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Starthilfe für aufstrebende Autoren

Freund A. ist enttäuscht. Was heißt enttäuscht? Er ist sauer, wütend, der kochende Dampf zischt ihm unüberhörbar aus den Ohren. Wenn er die Eisenbahn wäre, würde er an wartenden Passagieren in den Bahnhöfen unbarmherzig vorbeirasen.

Warum ist er so aufgebracht?

Weil er Post von einer Literaturagentur bekommen hat. Genauer gesagt: eine schroffe Abweisung. Die Handlung seines Buchs überzeuge nicht, so hieß die knappe Antwort.

Ich kenne das Problem. Während eines längeren Aufenthalts in den USA hatte ich ein Manuskript – meine Übersetzung des „Untergangs der Stadt Passau“ von Carl Amery – einer Agentur, in New York angeboten. Notabene: einer Agentur nicht einem Verlag. Vergebens wartete ich auf eine Antwort. Nach sechsWochen – lange genug, um anstandshalber nicht übereifrig zu erscheinen, rief ich die Agentur an.

„Haben Sie ein ‚säj-ssie’ beigelegt?“ fragte meine Gesprächspartnerin.

„Entschuldigung, ich verstehe nicht, was Sie meinen. Ein was?“

„Ein ‚säj-ssie’“, sagte sie. „ein self-addressed stamped envelope.“

Aha, SASE meint sie, ein frankiertes Rücksendekuvert. Ich hatte dieses Kürzel noch nie gehört. „Nein, ich habe kein SASE beigelegt.“

„Drum haben Sie von uns nichts gehört.“

„Sie meinen, wenn ich kein SASE beilege, landet mein Manuskript im Papierkorb?“

„Irgendwie schon.“

Was ich dann erwiderte, gebe ich hier weiter. Es genügt zu sagen, ich war nicht minder aufgebracht als Freund A als Eisenbahn. Aber nun Praktisches, liebe aufstrebende Autoren. Wenn Sie einer Agentur ihr Manuskript anbieten, denken Sie immer an Folgendes: Niemals Ihr Manuskript schicken! Klingt paradox, was? Tatsache ist: Man will von Ihnen lediglich eine „Leseprobe“ von 20-50 Seiten haben; hinzu ein Exposé. Und vergessen Sie nicht: immer ein SASE beilegen!

Machen Sie sich aber keine große Hoffnung. Freund A. hat von einer Agentur erfahren, dass sie in den letzten acht Jahren nur viermal unverlangt eingesandte Manuskripte angenommen hat. Zur Erinnerung: Wir reden nach wie vor nur von einer Agentur. Auch wenn Sie das große Los ziehen, ist Ihr Buch noch lange nicht verkauft. Denn nun ist die Agentur an der Reihe. Sie schiebt Ihr Manuskript oder Leseprobe mit Exposé in ein Kuvert (auch mit SASE) und geht selbst damit hausieren.

Übrigens: Sie können den umständlichen und oft demütigenden Ritus mit der Agentur ganz umgehen, indem Sie Ihren Bestseller direkt an den Verlag schicken! Als „Leseprobe“ und Exposé, versteht sich.

Kopf hoch. Gestern habe ich in der International Herald Tribune von einer Schriftstellerin erfahren, deren Buch von 50 (!) Agenturen abgelehnt wurde. Sie preschte aber weiter voran und fand – ganz von alleine – einen Verlag, der das Buch gleich akzeptierte. Inzwischen wurde es 450.000 mal verkauft. Ohne SASE!

Und jetzt ein wichtiger Tipp für geplagte Agenten und Lektoren. Liebe Sklaven der Kulturindustrie, eins dürfen Sie nie außer Acht lassen: Je toller das Buch, umso schlechter gemeinhin das Exposé. Fakt ist: die meisten guten Autoren sind nicht in der Lage, ihr Werk in Form eines Exposés wiederzugeben.

Stellen Sie sich vor: Tom Mann will seinen dicken Schinken „Zauberberg“ einem Verlag (bzw. einer Agentur) anbieten. Natürlich schickt er nur die Leseprobe usw. Der Agent oder Lektor stöhnt: „Alles zu dicht geschrieben. Wäre was, wenn dieser Typ lernen könnte, sich etwas lockerer auszudrücken. Und diese langen Sätze! Wer hält das aus! Das ist zum Piepsen!“

Dann liest er Toms Exposé. „Ich erzähle die Geschichte von Hans Castorp, einem jungen Mann, der seinen Cousin an einer Lungenanstalt in Davos besucht und sich bald einbildet, wie schön es wäre, angesichts der vielen Zuwendungen, selbst lungenkrank zu sein. Und nun passiert es: Der Anstaltsarzt entdeckt während einer Routineuntersuchung Castorps einen Schatten auf dessen Lungen. Hans wird also selbst zu Patienten, und das Patientsein wird zu seiner Lebensaufgabe. Anhand Castorps Erlebnisse in der Lungenanstalt lernt der Leser nicht nur den Alltag des Sanitoriums kennen, sondern des Daseins überhaupt. Die Lungenanstalt wird also zum Metapher für das menschliche Schicksal…“

Der Agent unterbricht an diesem Punkt. Seufz, denkt er. Viel zu dunkel diese Geschichte. Wer will sich so eingehend mit Krankheit befassen? Nein, Herr Mann, Sie haben mich nicht überzeugt. Ich gehe jetzt Mittag essen. Mahlzeit!

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