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Warum ich so beliebt bin

Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem guten Geschmack, geneigte Leser.

Sie befinden sich auf einer der populärsten Seiten im ganzen WehWehWeh. Ich habe nämlich heute entdeckt, dass nur 172.005 Webseiten in Deutschland beliebter sind als „Der Sprachloggeur“. Weltweit werden lediglich 1.559.833 öfters besucht als diese Seite. Dies – darf ich erinnern – bei einer Gesamtweltbevölkerung von sechs (oder sind es schon sieben?) Milliarden Menschen.

Nicht übel, gell?

Nein, heute keine Selbstverherrlichung. Aber wie heißt es so schön? „Selbstlob! Nur dem Neide stinkt's.“

Vielleicht möchten Sie wissen, warum „Der Sprachbloggeur“ so viele Herzen erobert hat. Und damit komme ich auf die Werbung zu sprechen.

In meiner Jugend habe ich öfters mit der Idee geflirtet, Werbefachmann zu werden. Das müsse eine tolle Arbeit sein, dachte ich. Man verbringe den ganzen Tag auf der kreativen Suche nach trifftigen Ideen und frechen Sprüchen. Für jemanden wie mich, der Wörter – und Worte – liebt, wahrlich ein maßgescheiderter Beruf.

Dann bin ich aber Raucher geworden und habe täglich eine, manchmal zwei Schachteln geraucht. Nach wenigen Jahren war ich ständig heiser und litt immer öfters an Halsweh, Streptokokken usw.

Einmal lag ich mit schmerzhaften Schluckbeschwerden im Bett und sinnierte über die damalige Tabakwerbung in den USA nach. Nicht nur über den „Marlboro-Mann“. Der war nur einer von vielen bekannten Tabak-Ikonen. Ein Konkurrent setzte, z.B., in den TV-Reklamen Menschen (meistens jung) in Szene, die eindeutig Freude am Leben hatten. Natürlich mit Zigarette in der Hand oder beim genussvollen Lungenzug. Derweil trillerte ein Chor den damals bekannten Ohrwurm: „Winston tastes good like a cigarette should“ (siehe YouTube).

Ich kranker Raucher grübelte aber folgendermaßen: Mit meinem hart verdienten Geld wird diese dämliche, verlogene Werbung finanziert. Um Gottes Willen! Ich subventioniere eine Industrie, die mich letztendlich krank macht! Ich war empört. Doch gerade diese Empörung hat mir die Kraft gegeben, auf der Stelle mit dem Rauchen aufzuhören – obwohl ich damals schwer nikotinsüchtig war. Nein, mein gerechter Zorn war noch stärker als jegliche Sucht.

Szenenwechsel. Eines Abends – es war ein paar Jahre später – war ich mit zwei Bekanntinnen oder Freundinnen – unterwegs. Der Begleiter einer der Frauen war, wie ich bald entdeckte, Werbefachmann. Er war außerdem viel älter als ich, vielleicht 35. (An dieser Stelle schmunzeln die Alten wissentlich, während die jungen Leser über den schlechten Witz nur noch stöhnen). Sogleich wurde ich aggressiv. „Werbefachmann!“, sagte ich mit der Überzeugung eines Menschen, der keinen Augenblick daran zweifelt, dass er recht hat, „Dein Beruf, wenn du mich fragst, ist absolut amoralisch.“Notabene: Auf Englisch bedeutete dieses Wort, "moralisch indifferent". Es folgte einige fundierte Begründungen für mein vernichtendes Urteil. So erklärte ich beispielsweise, dass die Werbung die Kosten eines Produkts in die Höhe treibe usw.

Er antwortete, gefasst und geduldig, und vor allem im Ton eines Fachmannes, der einem überaktiven Blödian sein Handwerk erklären sollte. Ich wollte von alldem aber nichts wissen und erwiderte mit dem leidenschaftlichen Gerechtigkeitssinn eines selbstverliebten Fanatikers: „Nein, der Beruf lebt ausschließlich von der Amoralität.“

Inzwischen hatte ich ihn derart penetrant bearbeitet, dass ier nahe dran sein musste, mir eine zu schmieren. Ich gebe zu. Ich hätte es auch verdient. Ich war wirklich unausstehlich. Aber so ist die Jugend manchmal, und so soll sie sein. Unterdessen versuchten die beiden Frauen zu intervenieren oder zu schlichten. Ich weiß es alles nicht mehr so ganz genau. Er war jedenfalls mit seiner Geduld am Ende.

Und dann sagte er mir einen Satz, den ich nie wieder vergessen habe: „Weißt du, PJ,“, sagte er mit ruhiger Stimme, während seine Augen vor Verachtung zu glühen schienen. Er kam mir vor wie die Brillenschlange kurz vor dem Todesbiss. „Weißt du, unsere Branche ist nicht amoralisch, wirklich nicht.“ Pause. „Unsere Branche ist immoralisch!“

Ich war platt. Mein Wort war ein Stachel, seins ein Dolch. Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob ich noch etwas erwidert habe. Ich glaube eher, ich wollte ihn in die Arme nehmen, um ihn zu trösten, so leid tat er mir.

Wie dem auch sei. Nun wissen Sie, wie ich es geschaft habe, den 172.006ten Platz im Internetpopularitätswettbewerb zu erklimmen.

Ja, und wer weiß, was aus mir geworden wäre, wenn ich weiterhin geraucht hätte?

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