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Lob des Kommas

Ein sicheres Zeichen für den Verfall sprachlicher Moral ist der Kommafehler. Deutsch zählt zu den gesegneten Sprachen, weil die Interpunktion vernünftig ausgeklügelt ist. Sie schreibt genau vor, wann und wo ein Komma zu setzen ist. (Ausnahmsweise verwende ich lieber das Fremdwort „Komma“ anstelle des deutschen „Beistrich“. Letzteres klingt wie die Nebenstraße, auf der verkäuflicher Sex billiger zu erhalten ist als auf dem „Hauptstrich“!).

Das Komma im Deutschen wirkt gewissermaßen wie ein Verkehrsschild. Man weiß haargenau, wo man zu halten hat, damit Haupt- und Nebensatz nicht durcheinander geraten. Wenn ich Spanisch oder Französisch lese, komme ich (vor allem beim Spanischen) leichter ins Schlittern. Denn die Kommas in diesen Sprachen scheinen, jedenfalls mir, willkürlich gesetzt. Nicht selten kann ich Neben- und Hauptsatz nur schwer auseinander halten.

Im Frühjahr hatte ich den Film „Die Zeit die bleibt“ gesehen. Gleich fiel auf, dass das zu erwartende Komma nach „Zeit“ fehlte. Da ich es gewohnt bin, die Schuld zuerst bei mir zu suchen, bevor ich jemandem Vorwürfe mache, bemühte ich mich, einen treffenden Grund zu finden, weshalb „Die Zeit die bleibt“ korrekt sein könnte.
Im Sinne von „die Zeit, welche bleibt“, wäre nach den Regeln der deutschen Interpunktion ein Komma erforderlich. Falls der Satz hätte bedeuten sollen „die Zeit, ja, sie jedenfalls bleibt“, so hätte man ebenfalls ein Komma nach „Zeit" setzen müssen. Nein, ich hatte richtig geurteilt. Es handelte sich hier um pure Schlampigkeit.

Aber halten Sie mich bitte nicht für überpingelig. Ich liebe zum Beispiel die Flexibilität des englischen Kommas. Man kann es im Englischen setzen, auch wo nicht erforderlich, aus rein rhythmischen Gründen, etwa um den Fluss eines Satzes zu verlangsamen oder um besondere Dinge zu betonen. Eigentlich könnte man Gleiches im Deutschen tun. Nur, es gehört dazu eine Portion Mut. Neulich las ich Fritz Arnolds „Freundschaft in Jahren der Feindschaft“ und freute
mich, wie der Autor kühn mit seinen Kommas umspringt. Genießen Sie die Kommas im folgenden Absatz:

„Ich war zwanzig, als ich das erste Mal auf der Stazione Termini aus einem Zug stieg, an einem kühlen Frühjahrsmorgen, übernächtigt, aber erregt von Erwartungen, und mein Koffer über die Piazza dell’Esedra in eine Pension in der Via Torino schleppte. 1941 – vier Jahre später – , wieder nach einer schlecht verbrachen Nacht und mit Gedanken, was mir wohl bevorstünde, kletterte ich in Uniform aus einem Militärzug und trug nicht nur einen Koffer, sondern auch einen Karabiner zu Piazza dell’Esedra, um mich bei meiner neuen Dienststelle zu melden, dem Standortoffizier von Rom.“

Willkommen im deutschen Kommaparadies!

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