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Hilfe! Ich habe „Jedem das seine“ in einem Buch geschrieben. Bin ich Nazi?

Über dieses Thema habe ich schon mal geschrieben.

Schaden tut’s aber nicht, es noch mal aufzugreifen. Man wiederholt sich eh nie. Es entsteht immer etwas Neues, wenn man ein Lied zum zweiten Mal singt.

Leider weiß ich nicht mehr, was der Anlass der ersten Veröffentlichung war.

Immerhin erinnere ich mich noch an die Aussage. Ich war (damals) der Meinung, es wäre an der Zeit, diesen verruchten Spruch endlich aus dem Giftkabinett zu holen, um es zu rehabilitieren.

„Jedem das seine“ kam nur deshalb in Verruf, weil es die Nazis missbraucht haben. Zur Erinnerung: Dieser Spruch stand am Eingangstor im KZ Buchenwald, in Schmiedeeisen gegossen, quasi als „Denkansatz“ für die Insassen, die sich in dieser Anlage unweit der Goethe-Schiller-Stadt Weimar misshandelt wurden. Ich kenne Weimar (und schätze die Stadt sehr); ich kenne Buchenwald auch, doch Buchenwald schätze ich nicht, verstehe aber, warum es wichtig ist, so ein Monument der Grausamkeit fürs Nachkommen zu erhalten.

Keine Ahnung, wer der nationalsozialistische Scherzkeks war, der auf die Idee kam, ausgerechnet diesen Spruch auf einem Schmiedeeisentor am Eingang zum KZ gießen zu lassen. Vielleicht lässt sich dies googeln. In den meisten KZs stand eher der Slogan „Arbeit macht frei“ am Schmiedeeiseneingangstor.

Nebenbei: „Arbeit macht frei“ hat man bei Annähern einem Lager (z.B. Auschwitz) sehen und lesen können – als sollte man denken, dass fleißige Arbeit der Schlüssel zu einer künftigen Befreiung wäre. Im KZ Buchenwald war der Spruch „Jedem dem seine“ so angebracht, dass er nur von innen zu lesen war.

„Jedem das seine“ ist lediglich die dt. Übersetzung eines uralten lateinischen juristischen Satzes „suum cuique“. Schon Cicero hat ihn gebraucht. (Schauen Sie in Wikipedia nach, das macht das Leben einfacher). Vor dem Buchenwaldzeitalter konnte man die dt. Übersetzung des alten lat. Spruchs ohne Bedenken anwenden. Und danach? Noch im Jahr 1947 hat der dt. Lyriker Karl Schnog diese Worte als Titel seines Gedichtbands verwendet. Heute kaum mehr möglich.

Und nicht zu vergessen: „Suum cuique“ wurde mal auf den Schwarzer Adlerorden des Königs Friedrich I gestanzt. (Auch ein Wikipedia-Faktoid).

Auf Englisch gilt „to each his own” schon immer als harmlose Binsenweisheit. Bisher jedenfalls: Denn im Zeitalter von #metoo (thanks for the info, Wikipedia) müsse man erklären, dass sich das Wort „his“ in diesem Spruch nicht nur auf Männer bezieht, sondern „generisch“ zu verstehen sei. Man dürfe heute im Sinne der Gleichberechtigung auch „to each their own“ bzw. „to each her own” sagen. Nicht vergessen!

Da ich Amerikaner bin, hatte ich damals keinen Augenblick gezögert, ein Kapitel meines Buches „Kaspar Hausers Geschwister – auf der Suche nach dem wilden Menschen“ (Thema: homo ferus, die sog. Wolfskinder), mit dem Titel „Jedem das seine“ zu versehen. Als Überschrift kam mir dieser Spruch geradezu passend vor. Denn ich wollte in dem dafür vorgesehenen Kapitel darauf hinweisen, dass Forscher und Wissenschaftler zu jeder Zeit die Bedeutung des Phänomens der Wolfskinder nach eigenem Gutdünken auslegten. Jedem, also, das seine!

Neulich wurde mein Buch von einem gewissen Professor rezensiert. Leider mochte er mein Buch nicht – nicht allerdings wegen dem, was das Buch ist, sondern wegen dem, was das Buch nach seinem Geschmack nicht ist. Mein Buch sei – seiner Meinung nach – zu „populär“ geschrieben, und habe die allerneusten Ideen (die schnell wieder verjähren) nicht berücksichtigt.

Obendrein beanstandete er meinen Gebrauch des alten Spruchs „Jedem das seine“ als Kapitelüberschrift. Was soll ich sagen? Jedem das seine!

Doch nun wissen Sie alles, was Sie brauchen, um selbst „Jedem das seine“ in einem Satz vernünftig zu verwenden.

Comments

Die Herren haben wirklich Humor
In diesen bitteren Zeiten:
„JEDEM DAS SEINE“ steht höhnisch am Tor;
Durch das die Häftlinge schreiten.

So leuchtet, erhaben und arrogant,
Was sie an das Höllentor schmieden.
Uns ist auch ohne das Sprüchlein bekannt,
Was jedem im Lager beschieden:

Dem Häftling – das Stehen in Sonne und Sturm,
Erfrieren und klatschende Güsse.
Dazu vom todesdrohenden Turm
Das ernste Versprechen der Schüsse.

Den Henkern – die Ehre, der schmackhafte Schmaus,
Das Gleiten auf federnden Felgen;
Die Ruhe und das behagliche Haus,
Die Wollust, die Macht und das Schwelgen.

Dem Häftling – der Hunger, die Angst und die Last,
Die Marter, die viehischen Witze;
Das Essen, das Baden, das Schlafen in Hast
Und schließlich die mordende Spritze.

Ihr Herren, die ihr heute noch grient,
Glaubt mir, was ich schwörend beteure:
Einst holt sich der Häftling, was er verdient.
Und Ihr? Ihr bekommt dann das Eure!

Karl Schnog

fürs Karl Schnog Gedicht, das ich Ignorant nicht kannte. Nun habe ich mich Wikipedia sei dank ein bisschen über K.S. informiert. Moral der Geschichte: Man kann sich in Luxemburg vor Nazischergen kaum verstecken. Mir fällt dazu auch etwas Anderes ein: Wenn sich die Sprache gendermäßig in Richtung grammatikalische Gleichberechtigung weiterhin voranschreitet, wird es nie wieder möglich sein, "Jedem das Seine" wie bisher auszudrücken. Viele schöne Grüße P.J. Blumenthal

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