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Schwarz sehen

Übersetzer sind nicht zu beneiden. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Manches lässt sich von Sprache zu Sprache absolut nicht wörtlich übertragen. Schöne deutsche Verbformen wie "es weihnachtet“ oder "es grünt“ kann man, zum Beispiel, wenn man sie ins Englische übersetzen will, nicht als Zeitwörter wiedergeben. "It christmases“ gibt es einfach nicht. Man sucht lieber nach einer freundlichen Alternative wie "It’s so christmasy“ und "everything’s turning green“.

Das Übersetzen wird nie eine mathematische Tätigkeit sein, die man eins zu eins berechnen kann. Für manche Begriffe gibt es keine vernünftigen Entsprechungen. Was macht der arme Übersetzer aus "Leberkäse“? Und wie soll der deutsche Kollege "spam“ (damit meine ich eine Art Dosenfleisch) verdeutschen? Mit "Schadenfreude“ haben die meisten englischsprachige Übersetzer oft ihr Waterloo erlebt. Mich persönlich treiben die vielen "noch“, "schon“, "überhaupt“ usw. in den Wahnsinn.

Dies nur zur Einführung. Ich komme auf obige Gedanken, weil ich heute, endlich, eine passende Übersetzung fürs "Schwarzfahren“ gefunden habe. Wenn ich mit Englisch sprechenden Freunden zusammenkomme, und die Rede vom „schwarzfahren“ ist, wissen Sie, wie wir dieses Wort verenglischen? Fast schäme ich mich, es zu verraten, so primitiv, so einfallslos klingt es. Wir sagen "to ride black“ oder "to go black“ oder Ähnliches. Das ist freilich kein Englisch, sondern reines Germlish. Keiner, den ich unter den amerikanischen und englischen Expatrioten kenne, hat bisher eine plausible englischsprachige Alternative für dieses Phänomen vorgeschlagen. Vielleicht liegt es daran, dass das Schwarzfahren in London und New York – zumindest zur Zeit unserer Jugend (meine Freunde und ich sind nicht mehr die jüngsten) – nicht so bekannt war. Wenn ich mit Amerikanern oder Engländern spreche, die des Deutschen unkundig sind, dann beschreibe ich das Schwarzfahren als "to ride the U-Bahn [notabene nicht 'subway’ oder 'tube’] without a ticket“ oder Ähnliches. Klingt umständlich, nicht wahr? Ist es auch. Mein "Pons“-Wörterbuch bietet Alternativen an, die sich nicht weniger holprig anhören. Etwa: "to travel without buying a ticket“ (das bezieht sich aber sicherlich auf das Schwarzfahren im ICE oder in der Regionalbahn) und "to dodge ('ausweichen’, 'herumkommen’) paying one’s fare“. Alles nur Verlegenheitslösungen.

Aber jetzt habe ich meine Übersetzung – bzw. Übersetzungen – fürs "Schwarzfahren“ endlich! Alles steht in einem „New York Times“-Artikel vom 8. Juli. Offenbar ist das fahrkartenlose Mitfahren in der New Yorker subway zum Volkssport geworden. Denn seit dem 1. Juli sind neue Gesetze in Kraft getreten, um dieser Volksplage ein Ende zu machen. Die "Times“ bietet verschiedene Bezeichnungen für das Phänomen an. Zum Beispiel "fare-beating“ ("beat“ im Sinne von "umgehen“ oder "übertreffen“). Auch das bildhafte "turnstile jumping“ wird verwendet. Das "Turnstile“ ist das "Drehkreuz“, das man passiert (nachdem man bezahlt hat), um den Bahnsteig zu erreichen. "Jumping“ ist "springen“. Amtlich scheint die Unsitte "fare evasion“ – also "Fahrkartenumgehung“ – zu heißen. So steht es jedenfalls auf den neuen Schildern, die im New Yorker U-Bahnnetz nunmehr überall zu lesen sind: "Fare Evasion Will Cost You“ – kostet Sie Geld also.

Verlegenheitslösungen ade. Endlich habe ich meine Wörter.

Im Deutschen ist das "Schwarzfahren“ freilich ein sehr logischer Begriff und ist direkt mit anderen "schwarzen“ Tätigkeiten verschwägert: dem "schwarzen Markt“, dem "schwarz verdienen“, dem "schwarz bauen“, dem "schwarz brennen“ usw.
Warum "schwarz“? Weil "schwarz“ – zumindest im Deutschen – die Farbe der Heimlichkeit ist. Wie heißt es so schön: "Die im Dunkel sieht man nicht.“

Natürlich hat das Schwarze auch mit dem Bösen und dem Unglück zu tun. Das ist aber ein anderer Zweig der Familie. Man kennt den "schwarzen Mann“, den "schwarzen Peter“ und natürlich den "schwarzen Tag“. Diese Sippe hat übrigens ihr englisches Pendant: "black hearted“, "blackguard“ ("Schuft“), "black humor“, "black-listed“.

Warum "black“ im Sinn von "heimlich“ bei uns weniger bekannt ist, weiß ich nicht. Mir fällt nur der "black market“ und die"black economy“ ein. Sonst sehe ich, wenn ich darüber nachdenke, nur schwarz vor den Augen.

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