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"Gewinnmaximierung" für Fortgeschrittene

Gestern hat mich mein Banker angerufen. Notabene: Früher hießen sie auf Deutsch „Bankiers“. Das Wort strahlt Würde, guten Geschmack und Pracht aus. Wenn ich „Banker“ höre, denke ich hingegen an den Klang einer metallenen Tasse, wenn sie auf den Boden fällt: benka-benka-benka-benka.

Anyway, ich bekam gestern einen Anruf vom Kundenbetreuer meiner Bank. Denn so werden sie heute auch genannt. Er wollte mit mir einen Termin vereinbaren, damit wir über die „Gewinnmaximierung“ meines bescheidenen Kontos reden könnten.

Beim Wort „Gewinnmaximierung“ fiel mir spontan ein Gespräch ein, das ich zufällig in der Chefetage eines renommierten Verlagshauses überhört [d.h. "mitgehört" - siehe Kommentare!] habe. Es sprach der mächtige Vorstandsvorsitzende des Hauses mit einem Vorstandsadlatus. Selbstverständlich verrate ich Ihnen weder den Namen des Verlags noch den der Diskutierenden.

Chef: „Gewinnmaximierung. Jawohl, darum geht es.“

Adlatus: „Aber Inhalt kostet Geld.“

Chef: „Wenn er zu teuer wird, dann muss man die Qualität herabsetzen und den Autoren weniger bezahlen. Sie holen sich ihr Content ohnehin aus Wikipedia.“

Adlatus: „Vielleicht deshalb sinken die Auflagen.“

Chef: „Nein, die Auflagen sinken, weil die Printmedien ständig mit dem Internet zu kämpfen haben. Eines Tages werden Printerzeugnisse, so wahr ich hier stehe, ganz verschwinden. Man wird alles digital lesen, wenn man überhaupt noch lesen kann. Die Ökospinner werden sich aber freuen. Sie bekommen ihre Bäume zurück.“

Adlatus: „Die Mitarbeiter stöhnen. Sie fühlen sich verunsichert, sind überarbeitet und beschweren sich, dass die Löhne purzeln während wir uns nur mehr über Shareholdervalue Gedanken machen.“

Chef: „Endlich haben sie die Lage richtig eingeschätzt. Nein, Spaß beiseite. Bei aller Sympathie für deren Verunsicherung, kann ich mich nicht um das Privatleben meiner Mitarbeiter kümmern. Das muss jeder für sich selbst. Schließlich sind wir hier keine Reha-Klinik. Außerdem sitzen wir alle letztendlich im selben Boot. Auch ich lebe ohne Sicherheit. Der Aufsichtsrat kann meinen Vertrag jederzeit kündigen. Auch Sie, lieber Freund, sind kein Paradiesvogel.“

Adlatus: „Aber wir können notfalls mit einer satten Abfindung rechnen.“

Chef: „Natürlich, weil wir die Verantwortung tragen. Das muss eben gewürdigt werden. Aber lasst uns nicht den Teufel an die Wand malen. Reden wir lieber von der Gewinnmaximierung. Ohne sie sind wir, wie die Amerikaner sagen, ‚toast’. Ein witziges Völkchen, die Amis. Aber warte, wer sitzt da in der Ecke und lauscht unserem Gespräch?“

Adlatus: „Ich glaube, es ist der Sprachbloggeur. Er betrachtet sich als Superheld und erscheint überall, wo er eine moralische Krise wittert.“

Chef: „Hmm. Der Sprachbloggeur. Moralische Krise. Vielleicht können wir ihn zum Comichefthelden machen. Sie, Herr Sprachbloggeur, möchten Sie lieber reich oder weise sein?“

Ich: „Ich wäre lieber reich.“

Chef: „Erzählen Sie mir, warum.“

Ich: „Weil ich noch nie einen Reichen gesehen habe, der bei den Weisen die Klinke putzt. Weise hingegen stehen vor den Türen der Reichen in Scharen.“

Chef: „Na also, habe ich nicht recht? Es geht doch um die Gewinnmaximierung.“

Nächste Woche rufe ich meinen Banker zurück. Einstweilen wünscht der Sprachbloggeur allen Gewinnmaximierern ein schönes Wochenende.

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