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Deutsche Krankheiten

Nein, diese Woche lieber kein politischer Kommentar. Die Zeiten werden (zumindest für die Newsjunkies) derart düster und ungemütlich, dass man manchmal gern leichte Kost konsumieren – und schreiben – will.

Wie wäre es also mit ein paar Krankheiten? Nicht irgendwelche Krankheiten, sondern deutsche. Freund Ian in den USA hat mir letzte Woche einen Link zu einer Seite „Mental_Floss.com“ geschickt. Hirnzahnseide.com also. Dort erschien ein Text mit dem Titel: „Fifteen Unique Illnesses You Can Only Come Down With in German“. 15 kulturspezifische deutsche Krankheiten also. Die Autorin, Arika Okrent, ist amerikanische Sprachwissenschaftlerin.

Auf geht’s und gute Besserung:

Ganz oben auf Frau Okrents Liste steht der „Kevinismus“, eine Krankheit, die, so die Autorin, Deutsche, mit dem Namen „Kevin“ heimsucht. Das Hauptsymptom dieses Zustands scheint Lernprobleme in der Schule zu sein. Wer „Justin“, „Dennis“ oder „Mandy“ heiße, seien ebenso anfällig. Der Grund: Bei diesen Namen handelt es wohl um amer. Modenamen, die die Lehrer aggressiv und voreingenommen machen. Bin mir nicht so ganz sicher. Mein ältester Sohn war mal mit einem schlauen Kevin in der Schule, und ich kenne einen klugen Dennis. Ich kann mich lediglich erinnern, dass es mal an einem nachrichtenarmen Tag einen langen Artikel zu diesem Thema in der Zeitung gegeben hat. Ahhhh! Nachrichtenarme Tage…wie schön.

Aber weiter: die „Föhnkrankheit“. Nein, hier hat Frau Okrent recht. Auch mir war die „Föhnkrankheit“ fremd, als ich nach München kam. Es gibt sie aber tatsächlich. Darüber hab ich sogar mal einen Artikel geschrieben. Sie kommt zu Zeiten von Luftdruck- oder Temperaturschwankungen vor. Der Föhn (vom lateinischen „favonia“, einem Wind aus dem Süden) gibt’s also echt. Aber eine „deutsche“ Krankheit? Man muss einer amer. Sprachwissenschaftlerin vielleicht verzeihen, wenn sie zwischen Deutschland und Oberbayern nicht unterscheiden kann. Erstes Gesetz des Journalismus: Fakten verwischen! Unterhaltung ist höher zu bewerten als Sachkenntnis.

Der „Kreislaufzusammenbruch“. Eine deutsche Krankheit? Als ich 1975 in München eintraf, wurden mir zuallererst zwei Dinge ausgehändigt. Das erste war mein ganz persönlicher Artikel. Ich hieß also nicht mehr bloß „PJ“, sondern der „PJ“. Als zweites bekam ich einen Kreislauf. Und dann beteuerten alle, er sei gestört.

„Mir geht’s heute nicht gut.“

„Ja, hast es wohl mit dem Kreislauf.“

Usw. Da ich bis dahin nicht wusste, dass ich einen Kreislauf hatte,, war ich bereit meine „Kreislaufstörung“ als deutsche Krankheit anzunehmen. Ein „Kreislaufzusammenbruch“ aber? Das ist was anders. Auch Amerikaner kollabieren, oder? Kann doch jeder.

Aber weiter. Bei der „Ostalgie“ hat Frau Okrent natürlich recht. Doch das „Wertherfieber“? Das gab es wohl mal vor 250 Jahren aber nur kurz. Heute versteht man darunter lediglich den Frust der Schüler, wenn sie in der 10. Klasse gezwungen werden, dieses altertümliche Werk zu lesen. Die „Frühjahrsmüdigkeit“ lass ich hingegen als spezifisch deutsche Krankheit tatsächlich gelten. Engländer und Amerikaner halten es genau umgekehrt. Wir kennen nur das „spring fever“, was wintermüde Geister wahnsinnig munter macht.

„Weltschmerz“, „Ichschmerz“, „Lebensmüdigkeit“,„Zivilisationskrankheit“. Sorry. Die ersten drei heißen auf Englisch „world weariness“, Letzeres ist „back to the roots“ oder „back to nature“ usw. Warum hab ich das Gefühl, dass die Autorin auf Biegen und Brechen 15 Krankheiten aus dem Boden stampfen will? Damit der Text nicht zu kurz bleibt? Wie wär es mit der „Zeitkrankheit“. Kenne ich gar nicht. Der Duden versteht darunter „burnout“. Burnout eine deutsche Krankheit? „Burnout“ ein deutsches Wort?

Wir nähern uns zum Glück dem Ende zu. Und da findet man den „Hörsturz“. Aber wirklich! Das erste (und einziges) Opfer dieses Gebrechens, das ich jemals kennenlernte, war ausgerechnet ein Amerikaner und – wie es der Zufall haben wollte – ein gestresster Journalist.

Es bleiben uns nur noch den „Putzfimmel“, die „Torschlusspanik“ und den „Fernweh“ zu erwähnen. Doch allmählich kommt mir diese Liste selbst als Krankheit vor…

Willkommen im Informationszeitalter, liebe Lesende. Auch wenn man nichts zu sagen hat, hat man viel zu sagen. Wäre schön, wenn dies (zumindest teilweise) auch für die düsteren Meldungen der letzten Tage stimmen würde.

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