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Wie der Sprachbloggeur den Milzbrandattentäter (fast) gestellt hätte

Erinnern Sie sich an die "Milzbrandbriefe“ vom Herbst 2001?

Falls nicht, hier eine kurze Zusammenfassung: Etwa eine Woche nach dem Terroranschlag vom 11. September 200l in New York tauchten in den USA die ersten Briefe auf, die mit hochgiftigen Milzbrandsporen verseucht waren. Milzbrand – in der Fachsprache "Anthrax“ – ist eine meist tödlich verlaufende bakterielle Krankheit. Grasende Schafe sind besonders anfällig. Menschen werden selten betroffen. Doch nun schickte jemand Briefe mit Anthraxsporen an diverse Politiker und Journalisten. Während der nächsten Wochen starben fünf Menschen an den Folgen; insgesamt siebzehn erkrankten. Es schien wegen der komplizierten Herstellungsweise der Bakterien das Werk von Experten zu sein. In den USA herrschte die blanke Panik.

Prompt veröffentlichte die US-Bundespolizei FBI Fotos der in unbeholfener Blockschrift gekritzelten Giftbriefe samt Umschlägen in diversen Zeitungen in der Hoffnung, jemand würde vielleicht Wichtiges erkennen. Hier zwei der Texte:

09-11-01
YOU CAN NOT STOP US.
WE HAVE THIS ANTHRAX.
YOU DIE NOW.
DEATH TO AMERICA.
DEATH TO ISRAEL.
ALLAH IS GREAT.

und:

09.-11-01
THIS IS NEXT
TAKE PENACILIN NOW
DEATH TO AMERICA
DEATH TO ISRAEL
ALLAH IS GREAT

“O9-11-01” bezieht sich natürlich auf den 11. September – auf Englisch "nine-eleven“.

Fällt Ihnen in den Texten Ungewöhnliches auf – das heißt, abgesehen vom lahmen Versuch, das Verbrechen Islamisten in die Schuhe zu schieben?

Mir schon. Drei grobe Fehler stechen in den beiden Texten heraus. Erstens: "Can not“ muss „cannot“ heißen. Ein typischer Rechtschreibfehler ungebildeter Amerikaner. Zweitens: "We have this anthrax, you die now“ ist schlichtweg unkorrektes Englisch, soll vermutlich den Eindruck erwecken, dass der (oder die) Täter Ausländer wären. Letztendlich war es aber der dritte grobe Fehler, der mich stützig machte: Der Autor hat für "penicillin“ "penacilin“ geschrieben. Für mich ist dies ein sehr wichtiger Hinweis. Denn dieser Schreibfehler beweist, dass der Täter – bzw. der Briefschreiber – unbedingt Amerikaner hätte sein müssen. Dieses Wort wird nämlich in der amerikanischen Umgangsprache "penn-a-ssill-inn“ artikuliert. Arabisch sprechende Menschen (ebenfalls alle, die eine europäische Sprache reden) sagten hingegen auf Englisch etwas, das wie "pe-nie-ssill-in“ klänge. Sie kämen nie auf die Idee, dieses Wort mit einem "a“ zu schreiben.

Diese Spur ist wichtig, insbesondere weil das FBI damals das ominöse "al-Qaida“ als Strippenzieher dieser neuen Terrorepisode im Visier hatte. Und siehe da: Bald zählten drei Amerikaner pakistanischer Abstammung zu den Unschuldigen, die von der Geheimpolizei als mögliche Täter grundlos verhaftet wurden. Das Ergebnis: Diese Menschen verloren alles und kehrten den USA schließlich den Rücken.

Da ich überzeugt war, dass der Täter einer mit amerikanischer Muttersprache sein müsste, wusste ich sogleich um ihre Unschuld. Ich schickte eine Mail an meinen Journalistenkollegen William Safire, der seit Jahren für die New York Times eine Sprachglosse schreibt. Da er gut vernetzt ist, meinte ich, er könnte meine Entdeckung schneller publik machen als ich. Er reagierte auf die Mail leider gar nicht. Somit bin ich direkt ins tiefe, kalte Wasser gesprungen: Ich habe das FBI in Washington angerufen, um meine Gedanken kundzutun. Haben Sie jemals mit dem FBI telefoniert? Es ist noch schlimmer dort einen Menschen aus Fleisch und Blut zu erreichen, als wenn sie Minutenlang an der Strippe hängen, weil Sie mit Ihrem Mobiltelefonbetreiber reden wollen. Doch endlich erreichte ich eine Person. Keine Ahnung, wer sie war, und soweit ich weiß, hätte es ebenso gut ein UPS-Fahrer, der zufällig ein Paket bei der Bundespolizei abgegeben hatte. Dennoch erläuterte ich meine Theorie so vollständig wie möglich, nahm ein gelangweiltes "Thank you“ entgegen, und damit ging meine Karriere als Geheimagent jäh zu Ende.

Seit ein paar Wochen glaubt das FBI, nun zu wissen, wer der damalige Täter war: ein geisteskranker US-Mikrobiologe namens Bruce Ivins, der jahrelang an einem Impfstoff gegen Milzbrand gearbeitet hatte. Immerhin ein triftiger Zusammenhang. Er nahm sich das Leben ohne Beichte Ende Juli 2008.

Wer weiß? Vielleicht war er auch der Täter. Doch ehrlich gesagt, hätte ich gedacht, dass ein Mikrobiologe "penicillin“ ganz anders hätte falsch schreiben können als der Schreiber des berühmten Briefes.

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