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Auch die Antisprache will etwas mitteilen

Habe ich Ihnen schon erzählt, dass ich manchmal mit den Toten rede?

Nein, keine große Kunst. Das kann jeder. Man darf es nur nicht mit dem Kopf machen. Wie soll ich es Ihnen erklären? Um mit den Toten zu reden, verwendet man die Hände oder die Rippen usw. als Sprachmodul. Der Kopf bleibt stets außen vor.

Wenn Sie meinen, ich redete mit den Toten, bloß um Michael Jackson oder sonstigen ehemaligen Prominenten um ein Autogramm zu bitten, dann haben Sie sich geirrt. Neulich traf ich, z.B., auf Abu Mussab al-Sarkawi. Können Sie sich an ihn erinnern? Seinerzeit galt er als der Oberbrutalo aus Jordanien, der in Irak diverse Menschen vor laufender Kamera mit seinem Schlachtermesser enthauptet hat. Bevor er sein jeweiliges unschuldiges Opfer ermordete, hat er aber stets einen ellenlangen Schrieb vorgelesen – irgendeinen Text über Gerechtigkeit usw. nehme ich an. Allein die Tonlage hat mich immer an die drögen Manifestos der KPD denken lassen.

Längst hat sich Al-Sarkawi von diesen Dummheiten distanziert. Trotzdem kann er das, was geschehen ist, nicht ungeschehen machen. Das weiß er, und er legt Wert darauf, dass auch wir es wissen. „Und stell dir vor“, sagte er mir in der Sprache der Toten (die ganz anders klingt als die unseren), „ich habe gemeint, es warten zweiundsiebzig Jungfrauen auf mich. Es gab nicht einmal eine einzige!“

Es war diese Unterhaltung mit Al-Sarkawi, die mich auf Gedanken über die Antisprache gebracht hat. Auch Al-Sarkawi hat sich ihrer seinerzeit eifrig bedient.

Wie soll ich die Antisprache am besten erklären? Sie verhält sich zur Sprache wie das schwarze Loch zur Materie. Eine Negation aller Kommunikation also.

Ich behaupte, dass sie heutzutage geradezu wuchert. Und ich weiß auch, warum es so ist. Die Antisprache setzt sich nämlich nur zu ganz bestimmten Zeiten richtig durch. Meistens sind das Übergangszeiten, wie die unsere sicherlich auch eine ist. Immerhin: Wir stehen ganz am Anfang eines Zeitalters, in dem die globale Kommunikation verwirklicht wird wie noch nie zuvor. Denken Sie ans Internet. Auch wenn die Hauptstadt der elektronischen Kommunikation momentan noch „WehWehWeh“ heißt, wird an ihr täglich weiter gebaut und gewerkelt. Irgendwann bekommt sie einen nagelneuen Namen, der weniger schmerzlich klingt.

In China, Nordkorea, Iran usw., wo die Antisprachler herrschen, zumindest vorläufig, forscht man zwar eifrig nach Wegen, die neuen Kommunikationsmöglichkeiten in Ketten zu legen. Der Versuch ist aber zum Scheitern vorverurteilt. Das wissen die Antisprachler freilich so wenig, wie das schwarze Loch es versteht, wenn man ihm erklären würde, man trage gerne bunte Farben.

Und ich denke an die Spammer, Handlanger weit verzweigter Mafias, die verzweifelt nach einer neuen Rolle für die organisierte Kriminalität in einer vernetzten Welt suchen.

Und die Terroristen, die willige Idioten wie Umar Faruk Abdulmutallab oder Richard Reid nutzen, um Flugzeuge in die Luft zu sprengen. Nebenbei: Nicht von ungefähr wollen sie Flugzeuge zerstören. Denn ein Flugzeug dient buchstäblich der Vernetzung der Welt.

Der Witz: Die Antisprachler sind nicht weniger von der Sprache abhängig als alle anderen Menschen. Würden sie die Kommunikationskanäle tatsächlich zerstören, so hätten sie sich selbst zerstört. Komisch, nicht wahr? Das machen auch Krebszellen. Und Ebola.

„Du, Sprachbloggeur“, sagte mir Al-Sarkawi, „Ich glaube, der Engel Gabriel hat mit mir geredet.“

„Ach! Das klingt ja vielverheißend. Was hat er dir erzählt?“

„Ich weiß es nicht. Ich habe ihn leider nicht verstanden. Ich glaube, er hat Hebräisch gesprochen.“

Ein gutes 2010: allen.

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