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Sprechen Sie Donbass?

Auf einmal war das kleine Zeichen nicht mehr wichtig. Ich meine das Gender-Sternchen. Kaum hat Mister Putin seine Panzer und seine Soldaten – sprich „Friedenstruppen“ – gen Dombass (kurz für „Donetzbecken“ bzw. „donetzki bassejn“) abkommandiert, zerbricht keiner mehr den Kopf wegen Begriffe wie Soldat*Innen und Panzer*Innen. Die Sprache passt sich immer an.

Schwer zu sagen, wohin nun die Reise. Ich hoffe jedenfalls, Sie haben Ihren Sicherheitsgurt angeschnallt. Genügend Pullover? Eine kuschlige Daunenjacke? Denn bald werden wir uns warm anziehen müssen.

Zum Glück bin ich weder Prophet noch Polemiker, lediglich Sprachennarr.
Sagt Ihnen der 1. September 1939 etwas? An dem Tag sagte Hitler nachdem deutsche „Friedenstruppen“ in Polen marschiert waren: „Seit 5:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen!“ Dieser Trick hat Tradition. Man inszeniert einen Angriff der Gegner, um einen Casus Belli zu ergründen.

Im jetzigen Fall wurden russische Propagandavideos gedreht, die einen Angriff des Feindes gegen Dombasspatrioten – mit blutigen Toten – dokumentieren. O-Ton Putin: „Die sogenannte zivilisierte Welt zieht es vor, den von Kiew begangenen Genozid im Donbass zu ignorieren.“

Notabene: „Genozid“ hat er gesagt. Und die Hintermänner dieser Mörderbande bezeichnet er als eine „Marionettenregierung“. Harter Tobak.

Okay. Zugegeben. Die Ukraine ist nicht gerade eine Musterregierung – obwohl Russland gilt als noch eine Stufe korrupter. Und nicht ganz daneben ist Putin, wenn er sich beklagt, dass er (oder meint er Russland) despektierlich vom Westen behandelt wird. Auch nicht falsch ist die Behauptung seinerseits, dass der historische Bezug zwischen Russland und der Ukraine groß ist.

Darüber hinaus reden sie zwei Sprachen, die sehr verwandt sind – so wie Niederländisch und Deutsch. Der ukrainische Präsident heißt mit Vornamen Volodymyr; Putin heißt Vladimir. Das erinnert an „Hendrik“ und „Heinrich“.
Es sind aber in der Tat zwei Sprachen, die auch Unterschiede aufweisen. „Luhansk“ heißt die umstrittene Stadt und Region im Osten der Ukraine, wo Putins „Friedenstruppen“ nun stationiert sind. Dieser Name ist aber eindeutig ukrainisch. Auf Russisch hieße es „Lugansk“. Das ukrainische „H“ wird auf Russisch zu einem „G“. Deshalb sagen Russen „Gamburg“ statt „Hamburg“. Ebenfalls wird das russische „O“ zu einem „I“ auf Ukrainisch. „Lwiw“ sagen die Ukrainer, „Lwow“ die Russen.

Ja, okay. Manchmal ist die Sache mit Grenzen und Sprachen konfus. Denken Sie an die dänische Minderheit im Südschleswig oder die ungarischen Gebiete in Rumänien, Slowakien…sogar in der Ukraine. Oder die Deutschen in Ostpreußen.

Wie dem auch sei: Taktiker Putin inszeniert momentan eine klassische „false flag operation“. „Einsatz unter falscher Flagge“ heißt das auf Deutsch. Die Taktik hat eine lange Tradition – bis zum 16. Jh wenn nicht länger. Damals hisste man „falsche Fahnen“ auf Schiffen, um aus dem Hinterhalt anzugreifen. Die CIA taufte diesen Trick in den 1950er Jahren in „plausible deviability“ um. Zu Deutsch: „glaubhafte Abstreitbarkeit“. Meisterhafte Doppeltgemoppeltkeit!

Sie wissen wahrscheinlich, dass Putin als Kind als Straßenjunge durch die Straßen Leningrad streifte und raufte für sein Leben gern. Ein bisschen kleiner gewachsen war er damals, aber er zeigte Nerven und lernte eifrig Judo.

Sein Judoka-Trainer, Anatolij Rachlin, eine Art Ersatzvater, schrieb über seinen talentierten Schüler, dass er einen Fehler hatte: „Er wollte unbedingt gewinnen und hat seine Kräfte nicht eingeschätzt. Im Sport ist das eine Schwäche.“ Über sich selbst sagt Putin, er habe einen niedrigen Instinkt für Gefahren. Dies betrachte er als ein „sehr ernster Mangel“.

(Obige Zitate stammen übrigens aus einer neu erschienenen politischen Biographie über Putin, geschrieben von Thomas Fasbender. Ich habe Auszüge dieser spannenden Lektüre in der Schweizer „Weltwoche“ gelesen).

Insofern weiß man noch nicht, inwieweit Putin bereit ist, die Weltordnung nachhaltig aufzumischen. Schließlich wählen die Russen 2024, und Putin möchte wiedergewählt werden. Wir werden es aber bald wissen.

By the way: Wenn ich Xi wäre, würde ich denken: Hmm, keine schlechte Zeit, Taiwan zu kassieren. Ja, so spricht man Dombass.

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