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Warum ich kein Blumenkind bin

Heute habe ich mir einige Gedanken über das englische Wort "care“ gemacht.

Diese Vokabel ist ein großer Renner in der amerikanischen Gegenwartssprache. "To care“ bedeutet in erster Linie "sich um etwas kümmern“. Zum Beispiel: "He cared for his old mother lovingly“ (“er kümmerte sich rührend um seine alte Mutter”). "Care“ weist ebenfalls darauf, dass man sich von etwas tangiert fühlt. „I care what you say“ ("Mir ist wichtig, was du sagst“). Wenn man "cares“, dann hat man Gefühle für etwas oder für jemanden.

Etymologisch ist "care“ mit dem altdeutschen "Kar“ ("Sorge“) wie in "Karfreitag“ verwandt. Mich interessiert aber eine neue Abwandlung dieses Wortes. Denn man gebraucht "care“ seit etlichen Jahren auch im Sinne von einem karitativen "mitfühlen“. "We care about you“ heißt also "Wir fühlen mit dir mit“. Oder man redet von "caring and sharing“ ("Mitfühlen und teilen“). Das Wort duftet seit einigen Jahren in den USA stark nach "Nächstenliebe“. Banken, vor allem wenn sie Geld verleihen, oder Privatkrankenkassen, die auf Kundenjagd sind, beteuern, dass sie "caring“ sind. George Bush erklärte neulich in Brasilien in eine Botschaft ans ganze Südamerika, "We care about you.“

Diese sprachliche Rührseligkeit ist nicht in einem leeren Raum zustande gekommen. Ich wage zu behaupten, dass ihre Wurzeln in der Hippiebewegung der 60er Jahre zu finden sind, als die Beatles „All you need is love“ usw. tönten und junge Menschen in den USA ihre neu entdeckte Freiheit "Liebe“ nannten. In den 70er Jahren erreichte die frohe Botschaft endlich die großen Massen. Man wollte in der Popkultur auf einmal Verständnis für den anderen aufbringen. In der Psychologie herrschte die Losung "I’m okay, you’re okay“. Man wollte "nett“ sein. Kein Wunder, dass auch das berühmte "smiley face“ damals zum ersten Mal das Licht der Welt erblickte. Sie kennen das "smiley face“, oder? Ich würde Ihnen das lustige Bild gerne in dieser Seite digital einbauen, weiß leider nicht, wie das geht. Googeln Sie kurz unter diesem Begriff. Noch eine amerikanische Floskel, die um diese Zeit aus dem Boden gestampft wurde, war das allgegenwärtige "Have a nice day!“ ("Ihnen/Euch/Dir einen schönen Tag!“). Man wollte ja überall Freundlichkeit ausstrahlen. Heute sagt man anstatt "have a nice day“ sogar "Have a great day“ – ein Hinweis, m.E., dass die Menschen nur noch dicker geworden sind. Und natürlich begann man damals über das "caring“ im oben erwähnten Sinn zu sprechen.

Beinahe habe ich als Vorreiter dieser Bewegung des überzuckerten Positivismus gedient. Denn im Jahr 1967, am Höhepunkt der berühmten "Flower-Power“-Bewegung, war ich sehr bemüht, Blumenkind zu werden. Doch jetzt erzähle ich Ihnen, warum ich kein Blumenkind geworden bin:

Ich stand eines Abends im Frühsommer 1967 mit Freunden an der Second Avenue Ecke Third Street – das nannten wir damals "East Village“ – in Manhattan und verteilte Blumen an die trübseligen Menschen, die an uns vorübergingen. "Have a flower!“ sagte ich blauäugig freundlich. Mein Gesicht ähnelte bestimmt der Form nach einem sonnigen "Smiley Face“. Ich war wirklich ein sehr netter Junge, absolut unverdorben. Etwa eine halbe Stunde hatte ich frohen Mutes meine Blumen an missmutigen Fremden verteilt, bis dann ein junger Mann, er dürfte kaum wenige Jahre älter als ich gewesen sein, wirkte aber verhärmt und welterfahren, an mir vorüberging. "Have a flower!“ trällerte ich vor. Der junge Mann hielt kurz an, schaute mir genau in die Augen und schwieg eine Sekunde. "Eine Blume?!“, seine Stimme klang skeptisch. "Hey Mann, lass das mit den Blumen“, sagte er, "Hast du vielleicht Kokain?“

Have a nice day.

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