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Vorruf zum Nachruf für das „Botnet“

Nicht zum ersten Mal schreibe ich über meine Spammer. Eine Zeitlang habe ich sie sogar richtig lieb gewonnen. Früher meinte ich, wenn von meinen Spammern die Rede war, ohnehin nur jene strebsamen Billigarbeiter in Indien, China, Bangladesch usw., die auf meine Kosten auf ihre Kosten zu kommen versuchten. Sie leisteten sorgfältige Handarbeit, um an diese Adresse Werbung für Potenzmittel, Wochenendhäuser in Polen, nutzlose Medikamente, Penisvergrößer usw. zu schicken.

Das war eine schöne Zeit. Man hatte zumindest mit Menschen zu tun.

Inzwischen wurde die Branche automatisiert. Die netten Arbeitssklaven von damals wurden schroff vor die Tür gesetzt und mit leistungsstarken Datenrobotern, „Bots“ genannt, ausgetauscht. „Bots“ muss man nicht bezahlen. Sie verlangen lediglich Strom, um unermüdlich tätig zu bleiben.

Das Resultat: Seitdem die Datenroboter am Werk sind, finde ich täglich etwa 750 neue „Benutzer“ auf dieser Seite vor. Das heißt: Die „Bots“ richten beim Sprachbloggeur (oft in Minutentakt) „Benutzerkonten“ ein. (Sie wissen nichts davon. Nur ich sehe sie). Minute für Minute tauchen neue Namen auf meine Benutzerliste auf. Diese „Benutzer“ heißen „MDJQHMrYRA“ oder „dispusaTusSaG“ oder“ lqoCXcKAca“ oder „KisgiHFkQF“ und geben Email-Adressen von gmail oder aol.com an. Alles geschieht automatisch.

Bisweilen schreiben sie sogar Kommentare. (Auch diese sehen Sie nicht, weil ich sie lösche, bevor es dazu kommt). Diese Kommentare bestehen üblicherweise aus Nonsensbuchstabenreihen, etwa: Eti4e08934.ev43i3afelfd-dijroqjafje:http://eisirfeu3+2-dfjweiru-vef oder so.

Anfänglich ging ich mit diesen „Benutzern“ behutsam um. Ich dachte: Vielleicht gibt es unter ihnen auch echte Benutzer. Ich wollte keine richtigen Konten versehentlich löschen.

Es waren aber keine echten Benutzer, sondern nur Cyberheuschrecken. Als die Angriffe die Oberhand zu nehmen drohten, begann ich die neuen Konten reihenweise zu löschen, ohne viel zu überlegen. Echte Benutzer von den falschen zu unterscheiden, hätte zu viel Zeit gekostet. Das heißt: Falls Sie mal vergebens versucht haben, hier ein Benutzerkonto zu öffnen, wissen Sie nun, warum es nicht geklappt hat.

Trotzdem nahmen die Angriffe weiterhin zu. Inzwischen lese ich die Benutzernamen nicht mehr durch. Stattdessen konzentriere ich mich auf die „IP-Adressen“, sprich „Internetprotokoll-Adressen“. So heißen die Server, die als Postamt für die Versendung von neuen „Benutzern“ dienen. Diese IP-Adressen sehen folgendermaßen aus: 37.122.349.34 oder 176.453.945.345 usw. Im Internet findet man endlose Listen, die verraten, welche von diesen IP-Adressen in Wirklichkeit nur „Botnet“-Adressen sind. Als Betreiber dieser Seite kann ich, wenn ich will, IP-Adressen sperren oder löschen. Genau das tue ich – mehrmals täglich sogar. Doch dies hilft leider nur kurz. Bald werden neue Botnet-Adressen generiert, und dann geht das Spiel wieder von vorne los. Nebenbei: Meine Plagegeister stammen hauptsächlich aus Russland und aus der Ukraine. So viel weiß ich. Auch China und die Seychellen sitzen in der ersten Reihe. Gestern sperrte ich eine IP-Adresse aus Schweden, weil sie vom Botnet gekapert wurde. Mit IP-Adressen aus Deutschland, Frankreich, der Schweiz und Österreich muss ich vorsichtig sein. Manche tragen sowohl Spambotschaften wie auch die der normalen Surfer.

Die tägliche Aufräumarbeit kostet mir mittlerweile ca. 30 Minuten Zeit.

Die Situation ist so widersinnig geworden, dass ich mich mittlerweile frage, was die Botnets eigentlich bezwecken. Sie wollen scheinbar weder Potenzmittel noch Datschas verkaufen wie früher. Man kann nicht wissen, was sie wollen, weil ihre Botschaften nur noch aus Buchstabensalat bestehen.

Ich bin sicher, dass ich nicht der einzige Webseitenbetreiber bin, der täglich gegen diese Cyberhysterie zu kämpfen hat. Kaum vorstellbar, wie viel kostbare Zeit mit dem Scheiß verloren geht.

Umso mehr frage ich mich: Wozu das Chaos, das allmählich zu einer Unsprache geworden ist? Kommunikation spielt hier keine Rolle mehr – nur Zerstörungswut zählt. Die Betreiber der Botnets haben jegliche Verhältnismäßigkeit verloren.

Ja, liebe Leser, hier ein Bericht von der Front aus der Pionierzeit der weltweiten Vernetzung.

Aber nicht verzagen. Ich gehe davon aus, dass diese Plage eines Tages so rapide verschwindet wie sie einst erschienen ist. So ist es halt mit den Plagen. Eines Tages steht man auf, die Sonne scheint, und die Plagegeister sind weg. Das ist das Schöne an der Dummheit. Es sind nur die Dummen, die das nicht verstehen.

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