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Ja, die Liebe…

Ich weiß es schon. Mit dieser Glosse mache ich mir nur Schwierigkeiten. Denn es geht um das Ganze: Es geht um die Liebe. Ich behaupte, es gibt davon einfach zu viel. Viel zu viel.

Ich schreibe Deutsch, denke momentan aber Englisch. Denn gerade habe ich mit meiner Mutter in den USA telefoniert. Am Schluss des Gesprächs sagte sie – wie immer – „I love you“. Klingt intim, herzerwärmend, nicht wahr? Mich irritiert diese „Liebe“ nur.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Es ist nicht, als würde ich keine Gefühle für meine Mutter hegen. Dieses „I love you“ hat aber mit der Liebe so viel zu tun wie der Leberkäs mit mit dem Käse. Notabene: Vor zehn Jahren war es nicht so, dass mir meine Mutter jedesmal, wenn wir miteinander am Telefon sprachen, diese Liebesbekundung machte. Liebt sie mich plötzlich mehr denn je?

Nein. Bei dieser „Liebe“ handelt es sich um Inflationsware – nicht anders als das in den USA allgegenwärtige „have a fantastic day“, wo früher „have a nice day“ noch reichte.

Die amerikanische Liebesaffäre mit der Liebe kann man bis in die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts zurückverfolgen. Enstehungsort Hollywood. Während der Hoffnungslosigkeit der damaligen Weltwirtschaftskrise strömten junge Menschen (auch meine Mutter) unentwegt ins Kino, um kurz ihre Probleme hinter sich zu lassen. Dort glotzte man Filmstars wie Clark Gable und Carole Lombard, elegante Erscheinungen in prachtvollem Ambiente, an, wie sie einander nach einem aufregenden Versteckspiel tief in die Augen schauten, um sich endlich „I love you“ zuzuhauchen. Es folgte der feuchte Lippenkontakt. Die Herzen des Publikums – vor allem die der jungen Frauen – schlugen höher.

Ab sofort harrte jedes Mädchen des zauberhaften Augenblicks, in dem ihr ein brünstiger Jüngling eben diesen kurzen Satz zuflüstern würde. Das Resultat konnte man in der Zunahme der ungewollten Schwangerschaften abzählen.

In meiner Jugend gehörte diese Floskel längst zur guten Form. Ich erinnere mich noch heute mit Schaudern daran, wie ich mit meiner damaligen Freundin im Auto saß. „Du Marie…“ (der Name ist erfunden), „ich will dir was sagen...Ich…ich…“ Es dauerte eine ganze Stunde, bevor ich ihr die drei verfluchten Silben vorstammelte. Marie schmolz dahin. Nach drei Monaten habe ich sie verlassen. Ein Glück, dass sie nicht schwanger war.

Heute kann man in den USA kein Telefonat mit Mama, Frau, Freundin, Ehemann usw. beenden, ohne „I love you“ zu trillern. Igitt.

Überheblichkeitsregungen sind hier, liebes deutsches Publikum, fehl am Platz. Denn längst hat sich diese Unsitte auch in Deutschland eingebürgert. Als ich 1975 deutsches Hoheitsgebiet zum ersten Mal betrat, war es noch nicht so weit. Meine damalige Lebensabschittspartnerin (wie man heute sagt) erklärte mir: „‚Ich liebe dich’ sagen wir auf Deutsch nicht. Bei uns heißt es ‚ich hab dich lieb’.“

Ja, so war es damals.

Damals.

Heute ist alles freilich ganz anders. „Ich liebe dich“ ist in Deutschland so heimisch geworden wie Valentinstag und Halloween. Bei mir um die Ecke habe ich neulich das Erzeugnis eines liebestollen Sprayers gesichtet: „Brigitte, ich liebe dich“. Oder wie immer sie hieß. Ich habe ein schlechtes Namengedächtnis.

Ich weiß aber nicht, ob er sie noch immer lieb hat (oder umgekehrt – wer weiß, vielleicht war er nur ein Stalker?). Ist mir doch egal.

Im WehWehWeh habe ich gerade ein englischsprachiges Netzforum entdeckt, „Toytown Germany“ (nein, heute keinen Link). Eine junge Frau – Amerikanerin nehme ich an – erzählte, dass ihr deutscher Freund ihr neulich gesagt habe, „ich habe dich lieb“. Nun fragte die verunsicherte US-Staatsbürgerin, ob das anders zu deuten sei als „ich liebe dich“. Es folgte ein sehr komplexer Dialog mit anderen Chattern über den Unterschied zwischen den beiden Floskeln. Bitte verzeihen Sie mir, wenn ich dieses Gespräch hier nicht wiedergebe.

Trotzdem wünsche ich Ihnen allen einen wunderschönen Valentinstag. Möge Ihnen der Valentinshase rote Rosen und flammende Herzen in Überfluss schenken.

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