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Ganz ganz ganz Persönliches

Welche Farbe hat ihre Seele, lieber Besucher, liebe Besucherin dieser Seite?

Vielleicht ist „Farbe“ das falsche Wort. Ich meine nur, dass man als Kind mittels des Wortschatzes (und des Kulturschmuckes) einer gewissen Sprache die Welt zu deuten lernt. Voilà! Man wird auf eine gewisse Weise beseelt.

Heute geht es um Persönliches, sehr Persönliches. Als Schreibender in der Fremdsprache bediene ich mich notgedrungen der „Farbe“ Ihrer Seele. Und dennoch bin ich nicht fähig, an Ihrem „Wir-Gefühl“ teilzunehmen. Meine Seele hat nämlich bereits eine eigene Farbe.

„Aber bitte. Das ist wirklich etwas übertrieben“, sagte mir neulich Frau I., die liebe Goldschmiedin um die Ecke. „Sie sind so lange da. Es ist kaum möglich, dass unsere deutsche Mentalität nicht auf Sie einigermaßen abgefärbt hat. Mir kommen Sie jedenfalls nicht fremd vor. Aber bitte: Schriftsteller neigen gerne zum Pathetischen.“

„Ja, vielleicht haben Sie recht“, antwortete ich. „Meine amerikanische Seele ist sicherlich nicht mehr so waschecht wie früher, ist vielleicht durch die vielen deutchen Waschgänge sogar etwas blasser geworden. Wenn ich Amerika besuche, bin ich auch nicht ganz in der Lage, das „Wir-Gefühl’ in Gang zu setzen.“

„Na, also…“

Neulich war ich in der Alten Pinakothek und kam ins Gespräch mit einem älteren Herrn (das heißt: Er war älter als ich). Er argumentierte, dass die moderne Kunst im Vergleich zur alten Kunst auf ihn nur stumperhaft wirke. „Kunst kommt von ‚Können’“, beteuerte er. Ich war anderer Meinung. Bald wurde die Diskussion sehr lebendig. Und dann fragte er: „Sie sind aber nicht von hier, oder? Man hört etwas anders in der Stimme. Sind sie Engländer?“

„Nein, Amerikaner. Aber ich bin seit 1975 da.“

„Aha. Ich hoffe, Sie fühlen sich bei uns wohl.“

Notabene: „bei uns“ hod er g’sogt. Das heißt: Ich zähle für ihn nicht zu seinem „uns“, und er hat sogar das Bedürfnis, mich willkommen zu heißen, als wäre ich erst letzte Woche eingetroffen. Ist letztendlich in Ordnung, wenn ich zu seinem „Wir-Kreis“ nicht zähle. Denn meine Seele ist tatsächlich zweifarbig. Anders als Frau I. nahm er ausschließlich den andersfarbigen Teil wahr. Tja.

Und ausgerechnet muss ich Schriftsteller sein! Das heißt: Die Sprache ist mein Werkzeug, und mit ihr und durch sie will ich meine intimsten Erfahrungen vermitteln. „…wenn man in seiner Muttersprache schreibt, fließt das ganz anders“, schrieb mir neulich eine liebe alte Freundin, die außerdem eine großartige Schriftstellerin in der deutschen Sprache ist. Ihr Fazit: „…du solltest es unbedingt wieder mal auf Englisch versuchen…“

Früher hätte mich ein solcher gutgemeinter Ratschlag verunsichert, doch nicht mehr. No siree. Früher glaubte ich, es gebe lediglich ein Entweder oder ein Oder in dieser Sache.

Inzwischen habe ich verstanden, dass meine zweifarbige Seele sowohl deutschsprachige wie auch englischsprachige Bedürfnisse hat. Der Sprachbloggeur, zum Beispiel, will, ja, muss sogar, Deutsch erscheinen. Denn das Fremdsein ist seine einzigartige Perspektive. Diese Glossen würden wirklich sehr fade anmuten, wenn ich sie auf Englisch verfasste.

Gleiches gilt für meine vier (noch) unveröffentlichten deutschsprachigen Romane (so nenne ich sie, obwohl dieses Wort nicht ganz auf sie passt). Das Fremdsein ist nämlich in diesen Werken das Instrument schlechthin – viel bedeutungsvoller als die Sprache, die nur die Aufgabe hat, richtig zu klingen. Diese Bücher hätten in Englisch kein Ursprungsdasein.

Dafür habe ich aber andere Themen, die nur in meiner Muttersprache möglich sind, weil für sie gewisse mit der Muttermilch aufgesaugte Schwingungen eine unentbehrliche Rolle spielen. Solche Texte – etwa Lyrik oder Themen, die von Impulsen handeln, die existierte, bevor ich nach Deutschland kam – will ich, kann ich nur Englisch schreiben.

Wäre interessant, andere zu finden, die Ähnliches erleben wie ich. Ich glaube aber nicht, dass ich jemals einen finden werde – auch wenn er oder sie wie ich in der Fremdsprache schreibt. Denn jeder hat ureigene Themen, bzw., Schattierungen von Themen, die nach außen drängen, und diese können nie mit denen des Anderen hundertprozentig übereinstimmen.

Und deshalb meine Frage: Welche Farbe hat Ihre Seele?

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