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Huha! Die Krawallerie ist da!

„Opa, ich kann nicht schlafen. Es ist zu heiß, und wir leben in Europa, wo man keine Klimaanlagen hat. Erzähl mir eine Geschichte…“

„Eine Geschichte? Ich kenne nur Geschichten. Möchtest du eine alte oder neue Geschichte hören?“

„Erzähl mir, wie du damals eigenhändig die Bank of America in Schutt und Asche gelegt hast.“

„Ich? Nein, das hast du falsch verstanden. Ich war nur Zuschauer. Du willst nur glauben, dass ich höchstpersönlich die Bank niedergebrannt habe, damit Du mit der Geschichte angeben kannst.“

„Bitte erzähl die Geschichte, auch wenn du nur Zuschauer warst.“

"Weißt du, es war eine Sommernacht so wie diese. Die Leute lungerten auf der Straße rum und wussten nicht, was sie machen sollten. Es gab nämlich damals noch kein Internet, kein Gaming oder Phons und Apps usw.“
„Habt ihr auch keine Autos gehabt?“

„Ja natürlich hatten wir Autos. Warum fragst du?“

„Wenn ihr Autos gehabt hättet, dann hättet ihr irgendwo hinfahren können.“

„Hmm. Gute Idee. Leider hat da keiner daran gedacht. Stattdessen haben manche Jungs alte Autoreifen irgendwoher geholt und in Brand gesetzt.“

„Wie kann man Autoreifen anzünden?“

„Das hab ich vergessen. Ich war nicht die ganze Zeit dabei. Ich saß nämlich die meiste Zeit mit Freunden im Café. Erst als die Autoreifen schön brannten, ging ich wieder vor die Tür. Da sah ich lauter Jungs auf der Straße, die um die brennenden Reifen herumtanzten.“

„Wo waren die Mädchen?“

„Das weiß ich nicht. Vielleicht haben auch sie getanzt. Ich glaub es aber nicht. Die Jungs tanzten lang. Und das Feuer loderte immer höher. Wäre ein schönes Foto gewesen, bloß damals haben nur wenige Leute Fotoapparate dabei gehabt. Es war aber alles ziemlich harmlos, und die Jungs hatten endlich was zu tun. Doch dann wie aus dem heiteren Himmel sahen wir einen Müllwagen auf der Straße. Er fuhr ganz langsam auf uns zu. Ganz langsam. Alle haben hingeschaut, und jeder hat sich gefragt: Was macht ein Müllwagen um diese Zeit da? Es ist Nacht. Die Müllmänner arbeiten nicht nachts. Und plötzlich - als hätten sie auf ein Zeichen gewartet - standen lauter Polizisten im Müllwagen kerzengrad auf. Sie sahen aus wie die Griechen im trojanischen Pferd. Die Geschichte kennst du auch, hab ich dir schon ein paarmal erzählt.“

„Ja, Opa.“

„Die Polizisten hatten alle Helme an wie Darth Vader, weißt du, und Knüppel in der Hand…“

„Was habt ihr gemacht?“

„Das weißt du selber. Du hörst diese Geschichte nicht zum ersten Mal. Ich selbst hab nix gemacht. Ich hab nur zugeschaut. Andere aber haben sich Steine geholt - woher weiß ich nicht mehr -, mit denen sie die Polizisten bewarfen, was die Polizei ziemlich überrascht hat. Der Müllwagen bremste nun hart, machte kehrt, und im Nu sauste er wieder davon. Dieser unerwartete Sieg - wenn man’s so nennen darf - muss die Jungs auf der Straße irgendwie angestachelt haben. Sie haben gefeiert, als hätten sie eben einen Krieg gewonnen. Inzwischen waren die Reifen ziemlich verkohlt, und da alle nun derart aufgedreht waren, dachten sie nur noch ans Weiterrandalieren. Es war, denk ich, in dem Moment, dass irgendwelche Jungs auf die Idee gekommen sind, die Feier nun vor die Bank of America zu verlagern. Das weiß ich nicht mehr so genau. Denn ich bin zurück ins Café gegangen. Als ich wieder auf die Straße ging, standen sie alle schon vor der Bank und machten Radau. Nun bin auch ich dorthin gegangen. Die Eingangstür hatten sie bereits eingeschlagen. Lauter Jungs streunten durch den großen Raum wie Ameisen - nein, nicht um Geld zu rauben. Das Geld war ohnehin im Safe. Sie wollten nur randalieren, weil sie wieder Langeweile hatten und die Polizei sie da nur weiter angestachelt hatte.

Auch ich bin in die Bank gegangen, um mich rumzuschaun. Ich kann mich aber nur an einen Jungen genau erinnern. Er hatte ein Gipsbein und saß auf einem Schreibtisch neben seiner Krücke und hatte den Telefonhörer am Ohr. Damals gab es noch keine Handys. ‚Mama?‘, sagte er in den Apparat. ‚Stell dir vor, wo ich bin! In der Bank of America! Ja! Wir haben sie gerade gestürmt!‘“

„Aber die Bank brannte noch nicht…“

„Nein, das kam erst später. Und bevor das passiert ist, war ich längst in meinen Wagen gestiegen und hab mich aus den Staub gemacht. Aus der Ferne aber konnte ich sehen, wie die Bank lichterloh gebrannt hat…“
„Warum macht man das heute nicht mehr, Opa?“

„Tut man aber doch. Aber anders.“

„Wieso anders?“

„Damals haben die Jungs das gemacht, weil sie Langeweile hatten. Heute hat man andre Gründe.“

„Was, zum Beispiel?“

„Wie soll ich‘s dir sagen…Die Jungs heute möchten wieder in einer Zeit leben, in der man sich wie früher langeweilen könnte, weil sie heute keine Zeit mehr haben, um sich zu langweiligen. Sie denken: Wenn ich die Dinge kaputt mache, werde ich mich endlich langeweilen können... Komisch…“

„Ich wünschte, ich wäre so alt wie du. Alles, was früher war, kann man immer gut erklären.“

In eigener Sache: Nächste Woche ruht die Cyberdruckerei kurz. Bin im Schanzenviertel…im Ernst.

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