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Eine haarige Geschichte

Fangen wir mit ein paar Exoten an.

Erstens: "Bezoar“. So nennt man die Haarbälle, die sich als Ergebnis einer geflissentlichen Körperpflege im Katzenmagen ansammeln. Das Wort wird, wie ich jetzt, Wikipedia sei Dank, erfahre, vom persischen "padsahr“, zu Deutsch "Gegengift“ abgeleitet. Die Perser haben offenbar einst gemutmaßt, dass diese Haarbüschel dazu dienten, Gifte im Katzenmagen zu binden und unschädlich zu machen. Nicht nur im Katzenverdauungstrakt, sondern auch im Raubvogelmagen bilden sich "Bezoaren“. (Diese Mehrzahlform stammt von mir. Oder vielleicht sollte man lieber "Bezoare“ sagen? Nebenbei: Die Schreibweise "Besoar“ wäre meiner Meinung nach passender für das Deutsche als die Form mit "Z“).

Zweitens: "Trichophagie“. Dieses Fachwort – aus dem Griechischen – bedeutet wörtlich das "Haaressen“. Fakt ist: Es gibt Menschen, die wie die Katzen die eigenen Haare in den Mund nehmen, daran kauen und sie anschließend herunterschlucken. Wer dies macht, ist wohl ein "Trichophagist“. Für dieses Wort habe ich bei Google allerdings nur einen einzigen Treffer gefunden – geschrieben auf Englisch am 17. August 2006 von einem gewissen "Josh“ in einem "MySpace“-Blog. "Josh“ bietet dem Leser eine ganze Liste exotischer "Phagisten“-Sorten an. Etwa: den "Xylophagisten“, der Holz isst, den "Amylophagisten“, dem Wäschestärke schmeckt, den "Hyalophagisten“, der Glassstücke nascht. Eine solche Liste kann freilich von jedem, der über genügend Griechischkenntnisse verfügt, beliebig ergänzt werden.

Ich komme auf diese Begriffsexoten zu sprechen, weil ich gestern einen Artikel in CNN-Online entdeckt habe, den man am besten unter die Rubrik "Unterhaltung auf Kosten der Dummheit anderer“ einreihen sollte. Es handelte sich um eine junge Frau, 18 Jahre alt, die fünf Monate lang unter peinigenden Bauchschmerzen gelitten hatte. Ihr Bauch war angeschwollen, sie konnte kaum einen Happen zu sich nehmen, ohne zu erbrechen und hatte schon rund 20kg verloren. Die Ärzte waren zunächst ratlos und rechneten mit dem schlimmsten…bis eine Kernspintuntersuchung und eine Magenspiegelung endgültig für Klarheit sorgten: Man entdeckte im Magen der Frau einen riesigen Besoar. Wie kam er zustande? Ganz klar: Es stellte sich heraus, dass, die Frau über mehrere Jahre eine zwanghafte "Trichophagistin“ (die weibliche Form ist meine Erfindung) war.

Der Haarball wurde jedenfalls alsbald herausoperiert. Er wog sage und schreibe 4,5kg und war etwa 34cm lang.

Es geht der jungen Frau mittlerweile viel besser. Sie kann wieder normal essen und hat ihre Leidenschaft für die eigenen Haare aufgegeben.

Was veranlässt mich heute diese Geschichte zu erzählen? Ganz einfach: Sie erklärt auf anschauliche Weise, warum der Wortschatz einer Sprache ins Unermessliche wachsen kann. Denn wenn ein Mensch Appetit auf die eigenen Haare bekommt, erwarten wir selbstverständlich ein passendes Wort, um dieses Phänomen zu beschreiben. Mahlzeit.

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