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Heute geht es um die Metasprache

Ich habe nach einem ganz bestimmten Beispiel gesucht, um Ihnen einen meisterhaften Übersetzungseinfall zu zeigen. Es geht um eine Passage in "Gravity’s Rainbow“, einem skurrilen Roman des Amerikaners Thomas Pynchon. Vor etwa dreißig Jahren hat Elfriede Jelinek die 750 Seiten dieses wunderbaren Buches als "Das Ende der Parabel“ ins Deutsche übertragen. Eine unvorstellbar schwierige Arbeit. Denn das Original lässt sich kaum übersetzen. Es wimmelt nur so von antiquierten englischen Slangausdrücken und unmöglichen Wortspielen und Witzen.

Wonach ich gesucht habe, ist eine Szene, die in einem Labor spielt. Es ist nachts, und die Versuchstiere, ich glaube, es waren Ratten oder Mäuse, sind in ihren Käfigen. Plötzlich tritt der Oberwissenschaftler in den Raum, den Grund habe ich vergessen, vielleicht um kurz nach etwas zu schauen. Die Tiere werden aber unruhig und beginnen untereinander zu raunen. Pynchon hat den Einfall, sie wie Knastbrüder sprechen zu lassen. Sie bedienen sich einer Sprache wie aus den amerikanischen Gangsterfilmen der 30er Jahren.

Wie gesagt: Ich habe die Stelle trotz langen Suchens leider nicht finden können. Ich komme aber jetzt darauf zu sprechen, weil ich damals beeindruckt war, welches Sprachmittel die Übersetzerin fand, um die arkane Sprache des Originals treffend zu übertragen: Sie verwandelte den amerikanischen Knastijargon in Berliner Dialekt. Der Trick funktionierte großartig.

Eine ähnliche Herausforderung hatte ich, als ich vor etwa 15 Jahren Carl Amerys "Untergang der Stadt Passau“ ins Englische übertrug. (Die Übersetzung ist übrigens nie erschienen. Um mit amerikanischen Verlagen ins Gespräch zu kommen, braucht man einen literarischen Agenten. Um einen willigen Agenten zu finden, braucht man Freunde, die Agenten kennen, usw.) Wie dem auch sei: Diese faszinierende Zukunftsvision erzählt von der Zeit nach der "großen Katastrophe“. Die wenigen Überlebenden in Bayern haben sich zu Stämmen neu formiert. Zugleich sind die meisten Errungenschaften der Kultur schnell verschwunden. Man redet natürlich kaum noch "nach der Schrift“, sondern allein nach dem Schabel. Lange Dialogpassagen in diesem Buch werden in Dialekt, genauer gesagt, im bayrischen Dialekt, verfasst. Das heißt: Ich als Übersetzer brauchte eine Strategie, um zwei Sprachen, Hochdeutsch und Bayerisch, nebeneinander auch im Englischen kenntlich zu machen. Aber wie?

Das Bayrische mit einem beliebigen englischen oder amerikanischen Dialekt zu ersetzen, hielt ich für den falschen Weg. Warum sollten Menschen aus Rosenheim Schottisch, Südstaatisch u.v.a.m. reden, es sei denn, ich würde die ganze Handlung nach England oder Amerika versetzen?

Letztlich kam ich auf die Idee, eine eigene Sprache zu erfinden. Da die Handlung in der Zukunft spielt und das Werk als Sciencefiction gilt, verfügte ich ohnehin über eine gewisse Freiheit. Langer Rede kurzer Sinn: Ich bastelte an einer eigenen Sprache. Ein bisschen Schottisch, etwas Yorkshire und Shakespeare und auch eine Prise New York. Et voilà! Ein erfundener Dialekt. Hier ein paar Beispiele:

Deutsch: "Babba, die derwischen uns nimmer. I mach uns a Feuer. I fang dir a’n Fisch.“

Englisch: "Papa, they’re no’ gonna git us n’more. I c’n make a fire. I c’n catch th’ a fish.”
Nota bene: Das “th’” soll “dich” bedeuten. Ich habe das alte “thou” ins Leben wiedererweckt.

Deutsch: "Zwegen einem Weib, was? Zwegen der Hur, der Addi?“

Englisch: „Accounta a woman, eh? Accounta that slut, that Addi?“
Nota bene: In New York sagen wir “on account a (of)” in der Bedeutung von “weil” oder “wegen”.

Ich komme heute auf diese Gedanken zu sprechen, weil ich nach einer schönen Übersetzung der Gedichte von C.F. Kafavis suche. Dieser große Lyriker lebte 1863 bis 1933 in Alexandrien, Ägypten. Man sagt über ihn, er habe das Neugriechische mit Elementen des alten hellenistischen Griechisch, das einst in Alexandrien gesprochen wurde, vermengt. Die Sprache soll, so habe ich gelesen, auf Griechisch geradezu überirdisch klingen. Aber wie soll man so etwas in eine Fremdsprache übertragen?

Vielleicht geht es gar nicht. Und so komme ich auf die Überschrift dieser Glosse zurück: In jeder Sprache steckt viel Metasprache. Sie strahlt wie Wärme aus gewissen Wörtern , auch wenn man sie nicht sieht. Ein Übersetzer kann nur von Glück reden, wenn es ihm gelingt, auch solche Elemente erfolgreich zu übertragen. Die Sprache ist gerne ein Versteck fürs Geheimnisvolle.

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