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Ein paar Gedanken über das Zuviel

Ich schreibe diese Glossen am liebsten auf leeren Magen. Womöglich hat der hungrige Schriftsteller Ähnlichkeiten mit einem angriffslustigen Hund. Er beißt schneller zu, wenn der Magen knurrt.

Heute aber mache ich eine Ausnahme. Denn gerade habe ich eine Riesenportion Hackbraten verdrückt – manchmal wird man halt gierig (siehe Finanzkrise). Doch auch wenn ich momentan in Verdauungsträumen versinke, fühle ich mich munter genug, um ein ernsthaftes Thema zu attackieren. Es geht um die Infantilisierung der Sprache.

Eigentlich nichts, was die deutsche Sprache unmittelbar betrifft – zumindest noch nicht. In den USA wird dieses Phänomen aber offenbar zu einem erheblichen Problem – vor allem im Ungang mit betagten Menschen. Die Rede ist vom "elderspeak“, etwa "Altensprache“.

Erst vor ein paar Tagen habe ich in der International Herald Tribune vom "elderspeak“ erfahren. Will sagen, dass alte Leute von anderen zunehmend ohne Distanz – wie Kinder also – angesprochen werden. Es kommt oft vor, dass sich ein Mensch im "goldenen Alter“ von wildfremden Menschen Verniedlichungen anhören müsse wie "dear“ oder "sweetie“ – etwa "Schätzchen“ oder "Mäuschen“.

Im Deutschen ist dieses Phänomen – der strengen Duz- Siez-Grenze zudank – noch ziemlich unbekannt. Das allumfassende "you“ kennt aber keine grammatischen Abwehrgrenzen.

Ältere Frauen – das Phänomen betrifft meistens das weibliche Geschlecht – werden nicht selten "girls“ genannt – "Mädel“. Im Krankenhaus werden sie vom Pflegepersonal häufig mit "wir“ adressiert. Etwa: "Haben wir alles schön aufgegessen?“ Hinzu fühlt sich jeder frei, einen alten Menschen mit Vornamen anzusprechen. Was viele, die mit älteren Menschen so umgehen, nicht wissen: Dieser Umgang macht agressiv, sie kränkt über alle Maßen.

Als ich einmal mit meiner Mutter auf der Bank war, wo wir einen Termin mit dem Geschäftsführer, dem "Manager“, hatten, habe auch ich diese Erfahrung gemacht, . "What can I do for you guys?“ fragte er. Etwa: "Was kann ich für euch Hübsche tun.“ Eigentlich ist ein "guy“ ein "Kerl“. Meine Mutter war diese Umgangsform gewöhnt. Ich nicht. "Das erste, was Sie tun können, wäre etwas respektvoller zu reden. Meine Mutter ist kein 'guy’“, war meine Antwort.

Was geschah? Ich habe den Mann offenbar zutiefst gekränkt. Er fühlte sich völlig missverstanden. So sehr hat sich diese infantile Sprachart eingebürgert, dass sie ihm ganz normal vorkam.

Wie gesagt: Diese Ausdrücksweise ist noch selten in Deutschland – obwohl wer weiß, wie die Pfleger in den Altersheimen mit den Demenzpatienten umgehen. Dennoch wage ich zu sagen, dass die Infantilisierung in Deutschland stillschweigend voranschreitet. Fakt ist: Der Konsum verwandelt Erwachsene zunehmend in habgierige Kinder. Ständig will man das neueste Mobiltelefon-, Rechner-, MP3-Spieler- (oder Aktienpaket-!) -Model haben. Die Werbung zielt mittlerweile auf Erwachsene als Käufer von Spielkonsolen – zu Zwecken des "Hirntrainings“, wie es so schön heißt.

Glauben Sie mir: Eine in Spielzeuge verliebte Gesellschaft ist auf dem besten Weg, die Sprache zu infantilisieren.

Ich bin überzeugt, dass ich noch viel mehr über dieses Thema zu sagen hätte. Ich bin bloß, wie ich schon eingangs offenbarte, mit meinem vollen Magen beschäftigt. Ich stelle fest, dass der Gedankenfluss doch träger wird, wenn man zu viel konsumiert hat. Zu viel fressen, zu viel Spielzeug – es wirken offenbar beides beeinträchtigend auf die Entfaltung vernünftiger Ideen.

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