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Von "Gesocks" und sontigen "racailles"

Gut möglich, dass Sie mit dem Begriff "R-Wort“ nichts anfangen können. In Frankreich ist er aber momentan ein großes Thema. Das "R-Wort“ steht für "racaille“. Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy hatte dieses Wort im November 2005 in den Mund genommen, um die nordafrikanischen und schwarzafrikanischen Jugendlichen in den Pariser (und sonstigen) Vororten der Nation zu beschreiben, die Tage lang randalierten und Autos anzündeten, um gegen den Tod zweier Heranwachsender, die während einer vermeintlichen Polizeiverfolgung starben, zu protestieren. (Dass ist ein langer, komplizierter Satz; die Geschichte ist noch länger und noch komplizierter!). Die Randalierer verziehen Sarkozy ob dieser Beschimpfung nie.

"Racaille“ (sprich: "ra-KEI“) ist in der französischen Sprache sehr starker Tobak – entspricht im Deutschen in etwa "Gesocks“. Eine Menschengruppe als "Gesocks“ zu bezeichnen, würde einen auch in Deutschland nicht gerade beliebt machen. Beide Wörter haben es in sich.

Schauen wir "racaille“ etwas näher an, um besser zu verstehen, woher es zu seiner Wortgewalt gekommen ist.

Über seine Herkunft gibt es zwei Theorien. Die eine leitet es von einer altfranzösischen Vokabel "rasquer“ (Latein: "rasicare“), zu Deutsch "kratzen“ ab – genauer gesagt, vom Altfranzösischen, "rasche“, zu Deutsch "Krätze“. Zwar hat "racaille“ im heutigen Französischen diese ursprüngliche Bedeutung nicht mehr, aber wenn es sie einst hatte, kann man gut verstehen, wieso es noch immer so verletztend wirkt.

Nach der zweiten Theorie hat "racaille“ einen deutschen Urahn aus fränkischer Zeit: "Racker“, das im heutigen Deutschen "Schlingel“ oder "Bengel“ bezeichnet, was freilich viel harmloser klingt als "racaille“. Allerdings: Im 15. Jahrhundert wurde dieses Wort im Sinn von "Abdecker“, "Schinder“, "Henker“ verwendet. Nach "Kluge“ käme es urprünglich von einer vergessenen Vokabel "Racke“ ("Kot“) oder von "racken“ ("fegen“). Demnach wäre der "Racker“ derjenige gewesen, der den Kot fortschaffte. Auch diese Herkunftsgeschichte würde die heutige Potenz von "racaille“ bestätigen.

Komisch aber, dass "racaille“ so eine scharfe Waffe im Spracharsenal geblieben ist, während das einst so mächtige "Racker“ im Deutschen beinahe zu einer Freundlichkeit heruntergestuft worden ist. Tja, Wörter sind wohl wie die Menschen. Man weiß nie im Voraus, wie zahnlos sie werden können.

Übrigens: Jahre lang rief in mir "Gesocks“ das Bild von übel stinkenden Strümpfen hevor. Weit gefehlt aber. Das "Gesocks“ bedeutet wörtlich die "Herumstreunenden“. Es sind diejenigen, die sich "auf die Socken“ machen, die – wie man es früher sagte – durch die Gegend "sockten“.

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