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Kierkegaard und die Hexen: ein esoterischer Dialog

 Sprachbloggeur: Über wen soll ich heute herziehen, liebe Hexen?

Erste Hexe: Schwestern, schaut, wer uns besucht! Der Sprachbloggeur! Und er möchte einen Rat haben!

Zweite Hexe: Fällt ihm schon wieder nichts ein?

Dritte Hexe: Ihm fällt nie etwas ein! Er soll über sich selbst herziehen. Das täte ihm auch gut. Hihihi.

Zweite Hexe: Das tun sie nie, die Schriftsteller. Und wenn schon, dann nennen sie es Ironie.

Erste Hexe: Soll ich ihm die Geschichte von der Erschaffung der Menschen erzählen?

Dritte Hexe: Welche Geschichte meinst du, Schwester? Die, wo es heißt, sie wurden aus Lehm geformt, oder wo man die Steine hinter den Rücken wirft, und die Steine zu Menschen werden?

Erste Hexe: Nein, weder noch. Ich meine die Geschichte vom duseligen Schöpferausschuss, der ihnen das Bewusstseinsorgan falsch herum einsetzte, so dass sie alles verkehrt herum wahrnahmen, und Dummheit für Klugheit und Klugheit für Dummheit hielten.

Sprachbloggeur: Nein, liebe Hexen, ihr werdet mir schon wieder zu abstrakt. Ihr macht mich nur konfus, wenn ihr von den Geheimnissen der Schöpfung erzählt. Ihr werdet mir  zu esoterisch. Ich habe eine einfache Frage gestellt, und ihr wollt gleich die größten Geheimnisse der Weltschöpfung preisgeben. Im übrigen weiß ich jetzt, was ich erzählen will.

Die drei Hexen: Sag's uns! Sag's uns!

Sprachbloggeur: Ich möchte über Kierkegaard erzählen: wie er seine Anonymität und seine Unschuld verlor.

Erste Hexe: Kirche-was?

Sprachbloggeur: Genauer gesagt, ich möchte über die Corsair-Affäre erzählen.

Zweite Hexe: Noch nie gehört.

Sprachbloggeur: Kein Wunder. Ihr seid Hexen und kennt nur Mythen. Ihr habt noch nie ein Buch gelesen. Ihr schaut lieber fern. Bilder sind eure Sprache.

Dritte Hexe: Der Sprachbloggeur wird frech. Gleich verwandele ich ihn in eine Kröte: Doppel-Troppel, Teule Beule…

Erste Hexe: Halt. Lasst ihn uns zumindest über die Corsair-Affäre erzählen.

Sprachbloggeur: Ja, liebe Hexen, Kierkegaard. Er wähnte sich einen Superhelden, unsichtbar und allmächtig. Er schritt durch die Straßen Kopenhagens und sprach jeden an, ohne seine wahre Identität zu verraten. Oder beobachtete nur die Schwächen der Menschen -  beobachtete, machte Notizen, trat in den Schatten, auch wenn er bei Sonnenlicht durch die Gassen flanierte. Das konnte er, weil er unsichtbar war.

Zweite Hexe: Das machen wir auch.

Sprachbloggeur: Er war aber eitel…

Erste Hexe: …das sind wir aber nicht. Dafür sind wir zu mächtig.

Sprachbloggeur: Und eines Tages legte er sich mit der Redaktion einer Satire-Zeitschrift an, Sie hieß „Corsair“.

Dritte Hexe: Corsair. Das sind die Piraten.

Sprachbloggeur: Und er schrieb brillante, sarkastische Texte über sie. Die Corsair-Redaktion war ihm aber nicht gewachsen und antwortete mit dumpfer Satire. Dann passierte es: Die Redakteure ließen ihre Texte mit Bildern versehen. Die Bilder zeigten Kierkegaard als spindeldürren Wicht mit spindeldürren Beinen, und noch dazu war ein Hosenbein länger als das andere. Ja, sie verwandelten Kierkegaard in eine Karikatur. Mit der Unsichtbarkeit war vorbei. Auf der Straße erkannte ihn jeder als die eigene Karikatur. Er trat nicht mehr in den Schatten. Jeder erkannte die Karikatur, zu der er geworden war und lachte ihn aus. Gegen Worte konnte er sich gut wehren, gegen Bilder war er hilflos.

Zweite Hexe: Und warum erzählst du uns diese Geschichte?

Sprachbloggeur: Versteht ihr es nicht? Ich wollte über jemanden herziehen und bin stattdessen über Bilder gestolpert. Sie sind viel schlimmer als Worte.

Dritte Hexe: Jetzt verwandele ich ihn in eine Kröte.

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