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Tila Tequilas Freunde

Raten Sie mal, wie viele Freunde Tila Tequila hat?

Sie brauchen sich nichts vorzuwerfen, falls Ihnen Tila Tequila kein Begriff ist. Mir war dieser Name auch unbekannt, bis ich gestern in der International Herald Tribune gelesen habe, dass diese Sängerin eine erhebliche Anhängerschaft auf der Internetselbstdarstellungsseite "MySpace“ genießt.

Ich teile Ihnen sicherlich keine neuen Weisheiten mit, wenn ich Ihnen beteuere, dass das Wort "Freund“ (genauer gesagt: "friend“), wie es bei "MySpace“, "YouTube“, "MyVideo“ usw. verwendet wird, wenig mit dem üblichen Sinn dieses Wortes gemeinsam hat. Bei diesen Webseiten ist "Freund“ als Fachbegriff im Sinne von "Anhänger“ oder "Fan“ zu verstehen. Diese Art "Freundschaft“ ist quasi die Belohnung für eine geglückte Selbstdarstellung. Die Fans melden sich bei dem/der Angebetenen halt als "Freunde“ an.

Als ich vor 30 Jahren in Deutschland eintraf, hat man mir erklärt, dass man sich erst duzt, nachdem man mit jemandem ein Pfund Salz gegessen habe. Der Sinn war mir sogleich klar: Bis man soviel Salz intus hat, vergeht wahnsinnig viel Zeit, d.h., Zeit, um mit jemandem Gemeinsames zu erleben.

Ich kann getrost davon ausgehen, dass Tila Tequila kaum in der Lage wäre, soviel Salz mit den Freunden zu teilen – auch nicht wenn es sich lediglich um "virtuelles“ Salz handelte.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich mache Tila Tequila keine Vorwürfe. Jeder weiß – oder sagen wir, fast jeder, der im Cyberspace aktiv ist, weiß – , dass „Freunde“ nicht unbedingt Freunde sind.

Doch bevor ich anfange, überheblich zu werden, ein paar Zeilen über die Geschichte des Wortes "Freund“. Fakt ist: Dieses Wort bezeichnete einst keineswegs die innige Beziehung zweier Menschen, wie wir es heute verstehen. "Freund“ ist letztendlich eine alte Partizipform des Worts "freien“, d.h., „umwerben“. Der "Freiend“ ist eigentlich der "Umwerbende“. Er will etwas von jemandem, meistens will er diesen jemanden heiraten. Er geht, sozusagen, auf Freiersfüßen. Vor langer Zeit also war der "Freiend“ gewiss kein "Freund“ im heute üblichen Sinn. Ich denke beinahe, dass er eher Tila Tequilas Freunden ähnelte, die auch irgendwie "Umwerbende“ sind. So dumm ist diese Internetsprache also doch nicht.

Übrigens: Kluge ("Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache“) leitet das Wort "Freund“ von "prijo" ab, einem alten Stamm, der "eigen“ bedeutet haben soll. Man findet diesen Stamm im Lateinischen "proprius“ ("eigen“) und im deutschen Fremdwort "proper“.

Sie sehen: Ich hätte leicht über Tila Tequila, "MySpace“ usw. zynisch lästern und spotten können. Dies wäre mir aber zu billig gewesen. Stattdessen habe ich nach einem Weg gesucht, mich mit dem neuen Freundschaftssinn anzufreunden.

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