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Uber über alles – oder ein Lob des Siezens

Ja, ich will mich über Uber – den „sharing economy“ Taxidienst – äußern, aber zunächst Folgendes:

In letzter Zeit wache ich – unvermittelt – mitten in der Nacht auf und kann nicht wieder einschlafen. Das Alter wohl oder die üblichen Sorgen.

Was tue ich? Ich höre Radionachrichten, ARD-Infonacht, bis ich’s nicht mehr aushalte. Während einer solchen schlaflosen Episode erfuhr ich, dass in Flensburg nur noch geduzt wird. Das Siezen sei out.

Zugegeben: Journalisten übertreiben gern, um einen Bericht interessanter zu machen. Vielleicht wird in Flensburg doch noch gelegentlich gesiezt. Ich kann’s aber nicht wissen. Ich war nur einmal dort, und ich erinnere mich an nichts – außer dass es ziemlich flach ist.

Dem Bericht zufolge aber spielt beim Flensburger Duzen die Nähe zu Dänemark die zentrale Rolle.

Vielleicht wissen Sie’s nicht: Seit den 1960er Jahren duzen sich die Dänen nur. Auch Königin, Lehrer, Beamten werden geduzt. Gesiezt werden nur noch Touristen, um sie nicht zu sehr zu verunsichern. Wie es zu dieser sprachlichen Metamorphose kam? Schuld tragen die 68er. Ulkig, gell?

Ich bin Gegner dieses Duzens. Ja, ich weiß, was Sie denken: Herr Sprachbloggeur, Sie sind Amerikaner. Im Englischen heißen alle „you“. Meine Antwort: Das ist aber kein Duzen. Die Du-Form im Englischen heißt „thou“. Englisch Sprechende sagen „you“, und damit siezen wir uns gegenseitig nur.

Muss ich Ihnen die Vorteile des Siezens erklären? Ihm zu dank kann man manche Leute auf Distanz halten – was gar nicht zu verschmähen ist.

Das Siezen ist gleichsam das Gegenteil vom „frienden“ oder wie auch immer diese ungebührliche Nähe bei Facebook heißt.

Das Du-anbieten, ist stets ein Wagnis, eine Streicheleinheit, die man vertrauten Seelen schenkt.

Dieses wichtige Unterscheiden aufzugeben, ist m.E. ein verhängnisvoller Fehler. Damit wird eine aus der frühen Menschenzeit sinnvolle und gewiss hart erarbeitete Sitte jäh über den Haufen geworfen. Und zwar im Namen des Fortschritts. Ha.

Und jetzt komme ich auf „Uber“ zu sprechen. Achtung! Man darf dieses Wort mit dem germinglischen Wort „uber“, das „sehr“ oder „absolut“ bedeutet, nicht verwechseln. Letzteres wird „ju-ber“, Ersteres „u-ber“ ausgesprochen.

Wenn ich an „Uber“ denke, fällt mir der alte Witz über Christian Schwarz-Schilling ein. Sagt Ihnen diesen Namen noch etwas? Er war vom 1982-1992 Bundesminister für Post- und Fernmeldewesen und war maßgebend für die Privatisierung der Post verantwortlich. In seiner Amtszeit kursierte der Witz: „Was Macht Schwarz-Schilling jeden Morgen?“ Antwort: „Er erledigt die Post.“

Was macht Uber? Es überrollt die Taxi-Industrie. Okay, ich gebe zu. Ich schwärme nicht für alle Taxifahrer. Aber ich weiß, dass sie krankenversichert sind, dass sie Urlaub bekommen, dass sie haftpflichtversichert sind, dass sie in Gewerkschaften organisiert sind etc. etc. – alles Errungenschaften einer langen, schweren gesellschaftlichen Entwicklung.

Der Uberfahrer hingegen hat nichts. Er ist wie der Rickshafahrer in Kalkutta. Wird er krank, verdient er nichts. Geht sein Wagen kaputt, muss er selbst für die Reparatur aufkommen. Fährt er jemanden über den Haufen, haftet nur er.

Befürworter von Uber betrachten dieses billige Menschenbeförderungssystem als Sieg der „sharing-economy“. Was heißt „share“? Zu Deutsch „sich an etwas beteiligen“. Genauer gesagt: Der Erfinder der Uber-App und seine betuchten Investoren „sharen“ 20% dessen, was der Uberflieger verdient.

Mit Sicherheit ein gutes Geschäft für den Shareholder. Deshalb mein Vorschlag: Halten Sie am Siezen fest.

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