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Großes Kino (oder Mord und Totschlag usw. für Anfänger)

Hallo Schlafwandler! Wie geht’s heute? Ich hoffe, Sie träumen was Schönes.

Wissen Sie, lieber Leser, was als nächstes passiert ist? Ich meine, nachdem ich den Schlafwandler so freundlich gegrüßt hatte?

Er (oder sie) kam in der zerdrückenden Menschenmenge beim „Love Parade“ nicht weiter, Er konnte sich weder vorwärts noch rückwärts bewegen.  Ein mulmiges Gefühl stieg in ihm auf. Alles registrierte zunehmend Gefahr. Und dann ging es los. Panik. Geschrei. Gewein usw.

Später sagte er (oder sie) dem Reporter (der Reporterin): „Alle schrien und stöhnten. Es war schrecklich. Es war wie in einem Film.“

Szenenwechsel. Köln. Man geht am Historischen Stadtarchiv vorbei. Im Hinterhirn vernimmt man ein Grollen, ein Knurren und dann geht’s los. Das Haus stürzt ein. Derselbe Reporter ist vor Ort. Man sagt ihm: „Es war wie in einem Film.“

Zu bemerken: 1.) Obige Zitate sind von mir frei erfunden und dennoch absolut nachvollziehbar. 2.) Ich verhöhne keinen, der nach einer Katastrophe diese Worte, „Es war wie in einem Film“, sagt. Als die amerikanische Schriftstellerin Susan Sontag von ihrem Arzt erfuhr, dass sie todkrank und nicht mehr zu retten war, stieg sie in den Wagen eines Freundes (oder war es der eines Verwandten?) und sagte etwas wie: „Wow, das darf nicht wahr sein.“

Es war wie in einem Film.

Ich lag auf dem Bett und las Zeitung. Es war Winter. Schmutziggraues Abendlicht. Ich hörte einen Rumps hoch oben auf dem Dach unseres Wohnhauses. Eine dunkle Masse flog an meinem Fenster vorbei. Mensch, ein ganzer Schneebrocken ist vom Dach heruntergefallen, habe ich gedacht. Neugierig stand ich auf, ging auf den Balkon und schaute hinunter, um die Schneemassen zu bewundern. Was ich aber sah: Eine Nachbarin stöberte auf allen vieren desorientiert im Schnee und stöhnte wie ein kranker Hund.

Ach, es ist nur die Nachbarin, die im Schnee herumkriecht, stellte ich fest. Ich machte kehrt und wollte in meiner Zeitung weiterlesen. Halt. Das geht nicht. Das war kein Schnee, der vom Dach herabgestürzt ist, sondern die Nachbarin vom fünften Stock. Wieder schlafwandelte ich auf den Balkon, um mir das Bild da unten zu bestätigen. In der Tat. Es war die Nachbarin. Schon wieder wollte ich nach der Zeitung greifen.

Halt. Das geht nicht. Die Nachbarin ist gerade in die Tiefe gestürzt. Du musst Hilfe holen. Ja. Und gerade das habe ich auch getan. Ich wählte 112 – oder war es 110 – ich komme mit diesen Nummern stets durcheinander. Ich habe jedenfalls die Richtigen erreicht und erklärte, was gerade passiert war. Ich habe mich kaum reden hören. „Wir kommen gleich“, hieß es im Hörer.

Wieder habe ich gedacht: Jetzt lege ich mich endlich hin, um meine Zeitung zu lesen. Es ist schließlich Feierabend, und ich habe schwer gearbeitet. Halt. Das darfst du nicht. Bis die Feuerwehr und die Ärzte eintreffen, musst du der Nachbarin irgendwie helfen. Schon wieder ging ich auf den Balkon. Diesmal rief ich hinunter. „Keine Sorge, Frau Z., Hilfe ist unterwegs. Alles wird wieder gut.“ Sie stöhnte nur. Dann machte ich kehrt, war gerade dabei, nach der Zeitung zu greifen. Halt. Hole Decken, um sie warm zu halten, bis die Feuerwehr da ist. Also holte ich Decken und stieg die Treppe herunter, um sie im Hof zu betreuen. Alsbald sah ich das blaue Licht. Die Feuerwehr hielt vor dem Hauseingang. Ich öffnete die Tür und erklärte, wie man in den Hof kommt. Sie sind ins Haus gerannt. Ja, gerannt. Einer rutschte vor der Tür im Schnee aus, so sehr ist er geeilt.

Als ich sicher sein konnte, dass die Frau gut versorgt war, ging ich in meine Wohnung zurück. Ich schaute eine Weile vom Balkon herunter, beobachtete den Rummel. Funkgeräte krächzten. Viele Stimmen. Stöhnen. Scheinwerfer. Mir war kalt. Ich wollte mich endlich hinlegen, um Zeitung zu lesen. Jetzt konnte ich aber nicht. Nein. Aus war der Traum.

Nebenbei: Was ich hier erzähle, passierte vor einigen Jahren. Die Frau hat überlebt. Es geht ihr immer besser.

Ja, es war wie im Kino.

Wie komme ich auf dieses Thema? Keine Ahnung. Eigentlich wollte ich über Pastor Terry Jones’ Drohung (Terry wer?), den Koran zu verbrennen, schreiben und über die fiebernden Reaktionen aufgebrachter Muslime in Indonesien, Afghanistan usw., die gleich auf Christenjagd loszogen.

Auch das nur großes Kino.

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