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Ein Wort an die Deutschlehrer

Kurz nach Erscheinen der vorigen Glosse über die Briefetikette, erhielt ich von einem Freund eine dringende Mail. "Warum ausgerechnet „Es grüßt Ihnen…“? schrieb er. Er bezog sich auf meine Wortwahl am Schluss der besagten Glosse. Schnell rief ich den Text auf und stellte fest, ich hatte in der Tat "Es grüßt Ihnen“ geschrieben. Umgehend änderte ich diesen Fehler in "Es grüßt Sie“ und hoffte, dass bisher nur wenige Leser meine Schlampigkeit entdeckt hätten.

Hinterher fragte ich mich, was in mir gefahren wäre, warum hatte ich wohl "Es grüßt Ihnen“ geschrieben?

Mein erster Impuls war, diesen Fauxpas meinen mangelhaften Deutschkenntnissen zuzuschreiben. So ergeht es Menschen ohne großes Selbstvertrauen. Sie suchen unentwegt nach dem Schuldigen in sich selbst. Was heißt hier "ohne Selbstvertrauen“? Der weise Konfuzius hat vor 2500 Jahren gelehrt, dass man unbedingt in sich selbst forschen müsse, bevor man mit dem Finger auf andere zeige.

Auf jeden Fall ist bei mir nach kurzer Selbstkasteiung der Groschen endlich gefallen. Mein "Es grüßt Ihnen“, so stellte ich fest, war eigentlich kein Fehler. Ich habe mich nur Bayerisch ausgedrückt – astreines Bayerisch sogar: "Es griaßt Eahna“ hatte ich wohl gedacht. Also doch kein Fehler, sondern wahrhafte Sprachvariante.

Nur: Leider wird diese Sprachvariante heutzutage, d.h., im Zeitalter der DIN-Vorschriften und der Sprachvereinheitlichung, nirgends mehr als akzeptabel anerkannt. Im sechsbändigen großen "Duden“ (Ausgabe 1977) suchte ich vergebens nach einem "Es grüßt Ihnen“.

Und damit komme ich zur eigentlichen Frage, die ich hier stellen möchte: Was heißt richtig, und was heißt falsch im Sprachgebrauch? Ich wage zu sagen, dass die Antwort auf diese Frage verblüffend einfach ist. Eine Sprache funktioniert meistens wie eine Demokratie, das heißt, nach dem Mehrheitsprinzip. Wenn die Mehrheit eine bestimmte Form für richtig hält, dann ist sie halt richtig. Alles sonst gilt dann als falsch. Manchmal ist auch freilich das Diktaturprinzip am Werk. Das passiert, zum Beispiel, wenn die Politik durch eine "Rechtschreibungreform“ die Sprache zur "Chefsache“ macht. Das kommt aber nur selten vor.

Und doch verschwinden die geächteten Varianten nie ganz. Neulich sagte eine Nachrichtensprecherin im Bayerischen Rundfunk: "Er meinte aber, dass die Lage nicht überzuwerten sei“ – oder so ähnlich. "Überzubewerten“? fragte ich mich. Wenn man etwas "überzubewerten“ vermag, dann könne man ebenfalls behaupten, "Er bewertete seine Situation über“. Aber vielleicht handelte es sich in diesem Fall wirklich nur um einen Versprecher.

Was ich sagen will: Eine Sprache lebt, genauer gesagt, sie ist ein wahres, ungebändigtes Energiebündel. Der Versuch sie durch Regeln in gewisse Bahnen zu halten, hat in der Tat seine Wichtigkeit, kann aber nie hundertprozentig greifen. In einer Ausgabe der Zeitschrift "Journalist“ aus jüngster Zeit (5/2008) habe ich einen Artikel des emeritierten Professors Theo Stemmler von der Universität Mannheim entdeckt. In seinem Text brachte er manche sehr schöne Beispiele neuer Alternativformen in der deutschen Sprache, zum Beispiel "er schwomm“ oder "aufschwungen“ (etwa: "Die Vögel, die sich aufschwungen…). Ich kannseine Beispiele hier nicht alle aufführen, doch seine Schlussfolgerung möchte ich unbedingt weitergeben: "Die Fehler von heute sind die Regeln von morgen“. Schön, nicht wahr? Und deshalb dieses Wort an die Deutschlehrer: Ich bewundere Ihre Standfestigkeit, beneide Ihre Aufgabe aber nicht. Es grüßt Ihnen, Ihr Sprachbloggeur.

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