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Darf ich vorstellen: der "Wuss"

Der Wuss ist auf dem Vormarsch.

Dies wage ich heute zu behaupten. Ich war sogar fest überzeugt, dass "Wuss“ schon längst im Umgang war, vor allem unter Jugendlichen. "Stimmt aber nicht“, sagte mir mein Sohn, der dieses Wort selbst ständig verwendet. "Ich bin der einzige, der ‚Wuss’ sagt. Das Wort ist unter Jugendlichen absolut unbekannt.“

Nach einer fast ergebnislosen Google-Suche musste ich ihm Recht geben. Aber nur fast. Ich habe immerhin unter dem Stichwort "ein Wuss“ zwei Manga-Fans entdeckt, die das Wort ebenso wie mein Sohn benutzten. Ich halte alle Verwender für die Vorhut einer großen Bewegung und bewundere ihren Mut, Neues beim Namen zu sprechen.

Sie müssen zugeben: , "Wuss“ wäre eine hübsche Dreingabe für die deutsche Umgangsprache. „Das "W“ ist übrigens englisch wie bei "want“ oder "Wikipedia“ zu sprechen, und das Wort reimt sich mit "muss“ oder "Schuss“. Ich hätte aber nichts dagegen, wenn man es ganz verdeutschte, also mit "W“ wie "wusste“. Die gängige Merzahl lautet “Wusses“ – aber warum auch nicht die "Wüsse“?

"Wuss“ bedeutet "Memme“, "Waschlappen“, "Schlappschwanz“ und dergleichen. Manche sagen alternativ auch "Wussy“. Selbst bin ich dem "Wuss“ in den 90er Jahren in einem Zeitungsartikel begegnet und wusste nicht einmal, wie man es ausspricht. Mein Instinkt sagte mir damals, es müsse wie das englische "bus“ (ähnlich wie Deutsch "bass“) klingen. Meine Instinkte haben mich leider in die Irre geführt. Erst meine Nichte Gina brachte mir während eines Besuchs in den USA die richtige Aussprache bei.

Es handelt sich jedenfalls um einen Neologismus – das heißt, um ein neues Wort. Der älteste Hinweis auf "Wuss“ wird für das Jahr 1960 belegt. Die Etymologie ist eindeutig: Irgendein namenloses Sprachgenie hat "wimp“ mit "pussy“ kombiniert – et voilà! "Wimp“ – von "whimper“ ("wimmern“, "winseln") abgeleitet – gibt es seit etwa einem Jahrhundert in der englischen Sprache und hat den gleichen Sinn wie "Wuss“. "Pussy“ ist dagegen ein alte Vokabel und bedeutete ursprünglich "Kätzchen“. Im 16. Jahrhundert gebrauchte man "pussy“ als Kosewort für "Frau“. Zugleich diente das Wort – und tut es noch immer – als Bezeichnung für die weiblichen Genitalien. Einen Mann als "pussy“ zu beschreiben, war in meiner Jugend kein Kompliment. Gefühlsvolle Musik à la Judy Collins (kennt man sie heute noch?) nannten wir Jungs "pussy music“.

Zugegeben: "Wuss“ hat einen "Migranten-Hintergrund“. Trotzdem bin ich überzeugt, es wäre eine Bereicherung für die deutsche Sprache, vor allem weil es beinahe deutsch aussieht. Vor der Rechtschreibreform hätte man es noch schöner als "Wuß“ schreiben können. Aber im Ernst: Es ist obendrein ein sehr nutzliches Wort. Eine Sprache hat nie genug Synonyme für "Memme“. Deshalb mache ich mich heute für den "Wuss“ stark.

Mein letzter Versuch, den deutschen Wortschatz mit einem neuen Wort zu beglücken, schlug allerdings fehl. Damals hatte ich "Wikigootube“ erfunden und hoffte es als neuen großen Schlager der ironisierenden Internet-Technosprache installieren zu können. Ich scheiterte kläglich.

"Wuss“ ist aber ganz anders – außerdem ist dieses Wort keine Erfindung von mir. Es hat wirkliche Chancen. Davon bin ich überzeugt. Man muss es nur ein paarmal gesagt haben. Dann will man es nicht mehr missen.

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