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Hirnsparabo auf Yup’ik

Ein Kommentar von Leser Mike Seeger hat mir schon wieder vor Augen geführt, wie leicht man die Orientierung verliert – auch in einer Sprache, die man gut kennt – , wenn man die Wortgrenzen außer Acht lässt.

Gerade dies hatte ich gemacht, als ich mich außerstande fand, den Sinn von Leserin Lolas zugemailter Redewendung "vollkrasse Hirnsparabo“ zu kapieren. Meine Augen lasen gedankenlos "Hirnspa-RA-bo“, was nach einem komplizierten dreifachen Salto geübter Gymnasten klingt. Auf das einfache "Hirn-spar-abo“ wäre ich auch nach zwei Tagen Folter durch beliebige Geheimpolizei nicht gekommen.

Ja, ich habe die Orientierung verloren. Genauer gesagt: Ich erkannte die Wortgrenzen nicht.

Das ist freilich kein Problem, das nur mich betrifft. Mein Sohn erzählte mir, dass sein Freund – wir nennen ihn "Golo" – mit einem Wort, das er als "Ango-RA-kater“ verstanden hatte, nichts anfangen konnte. "Ango-RA-kater“? Mutet fast wie eine Tempelanlage in Kambodscha an. Richtig wäre natürlich "An-GO-ra-ka-ter“.

Das Nichterkennen von Wortgrenzen treibt manchmal wunderliche Blüten. Die englische Vokabel "napkin“ ("Serviette“), zum Beispiel, hatte einst einen Verwandten namens "napron“ (sprich "näjpron“, also "Schürze“). "Napron“ in Kombination mit dem englischen unbestimmten Artikel müßte "a napron“ lauten. Doch immer mehr Engländer hörten und verstanden um das Jahr 1200 stattdessen "an apron“. Und so heißt das Wort bis heute. Die Wortgrenze hat sich unwiederbringlich verschoben. Warum sagen wir denn nicht "apkin“ statt "napkin“? Keine Ahnung.

Wahrscheinlich hat das Problem der Wortgrenzen einst ganze Völker beschäftigt. Nicht von Ungefähr werden diese Grenzen in manchen Sprachen äußerst genau markiert, damit niemand etwas Falsches versteht. Im Tschechischen, zum Beispiel, wird jedes Wort stur auf der ersten Silbe betont. Das ist wirklich nützlich. Übrigens: Im Deutschen herrschte früher eine ähnliche Regel. Bis heute werden Vokabeln des urgermanischen Wortschatzes grundsätzlich auf der ersten Silbe betont: "BIR-ne“, "GÜL-tigkeit“, "WIT-terung“. Einzige Ausnahme: Vorsilben – z.B., "ge-“, "ver-“, "be-“ – spricht man meistens unbetont ("ver-GES-sen“, "be-STE-hen“ usw.). Die Unregelmäßigkeiten im Deutschen tauchen erst mit Fremdwörtern auf: "Inte- RES-se“, "interes-SANT“, "Biogra-PHIE“. Im Französischen werden Wörter als Prophylaxe gegen Grenzüberschreitungen stets auf der letzten Silbe betont. Auch das funktioniert. Im Türkischen hingegen wird ein sehr raffinierter Trick angewendet: das Gesetz der "Vokalharmonie“. Beispiel: "Ev“ auf Türkisch bedeutet "Haus“, "evim“ ist "mein Haus“. "Göz“ ist "Auge“, "gözüm“, "mein Auge“. Die Endung, die im Türkischen "mein“ bedeutet, wird jeweils mit einem anderen Vokal versehen, damit sie sich mit dem vorangehenden harmonisiert. Ist die Harmonie zu Ende, befindet man sich bereits beim nächsten Wort.

Im Englisch klingt "ice cream“ ("Eis“) und "I scream“ ("ich schreie“) beinahe gleich. Bei "ice cream“ liegt die Betonung allerdings aufs "ice“, bei "I scream“ aufs "scream“. Dennoch unter Umständen ein Problem. "I scream, you scream, we all scream for ice cream“, witzelt man deshalb auf Englisch.

Aber wenn man schon in einer Sprache, die man versteht, Fehler machen kann, wie soll man dann die Wortgrenzen erkennen, wenn man in einer Sprache nicht einmal "Hilfe!“ sagen kann? Zum Beispiel im Yup’ik, einer Eskimo-Sprache aus Alaska. Dort heißt das Wort „Kaipiallrulliniuk“ buchstäblich "die zwei waren offensichtlich sehr hungrig“. Wer Yup’ik spricht, kettet lauter Einzelwörter zu einem zusammengesetzten Begriff aneinander. Das ist üblich bei ihnen. Was wie ein Wort aussieht ist also in Wirklichkeit ein ganzer Satz. Wer als Außenstehender Wortgrenzen sucht, hat wirklich schlechte Karten.

Trotzdem würde ich gerne wissen, wie man auf Yup’ik "Hirnsparabo“ sagt.

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