leserin. Wenn aber Ihnen die intime Anredeform des obigen Zitats nicht stört, dann haben Sie Ihre Stimme bereits abgegeben, eine Kostbarkeit der deutschen Sprache wie das sprichwörtliche Tafelsilber zu verscherbeln. Damit meine ich das „Sie“, bzw. das Siezen.

O je. Nun fürchte ich, dass ich hier in Polemikmodus reingerutscht bin. Nein, so einer bin ich nicht. Ich schäume im Augenblick nicht. Im Ernst. Ich möchte lediglich auf eine Entwicklung hindeuten, die meiner Meinung nach die schöne deutsche Sprache langfristig verärmt.

Denn: Wenn Deutsch Sprechende nicht mehr zwischen „du“ und „Sie“ zu unterscheiden vermögen, verlieren sie eine nützliche sprachliche Einrichtung (d.h. zwischen Nahe und Weit zu unterscheiden), sondern ebenfalls ein Werkzeug für feinfühlige Beziehungseinstellungen.

Beispiel. Ich kenne meinen Steuerberater seit über 40 Jahren. Wir besprechen, wenn wir uns sehen (schon immer im Herbst), alles Mögliche. Wir duzen uns aber nicht. Einmal – es war 1990 – kamen wir beinahe dazu. Wir sind aber doch beim „Sie“ geblieben. Warum? Weil die unsere letztendlich eine geschäftliche Beziehung ist. Don’t mix business and friendship heißt es in meiner amer. Muttersprache.

Ha! Wie man gerade beim Amerikanischen ist: Die Amerikaner (und mittlerweile die Briten) sprechen sich meistens mit Vornamen an – egal wie die Beziehung ausgelegt ist. D.h. auch zwischen Chef und Untertan. Vor Jahren habe ich eine Glosse zu diesem Thema geschrieben. Sie hieß: „Bob, du bist gefeuert“).

Aber zurück zum Deutschen: Das Siezen kann u.U. äußerst intim wirken, und wenn es zugleich für einen gewissen Abstand sorgt.

Manche sprechen sich mit Vornamen an und bleiben trotzdem bei Sie. Gleiches kennt man auch in anderen siezenden Sprachen. Berühmtes Beispiel auf Französisch: Sartre und Simone de Beauvoir. Ähnliches tun die Ungarn, um das letzte Quäntchen Distanz aufrechtzuerhalten.

Die Dänen hingegen haben während des Aufruhrs der Hippiezeit ihr „Sie“ beinahe ganz entsorgt. Man strebte damals wohl das Gefühl einer Großfamilie an. Wenn ich mich nicht täusche, werden heute nur noch die Royals und Touristen gesiezt. Immerhin. Wie sagt man auf Dansk, „Du, Bob, du bist gefeuert“?

Englisch unterscheidet nicht zw. „Du“ und „Sie“. Haben Sie aber gewusst, dass das engl. „you“ eigentlich ein „Sie“ ist? Vor ca. zwei oder dreihundert Jahren hat man in der englischsprachigen Welt aufgehört, sich mit „du“ anzusprechen, genauer gesagt, mit „thou“. Damals war es das vornehme „you“, das sich durchgesetzt hatte. Ich weiß leider nicht genau, was der Grund dafür war. Vielleicht wollte das Fußvolk, die Royals nachmachen? Dennoch wird noch heute im United Kingdom das „thou“ gebraucht. Nur aber in Dialekt. So zum Beispiel in Yorkshire, wo man „tha“ sagt. Das klingt für den Außenstehenden wie das „enk“ im Niederbayerischen.

Aber bitte: Warum wird heute – mehr denn je zuvor – so eifrig geduzt auf Deutsch?

Klare Sache: wegen des Einflusses der „Social Media“: sprich Google, Facebook, Microsoft und Co. Es sind alle amer. Firmen, stammen also aus dem Land, wo man „Du Bob, du bist gefeuert“ sagt. Diese Mediengiganten wenden sich vor allem an junge Menschen. Klar, dass alle geduzt werden. Mit einer Ausnahme allerdings: Amazon. Amazon siezt noch immer. Das hat aber auch eine Erklärung. Die Firma begann als online Buchhandlung. Klar, dass man in der Buchhandlung gesiezt wird.

„Stimmt“, meint meine Frau. „aber mit einer Ausnahme. ‚Audible‘. Sie ist aber neu in der Amazon-Familie. Bei Audible wird geduzt.“

Achtung liebe DuzerInnen: Die Duzifierung der dt. Sprache hat Konsequenzen. Sie führt peu à peu zu einer Infantilisierung der deutschen Sprache – und ebenfalls zu dieser Verdummung in der Kultur schlechthin. Ja, so schlimm ist es. Falls Sie nach einem lebendigen Vorbild für dieses Phänomen suchen: Schauen Sie sich in die USA an. Die gesellschaftliche Verkindlichung ist längst Realität geworden.

Nun haben Sie die Fakten. Der Rest ist Ihre Entscheidung. Ja, Sie sind gefragt…

Comments

Klar haben die asozialen - äh sozialen - Medien den größten Anteil an der Verbreitung der Du-Lawine. Aber nicht ganz unbeteiligt ist auch die Werbebranche. Und da ist die Motivation auch recht klar. Die Werberinnen und Werber sagen damit "durch die Blume": Wir sind deine besten Kumpels, wir meinen es nur gut mit dir. Also kauf schon endlich unseren ganzen Kram...

Lieber Christian: die Werbeindustrie! Sie spielt gerne die Duzfreundin und spricht obendrein Englisch. Ihre Zielgruppe ist ein junges Publikum. Umso gefährlicher, dass die Fans die Fähigkeit zu siezen verlernen.

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