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Die Evolution eines Gedankenfadens

Haben Sie gewusst, dass Charles Darwin das Wort "Evolution“ in seinem bahnbrechenden 1859 erschienenen "Origin of the Species“ ("Entstehung der Arten“) kein einziges Mal verwendet hat? Er bezeichnete die Veränderungen, die ein Lebewesen langsam in ein anderes verwandeln lassen, vielmehr als "Modifikationen“, was man mehr oder weniger mit "Abänderungen“ oder "Abwandlungen“ übersetzen könnte.

Ansonsten benutzte man damals das Wort "Transmutation“, um das auszudrücken, was wir unter "Evolution“ verstehen. "Evolution“ bedeutete um das Jahr 1800 lediglich "Entrollen“ oder "Entfaltung“. Das Wort taucht im heutigen Sinn erst in der dritten oder vierten überarbeiteten Auflage des "Origin of the Species“ auf.

So ist es mit den Wörtern. Man vergisst, dass sie sich genauso wie die Tierarten manchmal in etwas anders verwandeln .

Aber wer will sich um Vergangenes kümmern? Zu sehr leben wir in der Gegenwart – was auch nicht falsch ist – , um an der Evolution von Begriffen interessiert zu sein. Denken Sie an "Santa Claus“. Einst ein ausschließlich amerikanischer Begriff für den Nikolaus, ist dieses paukbackige, kugelrunde, fröhliche Wesen längst zu einer internationalen Ikone geworden. Wer weiß noch heute, dass er in seiner heutigen Inkarnation als Figur aus der Coca-Cola-Werbung der 30er Jahre ins Leben gerufen wurde?

In jedem Wort oder Begriff steckt eine Vorgeschichte. Meine neunzigjährige Mutter sagt, zum Beispiel, wenn sie zum Ausdruck bringen will, dass sie etwas schon lange nicht mehr gesehen oder erlebt hat, sie habe dieses oder jenes nicht mehr gemacht (oder gesehen) "since Hector was a pup“ ("seitdem Hector ein Welpe war“). „Hector“, stellt sich heraus, war der Name eines Hundes aus einer einst beliebten US-Zeitungskomik der 20er Jahre.

Ebenfalls sagt meine Mutter, wenn sie einen "stürmischen Auftritt“ beschreiben will: "like Grant took Richmond“ ("so wie Grant Richmond einnahm“). Beispiel: Mrs. Doland ist in den Raum gestürzt "like Grant took Richmond“. "Grant“? „Richmond“? Hier geht es um eine der letzten Kampfhandlungen des amerikanischen Bürgerkriegs (1861-1865), als das amerikanische Heer unter General Ulysses S. Grant in Richmond, Bundesstaat Virginia, einmarschierte. Google listet zu dieser antiquierten Redewendung 829 Treffer.

Mir fällt aber ein, dass ich diese Glosse mit einer Erläuterung des Wortes "Evolution“ begonnen habe, was mich wiederum auf die Idee brachte, über Sinneswandlungen und letztlich über Antiquiertheiten im Wortschatz vorzutragen.

Mit anderen Worten: Der Gedankenfaden dieser heutigen Glosse veranschaulicht mit aller Deutlichkeit, wie die Evolution selbst funktioniert: Man fängt mit einem Thema (bzw. mit einer Lebensform) an und landet schließlich ganz wo anders, ohne das erklären zu können. Damit habe ich gerade die Geschichte der Welt erzählt.

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