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Stellen Sie sich vor: Es ist Weltuntergang und keiner geht hin

Als die Welt am 21. Mai wider Erwarten nicht zu Ende ging, habe ich gedacht: Kein Wunder. Wie sollte das in einer globalisierten Welt überhaupt funktionieren?

Ich hatte nämlich irgendwo gelesen, dass es um 17.30 in Kalifornien losgehen sollte. Das hat mich gleich stutzig gemacht. Denn um diese Zeit wäre in Mitteleuropa schon der 22. Mai. Und in China wäre man längst dabei, den Geschäften nachzugehen und die Regimekritiker niederzuknüppeln.

Irgendwie ist der Wurm drin, sagte ich mir.

Inzwischen verstehe ich die Handhabe dieses Weltuntergangs bestens. Und ehrlich gesagt: Noch nie wurde uns eine so logisch durchdachte Endzeit versprochen. Urheber dieser Prophezeiung ist der 89jährige amerikanische Radioprediger Harold Camping. Ihm zufolge soll der Untergang rund um die Welt jeweils um 18h Ortszeit vonstatten gehen. Ist das nicht raffiniert?

Bedenknen Sie: Am 21. Mai gab es ein Erdbeben in Neuseeland, einen Vulkanausbruch auf Island und noch dazu einen verheerenden Tornado im US-Bundesstaat Missouri. Ach ja, und die Taliban begannen im Ernst die Atommacht Pakistan zu destabilisieren.

Nun werden Sie entgegnen, dass der 21. Mai schon vorbei ist und dass wir offensichtlich noch immer da sind. Ich warne aber vor voreiliges Ins-Fäustchen-Lachen.

Herr Camping hat seinen Untergang meisterhaft ausgeheckt. Er behauptet nämlich, dass der 21. Mai erst der Anfang des Endes sei. Ihm zufolge geht die Welt scheibchenweise zugrunde. Der echte Schluss findet am 21. Oktober 2011 statt. Erst dann fahren alle Sünder in die Hölle, während Gottes Treueste – zu denen wahrscheinlich auch Mr. Camping zählt – in den Himmel kommen. Das haben Sie wahrscheinlich nicht gewusst, oder?

Und damit komme ich zum eigentlichen Thema: Ich will nämlich über meinen eigenen Untergang berichten. Ohnehin (für mich) interessanter als jede pauschale Vernichtung.

Ende 1963 oder Anfang 1964 hatte ich einen Traum: „Du wirst am soundsovielten April 1964 sterben“, hieß es. Ich hatte sogar ein Kalenderblatt im Visier. Notabene: Im Traum war das kein „soundsovieltes“, doch kaum hatte ich die Augen aufgeschlagen, war das Datum aus meinem Gedächtnis verschwunden. So was kennen Sie bestimmt auch. So sind nunmal die Träume. Ich war damals noch ziemlich jung und hatte, ehrlich gesagt, wenig Lust zu sterben. Doch bald schrieb man April 1964, und ich rechnete täglich damit, dass das Ende kommen würde. Komischerweise verspürte ich keine Angst, eher Neugier. Die Tage vergingen der Reihe nach, und ich fragte mich jedes Mal: „Wird es heute sein? Sterbe ich heute?“ Ich bin aber nicht gestorben. Als der Monat zur Neige ging und ich noch immer am Leben war, dachte ich, hmm, hier stimmt etwas wohl nicht. Dann war Mai. Die ganze Chose habe ich schnell wieder vergessen.

Anfang 2011 hatte ich wieder einen Traum. Abermals ging es um die Zahl 64, den Monat April und das Sterben. Da ich in diesem Jahr 64 Jahre alt bin, fragte ich mich: Kann es sein, dass ich 64jährig im April sterbe? Nun wurde ich neugierig und zack! Im Nu hatten wir den April. Die Tage gingen einer nach dem anderen dahin, und ich lebte fort. Ich war außerdem sicher, dass ich am 15. April nicht sterben würde, weil ich da nämlich Hochzeitstag habe. Sterben tut man normalerweise an so einem Tag nicht. Zudem war ich im ganzen April damit beschäftigt, an meinem neuen Buch zu polieren – auch keine zumutbare Zeit zu sterben. Denn ich wollte dieses Buch unbedingt fertig schreiben. Natürlich kann man das eigene Sterben nicht so ohne Weiteres steuern (jedenfalls, wenn man kein Gunter Sachs und Co. ist). Es war mir trotzdem wichtig, das neue Buch zu beenden. Die Tage vergingen – wie immer – im Flug. Gestorben bin ich aber nicht.

Nur gegen Ende des Monats erlitt ich tatsächlich eine körperliche Schwäche. Hopla, habe ich gedacht. Vielleicht sterbe ich doch noch in diesem Monat. Pusteblume. Am 1. Mai war ich quietschfidel. Erst dann erzählte ich meiner Frau die ganze Geschichte. Sie kennt mich viel zu lange, um beeindrückt zu sein und meinte nur, ich spänne.

Ich hatte jemandem gesagt: „Wenn ich den April 2011 überlebe, dann werde ich noch 20 Jahre leben.“ Inzwischen bin ich nicht mehr so sicher. Meine Fähigkeiten als Wahrsager lassen doch zu wünschen übrig.

Meine Glaubwürdigkeit habe ich also verspielt. Herr Camping – bzw. Reverend Camping – hat noch bis Oktober Zeit, die seine unter Beweis zu stellen. Wenn er Glück hat, wird er recht behalten. Wie heißt es so schön: Als Letztes stirbt die Hoffnung.

Toi toi toi, Reverend – bzw. Mr. – Camping. Von einem Wahrsager zum verehrten Kollegen: Alles Gute im neuen Leben!

 

P.S. Nächste Woche keine Glosse. Ich mache mich kurz unsichtbar. Wo bin ich? Vielleicht sehen Sie mich ganz plötzlich in Ihrer Straße.

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