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Zwei Geschichten über Tauben

Ich habe zwei Geschichten über Tauben zu erzählen. Die Taube als Symbol spielt hier keine Rolle. Meine Tauben versinnbilden weder den heiligen Geist (üblicherweise als reine weiße Taube dargestellt) noch die Friedenstaube – auch weiß und als Gegensatz zum „Falken“, Inbegriff einer fliegenden Aggression, zu verstehen.

In New York – zumindest in der Stadt meiner Jugendzeit – sagten wir zu Tauben „rat birds“. Die Deutschen sprechen von „fliegenden Ratten“. Warum manche Tauben einen schlechten Ruf haben, hab ich nie verstanden. Vielleicht weil sich die städtischen Tauben so stark vermehren und alles bekoten.

Bei diesen „fliegenden Ratten“ handelt es sich eigentlich um die sog. „rock pigeon“, zu Deutsch „Felsentaube“. Sie heißen „Felsentauben“, weil ihr ursprüngliches Habitat eine Berglandschaft war. Städtische Häuser wirkten für sie wohl wie Felsen.

In New York galt es einst, sie zu vermeiden, da sie allerlei Krankheiten verbreiten sollten. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Sie wurden jedenfalls aus diesem Grund eine Zeitlang für…tja…vogelfrei erklärt.

Aber genug. Jetzt zu meiner ersten Geschichte über eine Taube.

Vor vielen Jahren lebte ich in San Francisco. Dort lernte ich mal einen Deutschen kennen. Er hieß Lothar, war etwas älter als ich und war zu Besuch bei seiner alten Freundin, meiner Nachbarin. Manchmal führte ich ihn aus. Einmal waren wir spazieren gegangen. Plötzlich hielt er an und sagte mit gespannter Stimme: „Look…Taube“. Seine Englischkenntnisse waren bescheiden – ähnlich meinen Deutschkenntnissen. Immerhin verstand ich das Wort „Taube“, das mit dem englischen „dove“ verwandt ist. Ob es sich um ein „der“, „die“ oder „das“ „Taube“ handelte, interessierte mich nicht. Das Tier kauerte mir nicht dir nicht in einem Hauseingang.

Nun erklärte mir Lothar, so gut es ging, dass während des Krieges in Berlin – er war damals noch ein Knabe – seine Familie manchmal das Glück hatte, auf der Straße eine Taube einzufangen, um schnell das Vogelvieh in den Kochtopf zu befördern. Es war mir sofort klar: Lothar erwog gleiches Schicksal für dieses Federvieh.

„Nein, Lothar. Lass den Vogel. Wir gehen zum Supermarkt. Ich kaufe ein Huhn.“ All dies habe ich teils Englisch, teils Deutsch mitgeteilt – ohne ihn offenbar von seinem Vorhaben zu bringen.

„Mmm“, sagte er. Und dann: „Taube sick. She die. We cook she.“ Prompt langte er sachte nach dem Vogel. Die Taube leistete keinen Widerstand. Er nahm sie sanft in die Hände und streichelte sie liebevoll.

In diesem Augenblick ging folgender Gedanke durch meinen Kopf: Was bist du ja für einen Heuchler? Isst du nicht gern Fleisch und Geflügel? Natürlich! Aber noch nie hast du dein Abendessen selbst durch das Mysterium des Todes begleitet. Vielleicht ist es jetzt höchste Zeit.

Langes Gezeter, kurzes Kinn. Wir kehrten in die Wohnung zurück, wo Lothar mit der Nachbarin lebte, und killten das Tier. Ja…zusammen.

Diesen Teil der Geschichte erzähle ich hier nicht. Man findet sie in meinem noch unveröffentlichten Roman „Franz und Narziss“. Falls dieser jemals einen Verlag findet, können sie die ganze Story lesen.

Ich habe Ihnen aber auch eine zweite Geschichte über Tauben versprochen. Und jetzt wende ich mich ihr zu. Diese fand erst neulich statt, kurz vor unserer Abreise von Riga, wo wir zwei Wochen weilten. Während wir vor unserem Hotel auf dem Taxi zum Flughafen warteten, trafen wir auf den Hausmeister des Hotels. Er sprach nur Russisch – kaum Lettisch (das ist aber eine andere Geschichte). Immerhin verfügte er über ein paar Brocken Englisch. Ich könnte mit ihm reden also wie mit Lothar.

„My friend“, sagte er und zeigte auf eine Taube. Plötzlich flatterte der Vogel in die Höhe und landete auf seiner Hand. Sogleich streute er einige Brotkrümeln auf seine Handoberfläche, und die Taube begann daran zu picken. Bald flatterten noch ein paar Tauben um ihn rum. Auch sie hockten dann auf seiner Hand und seinen Schultern. Nun forderte er mich auf, meine Hand auszustrecken, was ich dann auch tat. Er streute ein paar Krümeln auf meine Handoberfläche. Und zack! Eine Taube ließ sich auf meinem Handgelenk nieder und fraß aus meiner Hand. Das Tier war übrigens ein Federgewicht.

In dem Augenblick fiel mir die Taube von Lothar nicht ein. Das passierte erst später. Doch nun weiß ich: Durch dieses Ereignis aus jüngster Zeit habe ich mich irgendwie mit der Taubenwelt versöhnt.

Nach wenigen Minuten war unser Taxi da.

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