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Ein paar Gedanken über Sex und Grammatik

"Alles Schlampen außer Mutti.“ In knallpink Schrift hatte jemand mit diesem Spruch die Wand eines wunderschönen Jugendstilhauses bei mir um die Ecke verunstaltet. Nicht weit entfernt davon hatte sich derselbe Sprayer mit einem pinkfarbigen Herzchen verewigt. Frech, nicht wahr?

Immerhin steckt ein Quäntchen Witz in dieser Selbstdarstellung, habe ich gedacht. Denn die Farbwahl in Kombination mit dem Spruch schien darauf hinzuweisen, dass der Urheber (sicherlich keine Urheberin) seine Aussage nicht so tierisch ernst genommen hat. Lustiger wäre es aber, seine Botschaft auf eine Littfaßsäule zu sprühen als auf die Wand eines schönen Altbaus.

Und dennoch handelt es sich um eine sexistische Aussage. In Worten kann man fast alles ausdrücken.

Nun dachte ich: Der Sexismus zählt eigentlich zu den jüngsten "ismen“. Vor nur wenigen Jahrzehnten hätte obiger Sprayerspruch in manchen Ländern schlichtweg als Staatsräson gegolten.

Das war damals. Heute muss man ein Taliban oder ein eingefleischter Wahabist sein, um einen Spruch wie den obigen ernsthaft zu klopfen. Sogar im jemenitischen Hinterland, so habe ich neulich in der Zeitung gelesen, konnte eine zehnjährige (!!!) Ehefrau die Annullierung ihrer Ehe (!!) mit einem dreißigjährigen (!!!!) Ehemann vor Gericht erfolgreich durchfechten. Die Zeiten ändern sich.

Und die Sprache? Auch sie passt sich an. Denn um die Gleichwertigkeit der Geschlechter Rechnung zu tragen, wird auch an der Sprache fleißig (wenngleich zuweilen unsichtbar) gewerkelt, was sie , wenn Sie mich fragen, manchmal ebenso verunstaltet wie die schöne Wand eines Altbaus.

Etwa wenn ein Autor anstelle des schlichten verallgemeinenden "liebe Leser“ stets das umständliche "liebe Leser, liebe Leserinnen“ oder das noch grausamere "Liebe LeserInnen“ schreibt. „Wer gerne häkelt, der soll sich bei Frau Schmidt melden“ sagt man – bzw. frau –, um dem Häkelverein beizutreten, und keiner nimmt daran Anstoß. Das männliche Fürwort "der“ ist in diesem Zusammenhang uraltes grammatisches Erbe und wird als solches anstandslos hingenommen.

Im Englischen sagte man früher "Whoever leaves the room last, let him turn the lights out“. Heute zählt diese Konstruktion zu den großen "no-nos“ der gesprochenen Sprache. Üblicher ist "let them turn the lights out“ geworden. Das soll egalitärer sein, klingt nur furchtbar und unlogisch.

Trotzdem kann eine Sprache flexibel und sogar tolerant bleiben – auch im Zeitalter der Gleichberechtigung. Es gibt im Deutschen einen "Gastgeber“ und eine "Gastgeberin“ jedoch keine "Gästin“– dafür aber seit geraumer Zeit eine "Kanzlerin“. Das englische "chairman“, also "Vorsitzende“ (wörtlich "Stuhlmann“) heißt hingegen seit etlichen Jahren "chair“. "The chair sits on a chair“ also.

Tatsache ist: Die Handhabung der Geschlechtlichkeit in einer beliebigen Sprache, muss nicht unbedingt Verbindliches über die Situation zwischen Mann und Frau in einer bestimmten Gesellschaft aussagen. Die Yoruba-Sprache und das Türkische unterscheiden in der dritten Person nicht einmal zwischen "er“ und "sie“ . Besagt das etwas über die Beziehung zwischen den Geschlechtern in Nigeria und in der Türkei? Nicht unbedingt.

Ich merke schon, ich habe gerade die erste Seite eines dicken Buchs geschrieben, will heute damit nicht fortfahren. Vielleicht komme ich auf dieses Thema ein anderes mal zu sprechen.

Schon wieder habe ich Ihnen Einsicht in die assoziative Methodik meines Denkens gewährt. Dabei wollte ich eigentlich nur von einer einfachen Fantasie erzählen: In ihr entdecke ich das Haus des oben erwähnten Sprayers und sprühe auf die Wand folgenden Spruch: "Alle Sprayer sind Verunstalter außer mir.“

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