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Ein „völkisch“, ein „verführerisch“

Meine Frau teilte mir neulich mit, dass Frauke Petry den Begriff „völkisch“ rehabilitieren wollte, also ihn positiv besetzen.

Meine Frau war entsetzt darüber. Ich nicht. Schöne Idee, hab ich gedacht. Jedes Wort kann man positiv besetzen. Oder?

Okay, vielleicht nicht jedes Wort aber viele, ja, vielleicht die meisten. Zum Beispiel das Wort „Ekel“. Während meiner Zeit als Journalist hatte ich die Idee, einen Text übers Ekel zu schreiben. „Lieber Herr Blumenthal“, sagte mir mein Chef, „lassen Sie’s. Wir wollen nicht noch mehr Ekel, als es bereits gibt, in die Welt setzen. Oder?“

„Und wie wäre es, wenn ich den Text ‚Das Schöne am Ekel‘ nenne?“

„Oha, Herr Blumenthal, wenn es Ihnen gelingt, mich zu überzeugen, dass das Ekel eine schöne Seite hat, dann nix wie los. Spitzen Sie Ihren Bleistift.“

Es war mir gelungen, ihn zu überzeugen. Leider hab ich den Inhalt des Beitrags inzwischen vergessen. Wahrscheinlich spielte ich mit der Tatsache, dass das Ekel eigentlich fürs Überleben unentbehrlich ist. Ich meine: Was mich „anekelt“, das vermeide ich. So gesehen, hat das Ekel doch seine schöne Seite.

Aber das Schöne am „völkisch“? Gibt es das?

Vor einigen Jahren hat der Sprachbloggeur einen politisch unkorrekten Text über die Losung „Jedem das Seine“ geschrieben, mit dem Ziel sie zu rehabilitieren. Vielleicht hat ihn Frau(ke) Petry mal gelesen. Wer weiß? In diesem Text argumentierte ich, dass dieser Slogan in anderen Sprachen - zum Beispiel im Französischen und im Englischen - schon seit immer positiv besetzt war. Etwa: „Chaqu’un à son goût“ und „To each his own“. Bloß weil mal ein Hornochse auf die zynische Idee gekommen ist, so behauptete ich, diese Redewendung als Losung fürs Buchenwald-KZ zu missbrauchen, muss heute fast jeder Deutsch Sprechende einen Bogen um diese altgediegene Redewendung machen. Irgendwie unfair.

Aber zurück zum „völkisch“.

Denken Sie an „Volk“, das bereits positiv besetzt ist. Man sagt „das deutsche Volk“ und macht sich dabei keineswegs lächerlich. Man kann das Ersparte in der Volksraiffeisenbank (nein, hier keine Schleichwerbung…leider) bunkern, ohne dass man als, wie man früher sagte „rechts von der CSU“ ausgelagert wird. Es gibt auch „Volksbäder“ - zum Beispiel das hübsche Jugendstil „Müller‘sche Volksbad“ in München, und keiner muss dort seinen Arierpass zeigen.

Schließlich ist „völkisch“ das Adjektiv zu „Volk“. Trotzdem sind weder das deutsche Volk, die Volksraiffeisenbank noch das hübsche Müller‘sche Volksbad völkisch. Und das scheint das Problem zu sein.

Vielleicht weiß Frau(ke) Petry, warum es so ist.

Immerhin: Wer das Wort „volkisch“ positiv besetzen will, muss wohl wissen, wie man’s tut.

Ich denke, ich bin ohnehin der Falsche, dieses Thema aufzugreifen. Schließlich bin ich Amerikaner („US-Amerikaner“ sagen die Südamerikaner). Auf Englisch heißt das amerikanische Volk „the American people“. Für „people“ kenn ich keine adjektivische Form. Vielleicht „public“. Doch das ist irgendwie was anders. Wir reden zwar vom „public good“ aber auch vom „public restroom“ - zu Deutsch: „öffentliche Erfrischungsanstalt“. Und dann gibt es „populist“. Doch dieses Wort ist fast stets negativ besetzt...

Ich sehe. Die Sache wird zusehends komplizierter. Vielleicht hilft uns mal Frau(ke) Petry aus dem Schlamassel. Denn sie weiß sicherlich ganz genau, wie man „völkisch“ positiv zu besetzen hat.

PS Liebe Leser, liebe Bots, der Sprachbloggeur schließt für ein paar Wochen seine Wortfabrik. Nächster neuer Beitrag ist für Anfang Oktober vorgesehen.

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